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In einer Kleinstadt an der Saale erlebt die kleine Candida das Ende des Zweiten Weltkriegs und die ersten Jahre der DDR mit dem zugleich träumerischen wie klarsichtigen Blick des Kindes, der bis in die feinsten Verästelungen des Alltags zu sehen vermag. Diesen Blick, der sich mit staunender Neugier vor allem auf den unmittelbaren Umkreis und das eigene Innere richtet, behält sie auch, als sie Jahre später zum Studium nach Berlin kommt. Unter den offiziell nicht anerkannten, von Armut und politischem Druck bedrohten Künstlern im Osten Berlins, träumt sie von einem anderen Sozialismus - und von…mehr

Produktbeschreibung
In einer Kleinstadt an der Saale erlebt die kleine Candida das Ende des Zweiten Weltkriegs und die ersten Jahre der DDR mit dem zugleich träumerischen wie klarsichtigen Blick des Kindes, der bis in die feinsten Verästelungen des Alltags zu sehen vermag. Diesen Blick, der sich mit staunender Neugier vor allem auf den unmittelbaren Umkreis und das eigene Innere richtet, behält sie auch, als sie Jahre später zum Studium nach Berlin kommt. Unter den offiziell nicht anerkannten, von Armut und politischem Druck bedrohten Künstlern im Osten Berlins, träumt sie von einem anderen Sozialismus - und von Hans,dem Maler ohne Aufträge.
Ricarda Bethkes autobiographischer Roman über ihr Aufwachsen in der thüringischen Provinz der 40er und 50er Jahre und ihr Leben im Berlin der 60er stellt nicht die großen politisch-historischen Ereignisse dieser Zeit in den Mittelpunkt, sondern die persönlichen Glücksmomente und Unglücksfälle eines Lebens. Entstanden ist ein Buch der detaillierten, poetisch verzauber ten Erinnerung: Eine Familien- und Generationengeschichte, in der sich die Tochter der anderen Lebensentwürfe von Mutter und Großmutter versichern muss, um ihren eigenen Weg finden zu können.
Autorenporträt
Ricarda Bethke, 1939 in Berlin geboren und in Thüringen aufgewachsen, war in der DDR Lehrerin für Deutsch und Kunst. Seit 1984 schreibt sie für den Rundfunk vor allem Kinderhörspiele, seit Anfang der 90er Jahre verfasst sie darüber hinaus Essays für Zeitungen und Zeitschriften, u. a. für die Frankfurter Allgemeine. Ricarda Bethke lebt in Berlin; sie ist verheiratet mit dem Maler Heinrich Bethke und hat zwei Kinder.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.02.2001

