Als im Oktober 2006 die Eliteuniversitäten in München und Karlsruhe gekürt wurden, sagte Annette Schavan, Deutschland könne nun mithalten im internationalen Wettbewerb. Doch wer entscheidet überhaupt darüber, wer sich zur Elite zählen darf? Ist die Errichtung universitärer »Leuchttürme« ein wirksames Mittel gegen die Hochschulmisere?
Diesen Fragen widmet Richard Münch seine brisante Studie. Das Ergebnis: Viele Reformen sind kontraproduktiv, sie führen zu einer Verringerung der theoretischen Vielfalt. »Eine Forschungspolitik, die solche Strukturen stärkt, ist nicht auf der Höhe der Zeit und verpaßt die dynamisch voranschreitende internationale Entwicklung.«
Diesen Fragen widmet Richard Münch seine brisante Studie. Das Ergebnis: Viele Reformen sind kontraproduktiv, sie führen zu einer Verringerung der theoretischen Vielfalt. »Eine Forschungspolitik, die solche Strukturen stärkt, ist nicht auf der Höhe der Zeit und verpaßt die dynamisch voranschreitende internationale Entwicklung.«
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.08.2007Abrechnung ohne Strom
Richard Münchs Polemik gegen unser Forschungssystem
Wissenschaftler werden durch den ständigen Zwang zum Schreiben von Drittmittelanträgen von der Wissenschaft abgehalten. Was diese und andere Perversionen für Forschung und Lehre bedeuten, schreibt sich der Soziologe Richard Münch vom Leib.
Im Oktober fallen die Entscheidungen in der zweiten Runde des sogenannten "Exzellenzwettbewerbs" deutscher Universitäten. Der Bamberger Soziologe Richard Münch weiß schon jetzt, wie es ausgehen wird: ungerecht, weil zugunsten derjenigen Hochschulen, die sowieso immer begünstigt werden, wenn es um die Verteilung von Forschungsgeldern geht, ohne dass an ihnen tatsächlich besser geforscht würde als andernorts. Diese Spinnen im Netzwerk der Forschungsfinanzierung sind für ihn die Traditionsuniversitäten - er denkt etwa an Heidelberg, München, Bonn oder Freiburg - sowie jene, in deren Fächerspektrum die Technik- und Naturwissenschaften im Vordergrund stehen.
In fast jeder Aussage dieser erregt vorgetragenen - "die Gesellschaft wird ihrer diskursiv-reflektierenden Seite (!) der Vernunft beraubt" -, aber mit vielen Zahlen munitionierten Attacke auf die deutsche Forschungsfinanzierung mischen sich berechtigte Kritik und haarsträubende Behauptungen. Dass die Exzellenzinitiative wie viele andere Fördermaßnahmen stark auf die Praktiken von Naturkundlern und Ingenieuren zugeschnitten sind, ist unbestritten. Dass sie Spezialisierungsfähigkeit und also auch die Größe der antragstellenden Gruppen begünstigen, liegt auf der Hand. Dass der produktive Einzelforscher ohne zahlreiche Mitarbeiterschaft und ohne Bedarf an Maschinen, Labors oder interdisziplinären Netzwerken im System der Drittmittelfinanzierung eine anachronistische und wenig privilegierte Existenz führt, hat sich herumgesprochen. Und dass die Sozial- und Geisteswissenschaften, weil sie sich oft vorauseilend der Erwartung anpassen, solche Mittel einzuwerben, vielerorts in Bürokratie und Schwällen von Antragsprosa versinken, das steht inzwischen in den Zeitungen. Münch aber behauptet, "die Medien" fänden den ganzen Unfug toll und progressiv, wobei er keinen Zweifel daran lässt, dass das typisch ist für so etwas Unkritisches wie Medien.
