Ein grandioser Familienroman Mit diesem Buch legt Peter Henning seinen langerwarteten großen Roman vor. Die Chronik einer musterhaften Familie ist eine aberwitzige, rabenschwarze menschliche Komödie, ein Mosaik aus Hoffnung, Glück, kleinen und großen Schrecken ein Buch des Lebens. "Der Ton dieser Prosa ist bewusst, reif und kontrolliert, mit anderen Worten, es ist der Ton genuiner literarischer Kunst." Frankfurter Rundschau "Wie die Sensation allein durch das Vermögen der Sprache3 entsteht, das muss jeden Leser besonders freuen." Martin Walser Über Taunus und Rhön gehen sintflutartige Regenfälle nieder. Sie sind Vorboten eines Orkans, der die Familie Jansen mit aller Zerstörungskraft trifft: Weil Johanna Jansen, die 78-jährige Patriarchin, in ein Wohnstift ziehen will, möchte sie ihre Kinder noch einmal um sich versammeln. Doch der Lebensabend wird für sie zur Sonnenfinsternis: Plötzlich verschwindet ihr Lebensgefährte, der Spieler und Hasardeur Janek, und Helmut, ihr ältester Sohn, sieht sich von einer tödlichen Krankheit bedroht, während sein jüngerer Bruder Christian aus der Psychiatrie flieht, um sich mit allen Mitteln nach Hause durchzuschlagen. Auch Ulrike, Johannas Tochter, begibt sich auf eine Reise, die für sie und ihren untreuen Mann zur Tortur gerät, derweil Ben Jansen um die Liebe seines Lebens kämpft. Als die Jansens ein letztes Mal zusammenfinden, ziehen erneut dunkle Wolken auf. Es sind die Schatten des Kleinmuts und der Angst, der Geltungssucht und Lieblosigkeit die Schatten einer deutschen Familie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.02.2010Erstarrt im Magma des Lebens
Peter Henning mit seinem Roman "Die Ängstlichen" im Frankfurter Hauptbahnhof
Die Literatur-Lounge "brummt". Schon eine halbe Stunde vor der Lesung war im Bahnhofs-Restaurant "Cosmopolitan" kaum noch ein Stuhl frei. Als sich Schriftsteller Peter Henning und sein Moderator Martin Maria Schwarz (hr2-Kultur) am Lesetisch niederließen, schleppten die letzten Besucher Zusatzstühle herbei. "Etwa 200 Gäste" schätzte Armin Nagel von "Kultur & Bahn". Der Veranstalter ist das gewohnt: "Wir haben nie weniger als 120 Gäste." Auch als die "Literatur-Lounge" noch tatsächlich in der Lounge des Frankfurter Hauptbahnhofs stattfand, nämlich bis zum vorigen Jahr, musste man mindestens eine halbe Stunde vorher kommen, um einen Stuhl zu ergattern. Davon können die etablierten Literaturinstitutionen in Frankfurt nur träumen. Liegt es am angebotenen Frühstücksbuffet, dass sogar Gäste eigens aus dem Umland einmal im Monat anreisen? "Aber nein", korrigiert eine Dame aus Friedberg, "hier bekommt man doch Anregungen." Und die Freundin, die ihr mühsam den Platz freigehalten hatte, ergänzt: "Woher sollte man sonst wissen, welche Bücher man lesen muss und guten Gewissens verschenken kann?" Die meisten Literaturfreunde nippen tatsächlich nur am Kaffee und Cappuccino, das Buffet war schon von den Frühaufstehern abgeräumt worden. Inzwischen ist eine dritte Dame zu dem Kränzchen gestoßen, das sich mit Bedacht in der Nähe des Lautsprechers niedergelassen hat. Ein bedauernswerter Kellner nimmt im Vorbeihuschen die Bestellungen auf.
Und dann stecken wir plötzlich mitten in dem Roman, mit dem der Kölner Autor seit Monaten unterwegs ist, gecoacht von den beinahe schon frenetischen Rezensionen seiner Kritiker. Obgleich Romane über zerrüttete deutsche Familien nicht gerade der letzte Schrei sind: "Die Ängstlichen" bannen den Zuhörer und Leser dank eines ausgetüftelten Realismus, mit dem sich der Verfasser bis in die Kulturtaschen seiner Figuren vorangegraben hat. So also sieht es zwischen Hanau, Heppenheim und Fulda bei zivilisierten Bürgern aus, die sich wie die wechseljährige Ulrike vom Gatten und vom Leben versetzt fühlen oder wie der Partylöwe Helmut vom Krebs bedroht wähnen. Sie seien "erstarrt im Magma ihres Lebens", sagte der Autor. Deshalb hat Henning sie in einer unterhaltsamen "Laborsituation" nebst Filmschnitttechnik allesamt in eine Grenzerfahrung getrieben. Doch sie haben Angst vor dem Leben.
Diese Figuren sind zutiefst menschlich, vor allem wenn sie heulend zusammenbrechen und dann einem väterlichen Schutzengel begegnen wie James Stewart auf der Leinwand der Vierziger. Henning ist 1959 geboren und hat in diesem, seinem siebten Buch, das im Aufbau-Verlag erschienen ist, mit seiner Hanauer Kindheit aufgeräumt: seiner Großmutter ein Denkmal gesetzt und seine ungeliebte Heimatstadt "geflutet", wie ihm ein Freund geraten hatte - einiges "korrigiert" eben, wie sein amerikanischer Gewährsmann Jonathan Franzen.
