Die atlantische Mauer liegt zwischen der Neuen und der Alten Welt. Was treibt die Menschen auch heute dazu, ihr Leben hier aufzugeben und in den USA ein neues zu suchen? Selbst dann, wenn diese Menschen ihre Lebensmitte bereits überschritten haben. "Ich bin noch einige Schritte vom Altwerden entfernt - aber nahe genug schon dran, um zu wissen: Ich hab keine Stunde mehr zu verschenken. Nicht eine. So will ich nicht länger gelebt werden." In diese Worte faßt eine Frau aus Berlin den Entschluß, jegliche Bindung ans Altvertraute zu kappen und das Leben in New York nach ihren ureigensten Wünschen zu beginnen. Um so ernüchternder dann, den ersten Anlauf ins Gelobte Land verpatzt zu haben und wieder zurück zu müssen nach Berlin.
Die Veränderungen im Lebens- und Stadtraum Berlin haben einen Menschen-Typus geformt, der ebenfalls den Wandel bezeichnet: arbeitslos, heimatlos, ruhelos. Sehr verschiedene Menschen, die jedoch in einem übereinstimmen: für die Verwirklichung ihrer Liebe und ihres Glücksanspruchs vieles daranzusetzen, an Intrigen und Verrat nicht zu verzweifeln, selbst wenn sie dafür um die halbe Welt gestoßen werden und manchmal auch abprallen an der atlantischen Mauer.
Die Veränderungen im Lebens- und Stadtraum Berlin haben einen Menschen-Typus geformt, der ebenfalls den Wandel bezeichnet: arbeitslos, heimatlos, ruhelos. Sehr verschiedene Menschen, die jedoch in einem übereinstimmen: für die Verwirklichung ihrer Liebe und ihres Glücksanspruchs vieles daranzusetzen, an Intrigen und Verrat nicht zu verzweifeln, selbst wenn sie dafür um die halbe Welt gestoßen werden und manchmal auch abprallen an der atlantischen Mauer.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.03.2000Die Wölbung einer bloßen Brust in sonniger Hülle
Reinhard Jirgls atlantische Mauer / Von Ernst Osterkamp
Auf Seite hundertdreiundzwanzig dieses vierhundertfünfzig Seiten langen Romans tritt zum ersten Mal "1 Schmunzeln" auf die Lippen einer seiner Gestalten. Zwar wird wenige Zeilen später gesagt, sie habe "sich nicht recht zur Heiterkeit entschließen" können, und doch berichtet der Erzähler noch am Ende derselben Seite, dass sie sogar "lachte". Und dies ist keineswegs das letzte Mal: Auf Seite 297 dieses großen deutschen Romans lächelt sie schon wieder, ja sie bringt sogar eine andere Hauptfigur zum Lachen! Sollte es sich tatsächlich um Prosa von Reinhard Jirgl, dem düstersten aller Dunkelmänner unter den deutschen Erzählern, handeln?
In diesem sehr verhaltenen Schmunzeln und Lächeln ereignet sich wahrlich nichts Geringeres als die Geburt einer positiven Heldin. Mit einem Anflug von Heiterkeit erhebt sich eine deutsche Venus aus einem Morast von Blut und Sperma, von Kot und Tränen. Dieser Morast ist uns aus Jirgls vorangegangenen Romanen, aus "Abschied von den Feinden" (1995) und "Hundsnächte" (1997), gut bekannt, eine Heldin wie diese aber, die gegen die Mauern ihrer Welt nicht nur anrennt, sondern sie am Ende - vielleicht - sogar überwindet, ist in seinem Werk neu. So ganz hoffnungslos sieht die Sache also, zieht man zum Vergleich Jirgls frühere Bücher heran, nicht mehr aus. Auch wenn Jirgl seine Heldin im Textgestrüpp der zweiten Hälfte seines Romans wieder nahezu unsichtbar werden lässt, der Leser jedenfalls wird diese starke Frau nicht mehr vergessen.
Es ist eine gern als "jung" apostrophierte Frau aus dem Osten Deutschlands, aufgewachsen in Dresden und im Osten Berlins lebend. Sie hat vor und nach dem Fall der Mauer lange Jahre als Regieassistentin und Krankenschwester gearbeitet, war mit einem Schauspieler verheiratet, der sich nach der Trennung von ihr in einen wahnsinnigen Serienmörder verwandelte ("Und haue mit dem Hämmerchen das Dreckschwein. Peng Peng Peng. Das Dreckschwein. Ka. !Putt.") und im Irrenhaus gelandet ist, und wurde danach die Geliebte eines sehr viel älteren, vermögenden Oberarztes aus dem Westen; es fehlt also nicht an Gründen, all dies hinter sich zu bringen und in New York ein neues Leben als Galeristin zu beginnen.
In einem furiosen Einstieg lässt Jirgl seinen Roman mit einem bitteren Ende beginnen: Die Einreise in New York scheitert kläglich an der Einwanderungsbehörde, die im Gepäck der Frau ihre Bewerbungsunterlagen für eine New Yorker Klinik entdeckt. So prallt sie an der "atlantischen Mauer" ab und wird nach Berlin zurückkatapultiert, wo sie am Flughafen bereits die deutsche Misere in alter Frische in Gestalt ihrer Familie erwartet: ein allerdings überaus trauriger Haufen! Die erzwungene Rückkehr macht zugleich eine quälende Auseinandersetzung der Frau mit ihrer familiären Vergangenheit notwendig; sie füllt den ersten Teil des Romans ("Ostwestfleisch").
