Lynchjustiz, Volkstribunale, Säuberungswellen - die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien war ein unerhört dramatischer Prozess. Sie richtete sich nicht, wie im besetzten Deutschland nach 1945, gegen einen bereits überwundenen Gegner, der für seine Verbrechen büßen und von künftigen Abenteuern abgehalten werden sollte. Die italienische Abrechnung richtete sich vor allem gegen einen aktuellen Feind, den es erst noch niederzuringen galt in einem zweijährigen Bürgerkrieg, der in einen Klassenkrieg einzumünden drohte. Nirgends sonst im westlichen Europa hat der Vergeltungsfuror so viele Opfer gefordert, nirgends sonst haben die Gerichte so rasch und unerbittlich auf die Herausforderung der Abrechnung reagiert, nirgends sonst hat man danach freilich auch so schnell eine Generalamnestie erlassen und damit für längere Zeit jede weitere Auseinandersetzung mit der faschistischen Vergangenheit unterbunden.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.11.1996Abrechnung mit dem Faschismus
Die italienischen Umbrüche in den Jahren von 1943 bis 1948
Hans Woller: Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, Band 38. R. Oldenbourg Verlag, München 1996. VI, 436 Seiten, 68,- Mark.
Die italienischen Umbrüche der Jahre 1943 bis 1948, die über die doppelte Besetzung des Landes und über Krieg, Bürgerkrieg und Revolutionsversuche vom Faschismus zur Demokratie, von der Monarchie zur Republik geführt haben, sind im letzten Jahrzehnt auch bei uns wahrgenommen und gewürdigt worden. Hans Woller schildert sie ein weiteres Mal, konzentriert auf die damaligen Bemühungen um "Säuberung" der öffentlichen Verwaltung und der Großindustrie sowie auf "alle Formen der legalen und der halblegalen Ahndung faschistischer Verbrechen". Gelegentlich schlägt das Pathos von Resistenza-Erinnerungen durch, welches verschleiert, daß die Ausgangssituation anders war als in Deutschland: Mussolinis Regime hatte zwischen 1926 und 1943 keinen alltäglichen und massiven Terror ausgeübt. Die Motive der hohen Partei- und Staatsfunktionäre, die im Juli 1943 den Sturz des Duce herbeiführten, werden verkürzt wiedergegeben; sie fürchteten wohl weniger um ihre persönliche Zukunft als um die des Staates und des Landes.
Die in den Umrissen bereits bekannten Säuberungsbemühungen der damaligen Übergangsregierungen werden anhand amerikanischer und italienischer Quellen erstmals minutiös nachgezeichnet. Marschall Badoglio (1943/44), lange einer der ranghöchsten Armeeführer des Duce, hatte damit unter dem Druck der Alliierten halbherzig begonnen; die seit der Befreiung Roms im Juni 1944 von den wiedererstandenen antifaschistischen Parteien gebildeten Regierungen unter Ivanoe Bonomi und Ferruccio Parri handelten energischer; mit De Gasperi (seit Ende 1945) begann die Beruhigung. Die von ihm geführte Democrazia Christiana und die Liberale Partei unter Luigi Einaudi hatten ohnehin nur diejenigen entfernen oder bestrafen wollen, die persönlich für das frühere Regime verantwortlich waren, und besonders die, welche sich nach 1943 erneut dem nunmehr radikalisierten Faschismus zur Verfügung gestellt und mit dem nationalsozialistisch beherrschten Deutschland kollaboriert hatten.
Die den Linksparteien nahestehenden Partisanenkommandos dagegen betrieben 1944/45 nicht nur die Säuberung vom Faschismus, sondern eine Art Generalabrechnung mit den bürgerlichen Eliten; sie töteten in Nord- und Mittelitalien über zehntausend wirkliche oder angebliche Faschisten, bis die Anglo-Amerikaner im Mai 1945 rechtsstaatliche Normen durchsetzten und auf jene Normalisierung hinwirkten, die sie für die Eingliederung Italiens in den Westen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau für ebenso wichtig hielten wie die Parteien der Mitte um De Gasperi und Einaudi. Und nunmehr lenkten auch Pietro Nenni und noch mehr Palmiro Togliatti in diese Richtung ein: Nachdem die soziale Revolution mißlungen war, setzten sie auf Integration ihrer Parteien in die Gesellschaft und auf deren allmähliche Durchdringung.
Das Gesetz über "Sanktionen gegen den Faschismus" vom 27. Juli 1944 hatte eine Generalüberprüfung des gesamten öffentlichen Dienstes ermöglicht und verantwortliche Mitwirkung am früheren Regime mit schweren und schwersten Strafen bedroht; mit der Anklageerhebung wurde ein eigenes "Hohes Kommissariat" betraut. Der noch radikalere Furor der Partisanenausschüsse wurde durch das Gesetz vom 22. April 1945, welches außerordentliche Schwurgerichte schuf, einigermaßen kanalisiert; aber bereits Pietro Nenni, der seit Juni 1945 als hoher Kommissar amtierte, reduzierte unter dem Druck der bürgerlichen Koalitionsparteien die Ziele der Säuberung (Gesetz vom 14. November 1945). De Gasperi stieß nur noch auf geringen Widerstand, als er zum 31. März 1946 das Hochkommissariat auflösen ließ; und am 22. Juni 1946 erging ein recht großzügiges Amnestiegesetz, welches auf Wunsch der bürgerlichen Parteien den Ex-Faschisten, auf Wunsch der Linksparteien den Ex-Partisanen zugute kam. 1946/47 wurden die meisten verurteilten oder noch in Untersuchungshaft befindlichen Faschisten entlassen und rehabilitiert, doch in nicht wenigen Fällen verhinderten linke Stadtverwaltungen oder Betriebsräte die Rückkehr in die früher innegehabten Ämter oder Arbeitsplätze. 1948/49 wurden gesetzliche Schlußstriche gezogen.
Nichts Neues hat Woller zu berichten über Mussolinis und Hitlers Rache an den "Verrätern" vom Juli 1943 (die strenggenommen nicht zum Thema des Buches gehört) und über die schließliche Verhaftung und Erschießung des Duce durch kommunistische Partisanen, die gleichwohl ebenfalls breit geschildert werden. Dagegen entspricht es wohl einem Trend der Zeit, daß Kirchenführer wie Papst Pius XII. oder der Mailänder Kardinal Schuster, die in den Jahren seit 1943 vielfach zwischen den Fronten vermittelt haben, überhaupt nicht vorkommen.
Unter den herangezogenen Erinnerungswerken vermißt man die zweier unparteilich urteilender Deutscher: Udo von Alvensleben und Hubert Jedin. Da die Detailergebnisse des Buches sich an die für dieses Thema noch nicht weit gediehene italienische Forschung richten, wäre eine Zusammenfassung in deren Sprache wünschenswert gewesen. Würde die italienische Forschung nicht erreicht, so stände das hier vorgelegte Ergebnis nicht im rechten Verhältnis zu dem zehnjährigen Forschungsaufwand, von dem der Verfasser einleitend spricht.
Wollers Resümee, daß Italiens kurze und blutige Abrechnung mit den Exponenten der Diktatur im Einklang mit der italienischen Geschichte und vielleicht sogar im Zeichen ausgleichender Gerechtigkeit gestanden habe, ist schon wegen der vielen Exzeßdaten einerseits und der schnell wieder hergestellten Kontinuitäten andererseits mit Fragezeichen zu versehen. Leider unterbleibt die Erörterung der von Renzo De Felice (Rosso e Nero, 1995; außerdem mehrere Zeitungsartikel) aufgeworfenen und in den italienischen Medien heftig diskutierte Frage, ob die Brüche jener Jahre die italienische Nation als solche gespalten, ja aufgelöst hätten und somit bis in die derzeitige Krise Italiens hineinwirkten. RUDOLF LILL
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Die italienischen Umbrüche in den Jahren von 1943 bis 1948
Hans Woller: Die Abrechnung mit dem Faschismus in Italien 1943 bis 1948. Quellen und Darstellungen zur Zeitgeschichte, herausgegeben vom Institut für Zeitgeschichte, Band 38. R. Oldenbourg Verlag, München 1996. VI, 436 Seiten, 68,- Mark.