Nach erfolgreichem Beutezug am Büchertisch verabredete sich das Damenkränzchen übrigens sogleich für den 7. März. "Dann müssen wir aber schon eine ganze Stunde vorher kommen", hieß es beim Abschied: Eva Demski liest um 11 Uhr aus ihren "Gartengeschichten".
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Peter Henning mit seinem Roman "Die Ängstlichen" im Frankfurter Hauptbahnhof
Die Literatur-Lounge "brummt". Schon eine halbe Stunde vor der Lesung war im Bahnhofs-Restaurant "Cosmopolitan" kaum noch ein Stuhl frei. Als sich Schriftsteller Peter Henning und sein Moderator Martin Maria Schwarz (hr2-Kultur) am Lesetisch niederließen, schleppten die letzten Besucher Zusatzstühle herbei. "Etwa 200 Gäste" schätzte Armin Nagel von "Kultur & Bahn". Der Veranstalter ist das gewohnt: "Wir haben nie weniger als 120 Gäste." Auch als die "Literatur-Lounge" noch tatsächlich in der Lounge des Frankfurter Hauptbahnhofs stattfand, nämlich bis zum vorigen Jahr, musste man mindestens eine halbe Stunde vorher kommen, um einen Stuhl zu ergattern. Davon können die etablierten Literaturinstitutionen in Frankfurt nur träumen. Liegt es am angebotenen Frühstücksbuffet, dass sogar Gäste eigens aus dem Umland einmal im Monat anreisen? "Aber nein", korrigiert eine Dame aus Friedberg, "hier bekommt man doch Anregungen." Und die Freundin, die ihr mühsam den Platz freigehalten hatte, ergänzt: "Woher sollte man sonst wissen, welche Bücher man lesen muss und guten Gewissens verschenken kann?" Die meisten Literaturfreunde nippen tatsächlich nur am Kaffee und Cappuccino, das Buffet war schon von den Frühaufstehern abgeräumt worden. Inzwischen ist eine dritte Dame zu dem Kränzchen gestoßen, das sich mit Bedacht in der Nähe des Lautsprechers niedergelassen hat. Ein bedauernswerter Kellner nimmt im Vorbeihuschen die Bestellungen auf.
Und dann stecken wir plötzlich mitten in dem Roman, mit dem der Kölner Autor seit Monaten unterwegs ist, gecoacht von den beinahe schon frenetischen Rezensionen seiner Kritiker. Obgleich Romane über zerrüttete deutsche Familien nicht gerade der letzte Schrei sind: "Die Ängstlichen" bannen den Zuhörer und Leser dank eines ausgetüftelten Realismus, mit dem sich der Verfasser bis in die Kulturtaschen seiner Figuren vorangegraben hat. So also sieht es zwischen Hanau, Heppenheim und Fulda bei zivilisierten Bürgern aus, die sich wie die wechseljährige Ulrike vom Gatten und vom Leben versetzt fühlen oder wie der Partylöwe Helmut vom Krebs bedroht wähnen. Sie seien "erstarrt im Magma ihres Lebens", sagte der Autor. Deshalb hat Henning sie in einer unterhaltsamen "Laborsituation" nebst Filmschnitttechnik allesamt in eine Grenzerfahrung getrieben. Doch sie haben Angst vor dem Leben.
Diese Figuren sind zutiefst menschlich, vor allem wenn sie heulend zusammenbrechen und dann einem väterlichen Schutzengel begegnen wie James Stewart auf der Leinwand der Vierziger. Henning ist 1959 geboren und hat in diesem, seinem siebten Buch, das im Aufbau-Verlag erschienen ist, mit seiner Hanauer Kindheit aufgeräumt: seiner Großmutter ein Denkmal gesetzt und seine ungeliebte Heimatstadt "geflutet", wie ihm ein Freund geraten hatte - einiges "korrigiert" eben, wie sein amerikanischer Gewährsmann Jonathan Franzen.
Nach erfolgreichem Beutezug am Büchertisch verabredete sich das Damenkränzchen übrigens sogleich für den 7. März. "Dann müssen wir aber schon eine ganze Stunde vorher kommen", hieß es beim Abschied: Eva Demski liest um 11 Uhr aus ihren "Gartengeschichten".
CLAUDIA SCHÜLKE
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Familie – das scheint für Peter Henning eine Ansammlung von Monaden zu sein, die sich fremd und gleichgültig sind. Oder streiten. Rezensent Burkhard Müller jedenfalls findet die Kümmernisse und der Familie in diesem Buch viel zu isoliert dargestellt, als dass sich daraus ein veritabler Familienroman ergeben würde. Im Zentrum steht die 78-jährige Johanna, die noch einmal ein großes Familienfest wünscht, bevor sie in eine betreute Wohnanlage zieht, fasst Müller zusammen, der das als handlungstragendes Konstrukt ein bisschen schütter findet. Der Rezensent stört sich daran, dass die Figuren mit ihren mannigfaltigen Sorgen alle so "vor sich hinwursteln" und hauptsächlich durch die Gleichzeitigkeit ihrer Handlungen verbunden sind. Auch der Stilwille des Autors sorgt seiner Ansicht nach eher für Längen als für Erleuchtung. In einer durchaus überraschenden Wendung bescheinigt Müller dem Roman aber dann doch ein "fesselndes" Buch zu sein. Vor allem, weil der Autor "erkennbar etwas will", nämlich eine heutige Familie darstellen, "und stur daran festhält". Henning begegne seinen - nicht unbedingt sympathischen - Figuren mit "bedingungsloser Liebe", und das, so scheint es, macht für den Rezensenten die Mängel mehr als wett.
© Perlentaucher Medien GmbH
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