Jirgl entwirft diese Familie nach dem Muster der Spießerhölle, um sie dann mit der beliebten Technik der schlimmstmöglichen Variante zu dekonstruieren: der Bruder ein gesichts- und erfolgloser Fotograf, dem gerade die Frau weggelaufen ist; der Vater ein Kunstmaler, der nach der Trennung von seiner Frau auf dem Dachboden vegetiert und sich zwischen Suff und Onanie mit dem Abmalen der gesammelten Werke von Matisse beschäftigt; die Mutter in einer lesbischen Beziehung mit einer "Schwesterfrau" aus dem Westen lebend, die ihr so wenig Raum zur Entfaltung lässt wie zuvor ihre Ehe; diese "Schwesterfrau" das traumatisierte Opfer des eigenen Vaters, der sie als Kind auf brutale Weise missbraucht hat.
Das ist die Welt, wie Reinhard Jirgl sie sieht: ein moderiges und erstickendes Biotop namens "Doitschland", in dem die Menschen zu Lemuren verkommen und jene familiären Bindungen, aus denen Leben und Liebe erwachsen könnten, zu Institutionen der Lebenszerstörung und Liebesvernichtung verrotten. Es ist eine Welt, wie Jirgl sie braucht, um die hohe Kunst seiner Dunkelmalerei zu entfalten.
Wer in Fällen wie diesem gern den Topos von der quälenden Lektüre bemüht, sollte die Freude des Lesers an der Virtuosität nicht unterschätzen, mit der Jirgl diese düstere Welt aus unendlichen Abstufungen von Grau, Grauschwarz, Schwarzbraun und leichten Höhungen aus fauligem Dunkelgrün entwirft. Es ist überaus faszinierend, auf wie viele Weisen Jirgl, der über so viel Sprache verfügt wie wenige andere zeitgenössische Erzähler, zum Ausdruck zu bringen vermag, dass eigentlich alles ganz furchtbar ist. Da er allerdings keine davon auslässt, ist sein Roman auch viel zu lang geraten.
Es gibt im Übrigen auch Abnutzungseffekte. So wie es den erfolgsgesegneten Bernhard-Sound gab, so gibt es eben auch den hoch dekorierten Jirgl-Blues, und wer sich erst einmal in die unendliche Melodie dieses schwärzesten aller Gesänge hineingehört hat, den haut so schnell nichts mehr um. Es sei denn, aus der Nacht dieser Prosa, in der alle getretenen, zerschlagenen und räudigen Katzen grau sind, erhebt sich plötzlich der Schemen einer Lichtgestalt: ein Gespenst, das ein Mensch sein könnte! Und ebendies geschieht in Jirgls neuem Roman.
Die Frau, die die "atlantische Mauer" überwinden will, ist weder seelisch zerstört wie die "Schwesterfrau" aus dem Westen noch "unterwürfiges Weibchen" wie die eigene Mutter, sondern Jirgl gibt ihr "die schweigsame, aufrechte Dominanz" eines "Typus Ost-Frauen", die aus der Illusionslosigkeit, aus dem Verlust des Glaubens "an die Existenz von Dem Glück", stammt: selbstbewusst, sinnlich, tapfer und nicht totzukriegen. Jirgl hat mit einer Kindheitserinnerung eine eindrucksvolle Urszene für die Fluchtbewegungen dieser Frau entworfen: Da tastet die Mutter nach dem Mädchen, um bei ihm Halt zu suchen, das Mädchen aber spürt darin "wieder nur 1-jener zögerlichen & mechanisch=vereckten Zärtlichkeitsimitate", "woraufhin sie, mit dem Instinkt des Kindes für Echtes u: Falsches, die unbeholfen zugreifende Hand mit einem Aufschrei von sich stieß & auf dem gleißenden Weg fort&davonlief, in die blaukühle Leere eines Sonntagvormittags hinein". Die Kraft zur Entscheidung und zum Absprung stammt bei dieser Frau jedenfalls nicht aus der Sehnsucht nach dem anderen, sondern aus dem Entsetzen über die Gegenwart, und sie ist, wie alle Jirgl'schen Gestalten, groß darin, diese wortreich und -gewaltig zu schmähen.
Aber ist eine Frau wie diese nicht eben doch wieder eine literarische Männerfantasie, der alles Leid dieser Erde aufgeladen wird, um den männlichen Glauben an die Erlösung aus der Kraft der Weiblichkeit wach zu halten? Im Falle des alten Schriftstellers, der bei ihrem zweiten Anlauf auf die atlantische Mauer im Flugzeug neben ihr sitzt und sich sogleich vom "sanften Anachronismus ihrer Erscheinung" - freilich auch von der "Wölbung einer bloßen Brust" - faszinieren lässt, ist sie dies ganz gewiss: "Diese Fremde, glaubte ich, war eine=jener seltenen Frauen, die alle Kräfte ganz aus dem eigenen Wesen schöpften, somit nach Außen-hin die Wahrnehmung einer konstanten gütigen Wärme gab, wie sie als eine sonnige Hülle immer auch um Liebende sich schließt."
Es ist die "sonnige Hülle" des Kitsches, die sich hier um den Leser schließt, denn wie alle Meister der Grisaille offenbart Jirgl, wenn er einen Seitenblick auf die Sehnsuchtsorte der Positivität - und sei es die "Wölbung einer bloßen Brust" - riskiert, eine gewisse Neigung zum Kitsch.
Allein, was tut's? Es nehmen diese Ausrutscher Jirgls literarischer Erfindung einer Frauengestalt, die das Grauen ihrer Vergangenheit von sich abzuschütteln versucht und schließlich in der Anonymität Manhattans verschwindet - unerreichbar für jeden, selbst für die Fantasie des Lesers - , schon deshalb nichts von ihrer Faszination, weil er radikal mit allen Vorstellungen von der Frau als Erlöserin bricht. Die Frauen dieses Romans können den Weg, für den sie sich entschieden haben, nur dann gehen, wenn sie zuvor die Männer, an die sie sich banden, in einem ungeheuer schmerzhaften Prozess in sich selbst auslöschen.
