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Die Griechenland-Krise und die mangelnde Handlungsbereitschaft im Umgang mit den Flüchtlingen haben nachdrücklich gezeigt, dass es um die Europäische Union derzeit nicht allzu gut bestellt ist. Parallel zu diesen internen Problemen mehren sich Stimmen unterschiedlichster Provenienz, die Europa attackieren und europäische Werte infrage stellen: Identitäre wie der Massenmörder Anders Breivik, Dschihadisten wie der Syrer Abu Musab al-Suri, »Eurasier« wie der Putin-Berater Alexander Dugin, illiberale Demokraten à la Viktor Orbán, aber auch einige Linkspopulisten am Rande von Syriza und…mehr

Produktbeschreibung
Die Griechenland-Krise und die mangelnde Handlungsbereitschaft im Umgang mit den Flüchtlingen haben nachdrücklich gezeigt, dass es um die Europäische Union derzeit nicht allzu gut bestellt ist. Parallel zu diesen internen Problemen mehren sich Stimmen unterschiedlichster Provenienz, die Europa attackieren und europäische Werte infrage stellen: Identitäre wie der Massenmörder Anders Breivik, Dschihadisten wie der Syrer Abu Musab al-Suri, »Eurasier« wie der Putin-Berater Alexander Dugin, illiberale Demokraten à la Viktor Orbán, aber auch einige Linkspopulisten am Rande von Syriza und Podemos.

Claus Leggewie porträtiert Wortführer und politische Unternehmer, die unabhängig voneinander, aber oft in ungewollter Komplizenschaft die »Festung Europa« schleifen wollen. Er erklärt, woher sie kommen, welche Pläne sie verfolgen und welche Mächtigen sie unterstützen. Und er fordert dazu auf, sich endlich politisch mit ihnen auseinanderzusetzen.
Autorenporträt
Leggewie, ClausClaus Leggewie, geboren 1950, ist Direktor des Kulturwissenschaftlichen Instituts in Essen und Mitherausgeber der Blätter für deutsche und internationale Politik.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Als anregend, aber "ergänzungsbedürftig" beschreibt Gustav Seibt Claus Leggewies Buch "Die Anti-Europäer", das Gemeinsamkeiten zwischen den momentan vorherrschenden Formen politischer Gewalt herausarbeitet: zwischen islamistischem Terror und rechtsradikalen Anschlägen. Im Fokus des Bandes stehen stellvertretend Andreas Breivik, Alexander Dugin und Abu Musab al-Suri. Vor allem bei Breivik als auch Dugin seien verwandte Gedanken und Traditionslinien zu erkennen, wobei Dugin nicht zum Terror aufrufen würde, wie Leggewie betont. Am ausgeprägtesten seien laut Leggewie die kulturellen Parallelen: Globalisierung, individueller Hedonismus oder sexuelle Ambivalenz werden abgelehnt. Seibt findet darin Interessantes und Bedenkenswertes, aber vieles bleibt ihm doch zu oberflächlich, wie er auch den Titel des Buches unglücklich gewählt findet, denn die Herren vertreten ja durchaus einen Begriff von Europa, auch wenn der nicht mit dem Selbstbild der EU übereinstimmt.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2016

