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Sind wir die Helden in einem Katastrophenfilm? In sieben Prosastücken erzählt Kathrin Röggla von der Bedrohung und der Magie einer Welt in Alarmbereitschaft. Brennende Wälder, fliehende Tiere, Panikeinkäufe. Experten, Schaulustige und Beteiligte stieren auf die Katastrophe. Und fragen sich: "hat man jetzt überlebt?". Entwarnung wird nicht gegeben. Eine Welt im Ausnahmezustand: Finanzkrise, Klimakatastrophe, Entführungsfälle- das Leben wird zum Worst-Case-Szenario. Und dadurch dramatisch. Eine gespenstische Hetzjagd. Oder sind diese Panikszenen eine große Fiktion? Kennen wir diese bedrohlichen…mehr

Produktbeschreibung
Sind wir die Helden in einem Katastrophenfilm? In sieben Prosastücken erzählt Kathrin Röggla von der Bedrohung und der Magie einer Welt in Alarmbereitschaft.
Brennende Wälder, fliehende Tiere, Panikeinkäufe. Experten, Schaulustige und Beteiligte stieren auf die Katastrophe. Und fragen sich: "hat man jetzt überlebt?". Entwarnung wird nicht gegeben. Eine Welt im Ausnahmezustand: Finanzkrise, Klimakatastrophe, Entführungsfälle- das Leben wird zum Worst-Case-Szenario. Und dadurch dramatisch. Eine gespenstische Hetzjagd. Oder sind diese Panikszenen eine große Fiktion? Kennen wir diese bedrohlichen Sicherheitslücken, spektakulären Rettungsaktionen und exklusiven Berichterstattungen nicht aus den Filmen des Hollywood-Kinos? Sind wir die Helden in einem Katastrophenfilm? Kathrin Röggla spielt diese Katastrophen-Szenen durch und entlarvt ihre Dramaturgie. In acht Prosastücken erzählt sie von der Bedrohung und der Magie einer Welt in Alarmbereitschaft. Schlau und gewitzt führt sie uns die trügerischen und verführerischen Geschichten unserer panischen Gegenwart vor Augen.
Autorenporträt
Kathrin Röggla, 1971 in Salzburg geboren, lebt in Berlin. Sie wurde mit zahlreichen Preisen und Stipendien ausgezeichnet, u.a. mit: Alfred-Döblin-Stipendium, Reinhard-Priessnitz-Preis, Österreichisches Staatsstipendium für Literatur. Im Jahr 2012 erhielt sie den "Mainzer Stadtschreiber-Preis", ein Literaturpreis, der jedes Jahr von den Fernsehsendern ZDF und 3sat und von der Stadt Mainz verliehen wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.03.2010

Mehr Magie war nie

Die Österreicherin Kathrin Röggla lässt ihre "Alarmbereiten" vom Leben jenseits der Katastrophe erzählen. Derart aufgeladene Monologe gab es lange nicht mehr zu lesen.

Im Internet, dieser Mischung aus gigantischer Müllhalde und allwissendem Archiv, findet sich eine schöne Geschichte zu der alten Volkssage: Wer neugierig den Kopf aus dem Fenster streckt, wenn der wild johlende Gespensterzug vorbeistürmt, dessen Schädel schwillt von dem Getöse an und steckt fest - das ist das Lebensgefühl der melancholischen, ratlosen Figuren in Kathrin Rögglas neuem Erzählungsband "die alarmbereiten". Sie zerlegt das unaufhörliche Krisen- und Katastrophengerede der Zeitungen, Fernsehkommentare und Talkshows in seine unschuldig wirkenden Einzelteile und fügt sie mit bösem Witz zu einer neuen, künstlichen Sprache zusammen.

