Die griechische Antike ist die Wiege der europäischen Kultur. Diese untergegangene Welt - ihre Philosophie und Sprache, ihre Literatur wie ihre Religion - ist uns auf seltsame Weise vertraut und fremd zugleich. Konrad Adam lässt diese Epoche wieder lebendig werden. Er spürt der Faszination der griechischen Philosophie nach, stellt uns den Dichter Homer vor, erklärt die Bedeutung der Göttermythen und die präzise Logik der griechischen Sprache. Wir nehmen an den Wahlen zur Volksversammlung teil, lauschen Sokrates' Gesprächen mit seinen Schülern und gehen ins Theater, wo eine Tragödie von Aischylos gegeben wird. Wir erfahren, was ein Scherbengericht ist, wie die spartanische Erziehung aussah, woher die "drakonischen" Strafen kommen, wer den ersten Marathon lief - und wie man Sophistik betreibt. Am Ende erweist sich, dass das alte Griechenland uns viel näher ist, als wir es für möglich hielten. Und dass wir uns selbst nicht mehr verstehen, wenn wir die griechische Kultur vergessen. Eine aufregende Reise in die Welt der griechischen Antike - ebenso unterhaltsam wie lehrreich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.10.2006Reiten, bogenschießen und die Wahrheit sagen
Damit die intellektuelle Jugend den Faden der Tradition nicht verliert: Konrad Adams lebendige und prägnante Darstellung der Welt der alten Griechen
Wie ganz anders ist dieses Buch! Anders als was? Weder ist es eine Aufzählung dessen, was etwa zu den Griechen der Antike zu sagen wäre, noch ist es ein irgendwie deutender Essay - und schon gar nicht klagt es darüber, daß die heutige Öffentlichkeit zuwenig Kenntnisse über das alte Griechenland habe. Konrad Adam erzählt ganz einfach das, was er zur griechischen Religion, zur Politik, zur Gesellschaft, zur Literatur, zu Kunst und Philosophie zu sagen hat, und genau dadurch gibt er ein so lebendiges Bild dieser Kultur, daß man gar nicht auf den Gedanken kommt, die Anteilnahme an ihr sei jemals zu einem Problem geworden.
Adam gelingt es, Tatsachen sachlich mitzuteilen und gleichzeitig Charakteristika der griechischen Kultur zu benennen, die diese Tatsachen über das bloß Faktische hinausheben. Sie stellen oft alles andere als blinde Verherrlichung dar. So betont er immer wieder die große Spannweite des griechischen Denkens und des gesellschaftlichen Verhaltens, die vom Großartigen bis zum "Abstoßenden" ging. Neben dem "Wahren, Schönen und Guten" eignete ihnen genauso das "Groteske, Schrille, Banale"; ihre "Neigung zum Verrat" war besonders ausgeprägt, und das eindrucksvolle Gleichheitsdenken hatte sein unerfreuliches Pendant in "Verdacht, Neid, Argwohn, Schnüffelei". Selten liest man so deutlich den wirklichkeitsgetreuen Hintergrund des Heldischen in der Ilias wie bei Adam: "Immer wieder werden da Augen ausgestochen und Ohren abgeschlagen, werden die Weichteile durchbohrt und stürzen die Helden, von der Lanze mitten in die Brust getroffen, rasselnd vom Wagen." Aber wohlgemerkt: Das Heroische wird dadurch nicht herabgezogen, sondern strahlt um so heller.
Wie töricht und peinlich wirkt es anderswo, wenn allzu schnelle oder sich anbiedernde Parallelen zu unserer Gegenwart gezogen werden. Konrad Adam läßt demgegenüber - zum Teil durchaus kräftig formulierte - Vergleiche mit heute einfließen, die den richtigen, weil ganz persönlichen Ton treffen und der Verdeutlichung dienen. Er stellt einem modernen "militanten", eher "technisch als emotional bestimmten" Verhältnis zur Sexualität die griechische Unverkrampftheit gegenüber; er lobt die griechische Bereitschaft zur kulturellen Integration, die leichter vonstatten ging als bei "einigen Multikulturellen von heute"; in der Komödie "Thesmophoriazusen" des Aristophanes entdeckt er völlig zu Recht ein "Gleichstellungsgesetz"; ja, selbst der "Radau" der "Wortführer der sexuellen Befreiung" oder die schneidende Formulierung, Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung" sei "eines der törichtsten Bücher des zwanzigsten Jahrhunderts", sind nichts anderes als erfrischende Temperamentsausbrüche.
