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Der Amerikaner Theodore S. Hamerow sieht den 20. Juli als dramatischen Punkt in der Geschichte des Widerstandes, gegen das Dritte Reich an. Für alle Verschwörer war das Dritte Reich ein Fortschritt, im Gegensatz zu dem System der Weimarer Republik. Die Einsicht und die damit verbundene Wandlung, vom Mitläufer zum Nazi-Gegner war eine Leistung, die in dieser Erzählung gewürdigt wird.

Produktbeschreibung
Der Amerikaner Theodore S. Hamerow sieht den 20. Juli als dramatischen Punkt in der Geschichte des Widerstandes, gegen das Dritte Reich an. Für alle Verschwörer war das Dritte Reich ein Fortschritt, im Gegensatz zu dem System der Weimarer Republik. Die Einsicht und die damit verbundene Wandlung, vom Mitläufer zum Nazi-Gegner war eine Leistung, die in dieser Erzählung gewürdigt wird.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.07.1999

Nationalisten, Antisemiten, Demokratiefeinde?
Theodore Hamerows nicht überzeugende Arbeit über den Widerstand gegen Hitler

Theodore S. Hamerow: Die Attentäter. Der 20. Juli - von der Kollaboration zum Widerstand. Aus dem Englischen von Matthias Grässlin. C. H. Beck Verlag, München 1999. 458 Seiten, 13 Abbildungen, 68,- Mark.

Theodore Hamerow, bekannt durch seine Arbeiten über die gesellschaftlichen Grundlagen der deutschen Einigung 1871, übernimmt in diesem Buch über die Motive der Verschwörer, die Hitler von 1938 bis 1944 zu stürzen versuchten, weitgehend die propagandistischen Vereinfachungen der früheren Kriegsgegner Deutschlands: Deutscher Patriotismus erscheint als gleichbedeutend mit Nationalismus und Eroberungssucht, die Verschwörer waren Feinde der Demokratie, Antisemiten, Nationalisten, sie handelten opportunistisch erst angesichts der Niederlage Deutschlands im Krieg. Da Hamerow mit wissenschaftlichem Anspruch und Apparat vorgeht, sind entsprechende Maßstäbe der Beurteilung anzulegen.

Von den etwa siebenhundert als Beteiligte des Erhebungsversuchs des 20. Juli 1944 Verhafteten und von den zweihundert dafür Gehenkten erwähnt Hamerow neunundfünfzig, die meisten von ihnen nur ein- oder zweimal etwa in Aufzählungen. Er bezieht fünf "religiöse Führer Deutschlands" ein - den württembergischen Kirchenpräsidenten (Landesbischof) Theophil Wurm, den 1933 aus dem Amt verdrängten Generalsuperintendenten der Kurmark Otto Dibelius, Bischof Clemens August Graf von Galen von Münster und die Kardinäle Joseph Frings und Michael von Faulhaber -, obwohl sie an der Verschwörung nicht beteiligt waren. Namen wie Hans von Dohnanyi, Alexis von Roenne, Hans-Carl Graf Hardenberg kommen dagegen nicht vor. Von den Verhafteten werden wenig über acht Prozent überhaupt genannt und nur drei Prozent mehr als gestreift. Auf diese schmale Basis stützt Hamerow Urteile über "die meisten Mitglieder des Widerstands" beziehungsweise "die Widerständler" (der entwürdigende Ausdruck, für den Übersetzer und Verlag verantwortlich zu sein scheinen, findet sich auf neununddreißig beliebig ausgewählten aufeinanderfolgenden Seiten wenigstens fünfunddreißigmal).

Mit Hilfe vereinzelter Zitate werden die Gegner Hitlers als Demokratiefeinde, Nationalisten und Antisemiten kategorisiert, "Ausnahmen" werden zugestanden, darauf folgt wieder die pauschale Herabsetzung der Motive des Widerstandes. Gemeinsame programmatische Erklärungen, die Hamerow ohnehin kaum berücksichtigt, läßt er nicht gelten, stellt aber vereinzelte Äußerungen weniger Hitler-Gegner als repräsentativ hin. Viele Formulierungen sind so verschwommen wie diese: "Die Offiziere oder Beamten unter ihnen kamen fast durchgängig aus der Aristokratie oder aus Familien der Oberschicht, wo Einfluß und Privilegien, Bildung und Wohlstand selbstverständlich waren." Das "oder" und die undefinierte "Oberschicht" reduzieren die Aussage zum Innuendo ohne konkreten Inhalt; was der Autor suggeriert, trifft nicht zu.

