Aldi, ein Markenname mit hohem Bekanntheitsgrad. Drei Viertel der Bevölkerung rechnen sich zum Kundenstamm. Rund 3000 Filialen haben die Brüder Theo und Karl Albrecht allein in Deutschland aufgebaut, sind mit ihrer Discountidee zu den reichsten Männern der Welt aufgestiegen. Ihr Privatvermögen wird auf ca. 20 Milliarden Mark geschätzt, ihr Umsatzvolumen auf 45 Milliarden. Doch genaues weiß man nicht. Geschickt verstehen es die Eigentümer, die Bilanzpflicht zu umgehen; ansonsten bleiben sie überhaupt gern anonym. Hannes Hintermeier leuchtet mit seinem Buch hinter die Kulissen dieses Milliardenunternehmens.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.05.1998Der Aldi-Manager, der gern bei Spar kauft
Ein langjähriger Geschäftsführer erinnert sich / Und eine Polemik
Dieter Brandes: Konsequent einfach. Die Aldi-Erfolgsstory. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1998, 270 Seiten, 68 DM.
Hannes Hintermeier: Die Aldi-Welt. Nachforschungen im Reich der Discount-Milliardäre. Karl Blessing Verlag, München 1998, 253 Seiten, 39,90 DM.
Mit einem seltsamen Scherz empfingen vor einem halben Jahr Fans des Fußballvereins Bayern München die Mannschaft von Besiktas Istanbul. Sie schwenkten Plastiktüten der Firma Aldi und empfahlen den Gästen in Sprechchören, dort einzukaufen. "Tribünenrassismus", schrie die Zeitung "Hürriyet" in der wohl berechtigten Annahme, daß die Aktion kein Ausdruck deutscher Hilfsbereitschaft war. Übersehen wurde dabei, daß die Fans auch mit ihrem Ressentiment gegen Aldi zumindest nicht mehr auf der Höhe der Zeit waren.
Zum einen steht der Lebensmitteldiscounter längst nicht mehr in dem Ruf, nur den untersten Bedarf zu stillen. Selbst Besserverdienende geben zu, dieses Olivenöl oder jenen Wein dort gekauft zu haben, und das schmecke doch alles sehr ordentlich. Zum anderen ist der Siegeszug der Aldi-Kette deutsche Erfolgsgeschichte par excellence. Annähernd fünfzig Jahre besteht das Unternehmen jetzt; und zwei Autoren versuchen, den Weg nach oben nachzuzeichnen. Mit Spannung hat die Branche das Buch von Dieter Brandes erwartet, dem langjährigen Geschäftsführer von Aldi Nord. Denn der Konzern hat eine Geheimhaltung durchgesetzt, die für ein Unternehmen dieser Größe beispiellos ist. Vieles steht tatsächlich in dem Buch von Brandes, was bisher wohl nur Mitarbeiter gewußt haben. Von einem Erfolgsgeheimnis ist dabei nichts zu lesen - schon deshalb nicht, weil es, wie Brandes schreibt, keines gibt. "Konsequent einfach" heißt sein Buch: Und die vielen Dinge, die Aldi nicht anbietet, bilden einen wesentlichen Teil davon.
Es gibt zum Beispiel keine Auswahl. Mit einer Palette von sechshundert Artikeln führt Aldi nur ungefähr ein Dreißigstel dessen, was ein vergleichbarer Supermarkt im Sortiment hat. Weiterhin findet man nichts von dem, was einen Einkauf angeblich zum Vergnügen macht. Eine Aldi-Filiale ist letztlich ein Lagerraum mit einer Kasse. Es wird auch nicht geworben - außer mit den Plastiktüten und der allwöchentlichen Anzeige "Aldi informiert". "Unsere einzige Werbung liegt im billigen Preis", hatte Karl Albrecht, neben Theo Albrecht einer der Inhaber, in seiner ersten und letzten öffentlichen Stellungnahme 1953 kundgetan.