Gewiß hat Konrad Adam recht damit, daß die griechische Kultur uns gegenüber fremd, etwas ganz anderes ist als die spätere christlich-europäische Zivilisation. Er hat aber auch recht mit der klaren Erkenntnis, die viele überraschen mag, daß sie "spontan verstanden" werden könne, "verständlich" sei oder daß, zum Beispiel, die Gestalt der Nausikaa in der Odyssee sogar "leichter zu verstehen" sei "als das Käthchen von Heilbronn". Das hängt auch damit zusammen, daß die griechische Sprache und das griechische Denken in ganz besonderer Weise darauf abstellten, dem gegenseitigen Verstehen zu dienen, daß sie es besonders darauf anlegten, nüchtern Sachverhalte festzustellen, Begriffe zu bilden, daß sie ohne jegliche Beimengungen von außerrationalen Gesichtspunkten einfach nur wissen und verstehen wollten. Dem dienten auch die zahlreichen Partikel der griechischen Sprache - über die sich Heinrich Mann im "Professor Unrat" lustig macht - und der griechische Satzbau, durch die man "von Anfang an erkennen konnte, ob man es mit einer Feststellung oder einer Erläuterung, einer Erweiterung, einer Begründung oder einem Gegensatz zu tun hat". Vielleicht darf hinzugefügt werden, daß hierher auch der von Herodot billigend zitierte wunderbare Satz gehört, nach welchem die jungen aristokratischen Perser nur dreierlei lernten: "reiten, bogenschießen und die Wahrheit sagen".
Zum Schluß ein geradezu großartiges äußeres Kennzeichen des Buches. Zwar hat es ein Verzeichnis der benutzten Übersetzungen für die häufigen wörtlichen Zitate aus dem Griechischen; nicht für alle übrigens, so daß man für diese annehmen darf, daß es sich um Adams eigene Übersetzungen handelt. Was es aber nicht gibt, sind Angaben von weiterführender Literatur; das Buch hat ja auch keine Anmerkungen, in denen auf derlei hingewiesen würde. Das ist aber kein Manko - es gibt ja genug Bücher, in denen man dergleichen finden kann -, sondern es beeindrucken die Konsequenz und das Selbstbewußtsein, mit denen Konrad Adam hier vor die Öffentlichkeit tritt. Er muß sich nicht durch Hinweise auf andere Autoren absichern, nur er spricht hier.
Auch deshalb ist das Buch ganz anders als andere. Vielleicht hat Adam das Buch zunächst nur für sich selbst geschrieben. Aber dadurch, was er sagt und wie er es sagt, werden es alle mit Gewinn lesen können.
WOLFGANG SCHULLER
Konrad Adam: "Die alten Griechen". Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2006. 192 S., Abb., geb., 16,90 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Damit die intellektuelle Jugend den Faden der Tradition nicht verliert: Konrad Adams lebendige und prägnante Darstellung der Welt der alten Griechen
Wie ganz anders ist dieses Buch! Anders als was? Weder ist es eine Aufzählung dessen, was etwa zu den Griechen der Antike zu sagen wäre, noch ist es ein irgendwie deutender Essay - und schon gar nicht klagt es darüber, daß die heutige Öffentlichkeit zuwenig Kenntnisse über das alte Griechenland habe. Konrad Adam erzählt ganz einfach das, was er zur griechischen Religion, zur Politik, zur Gesellschaft, zur Literatur, zu Kunst und Philosophie zu sagen hat, und genau dadurch gibt er ein so lebendiges Bild dieser Kultur, daß man gar nicht auf den Gedanken kommt, die Anteilnahme an ihr sei jemals zu einem Problem geworden.
Adam gelingt es, Tatsachen sachlich mitzuteilen und gleichzeitig Charakteristika der griechischen Kultur zu benennen, die diese Tatsachen über das bloß Faktische hinausheben. Sie stellen oft alles andere als blinde Verherrlichung dar. So betont er immer wieder die große Spannweite des griechischen Denkens und des gesellschaftlichen Verhaltens, die vom Großartigen bis zum "Abstoßenden" ging. Neben dem "Wahren, Schönen und Guten" eignete ihnen genauso das "Groteske, Schrille, Banale"; ihre "Neigung zum Verrat" war besonders ausgeprägt, und das eindrucksvolle Gleichheitsdenken hatte sein unerfreuliches Pendant in "Verdacht, Neid, Argwohn, Schnüffelei". Selten liest man so deutlich den wirklichkeitsgetreuen Hintergrund des Heldischen in der Ilias wie bei Adam: "Immer wieder werden da Augen ausgestochen und Ohren abgeschlagen, werden die Weichteile durchbohrt und stürzen die Helden, von der Lanze mitten in die Brust getroffen, rasselnd vom Wagen." Aber wohlgemerkt: Das Heroische wird dadurch nicht herabgezogen, sondern strahlt um so heller.
