Produktdetails
- Aachener Bibliothek
- Verlag: Deutscher Kunstverlag
- Seitenzahl: 320
- Abmessung: 19mm x 172mm x 240mm
- Gewicht: 802g
- ISBN-13: 9783422063105
- ISBN-10: 3422063102
- Artikelnr.: 09007387
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Diese Dissertation versucht den Nachweis, dass sich die Kriterien von Anbau und Zucht von Obst im Laufe der Jahrhunderte gewandelt haben. In botanischen Handbüchern bis zur Aufklärung wurde stets auch auf die Ästhetik der Darstellung geachtet. Dem korrespondierte ein Interesse von fürstlicher Obstzuchtkunst an Veredelung der Frucht, das dem Interesse am Umfang der Ernte mindestens gleichrangig war. Im bürgerlichen Zeitalter hatte man im Rahmen der sich durchsetzenden pomologischen Wissenschaft noch Sinn für Sortenkunde - Mitte des 19. Jahrhunderts gewann dann jedoch das theoretische Wissen, das auf Vergrößerung von "Masse und Gewinn" den höchsten Wert legte, die Überhand im Obstkontext. Da der Rezensent Erwin Seitz nirgends Widerspruch anmeldet, wird er die Erkenntnisse der Doktorarbeit wohl für zutreffend halten.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 16.06.2001Weil sie mit Parfüm verbunden
Fürstlicher Landbau: Als Äpfel und Birnen noch Delikatessen waren
Gewöhnlich geht man davon aus, daß die Herstellung von Lebensmitteln nichts mit der Kunst zu tun hat. Den Nahrungsmitteln haftet, wie es scheint, nichts Schöngeistiges an, und seit langem schon fußt die Zucht von Kräutern, Gemüse und Obst nicht mehr auf der Erfahrung von klösterlichen und höfischen Gärtnern und fürstlichen Feinschmeckern, sondern auf den Vorgaben von Naturwissenschaftlern und Bürokraten. Hans-Jürgen Lechtreck verfolgt in seiner Doktorarbeit "Die Äpfel der Hesperiden werden Wirtschaftsobst" den Wandel im Umgang mit den Lebensmitteln.
Der Autor wendet sich eingangs botanischen Handbüchern der frühen Neuzeit und Aufklärung zu, um die These vorzutragen, daß darin die bildliche Darstellung im Gegensatz zu modernen wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht vorrangig dem Prinzip der Deutlichkeit und Naturtreue unterliege, sondern ebenso Aspekte der Ästhetik berücksichtige. Dieses ehemalige Zusammenwirken von Wissen und Kunst sei bislang nicht hinreichend gewürdigt worden, und so gilt Lechtrecks Untersuchung der Pomologie, der Lehre von den Obstsorten und vom Obstbau, wie sie vornehmlich zwischen 1750 und 1850 betrieben wurde. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Sichtung von Lehrbüchern, sondern legt auch die Praxis des bäuerlichen und höfischen Gartenbaus dar und erhellt die Situation der vorindustriellen Landwirtschaft insgesamt.
Da nach dem Dreißigjährigen Krieg viele Höfe verlassen waren, riefen die Fürsten vielerorts fremde Siedler ins Land und sorgten zugleich dafür, daß die kleinteiligen Felder in größere Flurformen verwandelt wurden. Die Landschaft wurde stärker geordnet, wie es vorher schon in den höfischen Gärten erprobt worden war. Als sich aber die geordneten Formen als nützlich erwiesen, galten sie nicht länger als schön, und die höfischen Gärten wurden bald nach englischem Vorbild so abwechslungsreich gestaltet, wie bäuerliche Flur ehedem aussah. Es vollzog sich ein Wechselspiel zwischen dem "schönen Wissen" an den adligen Höfen und der bäuerlichen Pflege von Landschaft, Pflanzen und Tieren.
