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Eine junge Frau erwacht im Notfallraum eines Krankenhauses. Sie kann schnell entlassen werden, aber sie hat ihr Gedächtnis verloren und es fehlen ihr die elementarsten Formen sozialer und kultureller Erinnerungen. Eine bizarr anmutende Rückeroberung der Welt beginnt mit dem Kennenlernen von Randgruppen der Gesellschaft, Obdachlose, Landstreicher, Alkoholiker und Kleinkriminelle. In ihrer Gesellschaft lernt sie viel über elementare Begriffe wie Liebe, Haß, Glück, Zeit, Geld und auch Gewalt. Eines Tages erlebt sie eine scharfe Zäsur in ihrem neuen Leben: erste Hinweise auf ihre wahre Identität…mehr

Produktbeschreibung
Eine junge Frau erwacht im Notfallraum eines Krankenhauses. Sie kann schnell entlassen werden, aber sie hat ihr Gedächtnis verloren und es fehlen ihr die elementarsten Formen sozialer und kultureller Erinnerungen. Eine bizarr anmutende Rückeroberung der Welt beginnt mit dem Kennenlernen von Randgruppen der Gesellschaft, Obdachlose, Landstreicher, Alkoholiker und Kleinkriminelle. In ihrer Gesellschaft lernt sie viel über elementare Begriffe wie Liebe, Haß, Glück, Zeit, Geld und auch Gewalt. Eines Tages erlebt sie eine scharfe Zäsur in ihrem neuen Leben: erste Hinweise auf ihre wahre Identität treten auf. Menschen erkennen sie wieder und geleiten sie langsam zurück in ihre tatsächliche Vergangenheit. Sie wird mit der Tatsache konfrontiert, daß sie selbst aus gesellschaftlich geächteten Randgruppen kommt, muß sich selbst wiedererkennen und sich noch einmal den schwärzesten Augenblicken ihres Lebens stellen.
Autorenporträt
Martin Amis, geboren 1949 in Swansea, ist einer der bedeutendsten englischen Gegenwartsautoren. Er ist der Verfasser von zahlreichen Romanen, Sachbüchern und Kurzgeschichtensammlungen. Martin Amis lebt in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Das Dunkel im Köpfchen
Sehr mysteriös: Ein früher Martin Amis / Von Gerhard Schulz

Was in den Regalen angelsächsischer Buchläden als "Mysteries" deklariert wird, sind gemeinhin Kriminalromane. Martin Amis' "mystery story" "Die Anderen" jongliert mit dem Wort, denn das Buch ist beides: die Geschichte eines Verbrechens und zugleich eine höchst mysteriöse Geschichte, an deren Ende man keineswegs mit einiger Sicherheit erfährt, wer denn nun was tatsächlich verbrochen hat.

Martin Amis ist, wie man weiß, der Sohn eines berühmten Vaters. Dergleichen ist stets eine Last. Der "Lucky Jim" des Vaters Kingsley Amis ist ein Klassiker des englischen Universitätsromans geworden, ein Meisterstück britischer Erzählkunst. Ihre Sphäre freilich bleibt hauptsächlich die des englischen Bürgertums und ihr Stil jenem Realismus verpflichtet, der seine Geschichte auf die großen Romane des achtzehnten Jahrhunderts zurückführen kann. Aus dieser Tradition auszubrechen, ohne sie zu verlassen: das ist das paradoxe Kunststück, das Martin Amis seit seinem ersten Roman, den "Rachel Papers" von 1973, auszuüben versucht hat. "Die Anderen" ist das vierte seiner Bücher, mit denen er sich vom Ruhm seines Vaters löste und zu eigenem Ruhm aufstieg.

In seinen Romanen vollzieht Amis zunächst einen Personalwechsel. Seine Spielfiguren - von "Helden" spricht man da wohl lieber nicht - sind Kriminelle, Dirnen, Zuhälter, Unterwelt also und Halbwelt, aber oft auch bloß die kleinen Leute schlechthin sowie Randfiguren der Gesellschaft. Beigesellt werden ihnen diese oder jene Exemplare aus der intellektuellen Szene und der Wirtschaft, erfolglose Schriftsteller zum Beispiel oder vulgäre Fernsehproduzenten. Aber nicht allein dieses Personal samt seinen banalen, tückischen, schweinischen Interessen macht das Besondere dieser Bücher aus, sondern ebenso die Art und Weise, wie es präsentiert wird, nämlich Amis' Sprache, die gleichfalls als provokante Ablösung tradierter Schreibgewohnheiten gedacht ist.

Die Kritik am Gelingen dieses Verfahrens ist seit den Anfängen dieses Autors nicht verstummt. Er sei ehrgeizig, heißt es immer wieder, wolle originell um jeden Preis sein, schmücke seinen Stil mit gesuchten Metaphern und einem ausgefallenen Wortschatz, der mehr dem Herumblättern im Thesaurus verdanke als der Fähigkeit zu präzisem Ausdruck. Sein Satzbau sei gequält, die Handlung konstruiert und die Thematik - also diese Geschichten von Sex ohne Liebe und Geld ohne Kultur - im Grunde ebenso forciert wie billig. Daran ist manches Wahre, wie das zuletzt sein Roman "Information" erwies: flauer Witz und eine papierene Sprache. Die deutsche Übersetzung (F.A.Z. vom 19. März) hat da manches freundlich glättend zugedeckt.

