Der Algerienfranzose Meursault aus Camus' Roman "Der Fremde" ist in Ronald Pohls Roman ein Handlungsreisender mitten im algerischen Unabhängigkeitskrieg der frühen 60er Jahre. Seine Wege durch Algier und in die Berge der Kabylei sind ein wahrer Alptraum: die Kolonialgesellschaft zeigt sich von ihrer schlimmsten Seite, die Lächerlichkeit und Verkommenheit der Szenerie ist kaum noch zu überbieten. Mitten in Dreck und Getümmel kommt Meursault hinter das Geheimnis seiner Herkunft.Wie eine Schmutzflut ergießt sich die Prosa Ronald Pohls kaskadenartig über die Seiten. Eine entfesselte Metaphernmaschine scheint hier am Werk zu sein, die sich über jede politische Korrektheit hinwegsetzt und mit ihren immens gespannten Sätzen die Welt als Wucherung vorführt - oder auch als Verdauungsvorgang. Die Bilder treiben einander an, übertreffen einander, und wie in einem barocken Welttheater verweist diese Beschreibungsfülle auf eine im Kern leere, unmenschliche Welt. Der grimmige Humor der Szenen beschwört das Erbe von Heimito von Doderer herauf und hat wenig mit Albert Camus' Existenzialismus gemein. Was in diesem Roman mit einem der berühmtesten Helden der Literatur des 20. Jhds geschieht, ist buchstäblich atemberaubend: das Absurde, in das Meursault 1942 eintauchte, hat 2007 ein anderes, ein dezidiert politisches Gesicht bekommen!
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Jörg Drews fühlt sich aufgerufen, den neusten Roman von Ronald Pohl gegen einen bösen Verriss von Michael Scharang in der österreichischen "Presse" zu verteidigen. Während sich der erboste Kritiker nämlich offensichtlich über die drastische Sprache und die fortwährenden misanthropischen Auswürfe der Hauptfigur gewaltig aufgeregt hat, zeigt Drews Verständnis und findet sie auch dem Anlass angemessen. Der Held des Roman ist - ähnlich wie in Albert Camus' "Der Fremde" - ein Algerienfranzose namens Mersault, hasst beide Seiten in sich und ergeht sich in einer unendlichen Suada der Beschimpfungen. Drews möchte zunächst einmal klarstellen, dass die wütenden Tiraden der Hauptfigur nicht mit den Standpunkten ihres Autors zu verwechseln sind und streicht heraus, dass angesichts der furchtbaren Zustände der 60er Jahre in Algerien, in denen der Roman spielt, die Haltung des Helden nicht bloße Willkür darstellt, sondern vielmehr in einer "Tradition des großen Pessimismus" steht, die seit Swift und Voltaire die europäische Literatur geprägt hat.
© Perlentaucher Medien GmbH
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