Den Bauern fehlten in der Regel das Wissen, das Können und die Zeit, um neben dem Anbau von Feldfrüchten auch noch die Gartenfrüchte zu kultivieren. Noch 1814 stellte Joseph August Wöber in seinem Lehrbuch über den Obstanbau fest, daß die Obstbäume auf dem Lande "der Natur überlassen" wurden. Das bäuerliche Obst galt als "Wirtschaftsobst", das roh und ohne besonderen Geschmack war, und es wurde zu Kompott, Most oder Essig verarbeitet oder getrocknet. Die Veredelung von Kräutern, Gemüse und Obst verlangte viel Mühe und Fingerspitzengefühl und fand in den Gärten der Klöster, Prälaten und Fürsten statt. Die kunstvoll angelegten herrschaftlichen Kräuter-, Gemüse- und Obstgärten bildeten die Vorformen der höfischen Ziergärten, die ihrerseits in der Renaissance und im Barock die Kräuter-, Gemüse- und Obstgärten in sich aufnahmen. Das Nützliche verschränkte sich vorläufig noch mit dem Schönen, und der Erwerb von botanischem Wissen gehörte zur Fürstenerziehung. Der Kurfürst August von Sachsen verfaßte 1571 selbst ein "Künstlich Obst- und Gartenbuch", das Anweisungen zum Pfropfen enthielt.
Die Beherrschung der Natur durch die Gartenkunst sollte darauf hindeuten, daß ein Fürst auch die Fähigkeit besaß, die Welt zu regieren und in ihr Ordnung zu schaffen, und man sah in den Äpfeln der höfischen Gärten die Äpfel der Hesperiden, die Herkules listenreich oder im Kampf gegen den Drachen Ladon in seinen Besitz bringen konnte. Die Äpfel der adligen Gärten waren Statussymbole, und nur sie waren geeignet, auf der festlichen Tafel durch Schönheit oder Wohlgeschmack oder durch das eine wie das andere Eindruck zu machen, und man bezeichnete sie deshalb als "Tafelobst".
Während im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts das fürstliche Interesse am kunstvollen Gemüse- und Obstanbau nachließ und der englische Landschaftsgarten den Vorzug erhielt, begannen bürgerliche Obstliebhaber und Pomologen das praktische und ästhetische Wissen der Hofgärtnereien zu sammeln, um es für die vorstädtischen und bäuerlichen Gärten nutzbar zu machen. Die Pomologie des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts bedeutet vor allem Sortenkunde. Man schulte die sinnliche Wahrnehmung des Obstes und verdeutlichte die schönen Aspekte wie Größe, Farbe, Geschmack und Geruch.
Johann Ludwig Christ schrieb 1797 in seinem "Handbuch über die Obstbaumzucht und Obstlehre": "Allein die mit etwas Säure vemischte Süßigkeit erhebt noch keinen Apfel zum ersten Rang des Tafelobstes, sondern muß auch Parfüm haben, einen gewürzhaften Geschmack mit einem Wohlgeruch verbunden." Nicht die Steigerung von Menge und Ertrag war das Ziel des Obstbaus, sondern die Erzeugung von Delikatesse. Es wurden Anweisungen für das Pfropfen und Zuschneiden der Bäume gegeben, und Joseph August Wöber empfahl 1814 in seinem Lehrbuch auch das Auslesen von Früchten am Baum, um das Reifen der verbliebenen Früchte zu fördern.
Von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an unterstützten schließlich die Landesherren und Beamte den bäuerlichen Obstanbau im großen Stil, wobei in zunehmendem Maße das praktische und ästhetische Wissen der Pomologen vom theoretischen Wissen der Universitäten verdrängt wurde. Nun war nicht länger die Feinheit des Obstes das Ziel, sondern Masse und Gewinn sollten vergrößert werden. Mehr und mehr entstanden Obstplantagen, die nach modernen physiologischen Erkenntnissen bewässert und gedüngt wurden.
