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Trudi Montag hat die Gabe des Zweiten Gesichts, sie sieht in die Vergangenheit und in die Zukunft. In ihrem Kopf entstehen Geschichten, die zu den Geheimnissen der Menschen vorstoßen, zu den Unterströmungen, den Strudeln, die einen herunterziehen. Geschichten, die uns mit einer unendlichen Vielfalt von Farben umspülen. Geschichten, die sind wie der Fluß, den Trudi so liebt, und dessen Stimmungen und Geheimnisse, dessen Töne und Gerüche vermutlich nie schöner beschrieben worden sind. "Die Andere" ruft, am Beispiele einer kleinen Stadt, deutsches Schicksal zwischen 1915 und 1952 ins Gedächtnis.…mehr

Produktbeschreibung
Trudi Montag hat die Gabe des Zweiten Gesichts, sie sieht in die Vergangenheit und in die Zukunft. In ihrem Kopf entstehen Geschichten, die zu den Geheimnissen der Menschen vorstoßen, zu den Unterströmungen, den Strudeln, die einen herunterziehen. Geschichten, die uns mit einer unendlichen Vielfalt von Farben umspülen. Geschichten, die sind wie der Fluß, den Trudi so liebt, und dessen Stimmungen und Geheimnisse, dessen Töne und Gerüche vermutlich nie schöner beschrieben worden sind. "Die Andere" ruft, am Beispiele einer kleinen Stadt, deutsches Schicksal zwischen 1915 und 1952 ins Gedächtnis. Seine überwältigende Stoffülle, der Reichtum konkreter Details, die für das Ganze der Wirklichkeit stehen, sein Realismus und seine lyrisch verdichtete Sprache verleihen dem Buch eine fast magische Qualität.
Autorenporträt
Ursula Hegi kam mit 18 Jahren aus Deutschland in die USA, wo sie heute noch lebt. Sie hat zahlreiche Romane und Erzählungen veröffentlicht.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.1998

Was der Fluß lehrt
Einfühlsam: Ursula Hegi erzählt ein deutsches Gesamtschicksal

Dies ist auch ein Heimatroman, eine mehr als siebenhundert Seiten lange Saga einer deutschen Kleinstadt von etwa 1915 bis 1952, mit allem Drum und Dran, mit dem Metzger und Apotheker, dem Tierpräparator, der Lebensmittelhändlerin, den Geistlichen, den Lehrern, der Konzertpianistin, den Schülern aller Altersstufen, dem Schachklub und Turnverein, den Bauernhöfen der Peripherie und, damit die Literatur nicht zu kurz kommt, der Leihbibliothek. Es gibt eine evangelische Kirche und eine Synagoge, aber das vorherrschende Milieu ist rheinisch-katholisch. Innerhalb der katholischen Gemeinde reicht das Spektrum der Gläubigkeit von der religiösen Besessenheit über die konfessionelle Indifferenz bis zum Abfall von der Kirche. Alle diese Geschäfte, Tätigkeiten und Haltungen sind vertreten durch Männer und Frauen, deren Kinder und, wo die Zeit reicht, deren Enkel. Sie alle sind mehr oder minder individualisiert, aber immer besitzen sie genügend Charakter, um sich den Lesern vertraut zu machen und sie an ihren Schicksalen teilnehmen zu lassen.

In einer Hinsicht weicht jedoch das Schema vom Heimatroman ab. Denn unter der harmlos anmutenden und durchaus mit Sympathie geschilderten Oberfläche ist dieses Städtchen "unterteuft", um Thomas Manns Ausdruck für die psychischen und physischen Deformationen seiner symbolischen Stadt Kaisersaschern zu verwenden. Auch Hegis Burgdorf ist bevölkert von Leuten, die ihre Körperbewegungen nicht kontrollieren können, deren Benehmen bizarr ist, die Tiere quälen und auch Menschen gegenüber grausam sind, Unterschlagungen begehen, an Leib und Seele kriegsversehrt heimkommen, die sogenannte Realität gern verdrängen und vor allem die prekäre Trennungslinie zum Wahnsinn allzu oft überschreiten. Längst sind die Seelen für den Nationalsozialismus bereit, dessen Einwirkungen auf das Gemeinwesen den größten Teil des Buches in Anspruch nehmen.