Dies ist das eine. Das andere ist, dass Jirgl mit keinem Wort sagt, der Weg der Frauen sei ein besserer als derjenige der Männer. Er sagt nur, dass von den Männern nichts mehr zu erhoffen ist: "Entgegen dem Augen-Schein: diese-Welt=danach in ihrem schrecklichen Grund, u ich sage nicht das ist ein Gewinn, sie ist von & für Frauen gemacht. Aber vielleicht auch für gar nichts Menschliches mehr." Das freilich spricht am Ende des Romans ein Mann, den ebenfalls gerade seine Frau verlassen hat.
Jirgls Roman, der keinen auktorialen Erzähler kennt und in dem alles aus der Perspektive der Figuren erzählt wird, ist als Triptychon aufgebaut. Während im ersten Teil die Frau und ihr Bruder die Redenden sind, spricht im zweiten Teil ("Menschenschwemme . . . Vom Leben in der Tiefe") allein der zum Mörder gewordene Schauspieler, den die Frau zwar verlassen, von dem sie sich aber innerlich noch nicht ganz gelöst hat. Das ist "hate speech" pur: eine allein vom Hass angetriebene apokalyptische Suada aus Sprachfetzen, die die ganze Menschheit in den Strudel ihres universalen Vernichtungswillens reißt: "Eine-ganze-Welt voll Golgatha. Acht Milliarden Galgen. !Dunnerlüttchen. Welch imposanter Wald."
Aber es ist hier wie immer, wenn ein Schriftsteller eigens einen Wahnsinnigen erfindet, um auf formvollendete Weise die Sau herauslassen zu können, die alles, vom Proleten bis zum Yuppie, vom Baby bis zum Greis, überrennt: In der totalisierenden Perspektive des Irrsinns gehen alle Unterscheidungen verloren, und zurück bleibt ein in sich selbst kreisendes Sprachereignis, von dem sich schon deshalb niemand getroffen zu fühlen braucht, weil der Hass, der es in Bewegung hält, allen gilt. Die Gefahr, von der diese siebzig Seiten lange Mordrede in Wahrheit kündet, ist deshalb diejenige eines in sich selbst kreisenden schriftstellerischen Virtuosentums.
Den dritten Teil des Romans erzählt jener alternde Schriftsteller, der die Frau bei ihrem zweiten Anflug auf die atlantische Mauer im Flugzeug kennen gelernt und sich wohl auch in sie verliebt hat. Er folgt einer Einladung seines Sohnes, seinen Lebensabend bei dessen in der Nähe von New York lebender Familie zu verbringen. In einem rabenschwarzen und sturmumtosten Strindberg'schen Nachtgespräch zwischen Vater und Sohn zeigt sich dann aber, dass auch dessen Familienidyll längst vom Hass zerfressen ist, ja dass dessen Frau den Sohn bereits verlassen hat, um ihren eigenen Weg als Galeristin in New York zu finden - als Galeristin wie jene nun verschwundene Frau aus Deutschland. In einer merkwürdigen Metamorphose gehen beide Frauengestalten ineinander über; zurück bleibt einsam der Schriftsteller, der ihre Geschichte schreibt.
Dieser postmoderne Salto mortale in die Welt der Ovid'schen Verwandlungen mutet denn doch ein wenig kunstgewerblich an. Künstlerisch problematisch ist er aber auch deshalb, weil er, indem er zwei Frauengestalten ineinander übergehen lässt, den starken Charakter der einen, der Sympathie und Aufmerksamkeit der Leser hat auf sich sammeln können, schließlich doch wieder in einen Typus verwandelt. Es fehlt dem Roman aber an fesselnden Charakteren. Und dies ist ein Problem seiner Sprache.
Denn Jirgls mit hohem Kunstverstand getroffene Entscheidung, das Romangeschehen ganz in die Figurenrede zu verlegen, führt hier doch auch zu einer fatalen Konsequenz. Da deren Reden in der Regel vom guten alten Leiden an Deutschland (oder an der Welt oder am Menschen, vorzugsweise wenn er als Massenmensch auftritt) angetrieben wird, verfallen die Figuren dieses Romans, wovon auch immer sie zu erzählen haben, sämtlich irgendwann in die eine bittere Suada, die alle Unterscheidungen fortspült, nicht zuletzt die Unterschiede zwischen den Charakteren selbst. Da sie alle den gleichen Grundekel über eine unlebbare, unerträgliche Gegenwart teilen, reden sie auch alle gleich und drohen deshalb, weil sie ja in diesem Roman nichts anderes tun als reden, auch als Figuren einander gleich zu werden.
Da klagt die "Schwesterfrau" im ersten Teil des Romans über die "sanft-links= saturierte Kamarilla" des westdeutschen Kulturbetriebs: "denn letztendlichen Triumf hat immer nur das-Mafiose", und der Schriftsteller echot im letzten Teil: "überall im sogenannt öffentlichen Leben: das unausrottbar Mafiose." Da jammert die Frau im ersten Teil mit dem fadesten aller Berlin-Klischees über den "metropolen Wahn" der Stadt, und später giftet der Schauspieler: "Der metropole Wahn . . . Potsdamer Platz." Und wenn der Wahnsinnige seinen Hass gegen die "Verpachullkung der-Welt . . . Das Weltpachullkentum" herauskotzt, dann will schließlich auch der Schriftsteller aller Altersmilde zum Trotz ("Seit langem habe ich in der Fähigkeit des-Menschen zum Brückenbauen den-Menschen am menschlichsten gefunden.") seine Wut nicht unterdrücken: "Prominent hin prominent her, Pachullke bleibt Pachullke."
