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Frankreich Ende der fünfziger Jahre. Überall im Land sind amerikanische Truppen. Marie-José und Patrick sind ein Liebespaar seit ihrer Kindheit. Auch in dem Dorf, in dem die beiden aufwachsen, ist eine Base der "Amerikanischen Besatzung". Faszination für die Amerikaner und Abscheu für die Besatzer teilen nicht nur das Dorf, der Gegensatz greift auch in die Pubertät von Marie-José und Patrick ein und beginnt, eine Jugendliebe zu zerstören.

Produktbeschreibung
Frankreich Ende der fünfziger Jahre. Überall im Land sind amerikanische Truppen. Marie-José und Patrick sind ein Liebespaar seit ihrer Kindheit. Auch in dem Dorf, in dem die beiden aufwachsen, ist eine Base der "Amerikanischen Besatzung". Faszination für die Amerikaner und Abscheu für die Besatzer teilen nicht nur das Dorf, der Gegensatz greift auch in die Pubertät von Marie-José und Patrick ein und beginnt, eine Jugendliebe zu zerstören.
Autorenporträt
Pascal Quignard, geb. 1948, zählt zu den renommiertesten Schriftstellern der Gegenwartsliteratur Frankreichs. Quignard hat zahlreiche Preise für sein Werk erhalten, das aus Romanen, Erzählungen und Essaybänden besteht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.08.2000

Herzen unter Besatzermacht
Nicht gerade epochal: Pascal Quignards Romanrückblick

Die Protagonisten einer Jugendliebe aus den fünfziger Jahren sitzen auf einer Uferbank an der Loire. Das Mädchen zieht einen Dolch aus der Tasche, stößt ihn unter geflüsterten Liebesworten dem Jungen in den Rücken und wendet die Klinge dann, schon im Wasser stehend, gegen sich selbst: Das Blut vermischt sich mit der Flut und treibt flußabwärts an den amerikanischen Armeecamps vorbei in Richtung Nantes bis zum Meer. So könnte dieser Epochenroman aus den Anfängen der Fünften Französischen Republik enden - wäre er von einem anderen Autor geschrieben. Nie würde Pascal Quignard sich aber eine so werthersche Szene erlauben. Er läßt seine Figuren den doppelten Liebestod nur imaginieren und das Mädchen dann mit geöffneten Adern in der Badewanne sterben.

Die historischen Einschübe vom Rückzug aus Indochina bis zu de Gaulles Ankündigung des Austritts aus der Nato treiben aber sehr wohl wie blutrote Farbmusterdem Horizont der großen Geschichte entgegen. "Wann endet der Krieg?" hebt der Roman gleich im Eingangssatz bombastisch an und holt noch weiter aus: Die Gegend von Orléans sei von den Kelten, den Germanen, den Römern, den Vandalen, den Alanen, den Franken, Normannen und Engländern, den Deutschen und eben den Amerikanern besetzt worden.

Das Okkupiertsein gerät bei Quignard, der in seinen bisher acht Romanen bald im alten Rom, bald im siebzehnten Jahrhundert des Kupferstechers Geoffroy Meaume oder im Glanz des Sonnenkönigs bei den Musikern Sainte Colombe und Marin Marais zu Hause war, zu einer epochal eingefärbten Grundbefindlichkeit. Mit den Liedern von Buddy Holly, dem Mythos von Coca-Cola und blonden Zigaretten, dem Reiz des Strümpfetragens und der plötzlich knisternden Alltagserotik verlagert sich vor den Kulissen des nächtlich auf die Mauern gepinselten "US go home" das Wort "Besatzung" vom politischen Begriff zur anschaulichen kulturhistorischen Metapher.

Der 1948 geborene Erzähler, Essayist und Verlagslektor Pascal Quignard schreibt aber alles andere als Historienliteratur, die romaneske Einzelschicksale effektvoll mit Zeitkulisse verstrickt. Vielleicht ist das mit ein Grund, warum er in Deutschland noch kaum bekannt ist, obwohl er in der französischen Gegenwartsliteratur längst seinen Platz hat. Statt durch ausschmückende Szenenschilderung besticht er durch eine Art subtil komponierter Metaliteratur voller Anspielungen. Trocken, spröde, ja dumpf fallen in diesem Roman die Jahreszahlen und Namen in den Fluß des narrativ flachen Gefälles. So ist die Erzähldynamik nie mitreißend, sondern bildet stets nur kleine Wirbel um die faktischen Fremdkörper im Handlungsverlauf: Diese Literatur ist mehr parabolische Andeutungskunst als ausmalende Wirklichkeitssuggestion.