Es gibt strenggenommen nicht einmal einen Aldi-Konzern, nur die Aldi-Gruppen Nord und Süd. All das sind aber keine Früchte des zeitgemäßen lean management, sondern die bewährten Grundsätze eines Unternehmens, das 1948 mit einem kleinen Laden in einem Essener Bergarbeiterviertel begonnen und die meisten Innovationen nicht mitgemacht hat. Brandes porträtiert den Konzern als den großen Existentialisten der Lebensmittelbranche. Er zitiert die gängigen Floskeln führender Unternehmensberater und kommentiert: "Bei Aldi hat man sich bewußt nie die Mühe gemacht, solche Gedankengänge überhaupt nur im Ansatz zu verstehen. Damit haben wir viel Zeit gespart und uns den Kopf für Wesentliches und Handfestes freigehalten."
Das Wesentliche ist nach Brandes Worten Dezentralisierung, extreme Vereinfachung, weitestmögliche Kostensenkung und das Primat des Verkaufs vor dem Einkauf. Für genialische Macher an der Spitze läßt ein solches Konzept keinen Platz. Seinen ehemaligen Chef, den heute sechsundsiebzigjährigen Theo Albrecht, schildert er als einen Mann, der Papier auch auf der Rückseite beschreibt und beim Betreten von Räumen gern das Licht ausschaltet. Doch er läßt auch keinen Zweifel daran, daß ebendiese eiserne Konsequenz der Brüder den Konzern zum Erfolg geführt hat. Werbegeschenke, die den Wert eines Kalenders übersteigen, werden bei Aldi zurückgeschickt. Von den Führungskräften wird verlangt, daß sie die Qualität ihrer Waren am eigenen Leib testen und womöglich auch einmal einen Tag an der Kasse sitzen.
"Konsequent einfach" ist ein kluges, praxisnahes Buch, das sich vor allem an die Fachwelt richtet. Man sollte allerdings wissen, daß der Autor auch Jahre nach seinem Ausscheiden noch immer "wir" sagt, wenn er von Aldi schreibt. Anfechtbare Maßnahmen wie die Umgehung der Betriebsräte oder die Drangsalierung der Zulieferbetriebe scheinen eher beschönigt. "Die Kunden können blind vertrauen" - so steht es wortwörtlich in einer Überschrift, gefolgt von seitenlangen Schwärmereien über den hohen Standard der Produkte. Fast wundert man sich über Brandes' Bekenntnis, daß er selbst lieber bei Spar einkauft.
Das Buch "Die Aldi-Welt" des Journalisten Hannes Hintermeier ist in vieler Hinsicht das Gegenteil. Anders als Brandes verfügt er über keine internen Quellen. Er nähert sich dem Unternehmen als kritischer Konsument. Durch die Gänge schlendernd, erzählt er, was ihm so zu Aldi einfällt. Die Liste seiner Gewährsleute führt unter anderem über Derrick, Bourdieu, Sepp Herberger und Dagobert Duck. Das könnte witzig sein, wenn nicht sein unerträglicher Stil das Buch zu einer Tortur machte: "Das Discount gewordene Super-Gen des Konsumismus, offenbar schwer zu klonen, ist in seinem zurückweisenden Charme ein Bestandteil der Alltagskultur. Das hat auch das laue Lüftchen des Zeitgeistes bemerkt, vor dessen Trendsuchradar niemand sicher ist."
