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Produktdetails
  • Verlag: Czernin
  • Seitenzahl: 253
  • Abmessung: 195mm
  • Gewicht: 385g
  • ISBN-13: 9783707601244
  • ISBN-10: 3707601242
  • Artikelnr.: 09808346
  • Herstellerkennzeichnung
  • Die Herstellerinformationen sind derzeit nicht verfügbar.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 04.12.2001

Die dunkle Rückseite der Instinktlehre
Zwei Österreicher liefern neue Dokumente zum Fall Konrad Lorenz im Nationalsozialismus / Von Thomas Weber

Schließlich darf ich wohl sagen, daß meine ganze wissenschaftliche Lebensarbeit, in der stammesgeschichtliche, rassenkundliche und sozialpsychologische Fragen im Vordergrund stehen, im Dienste Nationalsozialistischen Denkens steht." Mit diesen Worten schließt der Antrag auf Aufnahme in die NSDAP, den Konrad Lorenz im Juni 1938 stellte. Als dem "Vater der Graugänse" 1973 der Nobelpreis für Medizin und Physiologie verliehen wurde, wagten sich Stimmen an die Öffentlichkeit, die sein Verhältnis zu den Nationalsozialisten und ihrer Ideologie heftig kritisierten. Bis zu seinem Tod im Jahr 1989 verfolgten Lorenz diese Vorwürfe, doch eine Schar ergebener Schüler sowie sein Ruf als ökologisches Gewissen der österreichischen Nation bewahrten ihn davor, weitreichende Eingeständnisse machen zu müssen.

Benedikt Föger und Klaus Taschwer, zwei junge österreichische Wissenschaftler und Publizisten, nehmen nun die Entdeckung neuer Dokumente zum Anlaß, in einer fesselnd geschriebenen biographischen Studie die Verstrickung von Konrad Lorenz in das Denken der Nationalsozialisten erneut zu dokumentieren. Nicht nur ein offenes politisches Bekenntnis wie der Aufnahmeantrag in die NSDAP, sondern auch eine Vielzahl von Arbeiten für ein psychologisches und biologisches Fachpublikum dienten Lorenz als Plattform zur Verbreitung seiner Botschaften. Die angebliche "Verhausschweinung" des Menschen machte Lorenz offensichtlich sehr zu schaffen. In wilden Analogieschlüssen übertrug er seine Erkenntnisse vom tierischen Verhalten auf den Menschen: Wie die Domestikation bei Tieren verursache die moderne Zivilisation die Degeneration der arterhaltenden, gesunden Instinkte des Menschen. Und die sich munter fortpflanzenden, "ethisch minderwertigen" Degenerierten müßten eben ausgemerzt werden, wobei Lorenz später immer wieder beteuerte, daß er mit Ausmerzung nie Mord gemeint habe.

Nur eine einzige ganz der nationalsozialistischen Ideologie verpflichtete Publikation war bisher weiter bekannt; sie ließ sich als oberflächliche Anbiederung an das Regime abtun. Föger und Taschwer stellen jedoch eine eindrucksvolle Auswahl anderer Veröffentlichungen und Briefe vor, in denen Lorenz Themen wie Eugenik, Domestikation und Degeneration mit Begeisterung aufgreift. Und die Verstrickung blieb nicht nur auf der theoretischen Ebene: Lorenz nahm während seines Militärdienstes in Posen an einer rassenpsychologischen Studie teil, die in der Bevölkerung des Warthegaus "wiedereindeutschungsfähige Deutschstämmige und Renegaten" auffinden sollte. Die Briefe von Lorenz an seine Kollegen, die Auszüge aus seinen Schriften und die Darstellung seiner Arbeiten in Posen machen es unmöglich, in ihm nur einen unpolitischen, opportunistischen Karrieristen und Mitläufer zu sehen. Wie Föger und Taschwer es treffend ausdrücken, war Lorenz ein engagierter Mitdenker, welcher der nationalsozialistischen Auslesepolitik, ob nun beabsichtigt oder nicht, wissenschaftliche Anerkennung verschuf. Leider erschöpft sich die Darstellung nahezu ausschließlich im Dokumentarischen. Die Schilderung läßt den Leser immer wieder neugierig werden, doch die erhoffte Erhellung der wechselseitigen Beeinflussung von wissenschaftlichen, kulturellen, sozialen und politischen Denkinhalten wird nie wirklich geleistet. Die Kontinuitäten und Brüche in Lorenz' Denken, ihre möglichen Ursachen und ihre Eingebundenheit in andere, nichtwissenschaftliche Diskurse bleiben weitgehend im dunkeln.

