Besser lewe wie sterwe
Im Nachwort dieses Buches, um mal ganz am Ende zu beginnen, erläutert der bekannte Filmregisseur Edgar Reitz seine Motive, warum er den Autor beauftragt hat, «unseren Recherchen, Gesprächen, Motivsuchen im Hunsrück und Spielen mit den Figuren der Schabbach-Geschichte in
einer freien literarischen Erzählung, unabhängig von jeglicher Filmdramaturgie, Ausdruck zu verleihen».…mehrBesser lewe wie sterwe
Im Nachwort dieses Buches, um mal ganz am Ende zu beginnen, erläutert der bekannte Filmregisseur Edgar Reitz seine Motive, warum er den Autor beauftragt hat, «unseren Recherchen, Gesprächen, Motivsuchen im Hunsrück und Spielen mit den Figuren der Schabbach-Geschichte in einer freien literarischen Erzählung, unabhängig von jeglicher Filmdramaturgie, Ausdruck zu verleihen». Herausgekommen ist dabei «Die andere Heimat», eine Erzählung aus dem Hunsrück, in welcher der vielseitig begabte Autor Gert Heidenreich, Ex-Mann der aus dem Fernsehen bekannten Literatur-Kritikerin Elke Heidenreich, das entbehrungsreiche ländliche Leben in der Mitte des 19ten Jahrhunderts beschreibt.
Schabbach heißt das kleine Dorf, in dem der Schmied Johann Simon seine Familie recht und schlecht durchbringen muss, wobei Schicksalsschläge und Naturkatastrophen seine Mühen immer wieder zunichte machen, seine Existenz bedrohen. Geschildert wird das unglaublich karge Leben fast aller Menschen in dieser Dorfgemeinschaft, einzig der Großbauer und Bürgermeister muss wohl nicht hungern. Waldfrevel ist deshalb an der Tagesordnung, man sammelt Pilze, Beeren, Eicheln, Bucheckern, natürlich auch Holz und anderes mehr, obwohl strenge Strafen drohen, wenn man erwischt wird. Die Kindersterblichkeit ist hoch, die medizinische Versorgung rudimentär, mit vierzig Jahren ist man alt. Jakob, jüngster Sohn des Schmieds, träumt vom besseren Leben in Brasilien, verschlingt geradezu alle Bücher über Südamerika und ist fest entschlossen, bei sich bietender Gelegenheit auszuwandern, in «die andere Heimat» also, um dort sein Glück zu machen. Es kommt anders, mehr sei hier aber nicht verraten.
Natürlich gibt es auch allerlei Liebesleid, Verwirrungen zwischen den Geschlechtern, es finden nicht immer die zusammen, die eigentlich zusammen gehören, und oft ist die Vernunft und wirtschaftliches Kalkül der Ehestifter, den Gefühlen zum Trotz. Der Autor entwickelt seine Geschichte in etlichen Rückblenden, seine diversen Figuren sind anschaulich und glaubhaft beschrieben, genau so, wie sie das karge Landleben geformt hat. Für fast alle Dialoge benutzt er die heimische Mundart, - was mich aber nicht weiter gestört hat, zu meinem Erstaunen, muss ich hinzufügen. Denn Fontanes Roman «Unterm Birnbaum» zum Beispiel, mit vielen Passagen in Plattdeutsch, ist für mich schlichtweg unlesbar, obwohl ich bekennender Fontane-Fan bin, - ich bin deshalb übrigens auf die Hörbuchversion mit Westphal ausgewichen, aber das nur nebenbei. Hier bei Gert Heidenreich nun verstärken seine, für mich jedenfalls, deutlich leichter lesbaren Mundart-Dialoge das Lokalkolorit, die zu vermittelnde Atmosphäre wird wunderbar homogen dadurch und wirkt überaus authentisch. Sprachlich ist die detailreich erzählte Geschichte geradlinig und unprätentiös angelegt, insgesamt jedoch ziemlich holzschnittartig wirkend, fast naiv. Leicht lesbar mithin, wobei allenfalls die beachtliche Figurenfülle, zusätzlich erschwert noch durch einige Namensvarianten, zu erhöhter Aufmerksamkeit (oder zum Spickzettel) zwingt.
Zweifellos ist dieses Buch vor allem auch ein Zeitdokument, gut recherchiert offenbar und ebenso komprimiert wie stimmig über ein heute weitgehend unbekanntes Milieu informierend, in jenen Zeiten angesiedelte Literatur bewegt sich ja sonst zumeist in Adelskreisen oder in der Bourgeoisie. Der Leser begegnet immer wieder einer erstaunlichen Gottergebenheit, ein Fatalismus übrigens, der fast allen Protagonisten zueigen ist und uns Heutige nun doch einigermaßen überrascht. Aber man trifft eben auch auf Figuren wie die vom Schicksal gebeutelte Lotte, die weinselig ihre schlichte Devise verkündet: «Besser lewe wie sterwe». Dem ist nichts hinzuzufügen.