Hamerow berichtet, Ulrich von Hassell habe Anfang Januar 1918 das allgemeine Wahlrecht "in organischer Gliederung" auf der Grundlage der Selbstverwaltung befürwortet, zu einer Zeit also, als weder das House of Commons noch die Chambre des Députés, noch der Kongreß der Vereinigten Staaten von Amerika nach allgemeinem Wahlrecht gewählt wurden. Er resümiert gleichwohl auf derselben Seite: "Hassell blieb bis zum Ende ein bitterer Feind der Volkssouveränität." Der Leser erfährt nicht, daß General Ludwig Beck, der militärische Führer der Verschwörung, ebenso wie seine Mitverschworenen sich in den 1943 und 1944 für den Tag des Umsturzes in vorbereiteten Aufrufen auf die Wiederherstellung der Weimarer Verfassung und die Erweiterung des Wahlrechts auf die Soldaten festgelegt hatte.

Hamerow läßt die Empörung der meisten seiner wenigen ausgesuchten Repräsentanten des Widerstands über die an den Juden verübten Greuel und Morde gelten, meint aber zugleich, die Zeugnisse über die Einstellung der Mitglieder des Widerstands zur Judenverfolgung seien "nicht eindeutig". Sie wären es, wenn er gründlicher recherchiert hätte. So legt er Hassell "Liebäugeln mit dem Antisemitismus" zur Last, weil Hassell 1919 im Programmausschuß der Deutschnationalen Volkspartei für eine Kompromißformel über den von der Mehrheit für nötig gehaltenen Schutz "gegen eine Vorherrschaft des Judentums" eingetreten war. Hassell hatte erfolglos versucht, den antijüdischen Programmpunkt zu mildern, wie die von Hamerow zitierte Quelle berichtet - doch das gibt Hamerow nicht wieder.

Zum Beweis für die Behauptung, Generaloberst Hoepner sei mit den Verbrechen gegen die Bevölkerung der Sowjetunion einverstanden gewesen, begnügt sich Hamerow mit zwei Befehlen, die Hoepner erhielt und die er weiterleiten mußte. Sie finden sich in dem einzigen Aktenband, den Hamerow im Bundesarchiv-Militärarchiv konsultiert hat.

Hamerow erkennt an, daß Carl Goerdeler, der Kanzlerkandidat der Verschwörer, "der hartnäckigste Kritiker des NS-Rassenprogramms" gewesen sei, bezeichnet ihn aber zugleich entstellend als einstigen Verbündeten des Dritten Reiches, der Hitler "zu einem ,anständigen' Antisemitismus hatte überreden wollen" und der sich "unwohl oder gar schuldig" fühlte "bei dem Gedanken, daß er selbst zur Machtergreifung eines politischen Systems beigetragen hatte, das nun den organisierten Massenmord praktizierte". Hamerow berichtet nicht, daß Goerdeler seit 1933 als Oberbürgermeister von Leipzig allen antijüdischen Maßnahmen Widerstand leistete und daß er 1938 sein Leben riskierte, um die britische Regierung zu überreden, durch Abbruch der diplomatischen Beziehungen mit Deutschland die Aufhebung der Judenverfolgung zu erzwingen (obwohl Hamerow das Buch zitiert, in dem die entsprechenden Dokumente veröffentlicht sind).

Claus Graf Stauffenberg, dem Attentäter des 20. Juli 1944, ergeht es kaum besser: "Stauffenberg stand dem Widerstand skeptisch gegenüber, bis ihn die Niederlagen der Wehrmacht an der Ostfront schließlich davon überzeugten, daß der Krieg wohl nicht mehr zu gewinnen war." In den von Hamerow zitierten Arbeiten ist jedoch nachgewiesen, daß der entscheidende Anstoß für Stauffenbergs Entschluß, sich um den Sturz Hitlers zu bemühen, von seiner Erkenntnis der Vernichtungspolitik Hitlers gegen Juden, Kriegsgefangene und Zivilbevölkerung in der Sowjetunion ausging. Das war im April 1942. Erst Monate später, Ende Juli 1942, kam für Stauffenberg als weiteres Motiv der Verrat Hitlers an den Soldaten durch seine Kriegführung dazu. Hamerow nimmt von diesen Tatsachen keine Notiz.

