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...ein Roman, auf der Suche nach den Spuren des verlorenen Vaters, die zur Verlogenheit innerhalb einer Familie führen...

Produktbeschreibung
...ein Roman, auf der Suche nach den Spuren des verlorenen Vaters, die zur Verlogenheit innerhalb einer Familie führen...
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.12.1996

In den Familiengewässern
Ein Elementarereignis: Rachid Boudjedras Roman "Die Auflösung" · Von Karl Markus Gauß

Rachid Boudjedra ist kein Romancier, sondern ein poetisches Elementarereignis. Elementarereignissen kann man nur entweder ausweichen oder sich ihnen aussetzen. Und so wird man sich auch vor der Wucht, mit der Boudjedra seine erzählerischen Katarakte schießen läßt, nur schützen können, indem man diese Bücher rechtzeitig aus der Hand legt. Tut man es nicht, wird man unweigerlich mitgerissen.

Diese sprachgewaltige und mit Bildern der Gewalt durchtränkte Literatur mag nicht jedermanns Sache sein, und sich gegen sie zu sperren, ist ein durchaus statthaftes Unterfangen. Immerhin sollte man es wenigstens mit ihr probiert haben, denn unzweifelhaft ist der 1941 in Algerien geborene, aus der Zerrissenheit seiner berberischen, arabischen und französischen Identität schreibende Boudjedra ein grandioser wie verstörender Erzähler. Vielen gilt er seit langem als bedeutendster Autor des Maghreb, der formale Meisterschaft mit einem Pathos der Wut, Verzweiflung und wilden Empörung verbindet.

Nachdem er mit etlichen auf französisch verfaßten Romanen, Gedicht- und Essaybänden bekannt geworden war, überraschte Boudjedra 1982 die literarische Öffentlichkeit, indem er sich für das Arabische als Literatursprache entschied. Seine Rückwendung, der nicht wenige Schriftsteller aus Marokko, Tunesien und Algerien folgen sollten, war damals weniger als Absage an die einstige Kolonialmacht gemeint, sondern als Zeichen eines nordafrikanischen Autors gesetzt, der sich selber als Teil der widersprüchlichen, an Niederlagen so reichen Geschichte Arabiens verstehen gelernt hatte. Ist die Kritik an der französischen Kolonialmacht in einigen Romanen Boudjedras auch vehement, vehementer ist sie, wenn sie algerischen Verhältnissen gilt. Dabei scheut Boudjedra keine Tabus, weder die neuen der politischen Machthaber, die auf brutale Modernisierung, noch die alten der Islamisten, die auf menschenverachtende Traditionen setzen.

,Die Auflösung", erschienen im Verlag Donata Kinzelbach, der sich um die maghrebinische Literatur große Verdienste erworben hat, ist im Original 1984 als der zweite von Boudjedras auf arabisch verfaßten Romanen veröffentlicht worden. Ein Schriftsteller kehrt ins Haus des Vaters zurück, eines sexbesessenen Tyrannen, der im Sterben liegt; mit ihm schickt sich seine fünfte Frau nach langem Leiden an, die irdische Welt zu verlassen. In das Haus der frühen Beschämungen und Revolten zurückgekehrt, gibt sich der Ich-Erzähler einem geradezu ekstatischen Rausch der Erinnerung hin, der all die quälenden und demütigenden Ereignisse von Kindheit und Jugend heraufbeschwört und die abstoßenden Seiten der Familiengeschichte wieder aufschlägt.

Der Besuch zu Hause gerät zur mitleidlosen Abrechnung mit der Familie, "diesem abscheulichen Sumpfloch", und der Verfluchung jener "faulen Familiengewässer", von denen jedes bessere Empfinden jahrzehntelang fortgeschwemmt worden war. Der despotische Vater, ein reicher Wüstling, war zeitlebens in der Welt unterwegs gewesen, präsent nur in den Ansichtskarten, die er von überall schickte, und in der wachsenden Zahl an Ehefrauen, die er nach ein paar Jahren und dem Abklingen seiner Lust in der Villa wie abgelegte Besitztümer zu deponieren pflegte. Nun muß sich der Sohn der ersten Frau überlegen, wie er das Begräbnis des Vaters und der fünften Frau organisieren soll. Denn diese ist Jüdin, und obwohl sie zwei mittlerweile erwachsene Kinder geboren hat, hat sie der gläubige Muslim nie nach religiösem Ritus geheiratet.

Im väterlichen Hause über die Möglichkeiten der Beerdigung sinnierend, taucht der Erzähler in die Abgründe seiner Kindheit hinab, und er sucht sogleich zu protokollieren, was ihn an Schreckensbildern durchfährt: "Vor mir lag der Garten, und ich schrieb beim Schein der Lampe und lauschte dem melodischen Gewisper der Vögel und dem klagenden Geflüster des kranken Vaters. Die Nacht wurde immer finsterer, und vor mir lagen sämtliche Fotos, Postkarten, Handelsverträge und schriftlichen Zeugnisse des familiären Bankrotts."

Die Gefühle und Gedanken, Erinnerungen und Halluzinationen des Sohnes werden von Boudjedra in einem über fast dreihundert Seiten niemals abreißenden, atemlos gehetzten Bewußtseinsstrom dargeboten. Leitmotivisch kehren frühe Verletzungen des Kindes wieder; grelle Bilder sexueller Gewalt und Schreckensszenen familiären Terrors strukturieren den Strom des Erinnerns, der den Sohn gleichermaßen mitreißt wie den Leser. Was Rachid Boudjedra dabei entfaltet, ist ein überwältigendes Sprachkunstwerk, das in seiner ungebändigten Kraft und Vielschichtigkeit seinesgleichen sucht.

Texte der klassischen und der arabischen Literatur finden sich in diesem assoziativen Sturzbach ebenso wieder wie Selbstzitate Boudjedras und rhythmische Wiederholungen vorangegangener Abschnitte des Romans, krude Realitätspartikel oder lyrische Passagen. Härter könnte die Abrechnung mit einer menschenverachtenden Form des Islam nicht ausfallen, als sie hier im Abgesang auf einen gläubigen Despoten und eine wohlanständige Familie der algerischen Oberschicht exekutiert wird. Seit Jahren ist Boudjedra, dessen Werke in Algerien zuweilen verboten sind, dann in die Schulbücher aufgenommen worden, um wenig später wieder der Zensur zum Opfer zu fallen, auf der Flucht vor den fundamentalistischen Häschern. Er ist ihnen ein wortmächtiger Feind nicht weniger als der politischen Nomenklatura, die Algerien mit ihrer Korruption erst zur Beute der Fundamentalisten gemacht hat.

Rachid Boudjedra: "Die Auflösung". Roman. Aus dem Arabischen übersetzt von Monika Hoffmann und Salah Tamen. Verlag Donata Kinzelbach, Mainz 1996. 282 S., geb., 38,- DM.

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