Die alte neue Frauenfrage bietet den bislang umfassendsten überblick zum Thema im deutschsprachigen Raum. Das Buch ist sowohl eine kleine Geschichte des Feminismus seit dem Ende des 18. Jahrhunderts als auch eine kritische Analyse der aktuellen frauenpolitischen Lage. Neben der Bilanz richtet sich der Blick zugleich in die Zukunft und auf die neuen Herausforderungen, vor denen Frauenbewegung und Gleichstellungspolitik im 21. Jahrhundert stehen. Denn »die Frauenfrage« ist, entgegen landläufiger Meinung, noch lange nicht erledigt: Keine der Forderungen, die Feministinnen der ersten Stunde am Beginn der Moderne erhoben haben, sind bis heute für alle Frauen weltweit eingelöst. Den roten Faden der Einführung bilden deshalb die Kontinuitäten, Akzentverschiebungen und Brüche in den Thematisierungsweisen und Politikformen »der Frauenfrage« zwischen dem 18. und 21. Jahrhundert.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.09.2003Schlipsträger im Chefsessel
Die neue Frauenfrage und die alten Themen
BARBARA HOLLAND-CUNZ: Die alte neue Frauenfrage. Edition suhrkamp, Frankfurt 2003. 309 Seiten, 11 Euro.
In den Machtzentren von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sitzen mittlerweile auch ein paar Frauen, weitere haben sich auf den Weg dorthin begeben. Die Spielregeln bestimmen sie aber längst noch nicht. Denn nur ausnahmsweise, etwa im Deutschen Bundestag, erreichen sie jene kritische Marke von 30 Prozent, von der an eine Gruppe, statistisch gesehen, gute Aussichten hat, ihre Interessen durchzusetzen. „Outsiders within” nannte die US-Autorin Sandra Harding Frauen, die in den Arenen der Macht angekommen sind, ohne sich dort heimisch zu fühlen. Mit „integrierte Außenseiterinnen” übersetzt die Gießener Politikwissenschaftlerin Barbara Holland-Cunz den Begriff. Sie beschreibt deren Position als ungemütlich und anregend zugleich: „Wenn frau schon nicht richtig dazugehört, kann sie doch wenigstens etwas über die Funktionsmechanismen von Herrschaft lernen.”
Zu diesem Resümee gelangt Holland-Cunz nach intensiver Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschung zu Geschlecht und Frauen, deren wichtigste Positionen sie in einem komprimierten Überblick wiedergibt und einordnet. Holland-Cunz konstatiert Erfolge von Frauen beim Kampf um gesellschaftliche Teilhabe und politischen Einfluss, zu Euphorie besteht allerdings nicht der geringste Anlass. Wer sich freut, weil Frauen auch außerhalb der skandinavischen Länder manchen politischen Pflock eingeschlagen und hochrangige Posten besetzt haben, dem hält Holland-Cunz den lapidaren Hinweis entgegen, dass sich die Machtzentren von den Nationalstaaten hin zu supranationalen Organisationen wie der EU verschöben. Dort beherrschten nach wie vor die Schlipsträger das Geschehen. Das veranlasst die Gießener Professorin zu dem weiteren Querverweis, dass auch im Erwerbsleben eine Steigerung des Frauenanteils in einem Beruf „fast immer einen Niedergang seiner Bedeutung, seines Ansehens, seines Einflusses” in männerdominierten Gesellschaften ankündigt.
Der bedenkenträgerische Blick auf die weiblichen Fortschritte beim Machtkampf der Geschlechter erscheint allerdings nicht in jedem Fall begründet. Beim Richteramt, in der Gynäkologie, im Journalismus haben sich in modernen westlichen Gesellschaften innerhalb weniger Jahrzehnte die Verhältnisse deutlich zugunsten der Frauen verschoben, auch wenn sie die Top-Posten in der Regel noch nicht erreicht haben. Dass diese Berufe deshalb entwertet sind, kann man kaum behaupten. Aber vielleicht ist die Skepsis von Holland-Cunz eine Folge ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der so genannten Frauenfrage. Im ersten Teil ihres Buches liefert sie komprimierte Zusammenfassungen der Werke wichtiger Denkerinnen im 250-jährigen Kampf um Gleichheit und Freiheit. Damit schärft sie das Verständnis für manche aktuelle Debatte um Frauenmacht und Gender-Politik. Vor allem aber drängt sich der Eindruck auf, dass bei allen Fortschritten vom Wahlrecht bis zur Enttabuisierung des Themas sexuelle Gewalt seit Jahrhunderten um dieselben Fragen gestritten wird: Das Recht auf politische Teilhabe, die Chance zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit sowie das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit stehen für Frauen noch auf der Tagesordnung wie im 18. Jahrhundert. „Die Kontinuität der so genannten Frauenfrage ist nicht dem Versagen der feministischen Bewegung, sondern der Veränderungs-Resistenz patriarchaler Herrschaft geschuldet”, schreibt die Autorin denen ins Stammbuch, welche die „Frauenfrage” für erledigt halten.
