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Das Buch untersucht ein wichtiges Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der Allianz AG während der Spätphase der Weimarer Republik und der Zeit des Dritten Reiches bis zur frühen Bundesrepublik. Insbesondere werden die Beziehungen zwischen dem größten Versicherungsunternehmen Deutschlands und dem NS-Staat beleuchtet. Dabei geht es auch um die zur Zeit kontrovers diskutierten Fragen des Entzugs jüdischer Vermögenswerte und der Politik der Wiedergutmachung in der Bundesrepublik. Dies ist die erste umfassende Arbeit zur Geschichte der Allianz AG in den…mehr

Produktbeschreibung
Das Buch untersucht ein wichtiges Kapitel der deutschen Wirtschaftsgeschichte. Im Mittelpunkt steht die Entwicklung der Allianz AG während der Spätphase der Weimarer Republik und der Zeit des Dritten Reiches bis zur frühen Bundesrepublik. Insbesondere werden die Beziehungen zwischen dem größten Versicherungsunternehmen Deutschlands und dem NS-Staat beleuchtet. Dabei geht es auch um die zur Zeit kontrovers diskutierten Fragen des Entzugs jüdischer Vermögenswerte und der Politik der Wiedergutmachung in der Bundesrepublik. Dies ist die erste umfassende Arbeit zur Geschichte der Allianz AG in den Jahren 1933 bis 1945. Der Autor, ein international angesehener Fachmann für die deutsche Wirtschaftsgeschichte des 20. Jahrhunderts, beschreibt die Organisation des Versicherungswesens im Dritten Reich und stellt vor diesem Hintergrund die Entwicklung der Allianz AG und der gesamten Versicherungswirtschaft während des Nationalsozialismus dar. Gerald D. Feldmans Buch ist zugleich ein wichtiger Beitrag zur Unternehmens- wie auch zur Zeitgeschichte.

Behandelt werden folgende Themen:
die Verbindung zwischen Repräsentanten der Allianz und der nationalsozialistischen Führungdie Gleichschaltung der Versicherungswirtschaftdie Entwicklung des Unternehmensder Umgang der Allianz mit jüdischen Mitarbeitern und Kundendie Reichskristallnacht und die Versicherungswirtschaftdie Ausdehnung des Konzerns im Zweiten Weltkrieg und das Versicherungsgeschäft in den besetzten LändernGeschäftskontakte mit SS und NSDAPEntnazifizierung und Entschädigung nach dem Zweiten Weltkrieg
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Autorenporträt
Gerald D. Feldman, geb.1937, ist Professor für Geschichte an der University of California in Berkeley, USA.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.10.2001