Auch hier bewährt sich die alle Nuancen des menschlichen Verhaltens registrierende Wahrnehmung, vom Führerfanatismus, der nicht davor zurückschreckt, die eigene Mutter zu denunzieren und den todbringenden Schergen auszuliefern, bis zum aktiven Widerstand unter Gefährdung und Aufopferung des eigenen Lebens, von der brutalen Folter der jüdischen Mitbürger bis zur Beherbergung und Rettung der Verfolgten. Im Gegensatz zu berühmten Darstellungen wie Manns "Doktor Faustus" oder Anderschs "Sansibar" sind die Nazis aber keine dämonischen Fremden, die von außen hereinbrechen; hier leben sie mitten im Städtchen und sind den Lesern längst bekannt. Ihre Täter- und Mittäterschaft, einschließlich der schlimmsten Greuel, wird ohne Bemäntelung, wenn auch mit psychologischem Verständnis aufgezeichnet. Meisterhaft entfaltet sich der Prozeß der allmählichen "Bräunung", eine Technik, die an Ionescos "Vernashornung" einer von einer schrecklichen Epidemie befallenen Bevölkerung erinnert. "Die meisten kultivierten ein Schweigen, genährt von Angst und Mitläufertum, das sich über alles hinziehen würde bis in die Jahrzehnte nach dem Krieg."

Erzählt wird, wenn auch nicht mit strenger Einhaltung des Gesichtspunktes, aus der Perspektive einer Außenseiterin, eines intelligenten und sensiblen Mädchens, das durch seinen Zwergwuchs von Geburt an eine nicht völlig integrierte Gestalt ist und bleibt. Sie lebt in einer Distanz zur übrigen Gesellschaft, die zur schmerzlichen Erfahrung führt, "daß es außer der Körpergröße noch so viele andere Dinge gab, die einen zum Außenseiter machen konnten - Glaube, Rassenzugehörigkeit, Ansichten". Mag auch der ursprüngliche englische Titel "Stones from the River" die poetische Qualität des Buches besser andeuten, so hat der deutsche den Vorteil, dieses Anderssein sofort klarzustellen. Zum Unterschied von Günter Grass' Oskar Matzerath, der freiwillig sein Wachstum hemmt, wünscht sich die Zentralgestalt nichts sehnlicher, als zu sein wie alle anderen.

Zum Schluß kulminiert all das Beobachtete, Durchlebte und Durchlittene in einer großangelegten vitalistisch-pantheistischen Vision. Wie in Hesses "Siddhartha" wird der Fluß, in diesem Fall der Rhein, der immer schon eine bald stille, bald wilde Präsenz in dem Roman gewesen ist, zum Sinnbild des panta rhei, des Lebens und des Todes: "Im Lauf der Jahre hatte sie von dem Fluß mehr gelernt als von irgendeinem Menschen, und was immer der Fluß sie gelehrt hatte, war immer mit intensiven Gefühlen verbunden gewesen, heftigem Schmerz oder überschwenglicher Freude. Es lag im Wesen des Flusses, turbulent und sanft zu sein, manchmal überbordend und dann wieder zurückgenommen, gierig zu sein und Freude zu schenken. Und es würde immer zum Wesen des Flusses gehören, der Toten zu gedenken, die unter seiner Oberfläche lagen."

So wird dieser "roman fleuve" zu einem Hohelied der Toleranz, zu einem Epos, in dem die vielfältigen Geschichten sich zu der einen Menschheitsgeschichte zusammenflechten, zu einem wohltuend altmodischen Buch. EGON SCHWARZ

Ursula Hegi: "Die Andere". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Cornelia Holfelder-von der Tann. Rowohlt Verlag, Reinbek 1997. 731 S., geb., 45,- DM.

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Dieses Buch mußte geschrieben werden. Ein Roman, episch breit und lang wie ein Strom, ein gewichtiges Werk mit gewaltigem Thema, deutsche Geschichte vom ersten bis zum zweiten Weltenbrand, vom Aufstieg der Braunhemden, ihrer Barbarei und ihrem Verschwinden im Schweigen der Nachkriegszeit, erzählt aus der entlarvenden Perspektive eines kleinwüchsigen Menschen. Der SPIEGEL