So temperamentvolle, wütend reflektierende Monologe, die sich lustvoll und hemmungslos auf die gegenwärtige Sprache einlassen, hat man lange nicht gelesen, vielleicht gar seit Thomas Bernhard und der "Wiener Gruppe" nicht, mit deren Texten die Österreicherin Kathrin Röggla aufgewachsen ist. Ihre Sätze umschwirren den jeweiligen Gegenstand und schrauben sich, in Wiederholungen, Einschüben und Steigerungen, immer tiefer in die Geschichten von Bankern, Journalisten und Krisenmanagern hinein. Wie Bernhard ist Kathrin Röggla eine Übertreibungskünstlerin, die durch listige Entstellung und feine Akzentverschiebungen die Wirklichkeit erst kenntlich macht: Die Fehler im System werden sichtbar und die kleinen, schmutzigen Geheimnisse, die das Ganze im Inneren zusammenhalten. Denn seine stärkste politische Wirkung entfaltet das anonyme Gemurmel, das uns täglich umgibt, auf der Gefühlsebene, zu der Film- und Fernsehbilder das optische Raster liefern: Auch davon handeln diese Geschichten. "uns umgibt mehr magie als im mittelalter", schimpft die Erzählerin, denn unser Erfahrungshorizont sei zusammengeschrumpft, "sozusagen auf einen punkt zusammengeschrumpft, der längst verlorengegangen sei im übergroßen horizont der medien".

Die Geschichten handeln von tragischen und komischen Situationen, und wenn sie einmal loslegen, geben die Redenden keine Ruhe mehr. Sie wollen ihre Zuhörer mundtot machen, werfen ihnen tumbe Ignoranz vor und haben doch vor nichts mehr Angst, als selbst blind und taub zu sein. Dabei wirken diese Figuren, die nur in indirekter Rede und fast immer in der dritten Person sprechen, ganz und gar verloren, als hätten sie kein eigenes Leben und kein noch so bescheidenes soziales Netz. Man spürt die Theaterautorin Kathrin Röggla in den sämtlich bühnentauglichen Szenen und Schein-Dialogen, und wie in Dea Lohers Stück "Diebe" drängeln und lügen ihre Redekünstler sich in fremde Leben hinein. Sie sind Despoten und Besserwisser; wer von ihnen Erklärungen oder gar Trost erwartet, ist verloren. Die schönste und traurigste Geschichte verschlingt ganz buchstäblich ihre Erzählerin - eine Variante, die sich Bernhards Bühnennörgler nicht hätten träumen lassen: Eine junge Journalistin, die dem Wanderzirkus der Friedensaktivisten hinterherreist, um von den Misserfolgen und Peinlichkeiten ihrer Einsätze zu berichten, löst sich zwischen menschlichen und politischen Anmaßungen auf und wird zum "recherchegespenst", "das einfach so verlorengegangen (sei) mitten am flughafen von taschkent (...) inmitten der vip-lounge für die businessmen and -women dieser welt".

Kathrin Röggla ist unübersehbar eine hochmoralische, politische Schriftstellerin, und nach ihrem sarkastischen Berlin-Lagebericht "Irres Wetter", der statt Glamour eine prekäre Sozialstruktur entdeckt, und dem tieftraurigen McKinsey-Albtraum "wir schlafen nicht", der alles Privatleben abschafft, prägen die Anschläge vom 11. September 2001 ihre neuen Prosatexte. Die Autorin hat die Katastrophe in New York unmittelbar miterlebt und versucht, in ihrem Tagebuch "really ground zero" die rhetorischen und audiovisuellen Gesten des amerikanischen Fernsehens kühl zu betrachten - was fast unmöglich ist, weil sie, wie ihre Verfasserin selbst eingesteht, "ständig ins hysterische oder ins chauvinistische, paranoide" umkippen. Für die Medien ist es letztlich unwichtig, was tatsächlich geschehen ist, deshalb spielen diese Geschichten jenseits der Katastrophe. Wirklich ist nur die Verstörung und Ratlosigkeit der Personen. Es ist ein poetisches und absurdes Kammerspiel, das hier geboten wird, in dem sich die Frage nach richtigem oder falschem Leben gar nicht mehr stellt angesichts der vielen apokalyptischen Bilder, die in unserem Gehirn gespeichert sind.

Nur in einer Geschichte ("die wilde jagd") gibt sich ein reales Ich zu erkennen, ein Entführungsopfer, das aber bezeichnenderweise schweigt. Die Journalisten und Nachbarn werden immer zudringlicher, beschimpfen das Mädchen als aggressiv und behaupten, es terrorisiere die Medien oder wolle gar Amok laufen. Böse und gewitzt spielen sie sich die Bälle zu, erfinden, was ihnen angeblich verschwiegen wird, und bringen mit ihrem Gerede Ungeheuerliches zum Vorschein: Die Zuschauer, nicht die Betroffene, definieren, wo Gewalt anfängt und wann sie aufhört - und sie bestehen auf ihrer Deutungsmacht. Ein traumatisierter Mensch wie Verena Kampusch (auf deren Fall die Geschichte offensichtlich beruht) hat gegen die Wucht dieser Missachtung keine Chance.

