Israel ist die einzige etablierte Demokratie im Nahen Osten, doch die fortdauernde Besetzung und illegale Besiedlung der 1967 eroberten Gebiete hinterlassen ihre Spuren. Peter Beinart zeigt in diesem Buch, warum sich immer weniger junge amerikanische Juden mit Israel identifizieren. Er schildert den Zusammenstoß zwischen Obama und Netanjahu über die Nahostpolitik der USA und beschreibt das Versagen der amerikanischen jüdischen Organisationen, die sich kritiklos in den Dienst der israelischen Regierung stellen und damit ihre eigenen liberalen Wurzeln verraten.
Anders als noch vor 50 Jahren besteht, so die zentrale These dieses Buches, das Problem nicht mehr in der Schwäche des jüdischen Volkes. Vielmehr ist die wichtigste Aufgabe der Gegenwart, mit der Macht, die der jüdische Staat besitzt, richtig umzugehen. Dieser Herausforderung werden die israelische Regierung und die amerikanischen jüdischen Organisationen nicht gerecht. In Israel unterhöhlt die Besatzungspolitik die Demokratie. In den USA entfremdet die kritiklose Unterstützung der israelischen Politik durch Lobby-Organisationen wie AIPAC viele junge liberale Juden dem Zionismus. Schon in der nächsten Generation könnten die amerikanischen jüdischen Organisationen von Ultraorthodoxen dominiert werden. Beides zusammen könnte das Ende bedeuten für den Traum liberaler Zionisten, zu deren profiliertesten Vertretern Peter Beinart gehört: den Traum von einem Staat, der das jüdische Volk schützt und gleichzeitig demokratisch ist.
Anders als noch vor 50 Jahren besteht, so die zentrale These dieses Buches, das Problem nicht mehr in der Schwäche des jüdischen Volkes. Vielmehr ist die wichtigste Aufgabe der Gegenwart, mit der Macht, die der jüdische Staat besitzt, richtig umzugehen. Dieser Herausforderung werden die israelische Regierung und die amerikanischen jüdischen Organisationen nicht gerecht. In Israel unterhöhlt die Besatzungspolitik die Demokratie. In den USA entfremdet die kritiklose Unterstützung der israelischen Politik durch Lobby-Organisationen wie AIPAC viele junge liberale Juden dem Zionismus. Schon in der nächsten Generation könnten die amerikanischen jüdischen Organisationen von Ultraorthodoxen dominiert werden. Beides zusammen könnte das Ende bedeuten für den Traum liberaler Zionisten, zu deren profiliertesten Vertretern Peter Beinart gehört: den Traum von einem Staat, der das jüdische Volk schützt und gleichzeitig demokratisch ist.
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Man kann ihn ja nicht mehr hören, diesen Jammerton, den auch Heiko Flottau zu Beginn seiner Besprechung von Peter Beinarts Buch über "Die amerikanischen Juden und Israel" anschlägt: Ein Deutscher dürfte so etwas nie sagen! Aber zum Glück ist Beinart ein amerikanischer Jude und Flottau auf der sicheren Seite. Beinart schildert in seinem Buch, wie sich die großen jüdischen Organisationen in den USA wie die Anti Defamation League oder das American Jewish Committee von liberalen Unterstützern eines progressiven zionistischen Projekts in ihr Gegenteil gewandelt haben. Und Flottau ebenfalls sehr beeindruckt hat Beinarts Schilderung, wie Präsident Barack Obama resigniert hat, nachdem er von den amerikanischen Juden quasi im Stich gelassen und von Premierminister Benjamin Netanjahu "gedemütigt" wurde.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.04.2013Totengräber der Demokratie
Der orthodoxe Jude Peter Beinart attackiert die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik
Peter Beinart ist orthodoxer Jude, geboren 1971, Journalist und Professor für Politikwissenschaft an der City University in New York; seine Eltern sind nach dem Zweiten Weltkrieg aus Südafrika in die Vereinigten Staten eingewandert. Gleich in der Einleitung seines Buches teilt er uns mit, dass er "ruhiger schläft in dem Wissen, dass es einen Staat für die Juden gibt". Ein Video, das ihm ein israelischer Freund 2010 schickte, brachte ihn um den Schlaf. Es zeigte eine Alltagsszene in der Westbank: ein Palästinenser, der Wasser gestohlen hatte, wurde von israelischen Polizisten verhaftet, in einen Gefangenentransporter geschleppt. Dann schwenkte die Kamera auf einen fünf Jahre alten Jungen, der verzweifelt versuchte, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, und nach seinem Vater schrie. In der Vergangenheit hatte Beinart auf Berichte über das Leid der Palästinenser mit Rechtfertigungsversuchen reagiert.