Ist es im Falle Lorenz möglich, saubere Wissenschaft und politische Kontaminationen eindeutig zu trennen? Es gibt durchaus mehrere Ansatzpunkte für eine Kontextualisierung der vergleichenden Verhaltensforschung mit ihren zentralen Kategorien von Instinkten, angeborenem Verhalten und Domestikation. Instinkte waren für Lorenz ein disziplinierendes Mittel in der von Gewalt und Konkurrenz durchsetzten Ordnung der Natur. Die zivilisatorisch bedingte Degeneration dieser angeborenen Verhaltenselemente mußte daher in dieser Sichtweise zu Chaos und langsamem Zerfall der modernen Gesellschaft führen. Zur Wiederherstellung einer "natürlichen" Ordnung innerhalb der Zivilisation boten sich also eugenische Mittel an, die auch auf degeneriertes Verhalten angewendet werden sollten. Die vergleichende Verhaltensforschung war darin sowohl ein Kind ihrer Zeit als auch wirklich innovativ. Wie es bis in die sechziger Jahre hinein üblich war, erkannte Lorenz in der Art - oder, je nach Bedarf und Publikum, im Volk oder der Rasse - die Gruppe, die von dem Wirken der natürlichen Auslese profitierte. Das Individuum als Akteur der Evolution betrat erst in den sechziger Jahren sichtbar die Bühne.

Eine wichtige Neuerung war aber die Einsicht, daß der Anstoß für Verhalten nicht nur von der Umwelt kommt, sondern daß das Gehirn selbst aktiv Verhalten auslösen kann. Iwan Pavlovs Reflexlehre und der Behaviorismus Skinnerscher Prägung waren die einzigen ernstzunehmenden Alternativen, die aber dem "seelischen" Innern von Organismen keine verhaltensauslösende Aktivität zugestanden. Lorenz erkannte in angeblich fest verdrahteten psychologischen Mechanismen, den Instinkten, die wie der Besitz von zwei Armen und zwei Beinen das biologische Wesen des Menschen ausmachen, Anpassungen an ein Leben in der "natürlichen" Umwelt des Menschen.

Bei Lorenz wirken die Anpassungen arterhaltend; das Einzelwesen muß hinter die Gruppeninteressen zurücktreten. Sein Denken illustriert beispielhaft die Denkfiguren und Gefahren jeder biologisch begründeten Kultur- und Zivilisationskritik. Ob es sich um die ersten darwinistischen Psychobiologen, um Verhaltensforscher oder zeitgenössische Evolutionspsychologen handelt, fast immer wird - bei allen Unterschieden - ein unabänderlicher, von der frühen Stammesgeschichte geformter biologischer Wesenskern des Menschen gesucht und gefunden, der mit Aspekten der modernen Zivilisation in ständigem Konflikt steht. So beruhte Lorenz' Instinktlehre grundlegend auf der prinzipiellen Unterscheidbarkeit von angeborenem, also evolutionär erworbenem, und erlerntem Verhalten. Natur und Zivilisation werden hier als Gegenpole aufgebaut, die bei der Formung jedes Individuums und des "Volkskörpers" um Vorrang ringen. Wird diese Perspektive durch einen zivilisationskritischen Blick ergänzt, dann verwundert eine Neigung zur eugenischen Wiederherstellung des Naturzustandes nicht sonderlich.

Sind aber diese schicksalhaften Instinkte - im Trend der Evolutionspsychologie liegen heute von der natürlichen Auslese geformte kognitive Module - objektiv erkennbare Erscheinungen bei Lebewesen? Bilden sie den positiven Kern einer auch kulturell und politisch eingebetteten Verhaltensforschung? Möglicherweise nicht, denn das Denken in Kategorien von unabänderlicher Natur und formbarer Kultur, von angeborenem und erworbenem Verhalten und von Anpassungen geht systematisch der Frage aus dem Weg, welche Mechanismen den individuellen Verhaltenserwerb ermöglichen und formen. Eine solche Kritik an Konrad Lorenz äußerte schon 1953 der amerikanische Psychologe Daniel S. Lehrman, der die Trennung von angeborenem und erworbenem Verhalten radikal in Frage stellte: Verhalten könne von der Evolution geformt sein, aber dennoch bis in viele kleinste Details durch individuelles Lernen erworben werden. Natur und Kultur bieten unabdingbare Ressourcen und immer wieder neue Optionen für die Entwicklung eines jeden Individuums. Die Erkenntnis, daß der Gegensatz von Natur und Kultur ein historisch bedingtes und für vielfältige Interessen nutzbares Deutungsschema ist, muß auch bei einem Urteil über die historische und politische Rolle der Verhaltensforschung bedacht werden.

Benedikt Föger, Klaus Taschwer: "Die andere Seite des Spiegels". Konrad Lorenz und der Nationalsozialismus. Czernin Verlag, Wien 2001. 254 S., geb., 45,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Diesen "jüngsten Versuch, sich einen Reim auf die geistige Hinterlassenschaft von Konrad Lorenz zu machen," hält Veronika Hofer vom methodischen Ansatz her für "problematisch, weil zahnlos". Der soziologische, einen ideengeschichtlichen Zugriff ausklammernde Ansatz der Autoren vermeidet ganz offenbar genau jene ideologiekritische Überschreitung von "mittlerweile standardisierten Selbstverständlichkeiten im Umgang mit Wissenschaftskarrieren im Nationalsozialismus," die das Material, die im Band präsentierten Quellen, für Hofer provozieren. Lorenz zum prototypischen Österreicher zu machen, ist der Rezensentin einfach viel zu p.c. Auf die im Vorwort des Bandes angekündigte "gründliche Auseinandersetzung" mit dem Thema muss sie also noch warten.

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