Die Wissenschaft, das sieht Münch völlig richtig, wird durch den ständigen Zwang zum Schreiben von Drittmittelanträgen von ihrer eigentlichen Arbeit ferngehalten; von der Lehre ganz zu schweigen. Es werden immer nur diese Anträge, also Projekte, also Pläne beurteilt - also nie Ergebnisse. Außerdem ist der Zusammenhang zwischen dem Drittmitteleingang und dem Publikationsausgang oft schwach. Münch legt dazu selbstberechnete Tabellen vor. Für manche Disziplinen insbesondere der Geisteswissenschaften passt überdies die Form der arbeitsteiligen Großforschung fast nie und führt nur zum Aufbau von Fassaden der Interdisziplinarität, hinter denen aber nach wie vor Einzelforscher völlig unabhängig voneinander den eigenen Interessen nachgehen.
Außerdem unterzieht Münch das Kennziffernwesen, die "Rankings" und bibliometrischen Abschätzungen der Forschungsleistung einer umfassenden Kritik. Man zählt bei Leistungsmessungen die Aufsätze eines Forschers lieber, als sie zu beurteilen - weil Zählen leichter geht. Oder man addiert eingeworbene Finanzmittel ohne Rücksicht darauf, wofür sie eingeworben wurden und welcher Verwendung sie danach zugeführt worden sind. Viel Drittmittel, also Exzellenz - so der Fehlschluss, der außer Acht lässt, dass allein schon die Stromrechnungen von experimentellen Physikern höher sind als sämtliche Personalkosten aller Germanisten zusammen, dass also die Höhe der verbrauchten Mittel nichts über die geleistete Forschung aussagt. Außerdem, so Münch, orientiere man sich bei der Leistungsbewertung oft nur noch an Publikationen in amerikanischen Zeitschriften, was alle Forscher benachteilige, die dem amerikanischen Forschungs- und Publikationsstil nichts abgewinnen können und trotzdem produktiv sind.
Das alles wird nicht falsch dadurch, dass es Münch auf mancher Seite seines Buches mitunter dreimal sagt, was auch für Phrasen wie die gilt, "innovative und kreative Forschung" werde in Deutschland nicht belohnt. Für ihre zahllose Wiederholung hätte man sich wenigsten ein einziges Beispiel gewünscht. Konkret wird das Buch nur dort, wo behauptet wird, die amerikanische Soziologie sei überspezialisiert, in der Themenwahl konformistisch, in den Methoden standardisiert und insgesamt phantasielos, weshalb die Orientierung an ihr die europäische zu veröden drohe.
Das hat Münch, der seine ganze Karriere auf der Bewirtschaftung der ziemlich unspezialisierten und sehr kreativen Soziologie des Amerikaners Talcott Parsons begründet hat, vor Jahren schon behauptet - und es wird durch Wiederholung nicht wahrer, sondern ist eine der denkbar absurdesten Mitteilungen über die jüngere Geschichte und die Gegenwart dieses Faches. Es dürfte Münch wohl kaum gelingen, sein sachfremdes Geschimpfe ins Angesicht von amerikanischen Autoren wie Arthur Stinchcombe, Andrew Abbott, Katherine Newman, Neil Fligstein, Duncan Watts, Peter Bearman oder Eric Leifer zu wiederholen, ohne dass entweder er rot würde oder sie für ihn. Wir erbieten uns (j.kaube@faz.de), jedem Leser die entsprechenden Aufsätze und Bücher zu nennen, auf dass er sie bei Bedarf mit der kontinentalen Produktivität Münchs vergleiche.