Da herrscht ein Automatismus des Redens, das seine ungebremsten Energien der Unterscheidungslosigkeit verdankt, aber eben auch in die Unterscheidungslosigkeit führt; eine solche Sprache charakterisiert diejenigen, die sie sprechen, nicht mehr. Das ist oft nur - hier liefert Jirgl selbst das passende Wort - "Maul-Jogging".
In dem Gespräch zwischen dem Schriftsteller und seinem Sohn gibt es eine Stelle, die sich wie ein ironischer Kommentar Jirgls zu seinem eigenen erzählerischen Verfahren liest: "Ich befürchtete nun jene Lawinen aus Verdrießlichkeiten, wie sie von allen Gipfeln der Verdrossenheiten zu Tale gehn, sobald den Verdrossenen die eigene Verdrießlichkeit soweit beglücken kann, dass er vor lauter Glück am Verdrießen sich lautmachen und immer aufs neu Allewelt verdrießen kann." Aber nein, dies ist keine ironische Poetik dieses Romans, denn Reinhard Jirgl ist völlig resistent gegen Ironie, und deshalb geht noch so manche Lawine aus Verdrießlichkeiten auf den Leser nieder. Seine Prosa findet deshalb auch keinen Weg, eine Distanz zu gewinnen zu dem, wogegen sie rebelliert. In ihr klirren immer leise die Ketten, die sie abgeschüttelt zu haben glaubt.
Als eine unnötige Fessel erweist sich im Übrigen auch Jirgls Privatorthographie, die sich längst automatisiert hat und keine wirklichkeitserschließende Kraft mehr entfaltet. Das Vertrauen, das einer der sprachmächtigsten deutschen Gegenwartsautoren ausgerechnet der Rechtschreibung schenkt, ist denn leider auch oft von demjenigen in die weltvermittelnde Kraft des Kalauers nicht mehr recht zu unterscheiden: "jedenphalls" und "wirrtuell", "eng-Gagement" und "ebenphalls", das sind oft nur graphische Verdoppelungen desjenigen, was ein bedeutender Schriftsteller wie Jirgl ohnehin in wenigen Worten zu sagen versteht.
Reinhard Jirgl ist für den unerbittlichen Ernst, mit dem er deutsche Seelengeschichte schreibt, und für den sprachlichen Reichtum, mit dem er die geschichtlichen Schrecknisse quälend gegenwärtig zu machen versteht, nach wie vor zu bewundern. Aber es bleibt bei dem neuen Buch der Eindruck einer Jirgl-Routine, eines schnurrenden Virtuosentums. Jirgls Weg führt zurzeit in die Breite, nicht in jenen Grad an Verdichtung, der ihm möglich ist. " . . . und alles Schweigen wird unterschätzt", so heißt es zu Recht auf der letzten Seite des Romans. Das gilt leider auch für dies Buch.
Reinhard Jirgl: "Die atlantische Mauer". Roman. Carl Hanser Verlag, München 2000. 453 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Reinhard Jirgls atlantische Mauer / Von Ernst Osterkamp
Auf Seite hundertdreiundzwanzig dieses vierhundertfünfzig Seiten langen Romans tritt zum ersten Mal "1 Schmunzeln" auf die Lippen einer seiner Gestalten. Zwar wird wenige Zeilen später gesagt, sie habe "sich nicht recht zur Heiterkeit entschließen" können, und doch berichtet der Erzähler noch am Ende derselben Seite, dass sie sogar "lachte". Und dies ist keineswegs das letzte Mal: Auf Seite 297 dieses großen deutschen Romans lächelt sie schon wieder, ja sie bringt sogar eine andere Hauptfigur zum Lachen! Sollte es sich tatsächlich um Prosa von Reinhard Jirgl, dem düstersten aller Dunkelmänner unter den deutschen Erzählern, handeln?
In diesem sehr verhaltenen Schmunzeln und Lächeln ereignet sich wahrlich nichts Geringeres als die Geburt einer positiven Heldin. Mit einem Anflug von Heiterkeit erhebt sich eine deutsche Venus aus einem Morast von Blut und Sperma, von Kot und Tränen. Dieser Morast ist uns aus Jirgls vorangegangenen Romanen, aus "Abschied von den Feinden" (1995) und "Hundsnächte" (1997), gut bekannt, eine Heldin wie diese aber, die gegen die Mauern ihrer Welt nicht nur anrennt, sondern sie am Ende - vielleicht - sogar überwindet, ist in seinem Werk neu. So ganz hoffnungslos sieht die Sache also, zieht man zum Vergleich Jirgls frühere Bücher heran, nicht mehr aus. Auch wenn Jirgl seine Heldin im Textgestrüpp der zweiten Hälfte seines Romans wieder nahezu unsichtbar werden lässt, der Leser jedenfalls wird diese starke Frau nicht mehr vergessen.
Es ist eine gern als "jung" apostrophierte Frau aus dem Osten Deutschlands, aufgewachsen in Dresden und im Osten Berlins lebend. Sie hat vor und nach dem Fall der Mauer lange Jahre als Regieassistentin und Krankenschwester gearbeitet, war mit einem Schauspieler verheiratet, der sich nach der Trennung von ihr in einen wahnsinnigen Serienmörder verwandelte ("Und haue mit dem Hämmerchen das Dreckschwein. Peng Peng Peng. Das Dreckschwein. Ka. !Putt.") und im Irrenhaus gelandet ist, und wurde danach die Geliebte eines sehr viel älteren, vermögenden Oberarztes aus dem Westen; es fehlt also nicht an Gründen, all dies hinter sich zu bringen und in New York ein neues Leben als Galeristin zu beginnen.