Daß aus den Romanen dieses Autors dennoch erfolgreiche Kinofilme hervorgingen und auch "Die amerikanische Besatzung" gleichzeitig mit dem Erscheinen vor sechs Jahren von Alain Corneau verfilmt wurde, ist kein Widerspruch, sondern die Kehrseite dieses Verfahrens. Pascal Quignard, ein Meister der kleinen Form, des Apropos, des scheinbar beiläufigen Lesenotats und des spekulativen Impromptus, versteht sich besser aufs knappe Zusammenschneiden als auf die üppige Szenenkomposition. So ist diese Geschichte von der zerbrechenden Jugendliebe zwischen Patrick und Marie-José am dörflichen Ufer der Loire dort am gelungensten, wo sie knapp und trocken die Tempowechsel der Zeitenwende einfängt. Unweigerlich bricht die anfänglich zwischen den toten Flußarmen, Sandbänken und verborgenen Angelbuchten geborgene, nach wilder Minze und Brombeeren duftende Kinderwelt auf im Kontakt mit dem amerikanischen Armeecamp und läßt eine Fülle parabolischer Bildminiaturen des Generationenwechsels hereinströmen.

Ritualhaft stampfen die halbwüchsigen Spielgenossen Patrick und Marie-José ihre Dinky-Toys-Autos, Puppenkochtöpfe und Plastiksoldaten ins ausgebuddelte Erdloch und schwören sich, aus der Kirche gestohlene Hostien schluckend, ewige Treue im erträumten Amerika. Die Szene wird zum Initiationsritus, wenn das Mädchen den Jungen freizügig unter dem hochgezogenen Rock die beim Graben entstandene kleine Verletzung am Schenkel sehen läßt. Nicht solch archetypisch schuldloses Kinderblut wird aber das Schicksal dieser ersten Nachkriegsgeneration besiegeln. Bald spritzt vielmehr das Blut ganz anders, wenn beim Nähen der Platzwunde, die sich Patrick im Kampf gegen die nächtlichen "US go home"-Schmierer zuzog, die Tropfen am Pullover der amerikanischen Leutnantstochter Trudy Wadd hängenbleiben und langsam aufgesogen werden. Die Sinnbilderfülle des Romans schwappt allerdings oft auch über. Wenn die verlassene Marie-José dem auf Bill Haley, Gene Vincent und Elvis Presley abfahrenden Jugendfreund Patrick unter dröhnendem Hubschrauberlärm der amerikanischen Air Force die Gedichte von François Villon zitiert, sitzt der Sinn faustdick zwischen den Zeilen. Auch das Bild von den über den Rundfunkapparat gebeugten Eltern, die vor lauter Schlagzeuglärm des Sohns die feinen Dialoge des Hörspielautors Jean Giraudoux nicht mehr verstehen, wirkt reichlich strapaziert.

Was in den kritischen und spekulativen Texten Pascal Quignards beziehungsreich flimmert, gerät in diesem Roman leicht in den Sog zähflüssiger Featureliteratur. Dem leistet auch die manchmal etwas knarrende Übersetzung, die das Partizipialadjektiv "erobert" zu "desto eroberter" steigert, keine Abhilfe. Die wunderbar kühne Setzung des Romantitels von einer "amerikanischen Besatzung" Frankreichs ist narrativ im Sand des Loire-Ufers steckengeblieben.

JOSEPH HANIMANN.

Pascal Quignard: "Die amerikanische Besatzung". Roman. Aus dem Französischen übersetzt von Jörg Aufenanger. Kowalke Verlag, Berlin. 210 S., geb., 39,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.07.2000