Doch sei's drum - Münch will sich im Grundsätzlichen aufhalten, bleiben wir grundsätzlich. Münchs These ist: Nicht wissenschaftliche Leistungen, sondern Kartelle und politisches Gemauschel befinden, wer den Löwenanteil der Forschungsförderung einsteckt. "Wer hat, dem wird gegeben" - der amerikanische Soziologe Robert K. Merton hat das als das "Matthäus-Prinzip" der Wissenschaft bezeichnet. Münch übersetzt es sich so: Nicht zukünftige Wahrheit, sondern gegenwärtige Macht ist der ausschlaggebende Gesichtspunkt der Forschungspolitik. Den Gedanken, dass beispielsweise die Mobilität des Personals dafür sorgt, dass Traditionsuniversitäten in angenehmen Städten erfolgreiche Forscher und begabte Studenten oft stärker anziehen als Wuppertal und Oldenburg, erwägt er nicht. Er hat nachgerechnet und zum Beispiel herausgefunden, dass die am meisten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft begünstigten Universitäten gar nicht den höchsten Ausstoß an wissenschaftlichen Publikationen pro Professor vorweisen können. Man halte sich an die pure Größe und die Prominenz der Universitäten, anstatt an die Leistung pro Kopf des jeweiligen lokalen Forschervölkchens. Die Forschungsförderung belohnt, mit anderen Worten, nicht den Erkenntnisgewinn des gedankenreichen Professors, sondern den Umfang seines Mitarbeiterstabs. Dass es oft heißt, nicht die Professoren, sondern einzelne junge Mitarbeiter in ihren Dissertationen trieben die Forschung eigentlich voran, berücksichtigt Münch dabei an keiner Stelle. Mitarbeiter sind für ihn "Forschungssklaven".
Man würde seiner Kritik dennoch freudiger beipflichten und sagen: "Der Mann hat im Grunde recht", wenn Münch sie nicht so verwirrend instrumentieren würde. Er konstatiert "monopolartige Strukturen", wenn er von zehn bis zwanzig dominanten Universitäten spricht. Er beschwert sich darüber, dass in der Wissenschaftsförderung nur noch Kennziffern etwas zählen - um uns dann vorzurechnen, dass München weniger Publikationen pro Kopf hervorbringt als Würzburg. Was für Publikationen das sind, erfahren wir auch von ihm nicht. Die Kennziffer "Drittmittel pro Wissenschaftler" hält er für aussagekräftiger als die "Drittmittel pro Professor", obwohl er selber Mitarbeiter für reine Forschungssklaven hält. Bei den Publikationen wiederum zählt er nur die, an denen Professoren beteiligt waren. Münch beschwert sich, dass die DFG bei ihrer Mittelvergabe sich stets an falschen Kriterien orientiert - und beschwert sich auch, dass die bayerische Eliteförderung von diesen Kriterien abweicht. Er spricht von Kartellen und politischen Machenschaften, aber nennt so gut wie nie Ross noch Reiter. Er schimpft auf die Amerikanisierung der Wissenschaft und nennt gleichzeitig das Hochschulsystem der Vereinigten Staaten vorbildlich wettbewerbsorientiert.
Das alles wirkt undurchdacht, und man weiß nie, ob es am Dilettantismus oder am Willen zum dramatischen Befund liegt, dass Münch so vorgeht. Darüber hinaus völlig unsoziologisch wirkt es, wenn der Autor ein Ideal der produktiven Wissenschaft pflegt, die auf einzelnen Köpfen beruht, die sich mit ganz großen Fragen beschäftigen, welche nicht arbeitsteilig und also nicht im Rahmen bestehender Förderstrukturen bearbeitet werden können.
Diese Ranküne gegen Spezialistentum und Betriebsförmigkeit der Erkenntnis provoziert die Frage, ob der Wissenschaftssoziologe schon einmal ein großes Labor von innen gesehen hat. Die Vorstellung, dass die Forschung nur aus Kreativität und Innovation besteht und also die Forschungsförderung nur Kreativität und Innovation zu honorieren hat, könnte durch einen Besuch korrigiert werden. Forschung ist auch zu ganz großen Teilen Routine und Masse und Arbeitsteilung und Stromrechnung. Das rechtfertigt nicht die merkwürdigen Praktiken der Mittelvergabe an Forscher, den Kennziffernfetischismus samt der dazugehörigen Exzellenz-Phrasen in unserem Land. Aber es setzt den Argumenten der Polemik dagegen empirische Grenzen.