Dieses Video änderte alles. Ihm wurde klar, dass er und mit ihm die amerikanischen Juden helfen müssen, die Besatzung der Palästinensergebiete zu beenden, die seiner Meinung nach die Ideale der israelischen Staatsgründung entweiht. Dafür sollte dieses Buch dienen. Immer wieder zitiert Beinart diese Ideale, die im Mai 1948 formuliert worden waren. Die Staatsgründer hatten versprochen, Israel werde "all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen" und "Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten" anstreben. Bis zum Sechstagekrieg 1967 war Israel schwach; im Kampf gegen seine Gegner galt das Motto "Auge um Auge, Zahn um ein Gebiss", wie es ein hoher israelischer Militär einmal formulierte. Der Sieg gegen die Araber relativierte das Trauma der Vernichtung Israels durch seine arabischen Nachbarn. Bis zu dem Punkt erzählt Beinart nichts Neues, stützt sich auf vorhandene Literatur, um dann zum eigentlichen Kern seines Buches zu kommen, nämlich zur "bedrückenden Aussicht" für die amerikanischen Juden (ungefähr sechs Millionen), dass der jüdische Staat "noch zu unseren Lebzeiten sterben könnte". Seiner Meinung nach ist es fünf vor zwölf: "Der Tag ist nicht fern." Und alles wegen der jüdischen Siedlungs- und Besatzungspolitik. Beinart äußert beißende Kritik an der Führung der amerikanischen Juden, die dies als moralisches Recht Israels betrachten, als sicherheitspolitische Notwendigkeit oder eine Last, deren sich Israel liebend gerne entledigen würde - was es jedoch nicht kann, weil die Palästinenser in Wirklichkeit keinen Staat wollen, der Seite an Seite mit Israel existiert.
Was ist die Konsequenz? Kann es mit mehr als 300 000 Siedlern in der Westbank - und täglich werden es mehr - und 200 000 Juden in Ostjerusalem einen palästinensischen Staat geben? Wenn nicht - und die Westbank bleibt dauerhaft besetzt, ohne den Palästinensern umfassende Bürgerrechte zu geben -, wird Israel nach Meinung Beinarts "ein jüdischer Staat auf der Grundlage der Apartheid". Hält Israel aber die demokratischen Zusagen seiner Gründer gegenüber allen Menschen in seinem Herrschaftsgebiet ein, "wird es als jüdischer Staat Selbstmord begehen".
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Faszinierend ist Beinarts Analyse von Präsident Obamas gescheitertem Bemühen, einen Siedlungsstopp zu erreichen. Das jüdische Establishment in den Vereinigten Staaten war zu stark. Obama mochte in vielen Ländern populär sein, in Israel war er es nicht (in einer Umfrage aus dem Jahr 2009 hielten 39 Prozent der Israelis Obama für einen Muslim). Daran änderte auch sein - erster! - Besuch als Präsident in Israel im März 2013 nichts. Der Gegenspieler von ihm - und vorher schon von Präsident Clinton - ist Ministerpräsident Netanjahu. Der ehemalige Pressesprecher von Clinton, Joe Lockhart, bezeichnete ihn als "einen der übelsten Menschen, denen man begegnen kann - er ist einfach ein Lügner und ein Betrüger". Und der vor allem die Gründung eines palästinensischen Staates bislang verhindert habe und - so Beinart - niemals einen solchen Staat akzeptieren werde, egal, was er öffentlich erklärt.
Für Beinart steht daher fest: Wenn das organisierte amerikanische Judentum Netanjahus Politik weiter unterstützt (wovon er ausgeht), "dann könnten die amerikanischen Juden zum Totengräber der israelischen Demokratie werden". Beinarts Hoffnung sind jene jungen amerikanischen Juden, denen ihre jüdische Identität viel bedeutet und die ebendeshalb unter der Politik Israels leiden. Bis zu diesem Punkt bewegt sich Beinart mehr oder weniger in bekannten Bahnen. Dann aber kommt es: Sein Vorschlag zur Lösung des Problems und zur "Rettung" des Zionismus löste in den Vereinigten Staaten eine heftige Kontroverse aus - verbunden mit Angriffen gegen Beinart wegen angeblich falscher Fakten, etwa bei dem Punkt, wie viele amerikanische Juden die Siedlungspolitik tatsächlich unterstützen. Hier schwanken die Zahlen erheblich.