Die italienischen Umbrüche der Jahre 1943 bis 1948, die über die doppelte Besetzung des Landes und über Krieg, Bürgerkrieg und Revolutionsversuche vom Faschismus zur Demokratie, von der Monarchie zur Republik geführt haben, sind im letzten Jahrzehnt auch bei uns wahrgenommen und gewürdigt worden. Hans Woller schildert sie ein weiteres Mal, konzentriert auf die damaligen Bemühungen um "Säuberung" der öffentlichen Verwaltung und der Großindustrie sowie auf "alle Formen der legalen und der halblegalen Ahndung faschistischer Verbrechen". Gelegentlich schlägt das Pathos von Resistenza-Erinnerungen durch, welches verschleiert, daß die Ausgangssituation anders war als in Deutschland: Mussolinis Regime hatte zwischen 1926 und 1943 keinen alltäglichen und massiven Terror ausgeübt. Die Motive der hohen Partei- und Staatsfunktionäre, die im Juli 1943 den Sturz des Duce herbeiführten, werden verkürzt wiedergegeben; sie fürchteten wohl weniger um ihre persönliche Zukunft als um die des Staates und des Landes.
Die in den Umrissen bereits bekannten Säuberungsbemühungen der damaligen Übergangsregierungen werden anhand amerikanischer und italienischer Quellen erstmals minutiös nachgezeichnet. Marschall Badoglio (1943/44), lange einer der ranghöchsten Armeeführer des Duce, hatte damit unter dem Druck der Alliierten halbherzig begonnen; die seit der Befreiung Roms im Juni 1944 von den wiedererstandenen antifaschistischen Parteien gebildeten Regierungen unter Ivanoe Bonomi und Ferruccio Parri handelten energischer; mit De Gasperi (seit Ende 1945) begann die Beruhigung. Die von ihm geführte Democrazia Christiana und die Liberale Partei unter Luigi Einaudi hatten ohnehin nur diejenigen entfernen oder bestrafen wollen, die persönlich für das frühere Regime verantwortlich waren, und besonders die, welche sich nach 1943 erneut dem nunmehr radikalisierten Faschismus zur Verfügung gestellt und mit dem nationalsozialistisch beherrschten Deutschland kollaboriert hatten.
Die den Linksparteien nahestehenden Partisanenkommandos dagegen betrieben 1944/45 nicht nur die Säuberung vom Faschismus, sondern eine Art Generalabrechnung mit den bürgerlichen Eliten; sie töteten in Nord- und Mittelitalien über zehntausend wirkliche oder angebliche Faschisten, bis die Anglo-Amerikaner im Mai 1945 rechtsstaatliche Normen durchsetzten und auf jene Normalisierung hinwirkten, die sie für die Eingliederung Italiens in den Westen und den wirtschaftlichen Wiederaufbau für ebenso wichtig hielten wie die Parteien der Mitte um De Gasperi und Einaudi. Und nunmehr lenkten auch Pietro Nenni und noch mehr Palmiro Togliatti in diese Richtung ein: Nachdem die soziale Revolution mißlungen war, setzten sie auf Integration ihrer Parteien in die Gesellschaft und auf deren allmähliche Durchdringung.