Wo Brandes seinem alten Arbeitgeber das Wort redet, glänzt Hintermeier durch Gehässigkeit. Seine These ist, daß der Discounthandel irgendwie mit dem Verschwinden der kleinen Läden und dem Niedergang der Einkaufskultur im allgemeinen zu tun hat. Leider belegt er sie nicht. Sein Vorsatz, von allem angewidert und zugleich entzückt zu sein, läßt für ein ernsthaftes Urteil offenbar keinen Platz. Besser gefällt er sich als Don Quijote, der mit seinem kulturkritischen Rüstzeug gegen die Mühlen des Populären reitet und schrill kichert, wenn er sein Ziel verfehlt. Warum er die Geschäfte der Aldi-Gruppe in Österreich wiederholt mit der Expansion Nazi-Deutschlands vergleicht, Frauen "Zweibrüster" nennt und sich beim Einkauf von "riesigen Salami-Dildos" bedroht sieht, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. MICHAEL ALLMAIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ein langjähriger Geschäftsführer erinnert sich / Und eine Polemik
Dieter Brandes: Konsequent einfach. Die Aldi-Erfolgsstory. Campus Verlag, Frankfurt/New York 1998, 270 Seiten, 68 DM.
Hannes Hintermeier: Die Aldi-Welt. Nachforschungen im Reich der Discount-Milliardäre. Karl Blessing Verlag, München 1998, 253 Seiten, 39,90 DM.
Mit einem seltsamen Scherz empfingen vor einem halben Jahr Fans des Fußballvereins Bayern München die Mannschaft von Besiktas Istanbul. Sie schwenkten Plastiktüten der Firma Aldi und empfahlen den Gästen in Sprechchören, dort einzukaufen. "Tribünenrassismus", schrie die Zeitung "Hürriyet" in der wohl berechtigten Annahme, daß die Aktion kein Ausdruck deutscher Hilfsbereitschaft war. Übersehen wurde dabei, daß die Fans auch mit ihrem Ressentiment gegen Aldi zumindest nicht mehr auf der Höhe der Zeit waren.
Zum einen steht der Lebensmitteldiscounter längst nicht mehr in dem Ruf, nur den untersten Bedarf zu stillen. Selbst Besserverdienende geben zu, dieses Olivenöl oder jenen Wein dort gekauft zu haben, und das schmecke doch alles sehr ordentlich. Zum anderen ist der Siegeszug der Aldi-Kette deutsche Erfolgsgeschichte par excellence. Annähernd fünfzig Jahre besteht das Unternehmen jetzt; und zwei Autoren versuchen, den Weg nach oben nachzuzeichnen. Mit Spannung hat die Branche das Buch von Dieter Brandes erwartet, dem langjährigen Geschäftsführer von Aldi Nord. Denn der Konzern hat eine Geheimhaltung durchgesetzt, die für ein Unternehmen dieser Größe beispiellos ist. Vieles steht tatsächlich in dem Buch von Brandes, was bisher wohl nur Mitarbeiter gewußt haben. Von einem Erfolgsgeheimnis ist dabei nichts zu lesen - schon deshalb nicht, weil es, wie Brandes schreibt, keines gibt. "Konsequent einfach" heißt sein Buch: Und die vielen Dinge, die Aldi nicht anbietet, bilden einen wesentlichen Teil davon.
Es gibt zum Beispiel keine Auswahl. Mit einer Palette von sechshundert Artikeln führt Aldi nur ungefähr ein Dreißigstel dessen, was ein vergleichbarer Supermarkt im Sortiment hat. Weiterhin findet man nichts von dem, was einen Einkauf angeblich zum Vergnügen macht. Eine Aldi-Filiale ist letztlich ein Lagerraum mit einer Kasse. Es wird auch nicht geworben - außer mit den Plastiktüten und der allwöchentlichen Anzeige "Aldi informiert". "Unsere einzige Werbung liegt im billigen Preis", hatte Karl Albrecht, neben Theo Albrecht einer der Inhaber, in seiner ersten und letzten öffentlichen Stellungnahme 1953 kundgetan.
Es gibt strenggenommen nicht einmal einen Aldi-Konzern, nur die Aldi-Gruppen Nord und Süd. All das sind aber keine Früchte des zeitgemäßen lean management, sondern die bewährten Grundsätze eines Unternehmens, das 1948 mit einem kleinen Laden in einem Essener Bergarbeiterviertel begonnen und die meisten Innovationen nicht mitgemacht hat. Brandes porträtiert den Konzern als den großen Existentialisten der Lebensmittelbranche. Er zitiert die gängigen Floskeln führender Unternehmensberater und kommentiert: "Bei Aldi hat man sich bewußt nie die Mühe gemacht, solche Gedankengänge überhaupt nur im Ansatz zu verstehen. Damit haben wir viel Zeit gespart und uns den Kopf für Wesentliches und Handfestes freigehalten."