Bis auf "die ansprechbare", deren Erzählerin unglaubwürdig aufgedreht wirkt, funktionieren diese Erregungsmaschinchen großartig. Denn sie bestehen nicht nur aus Verdächtigungen und kruden Projektionen, sondern auch aus einer fast kindlichen Sehnsucht nach Gewissheit. "hat man jetzt überlebt?" will eine ratlose Radiohörerin in der letzten Geschichte "deutschlandfunk" wissen, und als niemand antwortet, fügt sie vorsichtig hinzu: "aber wir lassen uns die freude nicht kaputtmachen, die freude, dass es uns noch gibt."

NICOLE HENNEBERG

Kathrin Röggla: "die alarmbereiten". S. Fischer Verlag, Frankfurt 2010. 192 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.06.2010

Mit der Katastrophe auf Du und Du
Je schlimmer die Lage, desto besser: Kathrin Röggla stellt ihr neues Buch „die alarmbereiten“ vor
Es ist langes Wochenende und einer der ersten warmen Tage in diesem sonst nicht sehr frühlingshaften Berliner Frühsommer. Eine U-Bahn-Station weiter tobt der „Karneval der Kulturen“, aber hier am Kreuzberger Landwehrkanal zwitschern die Vögel, unter den Kastanien sitzen Menschen barfuß mit hochgekrempelten Hosenbeinen. Die Schriftstellerin Kathrin Röggla lebt in einer geräumigen Altbauwohnung direkt am Ufer. Im Wohnzimmer mit Blick aufs Wasser ist es kühl, auf dem Schreibtisch steht ein aufgeklappter Laptop, auf dem Boden türmt sich Kinderspielzeug. Seit dreizehn Jahren wohnt die gebürtige Salzburgerin schon hier, „anfangs als WG und jetzt mit der Familie, ein Glücksfall.“
Mit solcher Idylle hat Kathrin Rögglas neues Buch „die alarmbereiten“ wenig zu tun. Die sieben teils miteinander verbundenen Prosaskizzen hinterlassen eher ein Gefühl der Beklemmung. In gewohnter Kleinschreibung und atemlosem Konjunktiv orchestrieren sie die verbale Panik am Rande eines permanent schwelenden Krisenherds: Klimawandel, Vogelgrippe, brennende Wälder und sterbende Planktonteilchen, Finanzdesaster, Entführungsopfer und Sicherheitslücken aller Art. Röggla interessiert, was drum herum passiert: „Es ging mir nicht darum, Katastrophenerzählung zu reproduzieren, sondern um die Reaktionen auf Katastrophen, um einen soziologischen Blick.“
Die Katastrophe beschäftigt sie seit dem 11. September 2001, den sie nur einen Kilometer entfernt von den Twin Towers erlebt hat, was sie in „really ground zero“ in tagebuchartigen Aufzeichnungen reflektiert. Dem Thema, dessen „ästhetischen Knoten“ sie vor den „alarmbereiten“ in Essays, mehreren Hörspielen und Theaterstücken verarbeitet hat, ist eine Menge an Recherche vorausgegangen: Reisen nach Georgien, Iran, Zentralasien, Japan und in die USA, Gespräche mit NGO-Mitarbeitern, mit Katastrophensoziologen, Rückversicherern und Umweltökonomen, dazu Medien- und Theorielektüre.
Im Buch jagt ein worst case -Szenario das nächste, mittendrin ein erzählendes „Ich“, das von dem panischen Dauergequatsche der anderen immer weiter an den Rand gedrängt zu werden droht. Die „psychologische Intensität des Bedrängtwerdens“ habe sie interessiert, so die Autorin, „was das mit uns macht, diese medialen Katastrophenerzählungen und -rhetoriken, in denen wir nie als reales Gegenüber begriffen werden.“
