Mit der Übersetzung der zwischen 2005 und 2013 verfassten "kritischen Träume" Jean-Max Colard veröffentlicht der Wolff Verlag eine Serie von poetischen Miniaturen über die Gegenwartskunst.
Das vorliegende Buch umfasst eine Sammlung von Texten des 1968 geborenen französischen Kunstkritikers, Kurators und Literaturwissenschaftlers Jean-Max Colard. Sie dokumentieren Spuren einer langjährigen kuratorischen und kunstkritischen Praxis, deren konstitutive Regeln die von Colard selbst als "kritische Träume" (rêves critiques) bezeichneten Notate spielerisch hinterfragen. Im Traum arbeitet sich Colard an seiner vielfältigen Praxis im Grenzgebiet zwischen Literatur und Gegenwartskunst ab. Es handelt sich um hybride Texte der jüngsten Entwicklung der literarischen Kunstkritik, welche die Prämissen der Kritik, zu urteilen und zu unterscheiden, in der Form und dem Motiv des Traumes aufgehen lassen und die an die Kritik gestellten Anforderungen poetisch auflösen.
In ihrer editorischen Zusammenstellung bilden die "kritischen Träume" ein Archiv an Ausstellungen und Konfrontationen mit Künstlern und Kunstwerken, die sich in der intimen Sphäre des Traumes des Kunstkritikers sedimentiert haben. In ihrer Zusammenstellung arrangiert die poetische Kunstkritik Colards die Erinnerung an Kunstwerke oder Ausstellungen in einem neuen Zusammenhang. Als "kritische Träume" drücken die Texte ein Begehren aus, literarischer über Kunst zu schreiben und die auferlegte Distanz des professionellen Kunstkritikers zu seinem Gegenstand herauszufordern.
Ein umfangreiches Vorwort des Herausgebers sowie ein Personen-, Orts- und Sachregister runden die Übersetzung ab.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Das vorliegende Buch umfasst eine Sammlung von Texten des 1968 geborenen französischen Kunstkritikers, Kurators und Literaturwissenschaftlers Jean-Max Colard. Sie dokumentieren Spuren einer langjährigen kuratorischen und kunstkritischen Praxis, deren konstitutive Regeln die von Colard selbst als "kritische Träume" (rêves critiques) bezeichneten Notate spielerisch hinterfragen. Im Traum arbeitet sich Colard an seiner vielfältigen Praxis im Grenzgebiet zwischen Literatur und Gegenwartskunst ab. Es handelt sich um hybride Texte der jüngsten Entwicklung der literarischen Kunstkritik, welche die Prämissen der Kritik, zu urteilen und zu unterscheiden, in der Form und dem Motiv des Traumes aufgehen lassen und die an die Kritik gestellten Anforderungen poetisch auflösen.
In ihrer editorischen Zusammenstellung bilden die "kritischen Träume" ein Archiv an Ausstellungen und Konfrontationen mit Künstlern und Kunstwerken, die sich in der intimen Sphäre des Traumes des Kunstkritikers sedimentiert haben. In ihrer Zusammenstellung arrangiert die poetische Kunstkritik Colards die Erinnerung an Kunstwerke oder Ausstellungen in einem neuen Zusammenhang. Als "kritische Träume" drücken die Texte ein Begehren aus, literarischer über Kunst zu schreiben und die auferlegte Distanz des professionellen Kunstkritikers zu seinem Gegenstand herauszufordern.
Ein umfangreiches Vorwort des Herausgebers sowie ein Personen-, Orts- und Sachregister runden die Übersetzung ab.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Xaver von Cranach lernt die Lust am Spiel neu kennen mit Jean-Max Colards Traum-Miniaturen aus und über die Kunstwelt. Wenn der Literarturwissenschaftler, Kurator und Kunstkritiker die gewohnte Kunstkritik in seinen Texten aus den Jahren 2005 bis 2013 konsequent in den Traum und den Traum ins Transitive überführt und Künstler, Werke , Ausstellungen, Partys und Gespräche mixt, erkennt Cranach das experimentelle Potenzial dahinter, aber auch einen emphatischen Kunstbegriff, bei dem mit der Auseinandersetzung mit dem Geschauten neue Reflexionsebenen erreicht werden. Unbewusstes und nachträglich Ergänztes oder Erfundenes sind für den Rezensenten zwar nicht zu unterscheiden, doch findet er den durch die Register im Band erschlossenen Aufenthalt in Colards Traumlabor höchst anregend und produktiv.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.08.2016Cattelan trifft
Eva Braun
Jean-Max Colard betreibt
Kunstkritik als Traum und Spiel
„Nacht vom 12. zum 13. Dezember: Mitten in der Stadt krümmt sich ein Esel in einer zwischen zwei Türmen gespannten Hängematte. – Maurizio Cattelan.“ In einer anderen Nacht trifft ebendieser italienische Künstler auf Eva Braun. In wieder einer anderen Nacht befinden sich Stormtrooper im Pariser Palais de Tokyo, den beim Abendessen angetroffene Japaner übrigens „scheiße finden“. In wieder einer anderen Nacht schreibt Charles Baudelaire Briefe an den 150 Jahre später, also heute lebenden Philosophen Jacques Rancière.
