Wer kennt sie nicht, die Ritualen gleichenden Filmvorführungen im Kreis der Familie, die sich vor ratternden Projektoren versammelt, um die Höhepunkte des Familienlebens wie Geburtstagsfeiern, Weihnachten und Urlaube Revue passieren zu lassen - ohne Ton, in blassen Farben, leichter Unschärfe und kaum wahrnehmbarer Zeitlupe? "Die Achte Welt" beschäftigt sich mit dem Kult- und Kulturphänomen des Super-8-Films und kommt damit der aktuell auffälligen Sehnsucht nach dem Vergangenen entgegen, die sich besonders im populären "Retro-Look" des Polaroids und der digitalen Retro-Fotografie widerspiegelt. In den 60er, 70er und frühen 80er Jahren entstand, festgehalten auf Super-8-Filmen, eine Art gesellschaftliches Familiengedächtnis - Ikonografien der deutschen Familie aus der analogen Zeit. Fridolin Schley geht dem Geheimnis dieser Filme auf den Grund und präsentiert eine Bildauswahl aus original S-8-Film-Stills. So entsteht aus authentischen Bildern und wahrhaftigem Material eine neue Geschichte - nicht gestellt und doch frei erfunden.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 21.10.2014Selbst Vergilbtes kann noch glücklich machen: Fünfzig Jahre Super 8
Um die vierzig herum wird der Mensch selbstreferentiell. Als Kind hat es noch genervt, das Gerede der Eltern und Großeltern über Krieg und Vertreibung. Immer die gleichen Nazi-Geschichten. Als kleiner Schlingensief ist man damals lieber vom Kaffeetisch aufgestanden und hat mit der Super-8-Kamera im Garten ein weiteres Splatter-Filmchen gedreht. Big-Jim-Figuren mit abgerissenen Armen und Kanonenschläge vom Silvesterabend – so gelang eine Kindheit, viel glücklicher als die vom Opa.
Fädelt man sich an einsamen Herbsttagen im verdunkelten Wohnzimmer fast vierzig Jahre später diese Filmchen noch mal ein, so entwickelt sich ein flaues Gefühl. Der Münchner Schriftsteller Fridolin Schley, geboren 1976, nennt dieses Gefühl den „Super- 8-Blues“. Mit seinem Band „Die achte Welt“ ( Fünfzig Jahre Super 8. Edition Braus, Berlin 2014. 128 Seiten, 29,95 Euro ) gratuliert Schley der über viele Jahre in Deutschland beliebtesten Hobby-Schmalfilmtechnik zu ihrem 50. Geburtstag.
Seit dem Siegeszug der Videokamera existiert zwar auch Super 8 nur noch im Kellerregal der Erinnerung. Doch selbst Vergilbtes kann noch glücklich machen. Seit geraumer Zeit füllen Fernsehsender mit meist unscharfem, verwackeltem oder sinnlos schwarz-weißem Acht-Millimeter-Material ihr Programm. Man möchte nicht mit den Redakteuren tauschen, die sich da monatelang durch völlig unterbelichtete Gartenpartys, Strandspaziergänge und Hochzeiten spähen mussten. Schley hat es ihnen gleichgetan.
Sein Buch bietet einen wohltuend komprimierten Blick auf diesen Aspekt deutsch-deutscher Privatissima. Erwähnt werden Bandsalat, Heimpornos, Zelluloid-Brandblasen und die vom Familienrat immer sehnsüchtig erwarteten, gelben Versandtaschen mit drei neuen, vom Kodak Werk Stuttgart entwickelten Film-Minuten. Fast genau so hat man es erlebt. Nur, dass man von den dreißig Stunden Filmmaterial, die da immer noch in der Stellage liegen, 29 eh vergessen kann.
Die Beaulieu kommt vor (ein großer Traum von all jenen, die es nur bis zur Bauer geschafft haben). Auch das aufziehbare Sowjet-Modell aus der DDR (eine miserable Quarzkamera, die schon nach zwanzig Sekunden ihre Geschwindigkeit drosselte). Da möchte man hinter jedem, manchmal wortakrobatisch leicht ausufernden Gedankengang ein Häkchen setzen.
