Der junge Hugo Navratil muss zurück in die österreichische Provinz. Sein Großvater, mit dem ihn die Liebe zur Natur und der Tod eines kleinen Jagdhundes verband, ist gestorben, die Familie nimmt Abschied. Das burgenländische Dorf, der Wald, Freund und Feind, alles scheint wie immer. Doch auf der Beerdigung fallen Hugo zwei Frauen auf. Sie sind auf der Suche nach einer antiken Flinte - und sie glauben, dass Hugo weiß, wo sie ist. Je mehr Hugo es mit ihnen zu tun bekommt, desto besser versteht er, dass der alte Mann viele, durchaus schöne Gesichter hatte.Was hat es mit dem Verbund auf sich, der ihn und diese Frauen einst zusammenbrachte?
«Die Ambassadorin» ist eine Ode an das Matriarchat und die Geschichte eines Antihelden, der unerschrockener kaum sein könnte. Sebastian Janatas Debüt ist humorvoll, skurril - und ganz und gar ajour.
«Die Ambassadorin» ist eine Ode an das Matriarchat und die Geschichte eines Antihelden, der unerschrockener kaum sein könnte. Sebastian Janatas Debüt ist humorvoll, skurril - und ganz und gar ajour.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.07.2020Wie sagt man auf Englisch "angebrunzt"?
Meine sogenannte Heimat: In Sebastian Janatas Debütroman entdeckt ein Rückkehrer in seinem Kindheitsdorf eine familiäre Parallelvergangenheit.
Nein, Fernweh nach dem Land bekommt der Städter nicht bei diesen Beschreibungen des Nordburgenlandes, "einer idyllischen Gegend, die, zwar arm an geistigem Kapital, umso reicher ist an Wein und Kirschen", "einem Ort, wo die Sprechweise der Menschen häufig an das Bellen großer Hunde erinnerte". Der so denkt, heißt Hugo Navratil, was auf Tschechisch so viel wie "Heimkehrer" bedeutet. In seiner Wahlheimat Berlin, in der die Menschen ja auch nicht gerade für säuselnde Töne bekannt sind, hat er eine tiefe Abneigung gegenüber seiner ostösterreichischen Herkunft entwickelt. Man versteht das. Auswärts bellen die Hunde schöner.
Und doch ist "Die Ambassadorin", Sebastian Janatas Debütroman, kein klassisches Provinzbashing. Hugo kommt - und das ist durchaus wörtlich zu verstehen - am Ende nicht so gut weg, wie man zunächst vermutet. Über das Dorf, dessen vermeintlich kleingeistigen Menschenschlag er längst durchschaut zu haben glaubt, lernt er plötzlich doch Neues. Nuanciertes. Gar nicht Verachtenswertes. Er lernt sogar etwas über urbane Arroganz.
Hugos Heimreise ist eine Pflichtveranstaltung. Zur Beerdigung seines Großvaters, genannt Onkel Beppo, versammelt sich die Familie an ihrem Stammsitz. Trotz der liebevollen Beziehung, die Hugo zu seinem Großvater hatte, muss er feststellen, dass er keine Trauer zu fühlen imstande ist. "Ich habe mit Beppo, wenn ich so darüber nachdenke, nie ein richtiges Gespräch geführt . . . Ich habe keine Ahnung, wer mein Großvater war. Ist das nicht traurig? Ist das nicht zum Weinen?" Was Hugo in der Erinnerung an Beppo widerwillig einsieht, fällt ihm hinsichtlich der Dorfgemeinschaft im Allgemeinen erst viel später auf: Er kennt alles, er weiß nichts.
Als sich ihm auf dem Begräbnis zwei Amerikanerinnen vorstellen, angeblich Verwandte, und das Gespräch eher drohend denn fragend auf ein kostbares Gewehr aus dem Nachlass des passionierten Jägers Beppo lenken, wird Hugos Heimkehr zur ohnmächtigen Torkelei, in der sich stellenweise ein Dorfthriller anzubahnen scheint. Wie Agentinnen tauchen die Frauen immer dann auf, wenn Hugo es am wenigsten erwartet. Ihre Forderungen werden expliziter.