In einem furiosen Einstieg lässt Jirgl seinen Roman mit einem bitteren Ende beginnen: Die Einreise in New York scheitert kläglich an der Einwanderungsbehörde, die im Gepäck der Frau ihre Bewerbungsunterlagen für eine New Yorker Klinik entdeckt. So prallt sie an der "atlantischen Mauer" ab und wird nach Berlin zurückkatapultiert, wo sie am Flughafen bereits die deutsche Misere in alter Frische in Gestalt ihrer Familie erwartet: ein allerdings überaus trauriger Haufen! Die erzwungene Rückkehr macht zugleich eine quälende Auseinandersetzung der Frau mit ihrer familiären Vergangenheit notwendig; sie füllt den ersten Teil des Romans ("Ostwestfleisch").
Jirgl entwirft diese Familie nach dem Muster der Spießerhölle, um sie dann mit der beliebten Technik der schlimmstmöglichen Variante zu dekonstruieren: der Bruder ein gesichts- und erfolgloser Fotograf, dem gerade die Frau weggelaufen ist; der Vater ein Kunstmaler, der nach der Trennung von seiner Frau auf dem Dachboden vegetiert und sich zwischen Suff und Onanie mit dem Abmalen der gesammelten Werke von Matisse beschäftigt; die Mutter in einer lesbischen Beziehung mit einer "Schwesterfrau" aus dem Westen lebend, die ihr so wenig Raum zur Entfaltung lässt wie zuvor ihre Ehe; diese "Schwesterfrau" das traumatisierte Opfer des eigenen Vaters, der sie als Kind auf brutale Weise missbraucht hat.
Das ist die Welt, wie Reinhard Jirgl sie sieht: ein moderiges und erstickendes Biotop namens "Doitschland", in dem die Menschen zu Lemuren verkommen und jene familiären Bindungen, aus denen Leben und Liebe erwachsen könnten, zu Institutionen der Lebenszerstörung und Liebesvernichtung verrotten. Es ist eine Welt, wie Jirgl sie braucht, um die hohe Kunst seiner Dunkelmalerei zu entfalten.
Wer in Fällen wie diesem gern den Topos von der quälenden Lektüre bemüht, sollte die Freude des Lesers an der Virtuosität nicht unterschätzen, mit der Jirgl diese düstere Welt aus unendlichen Abstufungen von Grau, Grauschwarz, Schwarzbraun und leichten Höhungen aus fauligem Dunkelgrün entwirft. Es ist überaus faszinierend, auf wie viele Weisen Jirgl, der über so viel Sprache verfügt wie wenige andere zeitgenössische Erzähler, zum Ausdruck zu bringen vermag, dass eigentlich alles ganz furchtbar ist. Da er allerdings keine davon auslässt, ist sein Roman auch viel zu lang geraten.
Es gibt im Übrigen auch Abnutzungseffekte. So wie es den erfolgsgesegneten Bernhard-Sound gab, so gibt es eben auch den hoch dekorierten Jirgl-Blues, und wer sich erst einmal in die unendliche Melodie dieses schwärzesten aller Gesänge hineingehört hat, den haut so schnell nichts mehr um. Es sei denn, aus der Nacht dieser Prosa, in der alle getretenen, zerschlagenen und räudigen Katzen grau sind, erhebt sich plötzlich der Schemen einer Lichtgestalt: ein Gespenst, das ein Mensch sein könnte! Und ebendies geschieht in Jirgls neuem Roman.
Die Frau, die die "atlantische Mauer" überwinden will, ist weder seelisch zerstört wie die "Schwesterfrau" aus dem Westen noch "unterwürfiges Weibchen" wie die eigene Mutter, sondern Jirgl gibt ihr "die schweigsame, aufrechte Dominanz" eines "Typus Ost-Frauen", die aus der Illusionslosigkeit, aus dem Verlust des Glaubens "an die Existenz von Dem Glück", stammt: selbstbewusst, sinnlich, tapfer und nicht totzukriegen. Jirgl hat mit einer Kindheitserinnerung eine eindrucksvolle Urszene für die Fluchtbewegungen dieser Frau entworfen: Da tastet die Mutter nach dem Mädchen, um bei ihm Halt zu suchen, das Mädchen aber spürt darin "wieder nur 1-jener zögerlichen & mechanisch=vereckten Zärtlichkeitsimitate", "woraufhin sie, mit dem Instinkt des Kindes für Echtes u: Falsches, die unbeholfen zugreifende Hand mit einem Aufschrei von sich stieß & auf dem gleißenden Weg fort&davonlief, in die blaukühle Leere eines Sonntagvormittags hinein". Die Kraft zur Entscheidung und zum Absprung stammt bei dieser Frau jedenfalls nicht aus der Sehnsucht nach dem anderen, sondern aus dem Entsetzen über die Gegenwart, und sie ist, wie alle Jirgl'schen Gestalten, groß darin, diese wortreich und -gewaltig zu schmähen.
Aber ist eine Frau wie diese nicht eben doch wieder eine literarische Männerfantasie, der alles Leid dieser Erde aufgeladen wird, um den männlichen Glauben an die Erlösung aus der Kraft der Weiblichkeit wach zu halten? Im Falle des alten Schriftstellers, der bei ihrem zweiten Anlauf auf die atlantische Mauer im Flugzeug neben ihr sitzt und sich sogleich vom "sanften Anachronismus ihrer Erscheinung" - freilich auch von der "Wölbung einer bloßen Brust" - faszinieren lässt, ist sie dies ganz gewiss: "Diese Fremde, glaubte ich, war eine=jener seltenen Frauen, die alle Kräfte ganz aus dem eigenen Wesen schöpften, somit nach Außen-hin die Wahrnehmung einer konstanten gütigen Wärme gab, wie sie als eine sonnige Hülle immer auch um Liebende sich schließt."