JÜRGEN KAUBE
Richard Münch: "Die akademische Elite". Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 475 S., br., 15,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Richard Münchs Polemik gegen unser Forschungssystem
Wissenschaftler werden durch den ständigen Zwang zum Schreiben von Drittmittelanträgen von der Wissenschaft abgehalten. Was diese und andere Perversionen für Forschung und Lehre bedeuten, schreibt sich der Soziologe Richard Münch vom Leib.
Im Oktober fallen die Entscheidungen in der zweiten Runde des sogenannten "Exzellenzwettbewerbs" deutscher Universitäten. Der Bamberger Soziologe Richard Münch weiß schon jetzt, wie es ausgehen wird: ungerecht, weil zugunsten derjenigen Hochschulen, die sowieso immer begünstigt werden, wenn es um die Verteilung von Forschungsgeldern geht, ohne dass an ihnen tatsächlich besser geforscht würde als andernorts. Diese Spinnen im Netzwerk der Forschungsfinanzierung sind für ihn die Traditionsuniversitäten - er denkt etwa an Heidelberg, München, Bonn oder Freiburg - sowie jene, in deren Fächerspektrum die Technik- und Naturwissenschaften im Vordergrund stehen.
In fast jeder Aussage dieser erregt vorgetragenen - "die Gesellschaft wird ihrer diskursiv-reflektierenden Seite (!) der Vernunft beraubt" -, aber mit vielen Zahlen munitionierten Attacke auf die deutsche Forschungsfinanzierung mischen sich berechtigte Kritik und haarsträubende Behauptungen. Dass die Exzellenzinitiative wie viele andere Fördermaßnahmen stark auf die Praktiken von Naturkundlern und Ingenieuren zugeschnitten sind, ist unbestritten. Dass sie Spezialisierungsfähigkeit und also auch die Größe der antragstellenden Gruppen begünstigen, liegt auf der Hand. Dass der produktive Einzelforscher ohne zahlreiche Mitarbeiterschaft und ohne Bedarf an Maschinen, Labors oder interdisziplinären Netzwerken im System der Drittmittelfinanzierung eine anachronistische und wenig privilegierte Existenz führt, hat sich herumgesprochen. Und dass die Sozial- und Geisteswissenschaften, weil sie sich oft vorauseilend der Erwartung anpassen, solche Mittel einzuwerben, vielerorts in Bürokratie und Schwällen von Antragsprosa versinken, das steht inzwischen in den Zeitungen. Münch aber behauptet, "die Medien" fänden den ganzen Unfug toll und progressiv, wobei er keinen Zweifel daran lässt, dass das typisch ist für so etwas Unkritisches wie Medien.
Die Wissenschaft, das sieht Münch völlig richtig, wird durch den ständigen Zwang zum Schreiben von Drittmittelanträgen von ihrer eigentlichen Arbeit ferngehalten; von der Lehre ganz zu schweigen. Es werden immer nur diese Anträge, also Projekte, also Pläne beurteilt - also nie Ergebnisse. Außerdem ist der Zusammenhang zwischen dem Drittmitteleingang und dem Publikationsausgang oft schwach. Münch legt dazu selbstberechnete Tabellen vor. Für manche Disziplinen insbesondere der Geisteswissenschaften passt überdies die Form der arbeitsteiligen Großforschung fast nie und führt nur zum Aufbau von Fassaden der Interdisziplinarität, hinter denen aber nach wie vor Einzelforscher völlig unabhängig voneinander den eigenen Interessen nachgehen.
Außerdem unterzieht Münch das Kennziffernwesen, die "Rankings" und bibliometrischen Abschätzungen der Forschungsleistung einer umfassenden Kritik. Man zählt bei Leistungsmessungen die Aufsätze eines Forschers lieber, als sie zu beurteilen - weil Zählen leichter geht. Oder man addiert eingeworbene Finanzmittel ohne Rücksicht darauf, wofür sie eingeworben wurden und welcher Verwendung sie danach zugeführt worden sind. Viel Drittmittel, also Exzellenz - so der Fehlschluss, der außer Acht lässt, dass allein schon die Stromrechnungen von experimentellen Physikern höher sind als sämtliche Personalkosten aller Germanisten zusammen, dass also die Höhe der verbrauchten Mittel nichts über die geleistete Forschung aussagt. Außerdem, so Münch, orientiere man sich bei der Leistungsbewertung oft nur noch an Publikationen in amerikanischen Zeitschriften, was alle Forscher benachteilige, die dem amerikanischen Forschungs- und Publikationsstil nichts abgewinnen können und trotzdem produktiv sind.