Jean-Max Colard, Literaturwissenschaftler, Kurator und Kunstkritiker, träumt sich durch die Kunstwelt, aber, und das ist entscheidend, er träumt nicht von etwas, sondern überführt den Traum konsequent ins Transitive: „Ich träume eine Kasseler Documenta, auf der alle aus den dominierenden Ländern des Kunstmarkts stammenden oder auf die eine oder auf die andere Weise mit den großen New Yorker, schweizer oder deutschen Galerien verbundenen Werke zunächst einwandfrei montiert, alsbald aber systematisch abgehängt werden.“ Er träumt Ausstellungen, Künstler, einzelne Werke, Partys und Gespräche.
Die von Colard selbst als „kritische Träume“ bezeichneten Miniaturen entstanden zwischen 2005 und 2013, wurden ursprünglich im Internet veröffentlicht und schließlich als Buch herausgegeben. Zwei verschiedene Kategorien gibt es: die im Nachhinein entstandenen und die „antizipativen Träume“, die vor einem geplanten Ereignis entstehen, einer Ausstellung, die zu sehen, einem Text, der zu schreiben ist. Als Colard Anfang Juli in Berlin die deutsche Übersetzung von „Die Ausstellung meiner Träume“ vorstellte, sprach er von seinen „Nachtaktivitäten“, die für ihn, der sonst hauptsächlich Kritiken für die Kulturzeitschrift Les Inrockuptibles schreibt, besonders wichtig waren. Colard gilt in Paris als Hansdampf in allen kulturellen Gassen, der auf Grund seines literarischen Zugangs zur Kunstkritik, der von ihm kuratierten Ausstellungen (wie vor zwei Jahren im Centre Pompidou über die Schriftstellerin Marguerite Duras) und der in seinen Texten auch zur Schau gestellten Freundschaft zu Künstlern (zum Beispiel zu Cyprien Gaillard) von der sonst üblichen Distanz des Kritikers zum Milieu, über das er schreibt, nicht viel hält. Insofern stellen die kritischen Träume ein Experiment dar, die zentrale Erwartung an Kritik, zu unterscheiden und zu urteilen, gezielt zu enttäuschen. Stattdessen macht er sich quasi durch die Falltür aus dem Staub. Statt zu unterscheiden, wird zusammengewürfelt, statt zu urteilen, wird weitergesponnen.
Man kann hierin vielleicht den Versuch sehen, einen emphatischen Kritikbegriff zu rehabilitieren, der versucht, durch die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen ein neues Reflexionslevel zu erreichen. Walter Benjamin nannte das in seiner Schrift „Der Begriff der Kunstkritik in der Romantik“: „objektiv produktiv, schöpferisch aus Besonnenheit“. Indem Colard die Kritik nun an den Traum bindet, schöpft er quasi aus seinem Unbewussten, das dem täglich mit Kunst konfrontierten Kritiker als vollgesogener Schwamm dient, den er im Traum genussvoll ausdrückt: der Traum als review, also als wieder Gesehenes: Man schreibt auf, was man noch einmal vor dem inneren Auge gesehen hat, aber anders als der Kunstkritiker ist der Träumende dabei hochgradig ausgesetzt – und zwar sich selbst. Wie ein Kapitän, der den Anker eines Schiffes lichtet, das kein Ruder hat.
Natürlich weiß der Leser nie, wie exakt Colard einen Traum im Nachhinein notiert hat, ob er ergänzt oder ganz erfindet. Es ist die Ungewissheit, die die Aura des Traums ausmacht und die auch auf den Leser der kritischen Träume überspringt. Ein „Labor des Zweifels“ sieht Colard in seiner träumerischen Praxis, und es ist höchst produktiv, sich in diesem Labor umzusehen und zusammenzumischen, was einem vielversprechend erscheint. Also einfach das Namens-, Sach- und Ortsregister aufzuschlagen und sich von Cyprien Gaillard über Tennis bis ins ZKM Karlsruhe zu verlesen. Eine Vermessung der gegenwärtigen Kunstszene, nur dass der Kartograf schlief, als er zeichnete, und man sich daher auf nichts wirklich verlassen kann. Im Zweifel nur auf die Lust am Spiel.
XAVER VON CRANACH
Jean-Max Colard: Die Ausstellung meiner Träume. Wolff Verlag, Berlin 2016. Aus dem Französischen von Christian Hartwig Steinau. 117 S., 14,90 Euro.