Auschwitz versichern
Immer größer, immer weiter, immer reicher: Gerald Feldman zeigt, wie der Allianz-Konzern mit Hitlers Regierung kooperierte
GERALD D. FELDMAN: Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft 1933 bis 1945, C.H. Beck Verlag, München 2001. 800 Seiten, 78 Mark.
Vor gut zehn Jahren sah die Welt für die Allianz noch anders aus: 1990 feierte der Versicherungskonzern sein hundertjähriges Bestehen. Der prominente Gastredner Joachim Fest nahm den Niedergang des Sowjetsystems zum Anlass, über tragische Irrtümer in der Geschichte zu sprechen. Der damalige Generaldirektor des Allianz-Konzerns beklagte die unerfreulichen Auswirkungen des Zweiten Weltkriegs. Keiner der beiden, schreibt Gerald Feldman, habe „auch nur entfernt eine Verstrickung der Allianz in die Untaten des ’Dritten Reiches‘” angedeutet. Die „Grenzen des Erträglichen” angesichts von „Opportunismus und Vergessenwollen” seien erreicht gewesen.
So einfach sollte der Konzern es sich die längste Zeit gemacht haben. In den neunziger Jahren brach die Zeit der Sammelklagen in den Vereinigten Staaten an, es begann die Zeit außergerichtlicher Vergleiche und neuer Rücksichten: Heutzutage wird die Vergangenheit nicht totgeschwiegen, sondern bearbeitet. Eine neue Führung des Allianz-Konzerns hat die Firmengeschichte in den Jahren der Nazidiktatur nicht weiter bemänteln wollen. Der bekannte Wirtschaftshistoriker Gerald Feldman wurde betraut, die Geschichte der Allianz unterm Hakenkreuz zu schreiben. Er erhielt Geld, Hilfskräfte und Zugang zum Firmenarchiv, das freilich nur in Maßen ergiebig ist, da die meisten Akten aus der Nazizeit im Luftkrieg zerstört wurden.
Opfer oder Unternehmer?
Die Nazi-Vergangenheit der Allianz konnte indes aus anderen Quellen rekonstruiert werden: Näheres über die Konzernpolitik fand sich unter anderem in den Akten des ehemaligen Reichswirtschaftsministeriums, die in Moskau lagern, sowie den Akten des damaligen „Reichsverbandes Privatversicherungen”. Über Handeln und Denken einzelner Firmenchefs findet sich vieles Aufschlussreiche in ihren Entnazifizierungsakten: Stundenlange Vernehmungsprotokolle geben Auskunft darüber, was die Herren voneinander hielten und wie sie sich selbst zu sehen wünschten. Zwischen Ausflüchten in eigener Sache und dem Lamento über die Zumutungen, denen man als Unternehmer im Nationalsozialismus ausgesetzt gewesen, sucht Feldman nach Worten dafür, wie das alles eigentlich zu beurteilen wäre.
Schon in den zwanziger Jahren war die Allianz mit Abstand der größte deutsche Versicherungskonzern. Den Krieg hatte man intakt überstanden: Vor enthusiastischer Zeichnung von – dann wertlosen – Kriegsanleihen hatte man sich gehütet, und statt dessen angelegentlich Devisen gesammelt. Der Zusammenbruch von 1929 nahm den Konzern wenig mit. Die Geschäfte florierten, so dass er sich sogar leisten konnte, die Mitarbeiter gut zu behandeln: Jahre bevor die Volksgenossen in die KDF-Ferien geschickt wurden, unterhielt die Allianz Freizeitheime und Betriebssportclubs.
Feldman zeigt, dass die Allianz-Chefs mit den Nazis anbandelten, noch bevor diese die Wahlen gewonnen hatten. Als alles vorbei war, wollte von diesen Unternehmern natürlich keiner ein Nazi gewesen sein: Erstens hätten sie nicht mitgemacht; und sofern sie zweitens doch mitgemacht hätten, nur aus Pflichtgefühl. Man habe, schon 1932, Hitler zwar abstoßend gefunden, sei aber doch der Meinung gewesen, „Verbindung mit den leitenden Männern der NSDAP” suchen zu müssen „und auf diese Weise Einfluss auf die Gestaltung der Dinge zu gewinnen”. So formulierte es Eduard Hilgard, einer der Direktoren, die soviel Einfluss auf die Gestaltung der Dinge nahmen, dass die Allianz der führende Versicherungskonzern in Deutschland blieb.
Zu dem gegenwärtigen Streit, der sich darum dreht, ob die Versicherungswirtschaft noch Entschädigungen zahlen müsse, kann Feldman sich, wie er sagt, nicht kompetent äußern. Um so vorzüglicher stellt er dar, wie deutsche Versicherungen ihren Teil zu Enteignung und Verfolgung der Juden leisteten – die Allianz immer vorneweg, sei es aus Gewinnstreben, sei es, dass der gesetzestreue Konzern nationalsozialistische Verordnungen ausführte. Die beste und dichteste Schilderung des Buches befasst sich mit der Reaktion der deutschen Versicherungswirtschaft auf die „Reichskristallnacht”. Von da an wurde die Verfolgung der Juden noch unerbittlicher. Zudem brachte das Pogrom für die deutsche Versicherungswirtschaft größte Schwierigkeiten mit sich. Zwar hatte es sich bei den Zerstörungen allem Anschein nach um einen Aufruhr gehandelt, und gegen „Aufruhr” waren damals nur wenige Kunden versichert. Doch duldete die Regierung derartig „anstößige” Ausdrücke nicht mehr. Weil das Pogrom also nicht „Aufruhr” genannt werden durfte, hätten die Versicherungen die ihnen von den jüdischen Versicherten gemeldeten Schäden bezahlen müssen. Das hinwiederum wollten weder sie noch die Regierung. Andererseits, so fiel es Göring ein, mochten manche Versicherungen im Ausland rückversichert sein: Es war eine mögliche Devisenquelle, die der geldgierige Reichsmarschall nicht unangezapft lassen wollte.
Am Ende wurden die Juden vermittels einer „Sühnesteuer”, die an den Staat zu entrichten war, für die ihnen zugefügten Untaten bestraft. Was die Versicherungen anging, so waren Schäden im Wert von knapp 50 Millionen Reichsmark gemeldet worden. Die Branche rechnete diese Summe auf 6,5 Millionen herunter. Selbst jene Juden, deren Ansprüche anerkannt wurden, erreichten nur, dass ihre „Sühnesteuer” um den Entschädigungsbetrag vermindert wurde. Göring kassierte. Die Versicherungen kamen günstig davon. Der Allianz-Mann Eduard Hilgard, der auch Leiter der „Reichsgruppe Versicherungen” war, hatte das Arrangement mitausgehandelt.
