Lässt es sich in einem Totenhaus nicht vielleicht noch am besten leben? Nur ein paar Wochen hatte Odra Decker im Haus ihrer Kindheit bleiben wollen, um es aufzulösen. Doch nun ist seit dem Tod des Vaters schon der zweite herrliche Sommer ins Land gegangen, und noch immer ist nichts geschehen. Völlig bewegungsunfähig holt sie den ihr gänzlich unbekannten Josef von Házy ins Haus, der als ihr Sekretär an ihrer Stelle handeln soll. Der lernt jedoch schnell, der dritte im Bunde zu sein, sich ebenso mit der erstarrten Tochter wie mit dem Geist des toten Vaters - einem Kunsthistoriker, der an der deutschen Vergangenheit verzweifelt war - zu arrangieren. Statt es aufzulösen, nisten sich die beiden ein im Hause Decker, in dem doch eigentlich nicht länger gelebt werden kann. Und so droht das listige Haus, seine neuen Bewohner selbst aufs Angenehmste aufzulösen. Eine Geschichte von Niedergang und Neuanfang, und von der tragikomischen Unmöglichkeit, der Vergangenheit zu entfliehen. Leicht und sanft delirierend wie ein Sommertag im Liegestuhl, irreal und schwermütig, getragen von einem hintergründigen, aber unerbittlichen Humor.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Katharina Teutsch empfiehlt die etwas abseitigen Geschichten von Angelika Meier. Meiers neuer Roman führt sie in eine Professorenvilla im Ruhrpott und zu einer Tochter, die widerwillig den Nachlass ihres Vaters und eigene Erinnerungen sichtet. Wie Meier die "Trutzburgen moderner Ichbildung" erkundet beziehungsweise dekonstruiert, findet Teutsch gekonnt und vor allem komisch genug, um nicht trocken zu sein. Die verhandelten Neurosen, Anfälle, versehrten Biografien und auch noch eine Liebesgeschichte erzählt die Autorin so plastisch wie glaubhaft, versichert Teutsch.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.02.2022Das Tennisspiel der zwei Versehrten
Ach, diese grauenvolle Leere des Universums: Angelika Meiers Roman "Die Auflösung des Hauses Decker" richtet einen schonungslos komischen Blick auf die Rituale unserer bürgermoralischen Selbstberuhigung.
Lebenserfahrung kann beim Verfassen von Romanen nie schaden: "Ich sah Odra schweigend dabei zu, wie sie ihre kleine blaue Tablette schluckte und dazu übertrieben viel Wasser trank, wie wir es alle am Anfang unserer Medikamentengeschichte mit ritueller Wichtigtuerei machen." Obwohl man so etwas sicher nicht alle Tage denkt, vielleicht sogar noch nie gedacht hat, steht einem die Situation sofort vor Augen. Unwillkürlich kommt sogar die Frage auf, wieso man selbst den lächerlich großen Wasserbecher bis heute bei jeder Aspirinbehandlung hinunterspült, als würde es einem sonst auf der Stelle den Magen zerfetzen.
Angelika Meiers neuer Roman ist in dieser Hinsicht ein schonungslos komischer Blick auf die Rituale unserer bürgermoralischen Selbstberuhigung. Und welcher Schauplatz wäre dafür besser geeignet als eine alte Kunstprofessorenvilla voller Büsten und Gemälde, bibliophiler Erstausgaben, Familienmuff und schmerzhafter Erinnerungen an eine nicht ganz leichte Kindheit? "Die Auflösung des Hauses Decker" ist ein Roman über den Versuch, etwas abzuwickeln, das einen stattdessen gegen den eigenen Willen immer stärker einwickelt.