Wäre "Die Ambassadorin" ein Film, wüsste man lange nicht, ob man ein Drama sieht oder eine Komödie. Geheimniskrämerei changiert mit niedrigschwelligem Humor. Hugos Missmut lässt sich schon daran ablesen, dass insgesamt sechzehnmal die abschätzige Distanzierung "sogenannt" vorkommt, als sei in dem Ort alles fehlbetitelt und seine Einwohner zu stumpf, um es zu merken. Hugo will sich an seiner Heimat rächen, doch die rächt sich an ihm. Nachts verunziert er volltrunken "das sogenannte Kriegerdenkmal" des Dorfs. Den eigentlichen Denkmalsturz vollzieht er aber, als er selbst, Gesicht voran, in sein verrichtetes Werk stolpert. Eine Bekannte gabelt ihn auf und reicht ihm unbeeindruckt Taschentücher und Schnaps. Sein Großvater sei ja auch so einer gewesen, sagt sie. "W-wieso? Hat der auch vor die Kirche geschissen?"
Janata - 1988 im Burgenland geborener und heute in Berlin lebender Schlagzeuger der Popband Ja, Panik - versteht es gut, sein Setting mal verächtlich, mal liebevoll zu zeichnen. Der nahe See ist "immerbraun", das Tal, in dem er liegt, eine geologische "Arschritze", links und rechts "das sogenannte Leithagebirge". Später seufzt dann wieder "dieser Wind, den ich so liebe, der einem flüstert, ja, es existiere, dieses andere Leben, irgendwo und irgendwann". Ungeachtet einer Passage in Wien und einer schmalen Berliner Rahmenhandlung, ist der Roman eine Lokalerzählung durch und durch. Wir lernen, was eine Brettljausn ist und was ein Heuriger. Wir gehen aufs Volksfest und wohnen einem Wettsaufen bei.
Der Erzählton erhebt sich zwischendurch zwar manchmal ins Neblige, was in einigen Passagen gekünstelt wirkt: "Der Wald lebt, das Dorf ist tot. Der Wald lebt, Onkel Beppo ist tot. Der Wald wird leben, und ich werde tot sein." Das stört allerdings nicht sonderlich, weil die Rückblenden auf Beppos Leben und Hugos Dialoge mit der Verwandtschaft ein rauhes, flapsiges Gegengewicht liefern. Mitunter meint man, die eingängigen, irgendwie absichtlich ungelenken Denglisch-Poptexte von Ja, Panik herauszuhören. Im Roman spricht eine der beiden Amerikanerinnen die große Zeile: "Looks like you made tough boy piss his pants - or how do you say? Angebrunzt?"
Seinem zentralen Motiv, der Zerbrechlichkeit allzu selbstsicherer Maskulinität, nähert sich Janata in variierender Schärfe anhand von Hugos Vater, der seiner Frau beim Herumhantieren mit einem Gewehr versehentlich ein Loch ins Bein schießt, Hugos bulligem Peiniger aus Schulzeiten und Onkel Beppo, den Hugo immer für einen Underberg kippenden Waldbodenkerl gehalten hat. Der war er auch - aber nicht ausschließlich. Er hatte Geheimnisse. Mehr als mysteriöse Verwandte in Amerika.
Irgendwann lässt der Roman gekonnt gleichsam eine Tür angelehnt, gerade lange genug, um so viele Gesprächsfetzen zu erhaschen, dass ein Anflug von Verstehen möglich wird. Dann fällt die Tür ins Schloss. Was sich offenbart, ist eine Art alternativer feministischer Dorfgeschichte, die den Leser sich gerade hinsetzen lässt mit dem Verlangen, das Ohr an die Tür zu legen und den Rest zu hören. Die Wahrheit ist ja auch nur eine sogenannte.