Aufschlussreich ist der Blick in die Vergangenheit auch in puncto Streitkultur. Der sachliche Appell an die Einsichtsfähigkeit der Männer, ein neutral wirkendes Dickicht an Gleichstellungsregelungen und das Gender Mainstreaming sind die Mittel, mit denen Frauen heutzutage Gleichheit und Freiheit erreichen wollen. Manche Vorfahrin an der Frauenfront hat dagegen Klartext geredet. „Selbstherrliche Macht”, „tyrannische Herrschaft” und eine Haltung, die „blind, von den Wissenschaften aufgeblasen und degeneriert” ist, wirft etwa die Vordenkerin der Französischen Revolution, Olympe de Gouges, den Männern vor. Ihre Zeitgenossin Mary Wollstonecraft beklagt, dass selbst intelligente Männer „Fügsamkeit und die Anhänglichkeit eines Cockerspaniels als Kardinaltugenden” von Frauen betrachten.
Erst in jüngster Vergangenheit wurden „Täterinnen” als Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung entdeckt. Ein Abschied von der Vorstellung, dass Frauen qua Geschlecht die besseren Menschen sind und vor allem als Opfer von Politik gedacht werden – auch das ist ein Erkenntnisfortschritt.
GABY MAYR
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
Die neue Frauenfrage und die alten Themen
BARBARA HOLLAND-CUNZ: Die alte neue Frauenfrage. Edition suhrkamp, Frankfurt 2003. 309 Seiten, 11 Euro.
In den Machtzentren von Politik, Wissenschaft und Wirtschaft sitzen mittlerweile auch ein paar Frauen, weitere haben sich auf den Weg dorthin begeben. Die Spielregeln bestimmen sie aber längst noch nicht. Denn nur ausnahmsweise, etwa im Deutschen Bundestag, erreichen sie jene kritische Marke von 30 Prozent, von der an eine Gruppe, statistisch gesehen, gute Aussichten hat, ihre Interessen durchzusetzen. „Outsiders within” nannte die US-Autorin Sandra Harding Frauen, die in den Arenen der Macht angekommen sind, ohne sich dort heimisch zu fühlen. Mit „integrierte Außenseiterinnen” übersetzt die Gießener Politikwissenschaftlerin Barbara Holland-Cunz den Begriff. Sie beschreibt deren Position als ungemütlich und anregend zugleich: „Wenn frau schon nicht richtig dazugehört, kann sie doch wenigstens etwas über die Funktionsmechanismen von Herrschaft lernen.”
Zu diesem Resümee gelangt Holland-Cunz nach intensiver Auseinandersetzung mit der aktuellen Forschung zu Geschlecht und Frauen, deren wichtigste Positionen sie in einem komprimierten Überblick wiedergibt und einordnet. Holland-Cunz konstatiert Erfolge von Frauen beim Kampf um gesellschaftliche Teilhabe und politischen Einfluss, zu Euphorie besteht allerdings nicht der geringste Anlass. Wer sich freut, weil Frauen auch außerhalb der skandinavischen Länder manchen politischen Pflock eingeschlagen und hochrangige Posten besetzt haben, dem hält Holland-Cunz den lapidaren Hinweis entgegen, dass sich die Machtzentren von den Nationalstaaten hin zu supranationalen Organisationen wie der EU verschöben. Dort beherrschten nach wie vor die Schlipsträger das Geschehen. Das veranlasst die Gießener Professorin zu dem weiteren Querverweis, dass auch im Erwerbsleben eine Steigerung des Frauenanteils in einem Beruf „fast immer einen Niedergang seiner Bedeutung, seines Ansehens, seines Einflusses” in männerdominierten Gesellschaften ankündigt.