Großraumdenken
Claus Leggewie treibt
Gegnerforschung
Die europäischen Gesellschaften sind derzeit von zwei Formen politischer Kriminalität bedroht, die beide mit den Mitteln der terroristischen Einschüchterung arbeiten, beide mit dem Ziel, Kriegszustände, mindestens Bürgerkriege anzufachen: einerseits dem islamistischen Terror, vor allem in den multikulturellen Großstädten, andererseits rechtsradikalen Anschlägen wie dem Massaker des Norwegers Anders Breivik oder der Mordserie des NSU gegen Einwanderer. Dazu gehören im weiteren Umfeld auch die massenhaften Übergriffe gegen Flüchtlingsheime überall in Europa. Dass diese Kräfte sich gegenseitig befeuern, ist evident und wird von politischen Nutznießern und kriminellen Akteuren durchaus gewollt. Der Aufstieg autoritärer Parteien und Regime quer durch den Kontinent, von Putin bis Le Pen, von Ungarn bis Polen grundiert eine antiliberale Szenerie von einschüchternder Fülle.
  Gibt es Gemeinsamkeiten der Freiheitsfeinde, die sich untereinander so inbrünstig hassen? Das versucht ein Bändchen von Claus Leggewie zu klären, das sich der „Gegnerforschung“ (Wolf Lepenies) widmet und drei Protagonisten, nämlich Anders Breivik, den „Eurasien“-Denker Alexander Dugin sowie Abu Musab al-Suri, einen wichtigen Vordenker und Akteur des Dschihad, vorstellt. Alle drei haben umfangreiche Schriften produziert, die Einblicke in ihre Gedankenwelt erlauben.
  Ideologisch gehören dabei Breivik und Dugin in eine gemeinsame Traditionslinie, auch wenn Dugin, wie Leggewie hervorhebt, nicht zum Terror aufruft. Doch beide schöpfen aus dem Ideenvorrat der „Konservativen Revolution“ mit ihrer Ablehnung von Individualismus, Konsumismus, Globalisierung und multikultureller Vermischung. Beide greifen auf religiöse Traditionslinien zurück, Breivik auf eine krude christliche Kreuzzugsideologie, Dugin auf russisch-orthodoxes Anti-Westlertum. Beide sind „identitär“, sie wollen kulturelle und ethnische Verschiedenheiten aus den eigenen Gemeinschaften auf die Ebene der Weltgesellschaft zurückverlagern, also ins Planetarisch-Blockhafte.
  Strukturell ähnelt solches Großraumdenken der islamistischen Weltkarte, die eine „Umma“, als Gemeinschaft der Gläubigen, vom „Haus des Krieges“, der Welt der Ungläubigen, abgrenzt und die Trennung aktiv herbeibomben will – jeder islamistische Anschlag macht das Leben für europäische Muslime schwieriger und bestätigt den Hass ihrer hiesigen identitären Feinde. Auch die Dschihadisten wollen nicht, dass Syrer nach Europa fliehen und so die islamische Gemeinschaft verlassen.
  Noch bezeichnender sind die kulturellen Parallelen: Europäische Identitäre, Eurasier und Islamisten haben alle etwas gegen Globalisierung und „Dekadenz“, gegen weltanschaulichen Relativismus, gegen individuellen Hedonismus, gegen die Infragestellung von Geschlechterrollen und sexuelle Ambivalenz. Dass europäische Rechte zuweilen auch mit der islamistischen Homophobie argumentieren, ist angesichts des allgemeinen Hasses gegen „Genderwahn“ bestenfalls taktisch – man versucht, Minderheiten gegeneinander aufzuhetzen. Interessanter als die meist läppischen Argumente, die Leggewie referiert, ist das Klima in den Auslassungen seiner Gewährsleute. Auch hier finden sich viele Gemeinsamkeiten, der konstante Bezug auf Sakrales, die Paranoia von Verschwörungstheorien und Esoterik, absolute Feinderklärungen – es gibt keine Ausformung solcher Antiliberalität, die ohne rabiaten Antisemitismus auskommt.
  Unglücklich ist der Haupttitel „Anti-Europäer“. Breivik und Dugin haben ja durchaus Begriffe von Europa, auch wenn es nicht die der Europäischen Union sind. Wenn man den Brexit nicht nur als Unfall begreift, muss in Europa neu über die Balance von Einheit und Vielheit nachgedacht werden. Damit kommen Probleme in den Blick, die auch dann nicht vom Tisch sind, wenn man die Antworten der Identitären widerlegt hat. Auch die Schwierigkeiten von Einwanderungsgesellschaften oder einer entgrenzten Weltwirtschaft sind mit einem gutmütigen Lob der Vielfalt noch nicht gelöst. „Identitär“ sind übrigens auch radikale Formen des politisch korrekten Identitätsaktivismus im Namen von unterdrückten Minderheiten. Mutiges liberales Denken müsste sich solchen untergründigen Verbindungen im scheinbar Unvereinbaren stellen.
  Leggewies schnittig geschriebene Studie ist eine anregende Materialsammlung, allerdings eine stark ergänzungsbedürftige. Und es gibt etliche Unschärfen, die einem gebildeten Autor nicht unterlaufen sollten: So wenn er das Buch „Vom Kriege“ von Clausewitz zu einer „Bekenntnisschrift von 1812“ macht.
GUSTAV SEIBT
Claus Leggewie: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co. Suhrkamp Verlag, Berlin 2016. 175 Seiten, 15,50 Euro.
Es gilt neu nachzudenken über die
Balance von Einheit und Vielheit
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.11.2016

