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Produktdetails
  • Verlag: C.H.Beck München
  • ISBN-13: 9783406420917
  • ISBN-10: 3406420915
  • Artikelnr.: 24430969
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.04.1999

Große Überraschung: die Einheit
Schöllgens Darstellung der deutschen Nachkriegs-Außenpolitik

Gregor Schöllgen: Die Außenpolitik der Bundesrepublik Deutschland. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. Beck'sche Reihe 1291. Verlag C. H. Beck, München 1999. 249 Seiten, 19,90 Mark.

Nicht alle Tage wird einer Neuerscheinung zur (bundes)deutschen Außenpolitik hohe amtliche Aufmerksamkeit zuteil. Schöllgens Buch jedoch wurde im Bonner "Haus der Geschichte" von Außenminister Fischer vorgestellt. Damit kam wohl die langjährige Verbundenheit des Ministeriums an der Adenauerallee zu dem Erlanger Lehrstuhlinhaber für Neuere und Neueste Geschichte zum Ausdruck, der jungen Anwärterinnen und Anwärtern des Auswärtigen Dienstes historisches Rüstzeug und internationale Politik vermittelt. Schöllgens Vorgänger in diesem Bereich der Diplomatenausbildung, Andreas Hillgruber, wirkte offensichtlich als Vorbild. Denn der 1989 verstorbene Kölner Ordinarius veröffentlichte erstmals 1973 eine überblickartige Geschichte der Deutschen Frage in der Weltpolitik 1945 bis 1972, die er in mehreren Auflagen bis zum Regierungswechsel im Jahr 1982 fortschrieb. Wie seinerzeit Hillgruber, so wendet sich Schöllgen an einen größeren Leserkreis. Auf knappem Raum - Anmerkungen auf den Nachweis wörtlicher Zitate beschränkt - gelingt es ihm, ein halbes Jahrhundert deutscher Außenpolitik packend und faktengesättigt nachzuzeichnen.

Einführend erinnert Schöllgen an die institutionell begrenzten Gestaltungsmöglichkeiten des am 15. März 1951 wiedererrichteten Auswärtigen Amts (Richtlinienkompetenz des jeweiligen Bundeskanzlers), ferner an den bundesdeutschen Gründungsvorbehalt, daß der westdeutsche Staat bis zum Ziel der Vereinigung mit dem ostdeutschen Gegenstaat nur als Provisorium gedacht war. Dann läßt er in vier Kapiteln 40 Jahre der Teilung Deutschlands Revue passieren, mit den Zäsuren 5. Mai 1955 (Gewährung der "fast vollständigen Souveränität"), 13. Dezember 1966 (erstmalige Mitverantwortung der SPD auf Regierungsebene mit dem Angebot des CDU-Bundeskanzlers Kiesinger, Beziehungen mit "allen" Völkern zu unterhalten, so daß sich das Ende der unhaltbar gewordenen Hallstein-Doktrin abzeichnete) und 1. August 1975 (Abschluß der "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" in Helsinki mit dem indirekten Ergebnis, daß die Deutsche Frage "im Sinne der Teilung Deutschlands auf absehbare Zeit entschieden sei"). Der folgende Zeitraum bis 1989 steht für Schöllgen ganz im Zeichen der "Sicherung des Status quo": die "vielleicht ungewollte" finanzielle Stabilisierung der DDR und des Ostblocks, die heftige Debatte um die Nachrüstung und schließlich der größte Triumph Erich Honeckers im September 1987. Dessen Bundesrepublik-Visite mußte aus Ost-Berliner Sicht "gleichbedeutend mit dem endgültigen Todesstoß für die Bonner ,Alleinvertretungsanmaßung'" erscheinen. Damals rückte die Wiedervereinigung bewußtseinsmäßig in eine solche Ferne, daß die Ereignisse im Herbst 1989 als größte Überraschung hereinbrachen.

Der "neuen Lage" seit dem Gorbatschow-Besuch in Bonn im Juni 1989 ist das letzte Kapitel gewidmet. Die von der DDR-Bevölkerung auf die weltpolitische Tagesordnung katapultierte Forderung nach Einheit und die von der UdSSR abgetrotzte Zustimmung zur Nato-Mitgliedschaft des vereinigten Deutschlands waren letztlich ein "cash"-Problem zwischen Bonn und Moskau, wie Bundeskanzler Kohl gegenüber Präsident Bush und Außenminister Baker bekannte. So stieg Deutschland über Nacht wieder zu einer "Großmacht mit weltpolitischem Gewicht" auf, was die meisten Deutschen nicht wahrhaben wollten: "Sie gingen vielmehr davon aus, daß auch die erweiterte Bundesrepublik künftig im Windschatten des weltpolitischen Geschehens als mittlere Macht prosperieren könne." Schnell wurde deutlich, daß die Zeiten der hilflos wirkenden "Scheckbuch-Diplomatie", die während des Zweiten Golfkrieges 1991 ein letztes Mal funktionierte, vorbei waren. Die Verbündeten und die Völkergemeinschaft forderten nun Unterstützung ein, ob in Somalia oder auf dem Balkan. Trotz der Last der nationalsozialistischen Vergangenheit, mit der die bundesdeutsche Außenpolitik seit 1949 mal mehr, mal weniger konfrontiert wurde, überzeugte das Argument kaum mehr, "daß dort, wo die Erinnerung an die Wehrmacht noch lebendig war, der Einsatz deutscher Soldaten nicht in Betracht kommen könne".

In der Schlußbetrachtung wendet sich Schöllgen gegen das Vorurteil, daß das Markenzeichen deutscher Außenpolitik in Schwerfälligkeit und mangelnder Flexibilität bestanden habe. So werden den Bundeskanzlern - mit Ausnahme Ludwig Erhards - durchweg gute Noten erteilt, insbesondere in der Sicherheits- und in der Deutschlandpolitik: "Eigentlich schon seit den fünfziger Jahren hatte die deutsche Politik nämlich nicht weniger zu leisten, als einen Zustand, den zu ändern sie angehalten war, als realistischerweise nicht änderbar zu akzeptieren und sich in ihm einzurichten." Nachdem sich die Bundesrepublik in einem jahrzehntelangen Prozeß selbst als "Ersatznation" (Willy Brandt) anerkannt hatte, wurde sie durch die Vereinigung sowohl außenpolitisch vollständig souverän als auch ein deutscher Nationalstaat.

Die deutsche Außenpolitik zwischen 1871 und 1945 übertraf sich hin und wieder darin, Unmögliches ermöglichen zu wollen, und zwar mit schrecklichsten Konsequenzen. Demgegenüber konzentrierte sich - so Schöllgens Gesamtbilanz - "die rheinische Republik im ganzen erfolgreich auf die Ermöglichung des Erforderlichen".

RAINER A. BLASIUS

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"Schöllgen kennt sich in der deutschen Außenpolitik aus wie wenige sonst."
Die Welt

"Das mitunter sehr komplexe außenpolitische Umfeld zu beleuchten, Wendepunkte und Akteure zu nennen, darin liegen die Stärken der Darstellung von Schöllgen."
Handelsblatt