Wie töricht und peinlich wirkt es anderswo, wenn allzu schnelle oder sich anbiedernde Parallelen zu unserer Gegenwart gezogen werden. Konrad Adam läßt demgegenüber - zum Teil durchaus kräftig formulierte - Vergleiche mit heute einfließen, die den richtigen, weil ganz persönlichen Ton treffen und der Verdeutlichung dienen. Er stellt einem modernen "militanten", eher "technisch als emotional bestimmten" Verhältnis zur Sexualität die griechische Unverkrampftheit gegenüber; er lobt die griechische Bereitschaft zur kulturellen Integration, die leichter vonstatten ging als bei "einigen Multikulturellen von heute"; in der Komödie "Thesmophoriazusen" des Aristophanes entdeckt er völlig zu Recht ein "Gleichstellungsgesetz"; ja, selbst der "Radau" der "Wortführer der sexuellen Befreiung" oder die schneidende Formulierung, Ernst Blochs "Prinzip Hoffnung" sei "eines der törichtsten Bücher des zwanzigsten Jahrhunderts", sind nichts anderes als erfrischende Temperamentsausbrüche.
Gewiß hat Konrad Adam recht damit, daß die griechische Kultur uns gegenüber fremd, etwas ganz anderes ist als die spätere christlich-europäische Zivilisation. Er hat aber auch recht mit der klaren Erkenntnis, die viele überraschen mag, daß sie "spontan verstanden" werden könne, "verständlich" sei oder daß, zum Beispiel, die Gestalt der Nausikaa in der Odyssee sogar "leichter zu verstehen" sei "als das Käthchen von Heilbronn". Das hängt auch damit zusammen, daß die griechische Sprache und das griechische Denken in ganz besonderer Weise darauf abstellten, dem gegenseitigen Verstehen zu dienen, daß sie es besonders darauf anlegten, nüchtern Sachverhalte festzustellen, Begriffe zu bilden, daß sie ohne jegliche Beimengungen von außerrationalen Gesichtspunkten einfach nur wissen und verstehen wollten. Dem dienten auch die zahlreichen Partikel der griechischen Sprache - über die sich Heinrich Mann im "Professor Unrat" lustig macht - und der griechische Satzbau, durch die man "von Anfang an erkennen konnte, ob man es mit einer Feststellung oder einer Erläuterung, einer Erweiterung, einer Begründung oder einem Gegensatz zu tun hat". Vielleicht darf hinzugefügt werden, daß hierher auch der von Herodot billigend zitierte wunderbare Satz gehört, nach welchem die jungen aristokratischen Perser nur dreierlei lernten: "reiten, bogenschießen und die Wahrheit sagen".
Zum Schluß ein geradezu großartiges äußeres Kennzeichen des Buches. Zwar hat es ein Verzeichnis der benutzten Übersetzungen für die häufigen wörtlichen Zitate aus dem Griechischen; nicht für alle übrigens, so daß man für diese annehmen darf, daß es sich um Adams eigene Übersetzungen handelt. Was es aber nicht gibt, sind Angaben von weiterführender Literatur; das Buch hat ja auch keine Anmerkungen, in denen auf derlei hingewiesen würde. Das ist aber kein Manko - es gibt ja genug Bücher, in denen man dergleichen finden kann -, sondern es beeindrucken die Konsequenz und das Selbstbewußtsein, mit denen Konrad Adam hier vor die Öffentlichkeit tritt. Er muß sich nicht durch Hinweise auf andere Autoren absichern, nur er spricht hier.
Auch deshalb ist das Buch ganz anders als andere. Vielleicht hat Adam das Buch zunächst nur für sich selbst geschrieben. Aber dadurch, was er sagt und wie er es sagt, werden es alle mit Gewinn lesen können.
WOLFGANG SCHULLER
Konrad Adam: "Die alten Griechen". Rowohlt Berlin Verlag, Berlin 2006. 192 S., Abb., geb., 16,90 [Euro].
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Begeistert zeigt sich Wolfgang Schuller von diesem Werk über die "alten Griechen", das Konrad Adam vorgelegt hat. Er lobt das überaus "lebendige Bild", das Adam von der Religion, Politik, Gesellschaft, Literatur, Kunst und Philosophie des antiken Griechenlands zeichnet. Tatsächlich fällt ihm kaum ein anderes Buch ein, das das weite Spektrum griechischen Denkens und gesellschaftlichen Verhaltens derart anschaulich, treffend und, wo nötig, auch kritisch darstellen würde wie vorliegendes Werk. Beeindruckt zeigt er sich zudem von den fundierten Sachkenntnissen des Autors sowie seinem souveränen und zugleich persönlichen Stil. Sogar die Vergleiche mit der Gegenwart, die ihm bei anderen Büchern oft peinlich anmuten, findet er hier überzeugend und aufschlussreich. Sein Fazit: ein Buch, das man "mit Gewinn" lesen wird.
© Perlentaucher Medien GmbH
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