Das Gesetz über "Sanktionen gegen den Faschismus" vom 27. Juli 1944 hatte eine Generalüberprüfung des gesamten öffentlichen Dienstes ermöglicht und verantwortliche Mitwirkung am früheren Regime mit schweren und schwersten Strafen bedroht; mit der Anklageerhebung wurde ein eigenes "Hohes Kommissariat" betraut. Der noch radikalere Furor der Partisanenausschüsse wurde durch das Gesetz vom 22. April 1945, welches außerordentliche Schwurgerichte schuf, einigermaßen kanalisiert; aber bereits Pietro Nenni, der seit Juni 1945 als hoher Kommissar amtierte, reduzierte unter dem Druck der bürgerlichen Koalitionsparteien die Ziele der Säuberung (Gesetz vom 14. November 1945). De Gasperi stieß nur noch auf geringen Widerstand, als er zum 31. März 1946 das Hochkommissariat auflösen ließ; und am 22. Juni 1946 erging ein recht großzügiges Amnestiegesetz, welches auf Wunsch der bürgerlichen Parteien den Ex-Faschisten, auf Wunsch der Linksparteien den Ex-Partisanen zugute kam. 1946/47 wurden die meisten verurteilten oder noch in Untersuchungshaft befindlichen Faschisten entlassen und rehabilitiert, doch in nicht wenigen Fällen verhinderten linke Stadtverwaltungen oder Betriebsräte die Rückkehr in die früher innegehabten Ämter oder Arbeitsplätze. 1948/49 wurden gesetzliche Schlußstriche gezogen.
Nichts Neues hat Woller zu berichten über Mussolinis und Hitlers Rache an den "Verrätern" vom Juli 1943 (die strenggenommen nicht zum Thema des Buches gehört) und über die schließliche Verhaftung und Erschießung des Duce durch kommunistische Partisanen, die gleichwohl ebenfalls breit geschildert werden. Dagegen entspricht es wohl einem Trend der Zeit, daß Kirchenführer wie Papst Pius XII. oder der Mailänder Kardinal Schuster, die in den Jahren seit 1943 vielfach zwischen den Fronten vermittelt haben, überhaupt nicht vorkommen.
Unter den herangezogenen Erinnerungswerken vermißt man die zweier unparteilich urteilender Deutscher: Udo von Alvensleben und Hubert Jedin. Da die Detailergebnisse des Buches sich an die für dieses Thema noch nicht weit gediehene italienische Forschung richten, wäre eine Zusammenfassung in deren Sprache wünschenswert gewesen. Würde die italienische Forschung nicht erreicht, so stände das hier vorgelegte Ergebnis nicht im rechten Verhältnis zu dem zehnjährigen Forschungsaufwand, von dem der Verfasser einleitend spricht.
Wollers Resümee, daß Italiens kurze und blutige Abrechnung mit den Exponenten der Diktatur im Einklang mit der italienischen Geschichte und vielleicht sogar im Zeichen ausgleichender Gerechtigkeit gestanden habe, ist schon wegen der vielen Exzeßdaten einerseits und der schnell wieder hergestellten Kontinuitäten andererseits mit Fragezeichen zu versehen. Leider unterbleibt die Erörterung der von Renzo De Felice (Rosso e Nero, 1995; außerdem mehrere Zeitungsartikel) aufgeworfenen und in den italienischen Medien heftig diskutierte Frage, ob die Brüche jener Jahre die italienische Nation als solche gespalten, ja aufgelöst hätten und somit bis in die derzeitige Krise Italiens hineinwirkten. RUDOLF LILL
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"Das Buch beeindruckt nicht nur durch seine außerordentliche Forschungsleistung, es ist auch gut geschrieben und erreicht an manchen Stellen ... eine literarische Dichte, wie man sie bei Historikern selten findet. (Woller) hat ein bedeutendes historisches Werk verfaßt, das lange Bestand haben wird." (Kurt Sontheimer, in: Süddeutsche Zeitung)