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Die 12jährige Marta schildert rückblickend die Geschichte ihrer Kindheit. Sie erzählt von ihren Eltern, die sie nicht lieben, sich kühl und abweisend verhalten. Von ihrer Mutter, die nicht mit "Mama" angesprochen werden will, und von ihrem Vater, der sich hinter seiner Arbeit verschanzt. Martas einziger Trost ist Leonor, die alte Haushälterin, die sie großzieht und die ihr all ihre Liebe gibt. Leonor ist es auch, die schließlich das Schweigen bricht und Marta den Grund für das Verhalten der Eltern verrät. Und so kommt es am Ende doch noch zu einer Annäherung zwischen Mutter und Tochter.

Produktbeschreibung
Die 12jährige Marta schildert rückblickend die Geschichte ihrer Kindheit. Sie erzählt von ihren Eltern, die sie nicht lieben, sich kühl und abweisend verhalten. Von ihrer Mutter, die nicht mit "Mama" angesprochen werden will, und von ihrem Vater, der sich hinter seiner Arbeit verschanzt. Martas einziger Trost ist Leonor, die alte Haushälterin, die sie großzieht und die ihr all ihre Liebe gibt. Leonor ist es auch, die schließlich das Schweigen bricht und Marta den Grund für das Verhalten der Eltern verrät. Und so kommt es am Ende doch noch zu einer Annäherung zwischen Mutter und Tochter.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.10.1997

Haus der verschwiegenen Toten
Alice Vieira erzählt von einer Kindheit ohne Wärme

Die Wohnung wird immer enger, ein Raum nach dem anderen wird verriegelt. Weiße Laken umhüllen das Mobiliar mit den Schubladen voller Mottenkugeln. Doch die Seelen der Verstorbenen kriechen aus den Wänden der Totenzimmer, glauben die Bewohner. "Ich werde wahnsinnig!" schreit die Hausherrin durch die Flure der weitläufigen Lissabonner Wohnung. "Wieder eine Krise", murmelt der Ehemann, und die Tochter Marta drückt sich in der Küche an den Kittel der alten Haushälterin. Ein unausgesprochenes "großes Verhängnis" droht das Leben in dieser portugiesischen Oberschichtsfamilie zu ersticken. Nur durch das Märchen vom Prinzen Graciano und die Geschichte von Sitting Bull gelingt Marta die Flucht aus der ins Stocken geratenen Welt. In das Schicksal des Prinzen phantasiert Marta ihr eigenes, denn Gracianos Mutter sucht ihren Sohn überall. Und nichts wünscht Marta sich sehnlicher, als von ihrer eigenen Mutter wahrgenommen zu werden.

Alice Vieira erzählt von einer Kindheit ohne Wärme. Marta selbst redet sich die Bedrängnis von der Seele. Die häßlichen, petits fours kauenden Spanierinnen kommen ihr in den Sinn, zu deren Empfang die Mutter sie kurz in den Salon zitiert, die kalten Porzellanpuppen, die der Vater ihr Jahr für Jahr zum Geburtstag in die Hand drückt, die Beschwörungsformeln der Haushälterin gegen Krankheit und Verrat. Es entsteht eine vielschichtige Komposition aus Stimmen und Erinnerungen, dicht verwoben wie ein polyphones Klangstück.

Was Marta so abscheulich vertraut ist, das stiftet beim Leser zunächst Verwirrung: Wer sind die Spanierinnen? Was hat ein gewisser Martim mit Sitting Bull zu tun? Was hat es mit dem "großen Verhängnis" auf sich, und wen spricht die Erzählerin mit du an? Erst nach und nach fügt sich alles zu einer Geschichte. Martim ist Martas Vater, der als Kind den Indianerhäuptling spielte. Er war der Liebling der Haushälterin, bis Martas Mutter, Flávia, kam. Mit Flávia drangen auch ihre Verwandten, die Spanierinnen, ins Haus, und die hatten ihren Anteil am Schweigen über das "Verhängnis": Flávias erste Tochter, Ana Marta, wurde vor Martas Geburt bei einem Verkehrsunfall getötet. Ihr Name darf nie wieder erwähnt werden, und Flávia fällt immer tiefer in die Depression. So gibt der Roman auch Einblick in die seelischen Verkrampfungen einer bürgerlichen Familie, die vor allem den Schein wahren will, vor sich und anderen. Nachdem aber die Haushälterin das Schweigen bricht, stürmen die Erinnerungen auf Marta ein. Sie spricht zu Ana Marta, der nie gekannten großen Schwester.

Selbst als schließlich alles zusammengefügt ist, verliert der Text nicht an Spannung. Im Gegenteil: Die verschiedenen Stimmen mit ihren je eigenen Timbres wirken noch intensiver. Alice Vieiras Roman ist ein unerhörter Verstoß gegen das in der Jugendliteratur ungeschriebene Gesetz der Transparenz. Doch erfahrene junge Leser werden die komplexe Struktur des Romans als ein ästhetisches Erlebnis schätzen. Zum Schluß zollt der Roman dem Genre zwar noch seinen Tribut und bietet einen guten Ausgang an: Die dem Wahnsinn fast verfallene Flávia wird plötzlich gesund. Doch das wird mehr behauptet als erzählt. CHRISTOPH SCHMITZ

Alice Vieira: "Die Augen von Ana Marta". Aus dem Portugiesischen von Nicolai von Schweder-Schreiner. Fischer Verlag, Frankfurt/M. 1997. 160 S., geb. 19,80 DM. Ab 12 J.

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