Schon rein sprachlich können Schillers Briefe »Über die ästhetische Erziehung des Menschen« dem heutigen Leser beträchtliche Schwierigkeiten bereiten. Viele Ausdrücke verwendet Schiller in einem uns kaum mehr geläufigen Sinn. »Leiden« bedeutet bei ihm zumeist »Passivität« / »Passivsein« und damit weit mehr als »Schmerz«, der nur eine Form des Schillerschen »Leidens« ist; »problematisch« heisst bei Schiller noch in ganz neutralem Sinne »fraglich«. Die Beispiele liessen sich beliebig vermehren und sind in Schillers Briefen überall zu finden. Um dieser Schwierigkeit Abhilfe zu schaffen, hat es Sigismund von Gleich (1896 - 1953) unternommen, Schillers Briefe am Ausgang des Zweiten Weltkriegs umzuformulieren, ohne dabei irgendetwas an ihrem ideellen Gehalt zu verändern. Sigismund von Gleich will mit seiner Neufassung der Schillerschen Briefe »das Original keineswegs ersetzen, vielmehr zum Studium und zum Verständnis desselben hinleiten«. Nicht immer ist in Erkenntnisfragen der direkteste Weg auch der kürzeste: Ob man also unmittelbar in die Gedankensubstanz von Schillers Briefen eindringen mag oder lieber den erleichternden »Umweg« über von Gleichs Fassung - darauf kommt es letztlich nicht an.