Die Frau, die uns hier ihrerseits verwickelt, hat schon vier Romane und zwei Erzählungsbände veröffentlicht. 2013 war ihr mit dem Psychiatrieroman "Heimlich, heimlich mich vergiss" ein Platz auf der Longlist des Deutschen Buchpreises beschieden. Ein weiterer toller Roman, "Osmo", über eine Solaranlage in Kalifornien wurde nur wenig beachtet. Angelika Meier ist offenbar eine jener leicht zu übersehenden Autorinnen, die seit bald zwanzig Jahren stur und beharrlich schreiben, was sie zu schreiben haben. Ihre Romane sind sonderbar. Ihre Figuren sind sonderbar. Die Orte der Handlung sind sonderbar oder, hochtrabender ausgedrückt: suspekte Institutionen. Etwa Kliniken, abgetakelte Industrieanlagen, Lehranstalten, Familienstammsitze. Dort bewegt sich Angelika Meier dann souverän in den Trutzburgen moderner Ichbildung oder auch -verhunzung.
Der Mensch im Meier-Roman ist ganz ohne Zweifel Patient in den Irrenhäusern Familie und Gesellschaft. Er ist Gefangener seiner Neurosen, Marionette in einem Spiel, das er immer nur so halb versteht und dem er durch Irrsinn oder Eigensinn zu entrinnen sucht. Und dass das alles nicht klingt wie Foucault mit Kafka-Fußnoten oder Kafka mit Foucault-Fußnoten, liegt nur daran, dass Angelika Meiers Prosa von der Muse der Komik geküsst ist.
"Die Auflösung des Hauses Decker" handelt vordergründig von einer Frau im Alter der Autorin, also ein Mittsechziger-Jahrgang. Sie kommt aus Berlin angereist, wo sie schon länger ein Leben als gescheiterte Künstlerin führt. Im Ruhrpott muss sie die Villa ihres Vaters ausräumen. Professor Decker war ein Achtundsechziger, der ohne nennenswerten Widerstand der Eltern mit dem Nazimuff derselben abrechnete, was auch zum Leitthema seiner kunsthistorischen Forschungen wurde. Stichwort: "negative Bildersucht"!
Seine Frau war ihm, als Odra drei war, davongelaufen, und so wuchs das Kind mutterlos auf mit einem kettenrauchenden Intellektuellen, der nachts den Atombombenabwurf auf Hiroshima im Fernseher anschaute, was die im Pyjama herumirrende Odra ebenso tief verstörte wie ihre erste Begegnung mit Picassos Guernica, das sich die "Friedensfreunde" Michi und Uschi als Posterdruck in ihre "zeittypisch gepflegt verwahrloste Wohnküche" gehängt hatten. Professor Decker war nicht ganz von dieser Welt gewesen - jedenfalls hatte er es "meisterhaft verstanden, sich ausnahmslos jedem Menschen durch übergroße Freundlichkeit zu entziehen."
Odra Deckers Name erinnert gewiss nicht zufällig an die seltsame Wesenheit Odradek, die in Kafkas Erzählung "Die Sorge des Hausvaters" durchs Gemäuer spukt. Denn anderes tut auch Odra nicht. In einem irren Wechsel aus Apathie und Anfall. Tatenlos steht oder liegt sie im Gerümpel ihrer Kindheit herum und weiß nicht, wo sie mit dessen Entsorgung beginnen soll. Also holt sie sich Hilfe. Ein Sekretär namens Josef (!) von Házy, der sich von München aus auf die Anzeige beworben hat, wird kurzerhand eingestellt, um die Kunstsammlung und die Bücher zu inventarisieren und zu veräußern. Weil Odra mit alldem so wenig wie möglich zu tun haben will, erteilt sie dem Herrn Sekretär bald eine Vollmacht. Abends sitzt man gemütlich im Fernsehzimmer und schaut den Tatort. Ab und an unternimmt man eine kleine Reise miteinander. An so sagenhafte Orte wie Bad Oeynhausen oder Quedlinburg. Von einem dieser Ausflüge kommt man schließlich verheiratet wieder in die Romanhandlung zurück. Einmal, nachdem es einen Streit über Einnahmeusancen von Tabletten gegeben hatte, sagt Odra, es wäre doch toll, wenn sie nun beide wieder gesund würden. Und so ist der gesamte Hausauflösungsroman auch ein Roman darüber, wie man parasitär das Leben eines anderen Menschen bewohnen kann - und zwar so, dass es beiden Seiten eine dienliche Sache ist. Denn auch Odra scheint sich in der Sozialwohnung ihrer Schwiegermutter zum ersten Mal im Leben pudelwohl zu fühlen.