Das Wesentliche ist nach Brandes Worten Dezentralisierung, extreme Vereinfachung, weitestmögliche Kostensenkung und das Primat des Verkaufs vor dem Einkauf. Für genialische Macher an der Spitze läßt ein solches Konzept keinen Platz. Seinen ehemaligen Chef, den heute sechsundsiebzigjährigen Theo Albrecht, schildert er als einen Mann, der Papier auch auf der Rückseite beschreibt und beim Betreten von Räumen gern das Licht ausschaltet. Doch er läßt auch keinen Zweifel daran, daß ebendiese eiserne Konsequenz der Brüder den Konzern zum Erfolg geführt hat. Werbegeschenke, die den Wert eines Kalenders übersteigen, werden bei Aldi zurückgeschickt. Von den Führungskräften wird verlangt, daß sie die Qualität ihrer Waren am eigenen Leib testen und womöglich auch einmal einen Tag an der Kasse sitzen.
"Konsequent einfach" ist ein kluges, praxisnahes Buch, das sich vor allem an die Fachwelt richtet. Man sollte allerdings wissen, daß der Autor auch Jahre nach seinem Ausscheiden noch immer "wir" sagt, wenn er von Aldi schreibt. Anfechtbare Maßnahmen wie die Umgehung der Betriebsräte oder die Drangsalierung der Zulieferbetriebe scheinen eher beschönigt. "Die Kunden können blind vertrauen" - so steht es wortwörtlich in einer Überschrift, gefolgt von seitenlangen Schwärmereien über den hohen Standard der Produkte. Fast wundert man sich über Brandes' Bekenntnis, daß er selbst lieber bei Spar einkauft.
Das Buch "Die Aldi-Welt" des Journalisten Hannes Hintermeier ist in vieler Hinsicht das Gegenteil. Anders als Brandes verfügt er über keine internen Quellen. Er nähert sich dem Unternehmen als kritischer Konsument. Durch die Gänge schlendernd, erzählt er, was ihm so zu Aldi einfällt. Die Liste seiner Gewährsleute führt unter anderem über Derrick, Bourdieu, Sepp Herberger und Dagobert Duck. Das könnte witzig sein, wenn nicht sein unerträglicher Stil das Buch zu einer Tortur machte: "Das Discount gewordene Super-Gen des Konsumismus, offenbar schwer zu klonen, ist in seinem zurückweisenden Charme ein Bestandteil der Alltagskultur. Das hat auch das laue Lüftchen des Zeitgeistes bemerkt, vor dessen Trendsuchradar niemand sicher ist."
Wo Brandes seinem alten Arbeitgeber das Wort redet, glänzt Hintermeier durch Gehässigkeit. Seine These ist, daß der Discounthandel irgendwie mit dem Verschwinden der kleinen Läden und dem Niedergang der Einkaufskultur im allgemeinen zu tun hat. Leider belegt er sie nicht. Sein Vorsatz, von allem angewidert und zugleich entzückt zu sein, läßt für ein ernsthaftes Urteil offenbar keinen Platz. Besser gefällt er sich als Don Quijote, der mit seinem kulturkritischen Rüstzeug gegen die Mühlen des Populären reitet und schrill kichert, wenn er sein Ziel verfehlt. Warum er die Geschäfte der Aldi-Gruppe in Österreich wiederholt mit der Expansion Nazi-Deutschlands vergleicht, Frauen "Zweibrüster" nennt und sich beim Einkauf von "riesigen Salami-Dildos" bedroht sieht, wird wohl für immer sein Geheimnis bleiben. MICHAEL ALLMAIER
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main