Beinart schlägt vor, die Westbank als "Undemokratisches Israel" zu bezeichnen. Diese Bezeichnung verrate, dass es zwei Israel gebe: "Das eine ist eine fehlerhafte, aber echte Demokratie innerhalb der Grünen Linie" der Waffenstillstandslinie von 1949, "das andere eine undemokratische Ethnokratie östlich dieser Linie". Die Bezeichnung "Undemokratisches Israel" entlarve auch die Versuche israelischer Politiker, die Legitimität des demokratischen Israels zu missbrauchen, um die Besatzung des Gebiets westlich des Jordans zu legitimieren.
Gleichzeitig plädiert Beinart dafür, die jüdischen Siedlungen und ihre Erzeugnisse zu boykottieren (was übrigens so neu nicht ist: die Europäische Union hat das ihren Mitgliedstaaten offiziell empfohlen), dies allerdings verbunden mit der Aufforderung, dass diese Juden sich wieder auf ihre Mission besinnen sollten, sie entweder ins demokratische Israel zurückkehren oder sich bereit erklären, als gleichberechtigte Bürger in einem palästinensischen Staat zu leben: "Wir sehnen den Tag herbei, an dem unser Volk wieder eins werden wird, indem es sich erneut zu den Prinzipien der israelischen Unabhängigkeitserklärung bekennt." Denn, so Beinart, "der Staat der Juden darf nicht irgendein Staat sein".
ROLF STEININGER
Peter Beinart: Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft. Verlag C. H. Beck, München 2013. 320 S., 24,95 [Euro].
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Der orthodoxe Jude Peter Beinart attackiert die israelische Siedlungs- und Besatzungspolitik
Peter Beinart ist orthodoxer Jude, geboren 1971, Journalist und Professor für Politikwissenschaft an der City University in New York; seine Eltern sind nach dem Zweiten Weltkrieg aus Südafrika in die Vereinigten Staten eingewandert. Gleich in der Einleitung seines Buches teilt er uns mit, dass er "ruhiger schläft in dem Wissen, dass es einen Staat für die Juden gibt". Ein Video, das ihm ein israelischer Freund 2010 schickte, brachte ihn um den Schlaf. Es zeigte eine Alltagsszene in der Westbank: ein Palästinenser, der Wasser gestohlen hatte, wurde von israelischen Polizisten verhaftet, in einen Gefangenentransporter geschleppt. Dann schwenkte die Kamera auf einen fünf Jahre alten Jungen, der verzweifelt versuchte, sich einen Weg durch die Menschenmenge zu bahnen, und nach seinem Vater schrie. In der Vergangenheit hatte Beinart auf Berichte über das Leid der Palästinenser mit Rechtfertigungsversuchen reagiert.
Dieses Video änderte alles. Ihm wurde klar, dass er und mit ihm die amerikanischen Juden helfen müssen, die Besatzung der Palästinensergebiete zu beenden, die seiner Meinung nach die Ideale der israelischen Staatsgründung entweiht. Dafür sollte dieses Buch dienen. Immer wieder zitiert Beinart diese Ideale, die im Mai 1948 formuliert worden waren. Die Staatsgründer hatten versprochen, Israel werde "all seinen Bürgern ohne Unterschied von Religion, Rasse und Geschlecht soziale und politische Gleichberechtigung verbürgen" und "Freiheit, Gerechtigkeit und Frieden im Sinne der Visionen der Propheten" anstreben. Bis zum Sechstagekrieg 1967 war Israel schwach; im Kampf gegen seine Gegner galt das Motto "Auge um Auge, Zahn um ein Gebiss", wie es ein hoher israelischer Militär einmal formulierte. Der Sieg gegen die Araber relativierte das Trauma der Vernichtung Israels durch seine arabischen Nachbarn. Bis zu dem Punkt erzählt Beinart nichts Neues, stützt sich auf vorhandene Literatur, um dann zum eigentlichen Kern seines Buches zu kommen, nämlich zur "bedrückenden Aussicht" für die amerikanischen Juden (ungefähr sechs Millionen), dass der jüdische Staat "noch zu unseren Lebzeiten sterben könnte". Seiner Meinung nach ist es fünf vor zwölf: "Der Tag ist nicht fern." Und alles wegen der jüdischen Siedlungs- und Besatzungspolitik. Beinart äußert beißende Kritik an der Führung der amerikanischen Juden, die dies als moralisches Recht Israels betrachten, als sicherheitspolitische Notwendigkeit oder eine Last, deren sich Israel liebend gerne entledigen würde - was es jedoch nicht kann, weil die Palästinenser in Wirklichkeit keinen Staat wollen, der Seite an Seite mit Israel existiert.