Der Konzern tat seinen Teil zur Finanzierung des Regimes, indem er für hunderte von Millionen Reichsmark Staatsanleihen kaufte. Dann wartete er in der ersten Reihe, wenn jüdisches Eigentum – Immobilien oder Wertpapiere – günstig zu haben war. Auch stand die Allianz nicht an, alles zu versichern, was versichert werden konnte. Das galt nicht bloß für Hitlers Gut auf dem Obersalzberg und Görings edelsteinbesetzten Marschallstab. Lukrativer waren andere Policen: das Arbeitsmaterial im Ghetto zu Lodz, das Zwangsarbeiterlager Krakau-Plaszow und die vielen Großbaustellen, auf denen, so Feldman, die „grausame Ausbeutung versklavter Arbeiter” die Regel war. Desgleichen versicherte die Allianz Produktionsmittel in einer Reihe von Konzentrationslagern, auch Auschwitz war dabei. Die alten Nähmaschinen deportierter Juden, mit denen die Insassen des Ghettos von Lodz um ihr Leben nähten, waren versichert. Häftlingsbaracken in Vernichtungslagern wurden üblicherweise nicht versichert.
Natürlich, schreibt Feldman, habe die Allianz gewusst, wo sie sich da engagierte. Angesichts ihres erschreckenden Aktionsradius stellt er fest, „dass nahezu alle diejenigen, die im ’Dritten Reich‘ große Geschäfte machten, früher oder später unausweichlich mit dem in Berührung kamen, für das der Name ’Auschwitz‘ steht, von der Sklaverei bis zum Massenmord.” Der Satz ist bezeichnend: Feldman scheut sich nicht, die Verbrechen beim Namen zu nennen, aber er tut sich schwer damit, die Urheber der Verbrechen auch Verbrecher zu nennen.
Besonders schwer fällt ihm das im Bezug auf die Chefs der Allianz. Was sie angeht, ist Feldmans erzählerische Methode das Hin und Her. Es mag daran liegen, dass er ein bekennender Anhänger des Kapitalismus ist und deshalb vielleicht Verständnis dafür hat, wenn das oberste Interesse der Allianz der Gewinnmaximierung galt. Und noch aus einem anderen Grund kommen der Konzern und seine Führungsspitze bei Feldman allzu gut davon: Einige sozialrevolutionär bewegte NS-Parteichargen trachteten danach, die private Versicherungswirtschaft zu verstaatlichen. Diese Männer machten viel Lärm, hatten aber wenig Einfluss. Feldman überschätzt die Gefahr der Verstaatlichung. Seine Darstellung vermittelt deshalb den irreführenden Eindruck, die Allianz hätte mit ganzer Kraft um ihre Unabhängigkeit kämpfen müssen, was wiederum ihre Linientreue etwas relativieren würde: Denn dann wäre diese auch im Licht der unternehmerischen Existenzsicherung zu sehen.
Der Nationalsozialismus war keine intelligente Doktrin. Das hat es den meisten gebildeten Nazis nach dem Krieg so leicht gemacht, sich zu schweigenden Widerständler zu stilisieren: Irgendwelche Vorbehalte hatten sie ja alle gehabt. Auch hohe Allianz-Direktoren wie Kurt Schmitt und Eduard Hilgard hatten Vorbehalte. Feldmans Bemerkungen über ihren schwierigen Abwehrkampf gegen die Verstaatlichung mischen sich auf ungute Weise mit seinem Bemühen, ganz fair und geradezu ohne Ansehen der Konzernpolitik über die Charaktere der Verantwortlichen zu sprechen. So führt er etwa für Kurt Schmitt ins Feld, dieser habe „offenbar” geglaubt, „etwas für die Juden tun zu können”. Außerdem habe er „mit dem Widerstand sympathisiert”. Deshalb sei er „dem Regime zutiefst suspekt” gewesen, „hoch anrechnen” müsse man ihm, dass er sich für den gefangenen Martin Niemöller eingesetzt habe.
Das schreibt Feldman über einen Mann, der im Frühjahr 1933 in die NSDAP eintrat, der schon 1930 Görings Nähe suchte und in politischen Fragen so sehr mit ihm d'accord war, dass er im Sommer 1933 zum Wirtschaftsminister ernannt wurde, der dann nach seiner Rückkehr aus der Politik als führendes Aufsichtsratsmitglied der Allianz dafür verantwortlich war, dass sein Unternehmen sich am Elend der Juden bereicherte, und der zu allem Überfluss noch lange nach Kriegsende fulminant antisemitische Äußerungen von sich gab. Feldman will fair sein, aber es riecht nach Parfum, auf Dreck gestäubt.
Täter oder Komplize?
Zudem will er eine Grenzlinie ziehen zwischen „überzeugten” Nationalsozialisten einerseits und Allianz-Männern wie Kurt Schmitt und Eduard Hilgard andererseits: Diese sind in seinen Augen lediglich „verstrickt”, sind „Komplizen” des Systems gewesen. Dass sie selbst zum System gehörten, dass sie nicht bloß Handlanger, sondern Vertreter des NS-Staates waren, sagt Feldman nicht. Angesichts der Vorzüge seiner bedeutenden Studie fällt diese – hierzulande übliche – Verzerrung nicht ins Gewicht. Doch eine Verzerrung bleibt es, und wer dabei verweilt, ist irritiert: Gerald Feldman steht über dem Verdacht, seinem Auftraggeber, der Allianz, gefällig zu sein. Aber auch der unbestechlichste Historiker ist gegen die eigene Höflichkeit nicht gefeit.
So oder so kommt der Leser nicht umhin, sich Gedanken über Dinge zu machen, die mit dem Inhalt des Buches gar nicht so sehr viel zu tun haben: Es ist die Krux mit der von den Unternehmen selbst finanzierten Unternehmensgeschichten, dass der Leser sich stets unwillkürlich fragen muss, ob die Autoren ihre Unabhängigkeit kompromittiert haben könnten. Diese Art Liebedienerei ist derzeit nicht gefragt: Transparenz in historischen Dingen ist das Gebot der Stunde. Die Öffentlichkeit ist schnell erregt, Schönfärberei mehr als peinlich. Das wird aber nicht so bleiben. Es fragt sich, was aus der Unternehmensgeschichte werden soll, wenn es dahin kommt, dass die Firmen ihre Archive künftig nur noch jenen Forschern öffnen, die sie selbst ausgesucht haben. Es fragt sich, was aus der akademischen Geschichtsforschung wird, wenn sie sich an die Privatisierung ihrer Disziplin gewöhnt. FRANZISKAAUGSTEIN
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.2001