Josef von Házy, der Erzähler der Geschichte, stammt eigentlich aus einer bildungsfernen Familie, die am berüchtigten Münchner Hasenbergl wohnte und Fellner hieß. Für ihn ist die Verwaltung des fremden Nachlasses ideal. "Ich fühlte mich recht eigentlich wie ein buddhistischer Novize beim Kiesrechen, bloß fröhlicher, konnte ich doch in meiner eigenen Leere beherzt in die herrliche Fülle all dieser alten Bücher greifen, statt mich in der grauenvollen Leere des Universums fügen zu müssen." Hinreißend sind auch seine Ausführungen zum Wesen des Hochstaplers, für den er sich hält: "Durch sein Ethos der bestmöglichen Darstellung hat er schließlich eine mitunter tiefere Ahnung von den unbegreiflichen Qualitäten einer Leistung als derjenige, der sie gedankenlos, vielleicht sogar unbewusst, tierhaft, quasi genialisch erbringt."
Und so gelingt es Josef, elegante Posen beim Tennis einzunehmen, Odras Kindheitshobby, dem sie beide auf dem örtlichen Sandplatz, einst Schauplatz westdeutscher Elitenbildung, frönen: "Ähnlich frei wie in der lachhaft schönen Hülle meines lächerlich falschen Namens fühlte ich mich also auch jetzt in meiner weißen Tenniskleidung auf dem heruntergekommen luxuriösen Tennisplatz rundum wohl in meiner Haut, und instinkthaft vollzog mein Körper sofort all die schönen Bewegungen und Gebärden des Tennisspielers, die ich bis dahin bloß aus gelegentlicher Anschauung kannte."
Angelika Meiers neuer Roman entfaltet in der hermetischen Welt der Professorenvilla und ihrer vorgelagerten Sportanlagen zwei versehrte Biographien aus Westdeutschland. Beide mit dezent angedeuteten Schmerzpunkten, die auch tief in die Tennisplatzseele der Nachkriegsgesellschaft hineinstrahlen. Der Autorin gelingt es dabei, eine vollkommen konstruierte und irrwitzige Liebesgeschichte durchaus glaubhaft zu machen.
Ob ihre Bücher optimistischer seien als sie selbst, wurde sie in einem Filmporträt des Goethe-Instituts gefragt, worauf, ohne mit der Wimper zu zucken, folgende Antwort kam, die wohl auch für Meiers Literatur gültig ist: "Ich bin gar nicht pessimistisch. Ich bin vielleicht paranoid, soziophob und depressiv und deswegen ganz grundsätzlich ein fröhliches Kerlchen." KATHARINA TEUTSCH
Angelika Meier:
"Die Auflösung des
Hauses Decker". Roman.
Diaphanes Verlag, Zürich 2021. 272 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ach, diese grauenvolle Leere des Universums: Angelika Meiers Roman "Die Auflösung des Hauses Decker" richtet einen schonungslos komischen Blick auf die Rituale unserer bürgermoralischen Selbstberuhigung.
Lebenserfahrung kann beim Verfassen von Romanen nie schaden: "Ich sah Odra schweigend dabei zu, wie sie ihre kleine blaue Tablette schluckte und dazu übertrieben viel Wasser trank, wie wir es alle am Anfang unserer Medikamentengeschichte mit ritueller Wichtigtuerei machen." Obwohl man so etwas sicher nicht alle Tage denkt, vielleicht sogar noch nie gedacht hat, steht einem die Situation sofort vor Augen. Unwillkürlich kommt sogar die Frage auf, wieso man selbst den lächerlich großen Wasserbecher bis heute bei jeder Aspirinbehandlung hinunterspült, als würde es einem sonst auf der Stelle den Magen zerfetzen.