Das alles wird nicht falsch dadurch, dass es Münch auf mancher Seite seines Buches mitunter dreimal sagt, was auch für Phrasen wie die gilt, "innovative und kreative Forschung" werde in Deutschland nicht belohnt. Für ihre zahllose Wiederholung hätte man sich wenigsten ein einziges Beispiel gewünscht. Konkret wird das Buch nur dort, wo behauptet wird, die amerikanische Soziologie sei überspezialisiert, in der Themenwahl konformistisch, in den Methoden standardisiert und insgesamt phantasielos, weshalb die Orientierung an ihr die europäische zu veröden drohe.
Das hat Münch, der seine ganze Karriere auf der Bewirtschaftung der ziemlich unspezialisierten und sehr kreativen Soziologie des Amerikaners Talcott Parsons begründet hat, vor Jahren schon behauptet - und es wird durch Wiederholung nicht wahrer, sondern ist eine der denkbar absurdesten Mitteilungen über die jüngere Geschichte und die Gegenwart dieses Faches. Es dürfte Münch wohl kaum gelingen, sein sachfremdes Geschimpfe ins Angesicht von amerikanischen Autoren wie Arthur Stinchcombe, Andrew Abbott, Katherine Newman, Neil Fligstein, Duncan Watts, Peter Bearman oder Eric Leifer zu wiederholen, ohne dass entweder er rot würde oder sie für ihn. Wir erbieten uns (j.kaube@faz.de), jedem Leser die entsprechenden Aufsätze und Bücher zu nennen, auf dass er sie bei Bedarf mit der kontinentalen Produktivität Münchs vergleiche.
Doch sei's drum - Münch will sich im Grundsätzlichen aufhalten, bleiben wir grundsätzlich. Münchs These ist: Nicht wissenschaftliche Leistungen, sondern Kartelle und politisches Gemauschel befinden, wer den Löwenanteil der Forschungsförderung einsteckt. "Wer hat, dem wird gegeben" - der amerikanische Soziologe Robert K. Merton hat das als das "Matthäus-Prinzip" der Wissenschaft bezeichnet. Münch übersetzt es sich so: Nicht zukünftige Wahrheit, sondern gegenwärtige Macht ist der ausschlaggebende Gesichtspunkt der Forschungspolitik. Den Gedanken, dass beispielsweise die Mobilität des Personals dafür sorgt, dass Traditionsuniversitäten in angenehmen Städten erfolgreiche Forscher und begabte Studenten oft stärker anziehen als Wuppertal und Oldenburg, erwägt er nicht. Er hat nachgerechnet und zum Beispiel herausgefunden, dass die am meisten von der Deutschen Forschungsgemeinschaft begünstigten Universitäten gar nicht den höchsten Ausstoß an wissenschaftlichen Publikationen pro Professor vorweisen können. Man halte sich an die pure Größe und die Prominenz der Universitäten, anstatt an die Leistung pro Kopf des jeweiligen lokalen Forschervölkchens. Die Forschungsförderung belohnt, mit anderen Worten, nicht den Erkenntnisgewinn des gedankenreichen Professors, sondern den Umfang seines Mitarbeiterstabs. Dass es oft heißt, nicht die Professoren, sondern einzelne junge Mitarbeiter in ihren Dissertationen trieben die Forschung eigentlich voran, berücksichtigt Münch dabei an keiner Stelle. Mitarbeiter sind für ihn "Forschungssklaven".