Candida wacht auf
Ricarda Bethkes Erstlingsroman „Die anders rote Fahne”
Die Deutschen sind Europas fleißigste Fahnenmacher. In hundert Jahren kamen sie auf fünf, zusammengesetzt aus Schwarz, Weiß, Rot, der Unfarbe Gold und einigen mehr oder weniger anschaulichen Applikationen. Ein Volk unter permanenter Beflaggung, das mit Aufnähen, Abtrennen, Umfärben seinen politischen Grundkurs absolvierte. Phänomenologisch überwog allerdings Rot, das muss man schon sagen, von tiefrotem Kommunistenrot ins Bräunliche spielend, dann blasser als SED-Rot der volkseigenen Mischgarnproduktion. Aber was ist „biermannrot”? Die Berliner Autorin und Feuilletonistin Ricarda Bethke kann das h erklären.
Eine thüringische Kleinstadt, eine Arbeiterfamilie 1944, die überwiegend aus Frauen besteht, der Großvater „Edelkommunist”, ein Interieur aus armseligen, aber beseelten Fundstücken mehrerer Generationen, die Natur wild, verlockend und geschichtsgesättigt. Ein einfaches Thema: das Aufwachen eines Mädchens, das sich für hässlich hält, weil es zu kleine Brüste hat. Stück um Stück wickelt sich Candida aus dem Fahnentuch der politischen Zeitläufe und wächst zur Künstlerseele heran. Sie will malen, schreiben, singen. Ihre Entpuppung verläuft normal schmerzhaft. Vor allem im Zwischenstadium als Lehrerin für sozialistische Kunsterziehung. Der Lehrplan verlangt: revolutionäres Thema. Sie beklebt ein Schulfenster. „Also: ,Das Rot im Leben der Arbeiterklasse. ‘ Auf jedem Feld wird ein Stück von dem gebeizten Butterbrotpapier feuerrot aufleuchten, als Fahne, als roter KZ-Winkel, als Armbinde, als Blut, als Blume. Das wird sein wie bei wirklichen alten Glasfenstern in der Kirche. ” Bilder von Siqueiros, White, Guttuso sind ihre Vorbilder. Doch vor das Tor zum wahren Künstlertum hat das Schicksal zwei große Steine gewälzt: den Dilettantismus als staatliche Kunstnorm und die Männer. „Manchen macht der Sozialismus eben deshalb so einen Spaß, weil sie machen dürfen, was sie gar nicht gelernt haben . Also, ich singe mit ihnen. Kampflieder, ja, muss ich ja, will ich ja auch. ” Aber nicht alle Lieder singt sie, nur die ihr gefallen. Die Männer, die ihr gefallen, bleiben dagegen unerreichbar. Mit so wenig Freiheit und so wenig Liebe lernt Candida auskommen.
Im (Ost-)Berlin der 60-er Jahre trifft sie auf wirkliche Künstler, Dichter, Maler, Schauspielschüler und das wirkliche Rot. „Wie ich hinkomme in den weißen Salon mit den violetten Vorhängen, da hängen aus dem Erker, und gegenüber beim italienischen Maler auch, die anders roten Fahnen heraus, wie ich sie kenne von meiner Großmutter, ausgebleichter, kleiner als die neuen aus der HO. ” Die Freunde treffen sich bei „Kerzen, Wein und Zwiebelsuppe und Biermann”, hören Lotte Lenya-Platten mit Brecht- und Wedekind-Liedern. „Fast alle sind sie widerspenstige Kinder von Widerstandskämpfern, dem Biermann nah. Jüdisch oft, aber darüber reden sie nicht. ”
Die wunderbar leichte Geschichte von der kleinen Candida bis zur „Intellektuellen mit schlechter Kinderstube” ist das Romandebüt der 1939 geborenen Ricarda Bethke. Candida findet schließlich ihren „anderen Sozialismus”. Der ist „tiefrot, biermannrot” und etwa vorstellbar als eine Vision, die Sehnsucht nach Schönheit, Sinnlichkeit und befreiter Form: „Wandbilder wie in Mexiko, Lieder wie die von Biermann, Häuser wie die von Corbusier, Bilder wie die von Orozco, Picasso, Venturelli. ” Sie verliebt sich in Hans, den hoch begabten Maler, der verrückt ist nach Kunst und Schönheit wie sie, aber an den politischen Verhältnissen krank wird, wie damals der Großvater mit der „anders roten Fahne” im Kleiderschrank, weil man ihn nicht studieren, nicht arbeiten, nicht ausstellen lässt.
Es ist der Roman einer Selbstfindung, kräftig sinnliche Prosa in kurzen, dichten Sequenzen, durch die natürliches Licht, Farben und Gerüche wehen. Candida ist eine Schwester im Geiste des Esau Matt, jenes plebejischen Philosophen in Erwin Strittmatters Romantrilogie Der Laden. „Viele Jahre meines Lebens gingen dahin, bis ich Mut genug beisammen hatte . . .” sagt Esau Matt, „bis ich zu sagen und zu schreiben wagte, was ich sah, was ich fühlte, was ich dachte, und nicht, was ich hätte sehen, fühlen und denken sollen. ” Candida ist nur viel komischer als Esau, ein Mädchen „wie Milch und Blut”, mit dieser gefährlichen Mischung aus Unschuld und Leidenschaft, die selten gut ausgeht. Nur im Märchen von der anders roten Müllerstochter und ihrem Rumpelstilzchen Hans, der sie schließlich dazu bringt, aus dem Stroh einer gewöhnlichen DDR-Biografie reines Gold zu spinnen.
BEATRIX LANGNER
RICARDA BETHKE: Die anders rote Fahne. Roman. S. Fischer Verlag Frankfurt/M. 2001. 284 Seiten, 36 Mark.
Ricarda Bethke Foto: R. von Mangoldt
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.05.2001