Auch "Die Anderen" eignen sich gut zur Illustration besagter Untugenden, und die Frage, warum sich der Verlag ausgerechnet dieses Buch für die deutschen Leser ausgesucht hat, dürfte für manche schon eine "mysteriöse Geschichte" in sich selbst sein. Denn von allen Romanen Amis' ist dieser wohl am stärksten bei der Kritik durchgefallen, und es ist auch nach sechzehn Jahren nicht leicht, ihm spotanes Lesevergnügen abzugewinnen.

Erzählt wird das Mysterium der Amy Hide, die Opfer eines Verbrechens geworden ist, das sie nicht nur körperlich verletzt, sondern auch ihres Gedächtnisses und damit ihres Namens beraubt hat. Inspiriert von einem englischen Kinderlied, das sie gerade hört, nennt sie sich deshalb Mary Lamb und gerät nach der Entlassung aus dem Krankenhaus in typische Amis-Szenen, zu Hausbesetzern, zu den Gangstern Jock und Trev, zu Sharon, der Nymphomanin, zu Mister und Misses Botham und dem homosexuellen Gavin, zu Alan und Russ im italienischen Restaurant und in ein Heim für gefallene Mädchen mit Trudy und Honey, einer fröhlichen Schwedin, die ihre Englischkenntnisse durch die ununterbrochene Lektüre von Pornographie aufbessert.

Was allerdings mit Mary-Amy wirklich geschehen ist, erfahren wir nie, auch nicht, welche Rolle jener mysteriöse Polizist John Prince gespielt hat, der als ein deus ex machina zuweilen eingreift, aber vielleicht selbst der Täter, wenn nicht gar ein Mörder war. Denn ob dieser Weg Marys, des Lammes, aus der Amnesie zurück zu der einstigen Amy zugleich ein Weg zu einem neuen Selbst ist oder womöglich gar der Weg aus dem Tod in ein neues Leben - das bleibt im Dunkel. So brutal und triebhaft Amis' Welt ist - metaphysische Dimensionen und ein symbolträchtiger Unterbau für seine scheinbar so wirklichkeitsgesättigten Geschichten haben ihm stets nahegelegen.

Warum also wird dieses Buch erzählt? Sein vorgebliches Mysterium führe nicht in die wahre Tiefe des Unergründlichen, sondern sei lediglich die Verweigerung der Mühe, Bedeutungen zu klären, hieß es nach dem Erscheinen des Originals. Unter dem Druck solcher Kritik hat sich Amis in einem Interview zur Erläuterung der "Idee" dieses Buches gedrängt gesehen. Tatsächlich war es Metaphysik, die ihm vorschwebte, und zwar die Frage, warum der Tod wirklich weniger kompliziert sein sollte als das Leben, denn das sei ebenso komisch wie grausam. Sein Roman also sei die Geschichte vom Tod dieses Mädchens und ihr Tod eine Art witziger Parodie ihres Lebens.

Das macht neugierig, fordert heraus und bleibt am Ende dann doch nur eine Behauptung, die sich schwer aus dem Roman selbst verifizieren läßt. Tiefsinn kollidiert hier mit der Brutalität der Darstellung, statt sie zu sublimieren. Amis' Stärke, sosehr er ihr ins Symbolistische auszuweichen versucht, bleibt die Darstellung von Charakteren: Sharon zum Beispiel, die sich aus Lust an der Sache prostituierende Alkoholikerin, oder Alan, der sich aufhängt aus Angst vor dem totalen Haarausfall. Sie oder Figuren wie Gavin und die Bothams in ihrer simplen Menschlichkeit locken in diese von Amis erzählte Wirklichkeit hinein. Das läßt sich kaum sagen von Mary samt den ihr aufgenötigten Bildungsanstrengungen sowie von der Verkündung noch so zustimmenswerter Weisheiten: "Bücher handelten tatsächlich vom Leben in der Welt, von der Welt der Macht, der Langweile und der Sehnsucht."

Martin Amis' bemühter Versuch zur Literarisierung seiner Konflikte wird ergänzt durch die Volten seiner gequälten Metaphorik. "Ich bin ein toter Zahn im Kiefer der lebendigen Welt", monologisiert der gelegentlich auftauchende Erzähler dieses Romans. Vermutlich spricht da der geheimnisvolle Mörder und Polizist John Prince, von dessen Autofahrt mit Mary wir wiederum lesen: "Das Fahrzeug senkte den Kopf und fing an, Entfernung aufzusaugen. Rasch erklommen sie die Betonbalken, die die Stadt verwoben, und das Auto drängte mit aller Kraft nach vorn, an die Spitze der Herde."

Der Erfolg des Romanciers Martin Amis beweist, daß ein Bedürfnis für solche Attacken auf konventionelles Erzählen besteht. Eine Lesergemeinde bildet sich, und hat sie sich erst einmal konstituiert, so ist sie wohl durch nichts mehr abzuschrecken. Aber man wird auch denen ihr Recht zugestehen müssen, die dergleichen manieriert und pseudooriginell finden.

Martin Amis: "Die Anderen. Eine mysteriöse Geschichte". Aus dem Englischen übersetzt von Jürgen Bauer und Edith Nerke.

S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1997. 287 S., geb., 39,80 DM.

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