Man würde seiner Kritik dennoch freudiger beipflichten und sagen: "Der Mann hat im Grunde recht", wenn Münch sie nicht so verwirrend instrumentieren würde. Er konstatiert "monopolartige Strukturen", wenn er von zehn bis zwanzig dominanten Universitäten spricht. Er beschwert sich darüber, dass in der Wissenschaftsförderung nur noch Kennziffern etwas zählen - um uns dann vorzurechnen, dass München weniger Publikationen pro Kopf hervorbringt als Würzburg. Was für Publikationen das sind, erfahren wir auch von ihm nicht. Die Kennziffer "Drittmittel pro Wissenschaftler" hält er für aussagekräftiger als die "Drittmittel pro Professor", obwohl er selber Mitarbeiter für reine Forschungssklaven hält. Bei den Publikationen wiederum zählt er nur die, an denen Professoren beteiligt waren. Münch beschwert sich, dass die DFG bei ihrer Mittelvergabe sich stets an falschen Kriterien orientiert - und beschwert sich auch, dass die bayerische Eliteförderung von diesen Kriterien abweicht. Er spricht von Kartellen und politischen Machenschaften, aber nennt so gut wie nie Ross noch Reiter. Er schimpft auf die Amerikanisierung der Wissenschaft und nennt gleichzeitig das Hochschulsystem der Vereinigten Staaten vorbildlich wettbewerbsorientiert.
Das alles wirkt undurchdacht, und man weiß nie, ob es am Dilettantismus oder am Willen zum dramatischen Befund liegt, dass Münch so vorgeht. Darüber hinaus völlig unsoziologisch wirkt es, wenn der Autor ein Ideal der produktiven Wissenschaft pflegt, die auf einzelnen Köpfen beruht, die sich mit ganz großen Fragen beschäftigen, welche nicht arbeitsteilig und also nicht im Rahmen bestehender Förderstrukturen bearbeitet werden können.
Diese Ranküne gegen Spezialistentum und Betriebsförmigkeit der Erkenntnis provoziert die Frage, ob der Wissenschaftssoziologe schon einmal ein großes Labor von innen gesehen hat. Die Vorstellung, dass die Forschung nur aus Kreativität und Innovation besteht und also die Forschungsförderung nur Kreativität und Innovation zu honorieren hat, könnte durch einen Besuch korrigiert werden. Forschung ist auch zu ganz großen Teilen Routine und Masse und Arbeitsteilung und Stromrechnung. Das rechtfertigt nicht die merkwürdigen Praktiken der Mittelvergabe an Forscher, den Kennziffernfetischismus samt der dazugehörigen Exzellenz-Phrasen in unserem Land. Aber es setzt den Argumenten der Polemik dagegen empirische Grenzen.
JÜRGEN KAUBE
Richard Münch: "Die akademische Elite". Zur sozialen Konstruktion wissenschaftlicher Exzellenz. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2007. 475 S., br., 15,- [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension
Rezensent Andrew James Johnston findet Richard Münchs Bestandsaufnahme des akademischen Status Quo in Deutschland "faszinierend und bedrückend" zugleich, sogar eine "verborgene Brillanz" attestiert er dem Autor. Münch untersucht, so erfahren wir von Johnston, wie sich die Forschung an den Universitäten entwickelt hat, seit ihnen in den neunziger Jahren der Wettbewerb um Drittmittel und Exzellenz aufgebürdet wurde. Was das Buch n den Augen des Rezensenten so spannend macht, ist, dass Münch ein klarer Verfechter der "Wissenschaft als Markt" sei, aber dennoch die bisherige Umstrukturierung für fatal halte. Münchs Beobachtungen zufolge sei ein "mörderischer Monopolisierungsprozess" im Gange, die süddeutschen Universitäten und Forschungseinrichtungen dominierten die Mittelvergabe. Und gemäß Münch sinke die - an Publikationen und Patenten gemessenen - Kreativität um so stärker, je größer die eingeworbenen Drittmittel sind.
© Perlentaucher Medien GmbH
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