Der Tag, als Josef Stalin starb
Leerstelle Politik: Ricarda Bethkes Roman "Die anders rote Fahne"

Autoren, die vor dem Fall der Mauer die DDR verließen, haben es leichter, ihre Autobiographie zu schreiben, als jene, die den "Republikflüchtigen" aus ihrem Verwandten- und Freundeskreis nicht folgten und heute leicht unter Erklärungs- oder Rechtfertigungszwang geraten. Der Erwartungsdruck kann ernste Reflexion, Bekenntniseifer oder Bußfertigkeit, andererseits trotziges Beharren auslösen. Doch kann auch die Identitätsfrage ausgeklammert bleiben. Ebendas geschieht in Ricarda Bethkes autobiographischem Roman "Die anders rote Fahne".

Die Autorin, 1939 in Berlin geboren und in Thüringen aufgewachsen, war Lehrerin für "Deutsch" und "Kunst" und arbeitet als Schriftstellerin seit 1984 vor allem für den Rundfunk. Das autobiographische Ich tarnt sich in dem Roman unter dem Namen Candida. Die rote Fahne, die der Großvater Candidas 1945 beim Einmarsch der Russen in die thüringische Kleinstadt aus dem Versteck hervorholt, ist die "andere", weil sie die rote Fahne mit dem schwarzen Hakenkreuz auf weißem Grund ablöst. Der Großvater wird Parteisekretär, die Familie bekennt sich zum Kommunismus. Was das genauer heißt, wird nicht gesagt. Denn das Erzähler-Ich hält sich zunächst an die Perspektive und den Denkhorizont des damals fünfjährigen Mädchens, das von der Mutter allein erzogen wird (der Vater, Badearzt, hat sich im Krieg der drohenden Verhaftung durch Selbstmord entzogen).

Die Begrenzung des Beobachtungswinkels hat erzählerische Vorzüge, weil sie die Naivität der Kindheitserlebnisse bewahrt. Lange hält die Erzählerin an dieser Kindperspektive fest, und etwas von der frischen Wahrnehmung bleibt erhalten und kennzeichnet den Roman überhaupt. Es ist dies eine Gabe der genauen Wahrnehmung sinnlicher Erscheinungen, aus der sich auch das später entdeckte Zeichen- und Maltalent Candidas erklärt.

Den Großmüttern fällt in Kindheitberichten oft die Rolle der Märchenerzählerin zu. Candidas Großmutter, proletarischer Herkunft, ist aus anderem Holz, sie liest mit Vorliebe Dramen Shakespeares. Die Enkelin beschreibt sie genauer, als sie ihr eines Tages im Bad den Rücken rubbeln muß: "Im Gesicht ist sie leicht gerötet, die Hände und Unterarme sind bräunlich und pergamenten. Die Rückseiten der Oberarme sind wabbelig grauweiß. Die Brüste und die Schenkel haben durchsichtige Haut mit blauen Adern. Der Bauch schiebt sich als ein beuliger Klumpen hoch. Seine Farbe ist mehr talkig, hellgelb. An den Beinen gibt es große braune Flecken von Verbrennungen, Stößen und Wunden." Das ist mit den Augen einer Malerin gesehen.