Flucht nach Heilbronn
Deutsche Premiere des Franzosen Pascal Quignard mit dem Roman „Die amerikanische Besatzung”
Pubertätsromane sind Gefühlsthriller. Alles wird ausprobiert, ohne die Gewissheit, wohin der Weg führt. Dennoch ist das Déjà-vu garantiert: das Ausleuchten der allseits bekannten pubertären Stimmungslagen von Weltschmerz, Verweigerung und Elternhass, von Fernweh und erster Liebe.
Pascal Quignard, Jahrgang 1948, umgeht die Fallschlingen von Wehleidigkeit und gefühliger Seelenschau jedoch souverän – sicher auch dank seiner langjährigen Erfahrungen als Lektor im Pariser Verlagshaus Gallimard. Er verwebt eine aufstörende Liebesgeschichte mit einem kaum bekannten historischen Kontext, der gerade deutsche Leser neugierig machen dürfte: der Präsenz von 27 000 GIs im Frankreich der fünfziger Jahre.
Natürlich waren die USA de facto keine Besatzungsmacht, sondern verbündetes Nato-Mitglied. Doch geisterte immer noch das Trauma der deutschen Besatzung von 1940 bis 1944 durch die Köpfe, das Trauma der Niederlage und der Kollaboration mit den Nazis. Mit einem Wort: Nicht nur den Pubertierenden mangelt es in Pascal Quignards Roman „Die amerikanische Besatzung” an Orientierung, sondern auch dem brüchtig gewordenen, einst so hybriden französischen Nationalbewusstsein.
In Meung-sur-Loire, einem kleinen, neben einer US-Basis gelegenen Dorf bei Orléans, ist die Allgegenwart des Fremden eine ständige Provokation. Die Elterngeneration empfindet die amerikanische Kultur als Bedrohung, ja, als schmachvolles Symbol fortgesetzter Abhängigkeit. Für die Jugend dagegen ist sie eine willkommene Möglichkeit, um auf Distanz zum heimischen Herd zu gehen – so auch für Marie-José und Patrick, die seit frühester Kindheit „ihre Nöte aneinander gekettet” haben und als unzertrennlich gelten. Beim Wühlen im Müll der US-Kaserne ist Amerika für sie zum Land der Verheißung geworden, zum magischen Fluchtpunkt einer besseren Zukunft. Während ihrer Pubertät jedoch mutiert ihr Fernweh zur Selbstlüge, da es nur noch dazu dient, die tiefe Krise ihrer Liebe zu verdrängen.
Nicht nur die erwachende Körperlust, die die Freundschaft von Marie-José und Patrick einreißt, beschreibt Pascal Quignard ohne Pathetik. Auch ihre intellektuelle Entwicklung seziert er mit genauem Gespür für die verstörende Widersprüchlichkeit der Gedanken und Gefühle. „Glaubensnahrung” finden sie beim aufmüpfigen Pianisten Ridelsky alias Rydell, der sie für den Jazz der Schwarzen begeistert. So ist es schließlich auch ein schwarzer Offizier, der die Tragödie ins Rollen bringt. Erst ebnet er Patrick den Weg für eine Karriere als Schlagzeuger, dann beginnt er eine Affäre mit Marie-José.
Sex, Drogen, Musik, Konsum: Mit der Offenheit für das Neue wächst auch der Hang zur Selbstzerstörung. Guru Rydell wird alkohol-, ja heroinabhängig. Marie-José versteigt sich in die romantische Vorstellung, dass nur ein gemeinsamer Selbstmord die Liebe zu Patrick retten könne. Und Patrick flüchtet, nachdem er ihren einsamen Suizid nicht verhindert hat, in die Trostlosigkeit des Exils – allerdings, so die bittere Ironie, nicht, wie so lange geplant, in Richtung Westen, um in Amerika sein Glück zu suchen, sondern gen Osten, ins baden-württembergische Heilbronn.
Die amerikanische Besatzung” ist ein trauriger, doch nie larmoyanter Entwicklungsroman. Er zeigt die Ortlosigkeit der Heranwachsenden, ihre oft blindwütige Bereitschaft zur Identifikation, ihr Pendeln zwischen Idealismus und Lebensüberdruss. In Pascal Quignard hat der kleine Kowalke Verlag als Auftakt zu seiner „Französischen Bibliothek” einen Schriftsteller entdeckt, der im französischen Literaturbetrieb längst eine feste Größe ist, einen Autor mit einem knappen, zupackenden Stil, einem ganz eigenen, sensibel-distanzierten Ton.
CHRISTOPH VORMWEG
PASCAL QUIGNARD: Die amerikanische Besatzung. Roman. Aus dem Französischen von Jörg Aufenanger. Kowalke & Co. Verlag, Berlin 2000. 210 Seiten, 39 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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"Pascal Quignard erweist sich als der einfallsreichste und als der bedeutendste Erneuerer unter den Schriftstellern von heute." (Le Monde)
"Ein einzigartiger Roman voller dunkler und bitterer Strudel. Ein schöner Roman, dessen Szenen lange in uns gären werden." (Le Figaro)