Es ist die "sonnige Hülle" des Kitsches, die sich hier um den Leser schließt, denn wie alle Meister der Grisaille offenbart Jirgl, wenn er einen Seitenblick auf die Sehnsuchtsorte der Positivität - und sei es die "Wölbung einer bloßen Brust" - riskiert, eine gewisse Neigung zum Kitsch.
Allein, was tut's? Es nehmen diese Ausrutscher Jirgls literarischer Erfindung einer Frauengestalt, die das Grauen ihrer Vergangenheit von sich abzuschütteln versucht und schließlich in der Anonymität Manhattans verschwindet - unerreichbar für jeden, selbst für die Fantasie des Lesers - , schon deshalb nichts von ihrer Faszination, weil er radikal mit allen Vorstellungen von der Frau als Erlöserin bricht. Die Frauen dieses Romans können den Weg, für den sie sich entschieden haben, nur dann gehen, wenn sie zuvor die Männer, an die sie sich banden, in einem ungeheuer schmerzhaften Prozess in sich selbst auslöschen.
Dies ist das eine. Das andere ist, dass Jirgl mit keinem Wort sagt, der Weg der Frauen sei ein besserer als derjenige der Männer. Er sagt nur, dass von den Männern nichts mehr zu erhoffen ist: "Entgegen dem Augen-Schein: diese-Welt=danach in ihrem schrecklichen Grund, u ich sage nicht das ist ein Gewinn, sie ist von & für Frauen gemacht. Aber vielleicht auch für gar nichts Menschliches mehr." Das freilich spricht am Ende des Romans ein Mann, den ebenfalls gerade seine Frau verlassen hat.
Jirgls Roman, der keinen auktorialen Erzähler kennt und in dem alles aus der Perspektive der Figuren erzählt wird, ist als Triptychon aufgebaut. Während im ersten Teil die Frau und ihr Bruder die Redenden sind, spricht im zweiten Teil ("Menschenschwemme . . . Vom Leben in der Tiefe") allein der zum Mörder gewordene Schauspieler, den die Frau zwar verlassen, von dem sie sich aber innerlich noch nicht ganz gelöst hat. Das ist "hate speech" pur: eine allein vom Hass angetriebene apokalyptische Suada aus Sprachfetzen, die die ganze Menschheit in den Strudel ihres universalen Vernichtungswillens reißt: "Eine-ganze-Welt voll Golgatha. Acht Milliarden Galgen. !Dunnerlüttchen. Welch imposanter Wald."
Aber es ist hier wie immer, wenn ein Schriftsteller eigens einen Wahnsinnigen erfindet, um auf formvollendete Weise die Sau herauslassen zu können, die alles, vom Proleten bis zum Yuppie, vom Baby bis zum Greis, überrennt: In der totalisierenden Perspektive des Irrsinns gehen alle Unterscheidungen verloren, und zurück bleibt ein in sich selbst kreisendes Sprachereignis, von dem sich schon deshalb niemand getroffen zu fühlen braucht, weil der Hass, der es in Bewegung hält, allen gilt. Die Gefahr, von der diese siebzig Seiten lange Mordrede in Wahrheit kündet, ist deshalb diejenige eines in sich selbst kreisenden schriftstellerischen Virtuosentums.
Den dritten Teil des Romans erzählt jener alternde Schriftsteller, der die Frau bei ihrem zweiten Anflug auf die atlantische Mauer im Flugzeug kennen gelernt und sich wohl auch in sie verliebt hat. Er folgt einer Einladung seines Sohnes, seinen Lebensabend bei dessen in der Nähe von New York lebender Familie zu verbringen. In einem rabenschwarzen und sturmumtosten Strindberg'schen Nachtgespräch zwischen Vater und Sohn zeigt sich dann aber, dass auch dessen Familienidyll längst vom Hass zerfressen ist, ja dass dessen Frau den Sohn bereits verlassen hat, um ihren eigenen Weg als Galeristin in New York zu finden - als Galeristin wie jene nun verschwundene Frau aus Deutschland. In einer merkwürdigen Metamorphose gehen beide Frauengestalten ineinander über; zurück bleibt einsam der Schriftsteller, der ihre Geschichte schreibt.
Dieser postmoderne Salto mortale in die Welt der Ovid'schen Verwandlungen mutet denn doch ein wenig kunstgewerblich an. Künstlerisch problematisch ist er aber auch deshalb, weil er, indem er zwei Frauengestalten ineinander übergehen lässt, den starken Charakter der einen, der Sympathie und Aufmerksamkeit der Leser hat auf sich sammeln können, schließlich doch wieder in einen Typus verwandelt. Es fehlt dem Roman aber an fesselnden Charakteren. Und dies ist ein Problem seiner Sprache.
Denn Jirgls mit hohem Kunstverstand getroffene Entscheidung, das Romangeschehen ganz in die Figurenrede zu verlegen, führt hier doch auch zu einer fatalen Konsequenz. Da deren Reden in der Regel vom guten alten Leiden an Deutschland (oder an der Welt oder am Menschen, vorzugsweise wenn er als Massenmensch auftritt) angetrieben wird, verfallen die Figuren dieses Romans, wovon auch immer sie zu erzählen haben, sämtlich irgendwann in die eine bittere Suada, die alle Unterscheidungen fortspült, nicht zuletzt die Unterschiede zwischen den Charakteren selbst. Da sie alle den gleichen Grundekel über eine unlebbare, unerträgliche Gegenwart teilen, reden sie auch alle gleich und drohen deshalb, weil sie ja in diesem Roman nichts anderes tun als reden, auch als Figuren einander gleich zu werden.