Eine Allianz nicht nur fürs Leben
Auch die Nazis waren gut versichert: Gerald D. Feldmans große Studie wirft dunkle Schatten auf den Konzern / Von Jürgen Jeske

Dem amerikanischen Historiker Gerald D. Feldman, bekannt durch seine große Abhandlung über die deutsche Inflation, eine Stinnes-Biographie und die Beiträge zur Historie der Deutschen Bank, ist mit der Geschichte der Allianz in der Nazizeit ein weiteres herausragendes Werk gelungen. Das Buch ist einer der bislang wichtigsten Beiträge zur Aufhellung deutschen Unternehmerverhaltens im Dritten Reich. Der Vorstandsvorsitzende der Allianz-Versicherungsgruppe Henning Schulte-Noelle, Jahrgang 1942, der die Untersuchung in Auftrag gab, hat dazu angemerkt, jeder müsse das Buch mit der Fragestellung lesen, wie er sich in einer solchen Zeit verhalten hätte. In der Tat drängt das Buch die nach wie vor aktuelle Frage auf, welches Ethos von Unternehmern in Zeiten von Diktatur, Krieg und politischen Konflikten zu fordern ist. Feldmans Werk zeigt schließlich auch, daß der populäre Ruf nach mehr politischer Betätigung von Wirtschaftsrepräsentanten auf schreckliche Irrwege führen kann. Sein Buch ist mehr als eine Unternehmensgeschichte, es ist ein brillantes Sittenbild deutschen Unternehmertums in Zeiten der Diktatur.