Angelika Meiers neuer Roman ist in dieser Hinsicht ein schonungslos komischer Blick auf die Rituale unserer bürgermoralischen Selbstberuhigung. Und welcher Schauplatz wäre dafür besser geeignet als eine alte Kunstprofessorenvilla voller Büsten und Gemälde, bibliophiler Erstausgaben, Familienmuff und schmerzhafter Erinnerungen an eine nicht ganz leichte Kindheit? "Die Auflösung des Hauses Decker" ist ein Roman über den Versuch, etwas abzuwickeln, das einen stattdessen gegen den eigenen Willen immer stärker einwickelt.
Die Frau, die uns hier ihrerseits verwickelt, hat schon vier Romane und zwei Erzählungsbände veröffentlicht. 2013 war ihr mit dem Psychiatrieroman "Heimlich, heimlich mich vergiss" ein Platz auf der Longlist des Deutschen Buchpreises beschieden. Ein weiterer toller Roman, "Osmo", über eine Solaranlage in Kalifornien wurde nur wenig beachtet. Angelika Meier ist offenbar eine jener leicht zu übersehenden Autorinnen, die seit bald zwanzig Jahren stur und beharrlich schreiben, was sie zu schreiben haben. Ihre Romane sind sonderbar. Ihre Figuren sind sonderbar. Die Orte der Handlung sind sonderbar oder, hochtrabender ausgedrückt: suspekte Institutionen. Etwa Kliniken, abgetakelte Industrieanlagen, Lehranstalten, Familienstammsitze. Dort bewegt sich Angelika Meier dann souverän in den Trutzburgen moderner Ichbildung oder auch -verhunzung.
Der Mensch im Meier-Roman ist ganz ohne Zweifel Patient in den Irrenhäusern Familie und Gesellschaft. Er ist Gefangener seiner Neurosen, Marionette in einem Spiel, das er immer nur so halb versteht und dem er durch Irrsinn oder Eigensinn zu entrinnen sucht. Und dass das alles nicht klingt wie Foucault mit Kafka-Fußnoten oder Kafka mit Foucault-Fußnoten, liegt nur daran, dass Angelika Meiers Prosa von der Muse der Komik geküsst ist.
"Die Auflösung des Hauses Decker" handelt vordergründig von einer Frau im Alter der Autorin, also ein Mittsechziger-Jahrgang. Sie kommt aus Berlin angereist, wo sie schon länger ein Leben als gescheiterte Künstlerin führt. Im Ruhrpott muss sie die Villa ihres Vaters ausräumen. Professor Decker war ein Achtundsechziger, der ohne nennenswerten Widerstand der Eltern mit dem Nazimuff derselben abrechnete, was auch zum Leitthema seiner kunsthistorischen Forschungen wurde. Stichwort: "negative Bildersucht"!
Seine Frau war ihm, als Odra drei war, davongelaufen, und so wuchs das Kind mutterlos auf mit einem kettenrauchenden Intellektuellen, der nachts den Atombombenabwurf auf Hiroshima im Fernseher anschaute, was die im Pyjama herumirrende Odra ebenso tief verstörte wie ihre erste Begegnung mit Picassos Guernica, das sich die "Friedensfreunde" Michi und Uschi als Posterdruck in ihre "zeittypisch gepflegt verwahrloste Wohnküche" gehängt hatten. Professor Decker war nicht ganz von dieser Welt gewesen - jedenfalls hatte er es "meisterhaft verstanden, sich ausnahmslos jedem Menschen durch übergroße Freundlichkeit zu entziehen."