Mit solchen Augen bewegt sich die Erzählerin durch die Straßen und die Umgebung des thüringischen Städtchens, vorbei an der immer etwas unheimlichen Mauer, die das Kasernengelände der russischen Armee umgibt. Das nach dem Auge stärkste Sinnesorgan ist das Riechorgan. Krankheiten werden am Geruch identifiziert, schon beim Eintreten ins Haus wird die Nase vom Duft der Kochwäsche oder der Gerichte empfangen, am Bahnhof vom Geruch der Wurstsuppe und des Urins. Die Jugendweltfestspiele in Berlin werden dem Mädchen verleidet durch den Chlorgeruch im Pionier-Zeltlager Wuhlheide. Als Candida später in Berlin studiert, steigen "aus allen Ritzen" die Gerüche der Nachkriegszeit auf.

Ricarda Bethke schreibt eine realitätsnahe Prosa, deren Repertoire sich in demselben Maße erweitert wie der Erfahrungsraum des Erzähler-Ichs. Das Leben im Berliner Studentenheim, die Zeichen- und Malstunden bei den Professoren, die Pflichtarbeit in der Fabrik und beim Ernteeinsatz, nach dem Studium der Schulunterricht in einer Provinzstadt, die Besuche in Berlin und die Begegnung mit "nicht staatskonformen" Künstlern und Intellektuellen - alles dies rundet sich zu einer Biographie, die ganz im Widerschein des Lebens in der DDR steht.

Candida leidet unter ihrem Mangel an Selbstsicherheit, sie hält sich für unattraktiv, hadert mit ihrer langen, hageren Gestalt und ihrer Flachbrüstigkeit, kurz, sie ist, wie es heißt, "nicht so richtig auf dem Liebesmarkt". Hinter dieser Selbstironie verbirgt sich eine dauerhafte Enttäuschung. Der Student Alexander erwidert ihre Liebe nicht. Sie flieht in eine kurze Bettgeschichte mit einem Elektromonteur, die zum Fehlschlag wird. Am Ende lebt sie mit dem Künstler Hans zusammen, den sie liebt, der aber seinerseits nicht loskommt von einem Gretchen, das ihn verlassen hat. Es geht ein wenig zu wie in den alten Liedern, über die Candida ihre germanistische Seminararbeit "Das Mädchenschicksal in der deutschen Volksballade" geschrieben hat.

Zum melancholischen Ende des Romans paßt Candidas Eingeständnis der "Illusion von der richtigen roten Fahne". Doch steht solche Selbstprüfung zu isoliert im Ganzen des Romans. So ausgiebig uns die Erzählerin mit der Landschaft und mit der Stadt, mit der Familie und den Freunden, mit den Studenten- und dem Schulalltag und auch mit ihren schmerzlichen Liebeserfahrungen vertraut macht, so wenig teilt sie über ihre innere und individuelle Auseinandersetzung mit der politischen Wirklichkeit der DDR mit. Das Ungenügen des Lesers entspringt keinem inquisitorischen Interesse. Aber wo der Lebenslauf einer zur "Intelligenz" zählenden DDR-Bürgerin präzise erzählt wird, darf man auch ein gewisses Maß an politischer Reflexion erwarten. Aber in diesem Punkt sieht sich die Ich-Erzählerin ganz von außen, gewährt uns keinen Einblick in ihren Kopf.

Als Stalin gestorben ist, zeigen die Medien weinende Menschen, schreiben Dichter pathetische Nachrufe. Welche Empfindungen bewegen die immerhin schon dreizehnjährige Candida? Man erfährt nur von den Reaktionen anderer. Wie hat Chruschtschows Enthüllung, die Enttarnung Stalins auf die junge Kommunistin gewirkt? Als die Berliner Mauer gebaut wird, trauert Candida um die gestorbene Großmutter. Dennoch überrascht der lapidare Kommentar: "Es ist mir egal. Ich will sowieso nicht in den Westen." Candida hört gelegentlich den Westsender RIAS, sieht das Westfernsehen - bringt sie das in einen Zwiespalt, eine Bewußtseinsspaltung? Melden sich nie Zweifel? Die Erzählerin läßt sich auf solche Fragen nicht ein. So bleibt eine Leerstelle im Roman.

WALTER HINCK.

Ricarda Bethke: "Die anders rote Fahne". S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 284 S., geb., 39,90 DM.

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