Was ist die Konsequenz? Kann es mit mehr als 300 000 Siedlern in der Westbank - und täglich werden es mehr - und 200 000 Juden in Ostjerusalem einen palästinensischen Staat geben? Wenn nicht - und die Westbank bleibt dauerhaft besetzt, ohne den Palästinensern umfassende Bürgerrechte zu geben -, wird Israel nach Meinung Beinarts "ein jüdischer Staat auf der Grundlage der Apartheid". Hält Israel aber die demokratischen Zusagen seiner Gründer gegenüber allen Menschen in seinem Herrschaftsgebiet ein, "wird es als jüdischer Staat Selbstmord begehen".
Wie konnte es überhaupt so weit kommen? Faszinierend ist Beinarts Analyse von Präsident Obamas gescheitertem Bemühen, einen Siedlungsstopp zu erreichen. Das jüdische Establishment in den Vereinigten Staaten war zu stark. Obama mochte in vielen Ländern populär sein, in Israel war er es nicht (in einer Umfrage aus dem Jahr 2009 hielten 39 Prozent der Israelis Obama für einen Muslim). Daran änderte auch sein - erster! - Besuch als Präsident in Israel im März 2013 nichts. Der Gegenspieler von ihm - und vorher schon von Präsident Clinton - ist Ministerpräsident Netanjahu. Der ehemalige Pressesprecher von Clinton, Joe Lockhart, bezeichnete ihn als "einen der übelsten Menschen, denen man begegnen kann - er ist einfach ein Lügner und ein Betrüger". Und der vor allem die Gründung eines palästinensischen Staates bislang verhindert habe und - so Beinart - niemals einen solchen Staat akzeptieren werde, egal, was er öffentlich erklärt.
Für Beinart steht daher fest: Wenn das organisierte amerikanische Judentum Netanjahus Politik weiter unterstützt (wovon er ausgeht), "dann könnten die amerikanischen Juden zum Totengräber der israelischen Demokratie werden". Beinarts Hoffnung sind jene jungen amerikanischen Juden, denen ihre jüdische Identität viel bedeutet und die ebendeshalb unter der Politik Israels leiden. Bis zu diesem Punkt bewegt sich Beinart mehr oder weniger in bekannten Bahnen. Dann aber kommt es: Sein Vorschlag zur Lösung des Problems und zur "Rettung" des Zionismus löste in den Vereinigten Staaten eine heftige Kontroverse aus - verbunden mit Angriffen gegen Beinart wegen angeblich falscher Fakten, etwa bei dem Punkt, wie viele amerikanische Juden die Siedlungspolitik tatsächlich unterstützen. Hier schwanken die Zahlen erheblich.
Beinart schlägt vor, die Westbank als "Undemokratisches Israel" zu bezeichnen. Diese Bezeichnung verrate, dass es zwei Israel gebe: "Das eine ist eine fehlerhafte, aber echte Demokratie innerhalb der Grünen Linie" der Waffenstillstandslinie von 1949, "das andere eine undemokratische Ethnokratie östlich dieser Linie". Die Bezeichnung "Undemokratisches Israel" entlarve auch die Versuche israelischer Politiker, die Legitimität des demokratischen Israels zu missbrauchen, um die Besatzung des Gebiets westlich des Jordans zu legitimieren.
Gleichzeitig plädiert Beinart dafür, die jüdischen Siedlungen und ihre Erzeugnisse zu boykottieren (was übrigens so neu nicht ist: die Europäische Union hat das ihren Mitgliedstaaten offiziell empfohlen), dies allerdings verbunden mit der Aufforderung, dass diese Juden sich wieder auf ihre Mission besinnen sollten, sie entweder ins demokratische Israel zurückkehren oder sich bereit erklären, als gleichberechtigte Bürger in einem palästinensischen Staat zu leben: "Wir sehnen den Tag herbei, an dem unser Volk wieder eins werden wird, indem es sich erneut zu den Prinzipien der israelischen Unabhängigkeitserklärung bekennt." Denn, so Beinart, "der Staat der Juden darf nicht irgendein Staat sein".
ROLF STEININGER
Peter Beinart: Die amerikanischen Juden und Israel. Was falsch läuft. Verlag C. H. Beck, München 2013. 320 S., 24,95 [Euro].
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