Colard ist wie ein Kapitän, der
den Anker eines Schiffes lichtet,
das kein Ruder hat
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Eva Braun
Jean-Max Colard betreibt
Kunstkritik als Traum und Spiel
„Nacht vom 12. zum 13. Dezember: Mitten in der Stadt krümmt sich ein Esel in einer zwischen zwei Türmen gespannten Hängematte. – Maurizio Cattelan.“ In einer anderen Nacht trifft ebendieser italienische Künstler auf Eva Braun. In wieder einer anderen Nacht befinden sich Stormtrooper im Pariser Palais de Tokyo, den beim Abendessen angetroffene Japaner übrigens „scheiße finden“. In wieder einer anderen Nacht schreibt Charles Baudelaire Briefe an den 150 Jahre später, also heute lebenden Philosophen Jacques Rancière.
Jean-Max Colard, Literaturwissenschaftler, Kurator und Kunstkritiker, träumt sich durch die Kunstwelt, aber, und das ist entscheidend, er träumt nicht von etwas, sondern überführt den Traum konsequent ins Transitive: „Ich träume eine Kasseler Documenta, auf der alle aus den dominierenden Ländern des Kunstmarkts stammenden oder auf die eine oder auf die andere Weise mit den großen New Yorker, schweizer oder deutschen Galerien verbundenen Werke zunächst einwandfrei montiert, alsbald aber systematisch abgehängt werden.“ Er träumt Ausstellungen, Künstler, einzelne Werke, Partys und Gespräche.
Die von Colard selbst als „kritische Träume“ bezeichneten Miniaturen entstanden zwischen 2005 und 2013, wurden ursprünglich im Internet veröffentlicht und schließlich als Buch herausgegeben. Zwei verschiedene Kategorien gibt es: die im Nachhinein entstandenen und die „antizipativen Träume“, die vor einem geplanten Ereignis entstehen, einer Ausstellung, die zu sehen, einem Text, der zu schreiben ist. Als Colard Anfang Juli in Berlin die deutsche Übersetzung von „Die Ausstellung meiner Träume“ vorstellte, sprach er von seinen „Nachtaktivitäten“, die für ihn, der sonst hauptsächlich Kritiken für die Kulturzeitschrift Les Inrockuptibles schreibt, besonders wichtig waren. Colard gilt in Paris als Hansdampf in allen kulturellen Gassen, der auf Grund seines literarischen Zugangs zur Kunstkritik, der von ihm kuratierten Ausstellungen (wie vor zwei Jahren im Centre Pompidou über die Schriftstellerin Marguerite Duras) und der in seinen Texten auch zur Schau gestellten Freundschaft zu Künstlern (zum Beispiel zu Cyprien Gaillard) von der sonst üblichen Distanz des Kritikers zum Milieu, über das er schreibt, nicht viel hält. Insofern stellen die kritischen Träume ein Experiment dar, die zentrale Erwartung an Kritik, zu unterscheiden und zu urteilen, gezielt zu enttäuschen. Stattdessen macht er sich quasi durch die Falltür aus dem Staub. Statt zu unterscheiden, wird zusammengewürfelt, statt zu urteilen, wird weitergesponnen.
Man kann hierin vielleicht den Versuch sehen, einen emphatischen Kritikbegriff zu rehabilitieren, der versucht, durch die Auseinandersetzung mit dem Gesehenen ein neues Reflexionslevel zu erreichen. Walter Benjamin nannte das in seiner Schrift „Der Begriff der Kunstkritik in der Romantik“: „objektiv produktiv, schöpferisch aus Besonnenheit“. Indem Colard die Kritik nun an den Traum bindet, schöpft er quasi aus seinem Unbewussten, das dem täglich mit Kunst konfrontierten Kritiker als vollgesogener Schwamm dient, den er im Traum genussvoll ausdrückt: der Traum als review, also als wieder Gesehenes: Man schreibt auf, was man noch einmal vor dem inneren Auge gesehen hat, aber anders als der Kunstkritiker ist der Träumende dabei hochgradig ausgesetzt – und zwar sich selbst. Wie ein Kapitän, der den Anker eines Schiffes lichtet, das kein Ruder hat.
Natürlich weiß der Leser nie, wie exakt Colard einen Traum im Nachhinein notiert hat, ob er ergänzt oder ganz erfindet. Es ist die Ungewissheit, die die Aura des Traums ausmacht und die auch auf den Leser der kritischen Träume überspringt. Ein „Labor des Zweifels“ sieht Colard in seiner träumerischen Praxis, und es ist höchst produktiv, sich in diesem Labor umzusehen und zusammenzumischen, was einem vielversprechend erscheint. Also einfach das Namens-, Sach- und Ortsregister aufzuschlagen und sich von Cyprien Gaillard über Tennis bis ins ZKM Karlsruhe zu verlesen. Eine Vermessung der gegenwärtigen Kunstszene, nur dass der Kartograf schlief, als er zeichnete, und man sich daher auf nichts wirklich verlassen kann. Im Zweifel nur auf die Lust am Spiel.
XAVER VON CRANACH
Jean-Max Colard: Die Ausstellung meiner Träume. Wolff Verlag, Berlin 2016. Aus dem Französischen von Christian Hartwig Steinau. 117 S., 14,90 Euro.
Colard ist wie ein Kapitän, der
den Anker eines Schiffes lichtet,
das kein Ruder hat
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