Odra Deckers Name erinnert gewiss nicht zufällig an die seltsame Wesenheit Odradek, die in Kafkas Erzählung "Die Sorge des Hausvaters" durchs Gemäuer spukt. Denn anderes tut auch Odra nicht. In einem irren Wechsel aus Apathie und Anfall. Tatenlos steht oder liegt sie im Gerümpel ihrer Kindheit herum und weiß nicht, wo sie mit dessen Entsorgung beginnen soll. Also holt sie sich Hilfe. Ein Sekretär namens Josef (!) von Házy, der sich von München aus auf die Anzeige beworben hat, wird kurzerhand eingestellt, um die Kunstsammlung und die Bücher zu inventarisieren und zu veräußern. Weil Odra mit alldem so wenig wie möglich zu tun haben will, erteilt sie dem Herrn Sekretär bald eine Vollmacht. Abends sitzt man gemütlich im Fernsehzimmer und schaut den Tatort. Ab und an unternimmt man eine kleine Reise miteinander. An so sagenhafte Orte wie Bad Oeynhausen oder Quedlinburg. Von einem dieser Ausflüge kommt man schließlich verheiratet wieder in die Romanhandlung zurück. Einmal, nachdem es einen Streit über Einnahmeusancen von Tabletten gegeben hatte, sagt Odra, es wäre doch toll, wenn sie nun beide wieder gesund würden. Und so ist der gesamte Hausauflösungsroman auch ein Roman darüber, wie man parasitär das Leben eines anderen Menschen bewohnen kann - und zwar so, dass es beiden Seiten eine dienliche Sache ist. Denn auch Odra scheint sich in der Sozialwohnung ihrer Schwiegermutter zum ersten Mal im Leben pudelwohl zu fühlen.
Josef von Házy, der Erzähler der Geschichte, stammt eigentlich aus einer bildungsfernen Familie, die am berüchtigten Münchner Hasenbergl wohnte und Fellner hieß. Für ihn ist die Verwaltung des fremden Nachlasses ideal. "Ich fühlte mich recht eigentlich wie ein buddhistischer Novize beim Kiesrechen, bloß fröhlicher, konnte ich doch in meiner eigenen Leere beherzt in die herrliche Fülle all dieser alten Bücher greifen, statt mich in der grauenvollen Leere des Universums fügen zu müssen." Hinreißend sind auch seine Ausführungen zum Wesen des Hochstaplers, für den er sich hält: "Durch sein Ethos der bestmöglichen Darstellung hat er schließlich eine mitunter tiefere Ahnung von den unbegreiflichen Qualitäten einer Leistung als derjenige, der sie gedankenlos, vielleicht sogar unbewusst, tierhaft, quasi genialisch erbringt."
Und so gelingt es Josef, elegante Posen beim Tennis einzunehmen, Odras Kindheitshobby, dem sie beide auf dem örtlichen Sandplatz, einst Schauplatz westdeutscher Elitenbildung, frönen: "Ähnlich frei wie in der lachhaft schönen Hülle meines lächerlich falschen Namens fühlte ich mich also auch jetzt in meiner weißen Tenniskleidung auf dem heruntergekommen luxuriösen Tennisplatz rundum wohl in meiner Haut, und instinkthaft vollzog mein Körper sofort all die schönen Bewegungen und Gebärden des Tennisspielers, die ich bis dahin bloß aus gelegentlicher Anschauung kannte."
Angelika Meiers neuer Roman entfaltet in der hermetischen Welt der Professorenvilla und ihrer vorgelagerten Sportanlagen zwei versehrte Biographien aus Westdeutschland. Beide mit dezent angedeuteten Schmerzpunkten, die auch tief in die Tennisplatzseele der Nachkriegsgesellschaft hineinstrahlen. Der Autorin gelingt es dabei, eine vollkommen konstruierte und irrwitzige Liebesgeschichte durchaus glaubhaft zu machen.
Ob ihre Bücher optimistischer seien als sie selbst, wurde sie in einem Filmporträt des Goethe-Instituts gefragt, worauf, ohne mit der Wimper zu zucken, folgende Antwort kam, die wohl auch für Meiers Literatur gültig ist: "Ich bin gar nicht pessimistisch. Ich bin vielleicht paranoid, soziophob und depressiv und deswegen ganz grundsätzlich ein fröhliches Kerlchen." KATHARINA TEUTSCH
Angelika Meier:
"Die Auflösung des
Hauses Decker". Roman.
Diaphanes Verlag, Zürich 2021. 272 S., geb., 24,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Angelika Meier hat sichtlich Freude daran, ihre Leserinnen und Leser vor den Kopf zu stoßen. Alle wichtigen Informationen versteckt sie in Zeitsprüngen und Rückblenden. So tanzt man sich lesend durch den Roman - vor und zurück durchs marode Decker-Haus die steile Treppe hinauf und runter.« Corinne Orlowski, WDR 3