Irrlichternde Figuren
Claus Leggewie stellt extremistische Anti-Europäer vor

In erster Linie geht es Claus Leggewie trotz des Buchtitels nicht um das Anti-Europäertum, sondern um die Bekämpfung von eher politikpathologischen Figuren unserer Zeit, die sich neben vielem anderen mehr auch gegen Europa wenden. Leggewie spinnt die Idee Armin Mohlers weiter, dass man konservativ und revolutionär zu sein zusammen denken kann. Dafür stehen ja viele illustre Namen in Deutschland, Ernst Jünger beispielsweise. Allerdings ist Leggewie allein dafür verantwortlich, wen er mit diesem Etikett belegt. Anders Behring Breivik und Alexander Dugin, zwei der drei von Leggewie vorgestellten irrlichternden Figuren, verwenden ihrerseits die paradoxe Formel von der konservativen Revolution. Insofern leistet Leggewie einen Transfer von der deutschen zu einer international verbreiteten Denke, wenn auch vielleicht anderer Art. Im Kern jedenfalls könnte man, wenn man die drei präsentierten Agitatoren überhaupt intellektuell ernst nehmen will, vom Feindbild her gesehen, von einem Anti-Universalismus ausgehen, denn sie agitieren jeweils für partikulare Räume, die sie in erster Linie gegen den universalistischen Westen abgrenzen möchten.

Breivik, den "einsamen Wolf", "Lumpenintellektuellen" - so Leggewie - und Massenmörder von Utøya, zu analysieren macht Sinn. Schließlich ist er - Leggewie spricht von einem Internetverrückten - einer, der seine behauptete konservative Revolution im Unterschied zur historischen Konservativen Revolution mit barbarischer Gewalt vertritt, also eine kriminelle Energie an den Tag legt. Ebendeshalb ist die lockere Verknüpfung dieses Gestörten mit Autoren der neuen oder alten intellektuellen Rechten zumindest problematisch, wenn nicht denunziatorisch. Wenn Leggewie Vertreter der sogenannten Identitären Bewegung oder Journalisten wie Henryk M. Broder oder eine Partei wie die AfD mal eben in den Dunstkreis dieses Politpathologen versetzt, spricht das für sich. Horst Seehofer als Kollaborateur zu titulieren, weil er sich mit Viktor Orbán trifft, illustriert den politischen Horizont des Autors, den in dieser Verve zu vertreten bei allem Respekt doch verwundert.

Dugin wird als Schreibtischtäter vorgestellt. Er ist ein geopolitischer russischer Aktivist, der im Westen, in der Ostukraine, ein Novorossia, ein neues Russland militant propagiert und in östlicher Perspektive ein imperiales Eurasien als Mission Russlands entstehen sehen möchte. Die Nation als Organisationsprinzip wird also eigentlich von diesem Großrussen abgelehnt. Dugins schillernder Weg, der ihn in okkulte wie auch nationalbolschewistische Kreise brachte, spricht für sich. Seine eurasische Vision, 2002 Gründung einer bedeutungslosen Partei dieses Namens, gewann Kontur, weil zwischenzeitlich in Russland eine Eurasische Wirtschaftsunion das Russland unserer Tage und einiger beigetretener Staaten charakterisiert. Diese imperiale Struktur konzeptionell zu entwickeln findet schon länger deutliche Aufmerksamkeit. Eine postsowjetische Struktur ist Teil der Bündnispolitik Moskaus.