Lechtreck sieht nach diesem Exkurs über den Obst- und Gartenbau seine These bestätigt, daß in der frühen Neuzeit die Kunst und das Wissen noch eng verbunden waren und erst in jüngerer Zeit getrennt wurden. Man kann darüber hinaus aber auch den Schluß ziehen, daß man die Herstellung von Lebensmitteln nicht bedenkenlos den Vorgaben von Naturwissenschaftlern und Bürokraten überlassen, sondern daß man wieder mehr auf das Schöne und Gute der Nahrungsmittel achten sollte.
ERWIN SEITZ
Hans-Jürgen Lechtreck: "Die Äpfel der Hesperiden werden Wirtschaftsobst". Botanische Illustration und Pomologie im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2000. 320 S., 220 Abb., br., 68,- DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Fürstlicher Landbau: Als Äpfel und Birnen noch Delikatessen waren
Gewöhnlich geht man davon aus, daß die Herstellung von Lebensmitteln nichts mit der Kunst zu tun hat. Den Nahrungsmitteln haftet, wie es scheint, nichts Schöngeistiges an, und seit langem schon fußt die Zucht von Kräutern, Gemüse und Obst nicht mehr auf der Erfahrung von klösterlichen und höfischen Gärtnern und fürstlichen Feinschmeckern, sondern auf den Vorgaben von Naturwissenschaftlern und Bürokraten. Hans-Jürgen Lechtreck verfolgt in seiner Doktorarbeit "Die Äpfel der Hesperiden werden Wirtschaftsobst" den Wandel im Umgang mit den Lebensmitteln.
Der Autor wendet sich eingangs botanischen Handbüchern der frühen Neuzeit und Aufklärung zu, um die These vorzutragen, daß darin die bildliche Darstellung im Gegensatz zu modernen wissenschaftlichen Veröffentlichungen nicht vorrangig dem Prinzip der Deutlichkeit und Naturtreue unterliege, sondern ebenso Aspekte der Ästhetik berücksichtige. Dieses ehemalige Zusammenwirken von Wissen und Kunst sei bislang nicht hinreichend gewürdigt worden, und so gilt Lechtrecks Untersuchung der Pomologie, der Lehre von den Obstsorten und vom Obstbau, wie sie vornehmlich zwischen 1750 und 1850 betrieben wurde. Dabei beschränkt er sich nicht auf die Sichtung von Lehrbüchern, sondern legt auch die Praxis des bäuerlichen und höfischen Gartenbaus dar und erhellt die Situation der vorindustriellen Landwirtschaft insgesamt.
Da nach dem Dreißigjährigen Krieg viele Höfe verlassen waren, riefen die Fürsten vielerorts fremde Siedler ins Land und sorgten zugleich dafür, daß die kleinteiligen Felder in größere Flurformen verwandelt wurden. Die Landschaft wurde stärker geordnet, wie es vorher schon in den höfischen Gärten erprobt worden war. Als sich aber die geordneten Formen als nützlich erwiesen, galten sie nicht länger als schön, und die höfischen Gärten wurden bald nach englischem Vorbild so abwechslungsreich gestaltet, wie bäuerliche Flur ehedem aussah. Es vollzog sich ein Wechselspiel zwischen dem "schönen Wissen" an den adligen Höfen und der bäuerlichen Pflege von Landschaft, Pflanzen und Tieren.
Den Bauern fehlten in der Regel das Wissen, das Können und die Zeit, um neben dem Anbau von Feldfrüchten auch noch die Gartenfrüchte zu kultivieren. Noch 1814 stellte Joseph August Wöber in seinem Lehrbuch über den Obstanbau fest, daß die Obstbäume auf dem Lande "der Natur überlassen" wurden. Das bäuerliche Obst galt als "Wirtschaftsobst", das roh und ohne besonderen Geschmack war, und es wurde zu Kompott, Most oder Essig verarbeitet oder getrocknet. Die Veredelung von Kräutern, Gemüse und Obst verlangte viel Mühe und Fingerspitzengefühl und fand in den Gärten der Klöster, Prälaten und Fürsten statt. Die kunstvoll angelegten herrschaftlichen Kräuter-, Gemüse- und Obstgärten bildeten die Vorformen der höfischen Ziergärten, die ihrerseits in der Renaissance und im Barock die Kräuter-, Gemüse- und Obstgärten in sich aufnahmen. Das Nützliche verschränkte sich vorläufig noch mit dem Schönen, und der Erwerb von botanischem Wissen gehörte zur Fürstenerziehung. Der Kurfürst August von Sachsen verfaßte 1571 selbst ein "Künstlich Obst- und Gartenbuch", das Anweisungen zum Pfropfen enthielt.