Schon Adenauer sagte, daß man die Menschen so nehmen müsse, wie sie sind. Darüber gibt sich auch Feldman keinen Illusionen hin. Es gebe keinen Grund, warum Unternehmer besser sein und mehr Heldenmut zeigen sollten als die Gesellschaft, der sie angehören. "Nichtsdestotrotz", so schreibt er aber, "haben kapitalistische Einrichtungen und diejenigen, die sie leiten, eine besondere Verantwortung in Gesellschaften, die auf der Grundlage von Privateigentum und freiheitlichen Wirtschaftsprinzipien organisiert sind." Feldman kritisiert zu Recht den rückgratlosen Konformismus der Unternehmer und Manager in jenen Jahren, ihren Opportunismus und die bedenkenlose Ausnutzung aller geschäftlichen Möglichkeiten, die sich durch die Nazis eröffneten. Es gab auch andere, wie den Generaldirektor der Alten Leipziger, Johannes Tiedke, der einen Rest von Anstand und eine gewisse Distanz zum Regime wahrte. Diese Männer blieben jedoch in der Minderheit.

Dabei gehörten die Allianz und die mit ihr verbundene Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft nicht einmal zu den Unternehmen, die besonders tief in nationalsozialistische Verbrechen verwickelt waren. Keiner der Manager stand etwa in den Nürnberger Prozessen vor Gericht. Die leitenden Männer der Allianz waren keine rabiaten Antisemiten, wie Feldman in seiner detaillierten Analyse darlegt. Im Gegenteil: Zahlreiche leitende Mitarbeiter verhielten sich den verfolgten Juden gegenüber sehr anständig und halfen ihnen auch. Doch insgesamt versagte die Allianz dabei, die zivilisatorischen Werte in Deutschland zu verteidigen.

So erwiesen sich die Allianz-Direktoren als aktive Förderer der Nazis. Kurt Schmitt, der legendäre Generaldirektor, und Eduard Hilgard, seine rechte Hand und späterer Leiter der Reichsgruppe Versicherungen, pflegten schon vor 1933 enge Beziehungen zu Hermann Göring. Sie wollten sich aus erster Hand informieren, um eventuell Einfluß auf die Wirtschaftspolitik nehmen zu können; eine Illusion und Selbstüberschätzung, der auch viele andere Unternehmer erlagen. Als Schmitt - den Feldman als im Grunde anständig, unternehmerisch begabt, aber politisch naiv, eitel und sehr ehrgeizig beschreibt - 1933 Wirtschaftsminister wurde, wirkte das als Zeichen dafür, daß die Wirtschaft mit den Nationalsozialisten zusammenarbeiten könne und werde. Damit hatten Hitler und Göring genau das erreicht, was sie wollten: sich das Wohlwollen der internationalen Geschäftswelt zu sichern.