„hier gehe es doch darum, eine kommunikation über die kommenden ereignisse zu entwickeln“, heißt es im ersten Text, einer Seminarsitzung der Agentur „desastertourism“, in der sich die Teilnehmer angesichts der Katastrophe vor dem Fenster mit besserwisserischen Beobachterkommentaren übertrumpfen. Während sie spekulieren, „ob der asphalt schon risse bekomme, ob ein zittern die grashalme erfasse, ob ein kaum vernehmbares knirschen durch den luftraum gehe, irgendein zeichen des kommenden“, verfolgen sie, wie draußen „die panikeinkäufer mit ihren panikeinkäufen aufkreuzen“ und sinnieren über die „zusätzliche aufmerksamkeit für die zusatzdinge“, die man in den letzten Jahren permanent zu leisten aufgefordert worden sei.
„Durch die Bedrohungsszenarien, die um uns herum aufgebaut werden, ist eine Katastrophengrammatik entstanden, die wir dauernd erleben, und die schon an uns abperlt“, so Kathrin Röggla. „Je mehr Alarmismus, umso weniger reagieren wir.“ Gleichzeitig seien diese Ängste instrumentalisierbar, würden von Politikern „als rhetorische Münze“ geworfen.
Bereits in früheren Werken wie dem Roman „wir schlafen nicht“ und zuletzt in dem Essayband „disaster awareness fair“ ist Röggla als kritische Beobachterin von Sprachmustern und Verhaltensmechanismen aufgefallen. Sie versteht sich durchaus als politische Autorin – aber bitte nicht agitpropmäßig: „Ich sehe es als Auftrag an Autoren, die Gegenwart zu erkunden, aber mittels der ästhetischen Möglichkeiten der Literatur.“ Auch bei den meisten medial erzählten Katastrophen gehe es ja um Fiktion, gerade wenn wir es mit abstrakten Bedrohungen zu tun hätten anstatt mit unmittelbaren Auswirkungen auf den eigenen Alltag. Eine bezeichnende Anekdote sei, wie sich George W. Bush nach dem 11. September Drehbuchautoren ins Weiße Haus geladen hat, „weil eben auch Terroristen Hollywoodstories erzählen.“
Rögglas Verfahren besteht darin, Sprechweisen zu analysieren, sie zu zerlegen, mit Sprachwitz zu montieren, zu überzeichnen und zu verfremden, bis eine neue Sprache entsteht – rhythmisierte Wortkaskaden, die künstlich wirken und zugleich gewohnte Formulierungen entlarven. „na, wer sei denn auf du und du gewesen mit dem pazifischen wasser und seinem eisengehalt“, mokiert sich im Buch eine selbst ernannte „kassandrasekretärin“ über die klimawandelbesessene Freundin, „auf du und du mit den stickstoffen und nitraten, auf du und du mit den schwebeteilchen?“ LAVINIA MEIER-EWERT
Kathrin Röggla liest heute um 19.30 Uhr in der Seidlvilla, Nikolaiplatz 1b. Eintritt 7 Euro, www.seidlvilla.de.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dem "Habitus permanenten Alarms" gelten alle sieben Erzählungen in Kathrin Rögglas neuem Prosaband "die alarmbereiten", lässt Meike Fessmann wissen, die Alarmbereitschaft angesichts Krisen, die das Subjekt nur peripher berühren, mit der Autorin als typisch für unsere Zeit erkennt. Insbesondere die vier miteinander verbundenen Erzählungen um eine sich in ständiger Alarmbereitschaft befindende Ich-Erzählerin beeindruckt sie durch ihre strukturelle Raffinesse. Die Ich-Erzählerin, die mal von der besten Freundin, mal von der Lehrerin ihrer Tochter beschuldigt wird, mit ihrer Panik ihre Umgebung zu verunsichern, spricht nämlich durchgehend im Konjunktiv, indem sie Äußerungen von anderen über sich rekapituliert, erklärt die Rezensentin. In ihren Erzählungen bewege sich die Autorin auf der "Höhe ihres Themas" und gehe über "wohlfeile Medien- oder Gesellschaftskritik" hinaus, lobt Fessmann. Die erste und letzte Erzählung, die in kritischer Absicht eine Persiflage des "O-Ton-Gebrabbels im Rundfunk" darstellen, dagegen laufen in den Augen der Rezensentin Gefahr, durch ihre Worthülsen als Texte selbst Schaden zu nehmen.

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Literarisch meisterhaft. Literaturen