Da klagt die "Schwesterfrau" im ersten Teil des Romans über die "sanft-links= saturierte Kamarilla" des westdeutschen Kulturbetriebs: "denn letztendlichen Triumf hat immer nur das-Mafiose", und der Schriftsteller echot im letzten Teil: "überall im sogenannt öffentlichen Leben: das unausrottbar Mafiose." Da jammert die Frau im ersten Teil mit dem fadesten aller Berlin-Klischees über den "metropolen Wahn" der Stadt, und später giftet der Schauspieler: "Der metropole Wahn . . . Potsdamer Platz." Und wenn der Wahnsinnige seinen Hass gegen die "Verpachullkung der-Welt . . . Das Weltpachullkentum" herauskotzt, dann will schließlich auch der Schriftsteller aller Altersmilde zum Trotz ("Seit langem habe ich in der Fähigkeit des-Menschen zum Brückenbauen den-Menschen am menschlichsten gefunden.") seine Wut nicht unterdrücken: "Prominent hin prominent her, Pachullke bleibt Pachullke."
Da herrscht ein Automatismus des Redens, das seine ungebremsten Energien der Unterscheidungslosigkeit verdankt, aber eben auch in die Unterscheidungslosigkeit führt; eine solche Sprache charakterisiert diejenigen, die sie sprechen, nicht mehr. Das ist oft nur - hier liefert Jirgl selbst das passende Wort - "Maul-Jogging".
In dem Gespräch zwischen dem Schriftsteller und seinem Sohn gibt es eine Stelle, die sich wie ein ironischer Kommentar Jirgls zu seinem eigenen erzählerischen Verfahren liest: "Ich befürchtete nun jene Lawinen aus Verdrießlichkeiten, wie sie von allen Gipfeln der Verdrossenheiten zu Tale gehn, sobald den Verdrossenen die eigene Verdrießlichkeit soweit beglücken kann, dass er vor lauter Glück am Verdrießen sich lautmachen und immer aufs neu Allewelt verdrießen kann." Aber nein, dies ist keine ironische Poetik dieses Romans, denn Reinhard Jirgl ist völlig resistent gegen Ironie, und deshalb geht noch so manche Lawine aus Verdrießlichkeiten auf den Leser nieder. Seine Prosa findet deshalb auch keinen Weg, eine Distanz zu gewinnen zu dem, wogegen sie rebelliert. In ihr klirren immer leise die Ketten, die sie abgeschüttelt zu haben glaubt.
Als eine unnötige Fessel erweist sich im Übrigen auch Jirgls Privatorthographie, die sich längst automatisiert hat und keine wirklichkeitserschließende Kraft mehr entfaltet. Das Vertrauen, das einer der sprachmächtigsten deutschen Gegenwartsautoren ausgerechnet der Rechtschreibung schenkt, ist denn leider auch oft von demjenigen in die weltvermittelnde Kraft des Kalauers nicht mehr recht zu unterscheiden: "jedenphalls" und "wirrtuell", "eng-Gagement" und "ebenphalls", das sind oft nur graphische Verdoppelungen desjenigen, was ein bedeutender Schriftsteller wie Jirgl ohnehin in wenigen Worten zu sagen versteht.
Reinhard Jirgl ist für den unerbittlichen Ernst, mit dem er deutsche Seelengeschichte schreibt, und für den sprachlichen Reichtum, mit dem er die geschichtlichen Schrecknisse quälend gegenwärtig zu machen versteht, nach wie vor zu bewundern. Aber es bleibt bei dem neuen Buch der Eindruck einer Jirgl-Routine, eines schnurrenden Virtuosentums. Jirgls Weg führt zurzeit in die Breite, nicht in jenen Grad an Verdichtung, der ihm möglich ist. " . . . und alles Schweigen wird unterschätzt", so heißt es zu Recht auf der letzten Seite des Romans. Das gilt leider auch für dies Buch.