CORNELIUS DIECKMANN
Sebastian Janata:
"Die Ambassadorin".
Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 320 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Meine sogenannte Heimat: In Sebastian Janatas Debütroman entdeckt ein Rückkehrer in seinem Kindheitsdorf eine familiäre Parallelvergangenheit.
Nein, Fernweh nach dem Land bekommt der Städter nicht bei diesen Beschreibungen des Nordburgenlandes, "einer idyllischen Gegend, die, zwar arm an geistigem Kapital, umso reicher ist an Wein und Kirschen", "einem Ort, wo die Sprechweise der Menschen häufig an das Bellen großer Hunde erinnerte". Der so denkt, heißt Hugo Navratil, was auf Tschechisch so viel wie "Heimkehrer" bedeutet. In seiner Wahlheimat Berlin, in der die Menschen ja auch nicht gerade für säuselnde Töne bekannt sind, hat er eine tiefe Abneigung gegenüber seiner ostösterreichischen Herkunft entwickelt. Man versteht das. Auswärts bellen die Hunde schöner.
Und doch ist "Die Ambassadorin", Sebastian Janatas Debütroman, kein klassisches Provinzbashing. Hugo kommt - und das ist durchaus wörtlich zu verstehen - am Ende nicht so gut weg, wie man zunächst vermutet. Über das Dorf, dessen vermeintlich kleingeistigen Menschenschlag er längst durchschaut zu haben glaubt, lernt er plötzlich doch Neues. Nuanciertes. Gar nicht Verachtenswertes. Er lernt sogar etwas über urbane Arroganz.
Hugos Heimreise ist eine Pflichtveranstaltung. Zur Beerdigung seines Großvaters, genannt Onkel Beppo, versammelt sich die Familie an ihrem Stammsitz. Trotz der liebevollen Beziehung, die Hugo zu seinem Großvater hatte, muss er feststellen, dass er keine Trauer zu fühlen imstande ist. "Ich habe mit Beppo, wenn ich so darüber nachdenke, nie ein richtiges Gespräch geführt . . . Ich habe keine Ahnung, wer mein Großvater war. Ist das nicht traurig? Ist das nicht zum Weinen?" Was Hugo in der Erinnerung an Beppo widerwillig einsieht, fällt ihm hinsichtlich der Dorfgemeinschaft im Allgemeinen erst viel später auf: Er kennt alles, er weiß nichts.
Als sich ihm auf dem Begräbnis zwei Amerikanerinnen vorstellen, angeblich Verwandte, und das Gespräch eher drohend denn fragend auf ein kostbares Gewehr aus dem Nachlass des passionierten Jägers Beppo lenken, wird Hugos Heimkehr zur ohnmächtigen Torkelei, in der sich stellenweise ein Dorfthriller anzubahnen scheint. Wie Agentinnen tauchen die Frauen immer dann auf, wenn Hugo es am wenigsten erwartet. Ihre Forderungen werden expliziter.
Wäre "Die Ambassadorin" ein Film, wüsste man lange nicht, ob man ein Drama sieht oder eine Komödie. Geheimniskrämerei changiert mit niedrigschwelligem Humor. Hugos Missmut lässt sich schon daran ablesen, dass insgesamt sechzehnmal die abschätzige Distanzierung "sogenannt" vorkommt, als sei in dem Ort alles fehlbetitelt und seine Einwohner zu stumpf, um es zu merken. Hugo will sich an seiner Heimat rächen, doch die rächt sich an ihm. Nachts verunziert er volltrunken "das sogenannte Kriegerdenkmal" des Dorfs. Den eigentlichen Denkmalsturz vollzieht er aber, als er selbst, Gesicht voran, in sein verrichtetes Werk stolpert. Eine Bekannte gabelt ihn auf und reicht ihm unbeeindruckt Taschentücher und Schnaps. Sein Großvater sei ja auch so einer gewesen, sagt sie. "W-wieso? Hat der auch vor die Kirche geschissen?"