Schmitt, der sich einbildete, eine Art Generaldirektor der deutschen Volkswirtschaft zu sein, sah seine Rolle darin, ein Abgleiten ins Radikale zu verhindern. Er trat dazu noch in die SS ein und war häufig in SS-Uniform in der Öffentlichkeit zu sehen - weil sie ihm besonders gut stand! Obwohl er kein militanter Antisemit war, erklärte er es zum Ziel deutscher Wirtschaftspolitik, den jüdischen Einfluß in der Wirtschaft zurückzudrängen. Daß er bereits 1935 nach einem gesundheitlichen Kollaps scheiterte, weil das Amt für ihn zum Albtraum geworden war, ändert daran wenig, ebenso, daß ihn die Gestapo später als unsicheren Kantonisten betrachtete. Ähnlich zeichensetzend wirkte Hilgard an der Spitze der Reichsgruppe Versicherungen. Er übernahm Sprache und Selbstinszenierung der Nazis und hatte nach Feldmans Meinung auch keine Gewissensnöte. Sein Lebensinhalt bestand darin, die "Allianz-Familie", koste es, was es wolle, voranzubringen und den Fortbestand der privaten Versicherungswirtschaft sicherzustellen. Diese stand damals in einem Abwehrkampf gegen Angriffe der öffentlich-rechtlichen Versicherungsgruppe, der Deutschen Arbeits-Front und solcher auf Verstaatlichung drängender Nazis wie des Gauleiters von Pommern, Schwede-Coburg. Hilgard habe, ohne zu hinterfragen, mit den Karten gespielt, die ihm ausgeteilt wurden, schreibt Feldman, und seine große Begabung habe darin bestanden, sich möglichst lange im Spiel zu halten.

Feldman arbeitet verdienstvollerweise heraus, in welchem Maße der enge Blick auf das Unternehmensinteresse, auf das Überleben und die Fortentwicklung des Unternehmens um jeden Preis zum moralischen Verfall beigetragen hat. Schmitt hielt es für besser, innerhalb des Systems für das Wohl des ihm anvertrauten Unternehmens zu sorgen, als sich und den Konzern mit einer aussichtslosen Oppositionspolitik der Katastrophe auszuliefern. Auch nach 1945 meinte er, ein Geschäftsmann müsse in solchen Situationen durch Ausweichen und Konzessionen Zeit und Existenz gewinnen. Feldman stellt dem zwar Beispiele des Widerstands und der offenen Konfrontation gegenüber, schreibt aber zugleich - und solche Differenzierungen machen den Rang des Buches aus -, daß die Manager in einem Umfeld agiert hätten, in dem traditionelle Moralvorstellungen nicht mehr viel galten. Gleichwohl: Der Konzern wurde zum Nutznießer des Regimes und seiner Politik. Die Partei erwies sich als Umsatzgarantin. Aus der obligatorischen Haftpflichtversicherung für Jagdpächter wurde durch Schmitts Beziehungen zu Göring ein Allianz-Versicherungsmonopol. Die Gelegenheiten aus Arisierungsfällen wurden genutzt.

Die Expansion des Deutschen Reichs im Krieg führte zur Expansion der Versicherungsgruppe. Mehr noch: Allianz und Münchener Rück sahen in dieser Expansion die Möglichkeit einer europäischen Wirtschaftsordnung mit Deutschland als tonangebendem Akteur. Die Allianz wirkte wie die übrige Versicherungswirtschaft an der indirekten und später direkten Enteignung jüdischer Versicherungsnehmer mit, wenn auch widerstrebend, weil es um eine gute Kundengruppe ging. Feldman tritt in diesem Zusammenhang der nach wie vor verbreiteten Meinung entgegen, die Versicherungswirtschaft habe von der Enteignung profitiert. Das Gegenteil war jedoch der Fall. Nutznießer war allein der NS-Staat, der sich diese Gelder aneignete. Der Krieg brachte ferner eine Steigerung des Prämienaufkommens in der Transportversicherung und in der Bauwesenversicherung. Die Allianz versicherte Produktionsstätten in den jüdischen Ghettos, in Zwangsarbeiterlagern und in Konzentrationslagern, darunter Auschwitz. Man habe dort kaum aktiv sein können, ohne zu bemerken, was vor sich ging, merkt Feldman an, doch hätten die Handelnden das Gefühl für die Verwerflichkeit ihres Tuns längst verloren gehabt.