Reinhard Jirgl: "Die atlantische Mauer". Roman. Carl Hanser Verlag, München 2000. 453 S., geb., 49,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
"Die Geschichte [ist] faszinierend, weil sie sprachlich einen tiefschwarzen Glanz entwickelt, der sich an dem von Joseph Conrads Novelle 'Heart of Darkness' messen kann ... Virtuoser, rhythmischer, anspielungsreicher, komplexer und zugleich eindringlicher ist in deutscher Sprache seit Uwe Johnsons 'Jahrestagen' nicht mehr geschrieben worden." Jochen Hörisch in der 'Neuen Zürcher Zeitung'
"Daß es verblüffend viele Gemeinsamkeiten zwischen der DDR und den USA gibt, zwischen dem entindividualisierten Osten und den leeren weiten Feldern des Kapitalismus, kommt Jirgls Wahrnehmungskunst augenscheinlich zugute. Sein 'Pointillismus der Nacht' ist aber noch lange nicht erschöpft. Das Nichts, das Jirgl sich wegschreibt, auf das er scheinbar zuschreibt, bringt immer wieder neue glühende Farben hervor." Helmut Böttiger in der 'Frankfurter Rundschau'
"Jirgls verrückte Schreibweise provoziert immer noch ähnliche Reaktionen. Und das ist gut so. Seine Diagnose mag problematisch sein, aber weil er so schwarz sieht, sehe ich - wenn auch nur für ihn - rosig. Solche Schriftsteller braucht das Land." Martin Lüdke in der 'Zeit'
"Daß es verblüffend viele Gemeinsamkeiten zwischen der DDR und den USA gibt, zwischen dem entindividualisierten Osten und den leeren weiten Feldern des Kapitalismus, kommt Jirgls Wahrnehmungskunst augenscheinlich zugute. Sein 'Pointillismus der Nacht' ist aber noch lange nicht erschöpft. Das Nichts, das Jirgl sich wegschreibt, auf das er scheinbar zuschreibt, bringt immer wieder neue glühende Farben hervor." Helmut Böttiger in der 'Frankfurter Rundschau'
"Jirgls verrückte Schreibweise provoziert immer noch ähnliche Reaktionen. Und das ist gut so. Seine Diagnose mag problematisch sein, aber weil er so schwarz sieht, sehe ich - wenn auch nur für ihn - rosig. Solche Schriftsteller braucht das Land." Martin Lüdke in der 'Zeit'
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Da kennt einer seinen Jirgl und ist ihm (eigentlich) wohlgesonnen: Ernst Osterkamp würdigt auf einer ganzen Zeitungsseite die "hohe Kunst der Dunkelmalerei" des Autors, der über eine Sprachgewalt verfüge wie wenige andere zeitgenössische Autoren. Wenn er am Ende den Autor auch weiter bewundern will für seinen sprachlichen Reichtum, so hält ihn das nicht ab, seine Kunstfertigkeit zu demonstieren. Akribisch notiert Osterkamp zu Beginn, auf welcher Seite ein Lächeln erfolgt, hält sich an die Figur, die es zustande bringt und hofft auf eine Gestalt, die einmal die mit Ekel und Groll vermauerte Jirgl-Welt überwindet. Und obwohl sie das mit einer schlussendlich noch gelingenden Absetzbewegung nach New York (der erste Versuch schlägt fehl) tatsächlich schafft, ist sie derweil im "Jirgl-Blues" wieder zerredet und verschwunden. So schreibt Osterkamp der Geschichte, die in drei Teilen jeweils eine oder zwei der Figuren zu erzählen aufgegeben ist, ausführlich hinterher und nimmt sie derweil gleich auseinander: so hat ihn zum Beispiel die Passage des verrückt gewordenen Schauspielers enorm verärgert, da in der "Perspektive des Irrsinns" alle Differenzierung verlorengeht. Osterkamp kritisiert Jirgls Ironie-Resistenz und "Privatorthographie", die keinem Erkenntnisinteresse mehr diene. Er rät dem Autor auch, künftig dem Schweigen mehr zu trauen als der Rede des Ekels. Am Ende doch eher ein Verriss.
© Perlentaucher Medien GmbH
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"Solche Schriftsteller braucht das Land." Martin Lüdke, Die Zeit, 23.03.00
"Hohe Literatur, besessene Prosa, monströs, grandios. Dichtung einer großen Einsamkeit." Hans Georg Soldat, Berliner Morgenpost, 12.03.00
"Virtuose, rhythmischer, anspielungsreicher, komplexer und zugleich eindringlicher ist in deutscher Sprache seit Johnsons "Jahrstagen" nicht mehr geschrieben worden. Jirgl bringt das Zauberkunststück fertig, zugleich hochartistisch und ungemein packend zu formulieren." Jochen Hörisch, Neue Zürcher Zeitung, 08.04.00
"Jirgl ist ein Virtuose, ein Formulierungskünstler abseits aller Sprachschablonen, der wahre Wort- und Lautgemälde entwirft." Peter Walther, Die Tageszeitung, 23.03.2000
"Jirgl erzählt mit düsterer Schönheit von der allem Menschlichen innewohnenden Zerstörung." Jörg Plath, Der Tagesspiegel, 11./12.06.00
"Jirgl ist und bleibt ein hochkarätiger Prosaist, wenn er in seiner von Joyce und Arno Schmidt inspirierten Schreibweise semantische Vielschichtigkeit herstellt und zugleich durch phonetisch akzentuierende Zeichensetzung am Text die Emphase der gesprochenen, leidenschaftlich hervorgestoßenen Suada sichtbar macht." Eberhard Falcke, Süddeutsche Zeitung, 12./13.02.00
"Hohe Literatur, besessene Prosa, monströs, grandios. Dichtung einer großen Einsamkeit." Hans Georg Soldat, Berliner Morgenpost, 12.03.00
"Virtuose, rhythmischer, anspielungsreicher, komplexer und zugleich eindringlicher ist in deutscher Sprache seit Johnsons "Jahrstagen" nicht mehr geschrieben worden. Jirgl bringt das Zauberkunststück fertig, zugleich hochartistisch und ungemein packend zu formulieren." Jochen Hörisch, Neue Zürcher Zeitung, 08.04.00
"Jirgl ist ein Virtuose, ein Formulierungskünstler abseits aller Sprachschablonen, der wahre Wort- und Lautgemälde entwirft." Peter Walther, Die Tageszeitung, 23.03.2000
"Jirgl erzählt mit düsterer Schönheit von der allem Menschlichen innewohnenden Zerstörung." Jörg Plath, Der Tagesspiegel, 11./12.06.00
"Jirgl ist und bleibt ein hochkarätiger Prosaist, wenn er in seiner von Joyce und Arno Schmidt inspirierten Schreibweise semantische Vielschichtigkeit herstellt und zugleich durch phonetisch akzentuierende Zeichensetzung am Text die Emphase der gesprochenen, leidenschaftlich hervorgestoßenen Suada sichtbar macht." Eberhard Falcke, Süddeutsche Zeitung, 12./13.02.00