Der bedenkenträgerische Blick auf die weiblichen Fortschritte beim Machtkampf der Geschlechter erscheint allerdings nicht in jedem Fall begründet. Beim Richteramt, in der Gynäkologie, im Journalismus haben sich in modernen westlichen Gesellschaften innerhalb weniger Jahrzehnte die Verhältnisse deutlich zugunsten der Frauen verschoben, auch wenn sie die Top-Posten in der Regel noch nicht erreicht haben. Dass diese Berufe deshalb entwertet sind, kann man kaum behaupten. Aber vielleicht ist die Skepsis von Holland-Cunz eine Folge ihrer intensiven Auseinandersetzung mit der Geschichte der so genannten Frauenfrage. Im ersten Teil ihres Buches liefert sie komprimierte Zusammenfassungen der Werke wichtiger Denkerinnen im 250-jährigen Kampf um Gleichheit und Freiheit. Damit schärft sie das Verständnis für manche aktuelle Debatte um Frauenmacht und Gender-Politik. Vor allem aber drängt sich der Eindruck auf, dass bei allen Fortschritten vom Wahlrecht bis zur Enttabuisierung des Themas sexuelle Gewalt seit Jahrhunderten um dieselben Fragen gestritten wird: Das Recht auf politische Teilhabe, die Chance zu wirtschaftlicher Unabhängigkeit sowie das Recht auf körperliche und geistige Unversehrtheit stehen für Frauen noch auf der Tagesordnung wie im 18. Jahrhundert. „Die Kontinuität der so genannten Frauenfrage ist nicht dem Versagen der feministischen Bewegung, sondern der Veränderungs-Resistenz patriarchaler Herrschaft geschuldet”, schreibt die Autorin denen ins Stammbuch, welche die „Frauenfrage” für erledigt halten.
Aufschlussreich ist der Blick in die Vergangenheit auch in puncto Streitkultur. Der sachliche Appell an die Einsichtsfähigkeit der Männer, ein neutral wirkendes Dickicht an Gleichstellungsregelungen und das Gender Mainstreaming sind die Mittel, mit denen Frauen heutzutage Gleichheit und Freiheit erreichen wollen. Manche Vorfahrin an der Frauenfront hat dagegen Klartext geredet. „Selbstherrliche Macht”, „tyrannische Herrschaft” und eine Haltung, die „blind, von den Wissenschaften aufgeblasen und degeneriert” ist, wirft etwa die Vordenkerin der Französischen Revolution, Olympe de Gouges, den Männern vor. Ihre Zeitgenossin Mary Wollstonecraft beklagt, dass selbst intelligente Männer „Fügsamkeit und die Anhänglichkeit eines Cockerspaniels als Kardinaltugenden” von Frauen betrachten.
Erst in jüngster Vergangenheit wurden „Täterinnen” als Gegenstand politikwissenschaftlicher Forschung entdeckt. Ein Abschied von der Vorstellung, dass Frauen qua Geschlecht die besseren Menschen sind und vor allem als Opfer von Politik gedacht werden – auch das ist ein Erkenntnisfortschritt.
GABY MAYR
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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension
Als "umfangreichen und beeindruckenden Überblick" über die politische Theorien- und Ideengeschichte des Feminismus vom 18. Jahrhundert bis heute würdigt Rezensent Gottfried Oy den Band "Die alte neue Frauenfrage" von Barbara Holland-Cunz. Im Mittelpunkt stehen nach Auskunft Oys die beiden zentralen Auseinandersetzungen der Frauenrechtlerinnen: das Ringen um Gleichheit und der Einsatz für Freiheit. Von der frühen Frauenbewegung über die proletarische Frauenbewegung und die Rolle der Frau im Nationalsozialismus, von Simone de Beauvoirs über Betty Friedan hin zum feministischen Mainstream, zur postmodernen Feminismustheorie und der globalisierungskritischen Bewegung wird von Holland-Cunz nichts ausgelassen. Oy hebt hervor, dass es der Autorin gelingt, mit Michael Walzer die politische Leidenschaft der Bewegung zu theoretisieren. Hannah Arendts Thematisierung der Macht des politischen Versprechens der Gleichheit fungiere ihr als Richtschnur für die Analyse der feministischen Forderung nach dessen Einlösung.
© Perlentaucher Medien GmbH
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