Janata - 1988 im Burgenland geborener und heute in Berlin lebender Schlagzeuger der Popband Ja, Panik - versteht es gut, sein Setting mal verächtlich, mal liebevoll zu zeichnen. Der nahe See ist "immerbraun", das Tal, in dem er liegt, eine geologische "Arschritze", links und rechts "das sogenannte Leithagebirge". Später seufzt dann wieder "dieser Wind, den ich so liebe, der einem flüstert, ja, es existiere, dieses andere Leben, irgendwo und irgendwann". Ungeachtet einer Passage in Wien und einer schmalen Berliner Rahmenhandlung, ist der Roman eine Lokalerzählung durch und durch. Wir lernen, was eine Brettljausn ist und was ein Heuriger. Wir gehen aufs Volksfest und wohnen einem Wettsaufen bei.
Der Erzählton erhebt sich zwischendurch zwar manchmal ins Neblige, was in einigen Passagen gekünstelt wirkt: "Der Wald lebt, das Dorf ist tot. Der Wald lebt, Onkel Beppo ist tot. Der Wald wird leben, und ich werde tot sein." Das stört allerdings nicht sonderlich, weil die Rückblenden auf Beppos Leben und Hugos Dialoge mit der Verwandtschaft ein rauhes, flapsiges Gegengewicht liefern. Mitunter meint man, die eingängigen, irgendwie absichtlich ungelenken Denglisch-Poptexte von Ja, Panik herauszuhören. Im Roman spricht eine der beiden Amerikanerinnen die große Zeile: "Looks like you made tough boy piss his pants - or how do you say? Angebrunzt?"
Seinem zentralen Motiv, der Zerbrechlichkeit allzu selbstsicherer Maskulinität, nähert sich Janata in variierender Schärfe anhand von Hugos Vater, der seiner Frau beim Herumhantieren mit einem Gewehr versehentlich ein Loch ins Bein schießt, Hugos bulligem Peiniger aus Schulzeiten und Onkel Beppo, den Hugo immer für einen Underberg kippenden Waldbodenkerl gehalten hat. Der war er auch - aber nicht ausschließlich. Er hatte Geheimnisse. Mehr als mysteriöse Verwandte in Amerika.
Irgendwann lässt der Roman gekonnt gleichsam eine Tür angelehnt, gerade lange genug, um so viele Gesprächsfetzen zu erhaschen, dass ein Anflug von Verstehen möglich wird. Dann fällt die Tür ins Schloss. Was sich offenbart, ist eine Art alternativer feministischer Dorfgeschichte, die den Leser sich gerade hinsetzen lässt mit dem Verlangen, das Ohr an die Tür zu legen und den Rest zu hören. Die Wahrheit ist ja auch nur eine sogenannte.
CORNELIUS DIECKMANN
Sebastian Janata:
"Die Ambassadorin".
Roman.
Rowohlt Verlag, Hamburg 2020. 320 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensent Cornelius Dieckmann hat seine Freude an Sebastian Janatas Debütroman. Nicht gerade ein klassischer Heimatroman, eher eine "Lokalerzählung" aus dem Burgenland, von der Diekmann nicht zu sagen weiß, ob es eine Komödie oder eine Tragödie ist und die ihm zuletzt sogar den Blick eröffnet auf "eine Art feministische Dorfgeschichte". Zuvor geht's ums Heimkehren, um Großvätergeheimnisse und Besäufnisse, um die Enge des Tals und die Sehnsucht nach der weiten Welt, erklärt der Rezensent. Was eine Brettljausn ist, lernt Dieckmann überdies, der sich nur manchmal stört an nebligen Passagen. Die rauhen Dialoge gefallen ihm so gut, dass er das Verlangen verspürt, das "Ohr an die Tür" zu legen, um mehr zu hören.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Der Debütroman des Musikers Sebastian Janata verbindet derben Humor mit fantastischem Krimi. Schön! Jochen Overbeck Spiegel Online 20200727