Man wird Dugin, der gerne gemeinsam mit militanten Anhängern seiner Bewegung auftritt, sich sehr laut sprechend Geltung verschafft, schwarz gekleidet, eine martialische Erscheinung nennen können, wenn auch durch und durch inszeniert. Eine antiwestliche, antiliberale, antiuniversalistische Attitüde ist für Dugin bestimmend. Seine "vierte Theorie" - nach Liberalismus, Kommunismus und Faschismus - könnte als Abwehrideologie bezeichnet werden, gegen alles Atlantische gerichtet. Wichtiger ist für Leggewie, dass sich Dugin auf Carl Schmitt bezieht - und damit, nach Mohler, der konservativen Revolution sich anschließen kann. Hilft das?

Schließlich ein wirklicher Schreibtischtäter, gefährlicher Propagandist dschihadistischer Gewalt und wohl ehemals Chefideologe von Al Qaida. Sich um seine Propaganda und die Schrift "Aufruf zum weltweiten islamischen Widerstand" zu kümmern macht, egal in welchem Kontext, ebenfalls viel Sinn. Hier geht es um Terrorlegitimation, die der offenen und verdeckten Delegitimierung bedarf. Der nom de guerre lautet al Suri. Wie im ganzen Buch übrigens ist man Leggewie dankbar für eingehende Informationen zur Lage, hier über die Dschihad-Front, für die exemplarisch al Suri in Anspruch genommen wird. Einmal mehr wird offenbar, dass der universalistische Feind der Dschihadisten in den Vereinigten Staaten von Amerika, in Israel, in den sogenannten Heuchler-Regimen Arabiens und in Gruppen oder Regimen, die sich gegen die Sunna wenden, gesehen wird.

Klare ideologische Kriegserklärungen lassen keinen Zweifel am barbarischen Denken dieser Extremisten aufkommen. Natürlich richtet sich der Dschihad auch gegen Europa, ist Europa bedroht und ein interessanter Rekrutierungs-Raum. Doch warum muss diese terroristische Aktivität obsessiv mit der konservativen Revolution verknüpft werden? Dschihadisten - darauf weist Leggewie erfreulicherweise hin - sind keine Nihilisten, sondern ideologische Akteure, auch wenn eine "primitive Instant-Version" von islamistischer Ideologie ausreicht als Gegenentwurf zu universalistischen Ansätzen insbesondere westlicher Herkunft. Dieser Teil des Buches könnte in linken Kreisen, die das Buch noch mehr schätzen dürften, vielleicht dazu beitragen, besser wahrzunehmen, dass die "breiteste kulturrevolutionäre Bewegung seit den sechziger Jahren", hier in Gestalt des IS, eine Bedrohung nichtislamischer Kreise und Räume darstellt und deshalb das Entwickeln einer Gegenstrategie überfällig ist, in Europa und weltweit.

Wenn nur diese vorgestellten Extremisten typische Anti-Europäer sind, dann wird Europa intellektuell nicht ernsthaft in Frage gestellt und wird mit ihnen fertig, denn deren Abwegigkeit bezweifelt niemand. Gegnerbeobachtung dieser Art ist aufschlussreich, aber das untersuchte Phänomen bleibt exzentrisch.

TILMAN MAYER

Claus Leggewie: Anti-Europäer. Breivik, Dugin, al-Suri & Co. Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2016. 176 S., 15,- [Euro].

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»Fast verwegen wirkt Leggewies Griff zu einer Textsorte, die weit jenseits der Wissenschaft siedelt, sich jedoch gerade darum als enorm ertragreich herausstellt: die Manifeste einschlägiger Extremisten.« Caroline Fetscher Der Tagesspiegel 20161002