Die Beherrschung der Natur durch die Gartenkunst sollte darauf hindeuten, daß ein Fürst auch die Fähigkeit besaß, die Welt zu regieren und in ihr Ordnung zu schaffen, und man sah in den Äpfeln der höfischen Gärten die Äpfel der Hesperiden, die Herkules listenreich oder im Kampf gegen den Drachen Ladon in seinen Besitz bringen konnte. Die Äpfel der adligen Gärten waren Statussymbole, und nur sie waren geeignet, auf der festlichen Tafel durch Schönheit oder Wohlgeschmack oder durch das eine wie das andere Eindruck zu machen, und man bezeichnete sie deshalb als "Tafelobst".
Während im Laufe des achtzehnten Jahrhunderts das fürstliche Interesse am kunstvollen Gemüse- und Obstanbau nachließ und der englische Landschaftsgarten den Vorzug erhielt, begannen bürgerliche Obstliebhaber und Pomologen das praktische und ästhetische Wissen der Hofgärtnereien zu sammeln, um es für die vorstädtischen und bäuerlichen Gärten nutzbar zu machen. Die Pomologie des späten achtzehnten und frühen neunzehnten Jahrhunderts bedeutet vor allem Sortenkunde. Man schulte die sinnliche Wahrnehmung des Obstes und verdeutlichte die schönen Aspekte wie Größe, Farbe, Geschmack und Geruch.
Johann Ludwig Christ schrieb 1797 in seinem "Handbuch über die Obstbaumzucht und Obstlehre": "Allein die mit etwas Säure vemischte Süßigkeit erhebt noch keinen Apfel zum ersten Rang des Tafelobstes, sondern muß auch Parfüm haben, einen gewürzhaften Geschmack mit einem Wohlgeruch verbunden." Nicht die Steigerung von Menge und Ertrag war das Ziel des Obstbaus, sondern die Erzeugung von Delikatesse. Es wurden Anweisungen für das Pfropfen und Zuschneiden der Bäume gegeben, und Joseph August Wöber empfahl 1814 in seinem Lehrbuch auch das Auslesen von Früchten am Baum, um das Reifen der verbliebenen Früchte zu fördern.
Von der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts an unterstützten schließlich die Landesherren und Beamte den bäuerlichen Obstanbau im großen Stil, wobei in zunehmendem Maße das praktische und ästhetische Wissen der Pomologen vom theoretischen Wissen der Universitäten verdrängt wurde. Nun war nicht länger die Feinheit des Obstes das Ziel, sondern Masse und Gewinn sollten vergrößert werden. Mehr und mehr entstanden Obstplantagen, die nach modernen physiologischen Erkenntnissen bewässert und gedüngt wurden.
Lechtreck sieht nach diesem Exkurs über den Obst- und Gartenbau seine These bestätigt, daß in der frühen Neuzeit die Kunst und das Wissen noch eng verbunden waren und erst in jüngerer Zeit getrennt wurden. Man kann darüber hinaus aber auch den Schluß ziehen, daß man die Herstellung von Lebensmitteln nicht bedenkenlos den Vorgaben von Naturwissenschaftlern und Bürokraten überlassen, sondern daß man wieder mehr auf das Schöne und Gute der Nahrungsmittel achten sollte.
ERWIN SEITZ
Hans-Jürgen Lechtreck: "Die Äpfel der Hesperiden werden Wirtschaftsobst". Botanische Illustration und Pomologie im 18. und frühen 19. Jahrhundert. Deutscher Kunstverlag, München/Berlin 2000. 320 S., 220 Abb., br., 68,- DM.
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