Fridolin Schley ist ein Gerhard Hentschel der deutschen Schmalfilmhistorie. Noch direkter als sein Text sind freilich die vielen papiergewordenen Filmstills im Buch (plus Daumenkino). Wie gesagt: Im Gegensatz zu Opas Kindheit alles ein bisschen fad. Aber im Grunde ist ja gerade das das Tolle.
Am Ende, da bleibt nur der Blues. Und ein Smartphone, das alles so viel besser kann.
MARTIN ZIPS
Alles im Fluss, auch beim deutschen Super-8-Blues.
Fotos: aus dem besprochenen Band
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Um die vierzig herum wird der Mensch selbstreferentiell. Als Kind hat es noch genervt, das Gerede der Eltern und Großeltern über Krieg und Vertreibung. Immer die gleichen Nazi-Geschichten. Als kleiner Schlingensief ist man damals lieber vom Kaffeetisch aufgestanden und hat mit der Super-8-Kamera im Garten ein weiteres Splatter-Filmchen gedreht. Big-Jim-Figuren mit abgerissenen Armen und Kanonenschläge vom Silvesterabend – so gelang eine Kindheit, viel glücklicher als die vom Opa.
Fädelt man sich an einsamen Herbsttagen im verdunkelten Wohnzimmer fast vierzig Jahre später diese Filmchen noch mal ein, so entwickelt sich ein flaues Gefühl. Der Münchner Schriftsteller Fridolin Schley, geboren 1976, nennt dieses Gefühl den „Super- 8-Blues“. Mit seinem Band „Die achte Welt“ ( Fünfzig Jahre Super 8. Edition Braus, Berlin 2014. 128 Seiten, 29,95 Euro ) gratuliert Schley der über viele Jahre in Deutschland beliebtesten Hobby-Schmalfilmtechnik zu ihrem 50. Geburtstag.
Seit dem Siegeszug der Videokamera existiert zwar auch Super 8 nur noch im Kellerregal der Erinnerung. Doch selbst Vergilbtes kann noch glücklich machen. Seit geraumer Zeit füllen Fernsehsender mit meist unscharfem, verwackeltem oder sinnlos schwarz-weißem Acht-Millimeter-Material ihr Programm. Man möchte nicht mit den Redakteuren tauschen, die sich da monatelang durch völlig unterbelichtete Gartenpartys, Strandspaziergänge und Hochzeiten spähen mussten. Schley hat es ihnen gleichgetan.
Sein Buch bietet einen wohltuend komprimierten Blick auf diesen Aspekt deutsch-deutscher Privatissima. Erwähnt werden Bandsalat, Heimpornos, Zelluloid-Brandblasen und die vom Familienrat immer sehnsüchtig erwarteten, gelben Versandtaschen mit drei neuen, vom Kodak Werk Stuttgart entwickelten Film-Minuten. Fast genau so hat man es erlebt. Nur, dass man von den dreißig Stunden Filmmaterial, die da immer noch in der Stellage liegen, 29 eh vergessen kann.
Die Beaulieu kommt vor (ein großer Traum von all jenen, die es nur bis zur Bauer geschafft haben). Auch das aufziehbare Sowjet-Modell aus der DDR (eine miserable Quarzkamera, die schon nach zwanzig Sekunden ihre Geschwindigkeit drosselte). Da möchte man hinter jedem, manchmal wortakrobatisch leicht ausufernden Gedankengang ein Häkchen setzen.
Fridolin Schley ist ein Gerhard Hentschel der deutschen Schmalfilmhistorie. Noch direkter als sein Text sind freilich die vielen papiergewordenen Filmstills im Buch (plus Daumenkino). Wie gesagt: Im Gegensatz zu Opas Kindheit alles ein bisschen fad. Aber im Grunde ist ja gerade das das Tolle.
Am Ende, da bleibt nur der Blues. Und ein Smartphone, das alles so viel besser kann.
MARTIN ZIPS
Alles im Fluss, auch beim deutschen Super-8-Blues.
Fotos: aus dem besprochenen Band
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