Wenigstens 37 der im Zusammenhang mit dem Erhebungsversuch des 20. Juli 1944 Verhafteten, von denen fast alle nach ihrer Verurteilung gehängt wurden, gaben im Verhör an, die Judenverfolgung sei das Hauptmotiv oder eines der Hauptmotive für ihre Opposition gegen den Nationalsozialismus gewesen; 13 von ihnen kommen bei Hamerow überhaupt nicht vor, die Aussagen der bei ihm genannten 24 zitiert er kaum einmal bruchstückweise und auch dann fast nur entwertend.

Nach drei Monaten intensiver Verhöre berichtete die Polizei, die "maßgebenden Persönlichkeiten des Verschwörerkreises" hätten einige Forderungen des Nationalsozialismus theoretisch anerkannt; aber: "Grundsätzliche Bestandteile des Programms, wie Rassenfrage und Kirchenfrage, verneinen sie entweder im Grundsatz", also theoretisch, oder "verwässern sie derart, daß von der grundsätzlichen Forderung kaum etwas übrigbleibt".

Diese "maßgebenden Persönlichkeiten des Verschwörerkreises" beriefen sich also nicht einmal auf eine angebliche anfängliche Zustimmung zu den grundsätzlichen Bestandteilen des Nationalsozialismus in der Theorie, wie Hamerow auf Grund eines früheren Verhörberichts behauptet, während er den diesem widersprechenden späteren ignoriert. Hier resümiert die Geheime Staatspolizei drei Monate nach dem Beginn ihrer Verhöre im Zusammenhang mit dem 20. Juli: "Die ganze innere Fremdheit, die die Männer des reaktionären Verschwörerkreises gegenüber den Ideen des Nationalsozialismus kennzeichnete, kommt vor allem in der Stellung zur Judenfrage zum Ausdruck. . . . Trotz aller bitteren Erfahrungen . . . stehen sie stur auf dem Standpunkt des liberalen Denkens, das den Juden grundsätzlich die gleiche Stellung zuerkennen will wie jedem Deutschen."

Patriotismus sei das verbreitetste Motiv des Widerstandes gewesen, nicht grundsätzliche Opposition gegen die Ideologie des Nationalsozialismus, meint Hamerow wiederholt. "Letztlich ausschlaggebend" sei die Entschlossenheit gewesen, die Konsequenzen der Niederlage zu vermeiden. Zum Beweis wird Hassell beschuldigt, er habe "wachsenden Gefallen an den Siegen der Wehrmacht" gefunden. Hamerow wörtlich: "Auch Hassells Appetit wurde durch die Erfolge der Wehrmacht angeregt." Sofort anschließend paraphrasiert er (zutreffend) Hassells Tagebucheintrag vom 24. Juni 1940, wo es wörtlich heißt: "Niemand kann die Größe des von Hitler erreichten Erfolges bestreiten. Aber das ändert nichts am inneren Charakter seiner Taten und an den grauenhaften Gefahren, denen nun alle höheren Werte ausgesetzt sind. Ein dämonischer Spartakus kann nur zerstörend wirken, wenn nicht rechtzeitig die Gegenwirkung eintritt. Man könnte verzweifeln unter der Last der Tragik, sich an den Erfolgen nicht freuen zu können."

Hamerow behauptet immer wieder, "das eigentliche Ziel des Staatsstreichs" sei die Beseitigung des Dritten Reiches bei Sicherung seiner Eroberungen gewesen. Warum allerdings der Sommer 1944 "den Widerständlern ein günstiger Augenblick" dafür zu sein schien, erklärt Hamerow nicht. Er unterschlägt auch, daß Dietrich Bonhoeffer, Helmuth von Moltke und Adam von Trott selbst in der Zeit, als Hitler seine größten Erfolge hatte, Gebietsverluste als unvermeidlich ansahen.

Hamerows 458 Seiten über die Motive des Widerstands stellen eine Anerkennung der existentiellen Bedeutung des Widerstands gegen den Nationalsozialismus dar, wenn auch nur mit Vorbehalten und Herablassung. Aber in dem Buch Hamerows ist so viel irrig, oberflächlich recherchiert, auf unvollständige Quellenkenntnis gestützt und irreführend, daß auch dem angesehenen Verlag ein Kopfschütteln nicht erspart werden kann.

PETER HOFFMANN

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