Nach dem Krieg und in der Zeit der von den Besatzungsmächten angeordneten Entnazifizierung begann die Stunde der Selbstrechtfertigung, die Feldman ebenfalls ausführlich beschreibt. Schmitt und Hilgard wurden in den Entnazifizierungsverfahren am Ende in die Kategorie "Mitläufer" eingestuft. Das empörte sie, weil ausgesprochene Nazis ebenfalls eine Einstufung als "Mitläufer" erreichten. Am Fall Schmitt zeigt Feldman eindrucksvoll, daß die meisten jener Generation von ihrer Unschuld überzeugt blieben und durch selektives Erinnern und gezielte Retuschen die Frage der persönlichen Verantwortung verdrängten. Es ist daher falsch, zu behaupten, die Deutschen und speziell die Unternehmer hätten sich nicht mit der Vergangenheit auseinandergesetzt. Sie haben es nur unter dem Eindruck des Zusammenbruchs und der Besatzung in einer Weise getan, die ihrer Verantwortung ein weiteres Mal nicht gerecht wurde.

Am Beispiel Schmitts zeigt Feldman, wie dynamische Persönlichkeiten nach dem Krieg wieder in die Öffentlichkeit drängten. Schmitt habe unter der ihm zunächst durch die Entnazifizierung aufgezwungenen Untätigkeit zutiefst gelitten und darauf gebrannt, sich nicht nur in den Wiederaufbau des Versicherungswesens zu stürzen, sondern auch eine Rolle beim Aufbau eines vereinten Europa zu spielen. Schmitt übernahm 1949 den Aufsichtsratsvorsitz der Münchener Rückversicherungs-Gesellschaft, starb aber noch im selben Jahr. Hilgard gehörte dem Allianz-Aufsichtsrat bis 1960 an. Diese personelle Kontinuität habe wesentlich zu der Überzeugung beigetragen, die deutsche Versicherungswirtschaft und ihre Konzerne hätten zu den Opfern der nationalsozialistischen Diktatur gehört. Vor diesem Hintergrund ist auch die Frage der Wiedergutmachung zu sehen. Besonders bei arisierten Immobilien stellen die Akten nach Feldmans Analyse dem Konzern ein schlechtes Zeugnis aus für den Umgang mit den Antragstellern. Als besonders peinlich empfindet der Historiker, wie die Allianz 1990 unter dem damaligen Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Schieren zur Feier des hundertjährigen Bestehens mit ihrer Vergangenheit umging. Doch auch damit stand die Allianz nicht allein.

Gerald D. Feldman: "Die Allianz und die deutsche Versicherungswirtschaft im Nationalsozialismus 1933 bis 1945". Aus dem Englischen von Karl Heinz Siber. Verlag C.H. Beck, München 2001. 731 S., 38 Abb., geb., 78,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Das Buch, meint der Rezensent Jürgen Jeske, hält fast mehr als sein Titel verspricht. Über die Darstellung des Verhältnisses der Allianz-Versicherung zum Nazi-Regime hinaus ist dem amerikanischen Historiker Gerald D. Feldman nach Ansicht Jeskes "ein brillantes Sittenbild deutschen Unternehmertums in Zeiten der Diktatur" gelungen. Das Bild, das die Allianz und ihre Direktoren im Dritten Reich in dieser von der Allianz selbst in Auftrag gegebenen Studie abgeben, ist nicht angetan, den Ruhm des Unternehmens zu mehren. Zwar war keiner der leitenden Männer ein "rabiater Antisemit" - als "aktive Förderer der Nazis" erwiesen sie sich jedoch allemal. Das war auch gut fürs eigene Geschäft: von den Arisierungsfällen hat man profitiert. Ebenso unerfreulich stellt sich das Verhalten der Direktoren nach dem Krieg dar. Durch "selektives Erinnern und gezielte Retuschen" haben Kurt Schmitt und Eduard Hilgard, die leitenden Männer der Allianz im Dritten Reich, keine Probleme gehabt, im demokratischen Deutschland gleich wieder an vorderster Stelle mitzumischen. Jeskes Rezension referiert weitgehend die Ergebnisse, zu denen der Autor gelangt ist - darüber, dass er das Buch für ein "herausragendes Werk" hält, lässt er einen jedoch nicht im unklaren.

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