»Die perfekte Mischung zwischen bürgerlicher Idylle und blankem Grauen.« Duglore Pizzini / Die Presse Die Presse
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.11.2006Band 45
Beichte im Krankenhaus
Ingrid Nolls „Die Apothekerin”
Wenn es für weibliche Albträume ein Sammelbecken gibt, dann in diesem Buch. Eigentlich wissen wir’s ja: Unsere nächtlichen schweißtreibenden Horrorfilme im Kopf stammen meist aus ein und demselben Quell der Angst – Männer und ihre triebgesteuerten Gelüste.
Ingrid Noll lässt ihren Horrormix aus Mann und Macht harmlos beginnen. Eine Apothekerin liegt im Krankenhaus und erzählt nächtens aus ihrem bewegten Leben. Es sind die Offenbarungen einer Frau, die sich selbst als süchtig beschreibt – süchtig nach dem Gefühl, gebraucht zu werden – und bei der Wahl ihrer Männer jedes Gespür für „den Richtigen” ausschaltet. So lauschen wir ihr, gruselig fasziniert, wie sie treudoof ein beachtliches Defilee gewissenloser Schwerenöter in ihr Bett einlädt, was dann irgendwann in Ehe und Schwangerschaft gipfelt. Natürlich hat sie sich hierzu vom ekligsten Exemplar aus der Abteilung „egoistischer Nichtsnutz” angeln lassen. Wir kriegen Eiterpickel beim Hören immer neuer Dämlichkeiten: Sie wäscht für ihn, kocht, räumt auf. Sie finanziert ihn, verschuldet sich, damit er mit Porsche protzen kann. Er: ewiger Student, Filou – und Erbe. Nur dass der liebe Erblasser Großpapa noch lebt. Wie die Apothekerin dann selbst zu den Millionen kommt, sei nicht verraten. Nur Folgendes: Mit der Erbschaft folgt des Albtraums zweiter Teil.
Das ist es, was diesen Psychothriller so fesselnd macht: Nichts in dieser Story über Verliebtheit, Erbschaftsaussichten und Zwangsheirat, über kriminelle Ausraster, Verrat, pornografischen Sex, Irrsinn und eine durchgeknallte Brandstifterin ist das, was es scheint. Ingrid Noll gelingt es meisterhaft, die naheliegenden Erklärungen für das Verhalten rätselhafter Zeitgenossen als „leider falsch!” zu entlarven. Außer der Protagonistin reißt sie niemandem die Maske vom Gesicht.
Und am Ende kriegt diese sogar, was sie will: Kinder, Mann, Familienleben. Leider sind auf dem Weg dorthin zwei Männer eines gewaltsamen Todes gestorben, ein weiterer hat keine Schneidezähne mehr . Und, da können wir Frauen von Anstand und Moral uns ein verstecktes Feixen nicht verkneifen: Die lausige Bordsteinschwalbe, die Männer zu Sex-Junkies machte – sie wird das Schicksal besonders gemein ereilen. Da ist doch alles gut geworden – oder etwa nicht?
NINA RUGE
Ingrid Noll
Foto:
Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
Beichte im Krankenhaus
Ingrid Nolls „Die Apothekerin”
Wenn es für weibliche Albträume ein Sammelbecken gibt, dann in diesem Buch. Eigentlich wissen wir’s ja: Unsere nächtlichen schweißtreibenden Horrorfilme im Kopf stammen meist aus ein und demselben Quell der Angst – Männer und ihre triebgesteuerten Gelüste.
Ingrid Noll lässt ihren Horrormix aus Mann und Macht harmlos beginnen. Eine Apothekerin liegt im Krankenhaus und erzählt nächtens aus ihrem bewegten Leben. Es sind die Offenbarungen einer Frau, die sich selbst als süchtig beschreibt – süchtig nach dem Gefühl, gebraucht zu werden – und bei der Wahl ihrer Männer jedes Gespür für „den Richtigen” ausschaltet. So lauschen wir ihr, gruselig fasziniert, wie sie treudoof ein beachtliches Defilee gewissenloser Schwerenöter in ihr Bett einlädt, was dann irgendwann in Ehe und Schwangerschaft gipfelt. Natürlich hat sie sich hierzu vom ekligsten Exemplar aus der Abteilung „egoistischer Nichtsnutz” angeln lassen. Wir kriegen Eiterpickel beim Hören immer neuer Dämlichkeiten: Sie wäscht für ihn, kocht, räumt auf. Sie finanziert ihn, verschuldet sich, damit er mit Porsche protzen kann. Er: ewiger Student, Filou – und Erbe. Nur dass der liebe Erblasser Großpapa noch lebt. Wie die Apothekerin dann selbst zu den Millionen kommt, sei nicht verraten. Nur Folgendes: Mit der Erbschaft folgt des Albtraums zweiter Teil.
Das ist es, was diesen Psychothriller so fesselnd macht: Nichts in dieser Story über Verliebtheit, Erbschaftsaussichten und Zwangsheirat, über kriminelle Ausraster, Verrat, pornografischen Sex, Irrsinn und eine durchgeknallte Brandstifterin ist das, was es scheint. Ingrid Noll gelingt es meisterhaft, die naheliegenden Erklärungen für das Verhalten rätselhafter Zeitgenossen als „leider falsch!” zu entlarven. Außer der Protagonistin reißt sie niemandem die Maske vom Gesicht.
Und am Ende kriegt diese sogar, was sie will: Kinder, Mann, Familienleben. Leider sind auf dem Weg dorthin zwei Männer eines gewaltsamen Todes gestorben, ein weiterer hat keine Schneidezähne mehr . Und, da können wir Frauen von Anstand und Moral uns ein verstecktes Feixen nicht verkneifen: Die lausige Bordsteinschwalbe, die Männer zu Sex-Junkies machte – sie wird das Schicksal besonders gemein ereilen. Da ist doch alles gut geworden – oder etwa nicht?
NINA RUGE
Ingrid Noll
Foto:
Isolde Ohlbaum
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH