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Mit fünfzig Jahren erklärte sie in einem Interview, warum sie begonnen hatte, ihre Autobiographie zu schreiben: Um zu verstehen, warum sie, als sie über Nacht zu einer etablierten literarischen Persönlichkeit wurde, oft so unerträglich war. Viel zu jung hatte sie nicht begreifen können, welche Verantwortung damit verbunden war. In ihren Erinnerungen, die sie nicht mehr vollenden konnte, schaut Carson McCullers zurück auf ihr liebevolles Elternhaus in Georgia, ihre ersten Schreibversuche, ihre turbulente Ehe, ihre Freundschaften mit Tennesse Williams, Karen Blixen, Elizabeth Bowen, Edith…mehr

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Produktbeschreibung
Mit fünfzig Jahren erklärte sie in einem Interview, warum sie begonnen hatte, ihre Autobiographie zu schreiben: Um zu verstehen, warum sie, als sie über Nacht zu einer etablierten literarischen Persönlichkeit wurde, oft so unerträglich war. Viel zu jung hatte sie nicht begreifen können, welche Verantwortung damit verbunden war.
In ihren Erinnerungen, die sie nicht mehr vollenden konnte, schaut Carson McCullers zurück auf ihr liebevolles Elternhaus in Georgia, ihre ersten Schreibversuche, ihre turbulente Ehe, ihre Freundschaften mit Tennesse Williams, Karen Blixen, Elizabeth Bowen, Edith Sitwell und Marilyn Monroe - und nicht zuletzt auf ihre Krankheiten, die ihr Leben beeinträchtigten und vorzeitig beendeten. Auf ihren Wunsch enthält ihre Autobiographie auch die bislang unveröffentlichten Briefe, die sie während des Zweiten Weltkrieges mit ihrem Ehemann Reeves McCullers wechselte, sowie das ausführliche Expose für ihren ersten Roman Das Herz ist ein einsamer Jäger.
Autorenporträt
McCullers, Carson
Carson McCullers, geboren 1917 in Columbus, Georgia, verließ mit 17 Jahren die Südstaaten und ging nach New York, wo sie sich mit Gelegenheitsjobs über Wasser hielt. 1937 heiratete sie Reeves McCullers, 1940 erschien ihr erster Roman Das Herz ist ein einsamer Jäger, dem u.a. die Bücher Spiegelbild im goldenen Auge und Die Ballade vom traurigen Café sowie Bände mit Kurzgeschichten folgten. Carson McCullers starb 1967 in New York.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 05.11.2002

Für Reeves, in Liebe & Haß
Carson McCullers diktiert ihr Leben / Von Tilman Spreckelsen

Daß der Anfang so rosig war, machte es später nur noch schwerer, das graue Ende zu ertragen: Das Mädchen aus Georgia, das gerade nach New York gezogen war, um Konzertpianistin oder Schriftstellerin zu werden, lernt durch einen Freund einen jungen Soldaten kennen, der sie rettungslos in seinen Bann schlägt. "Als ich ihn das erste Mal sah", schreibt sie dreißig Jahre später, "traf es mich wie ein Schock, ein Schock reinster Schönheit; er war der bestaussehende Mann, den ich je gesehen hatte." Die Achtzehnjährige, die schon einen Schreibkurs an der Columbia University belegt hatte und sich nacheinander als Lokalreporterin,  Kellnerin, Klavierbegleiterin und Comic-Autorin durchgeschlagen hatte, verliebt sich Hals über Kopf in den jungen Mann, der bald darauf ebenfalls nach New York zieht und sich von der Verpflichtung bei der Armee freikauft. Denn auch er will jetzt Schriftsteller werden, und als sie am 20. September 1937 heiraten, zwei Jahre nach der ersten Begegnung, träumen sie von einer Gemeinschaft zweier gleichberechtigter Literaten: Jährlich wechselnd wird der eine das Geld für beide verdienen, während der andere schreibt. Ein Haushalt, zwei Schriftsteller: Reeves und Carson McCullers.

Doch der fragile Plan erweist seine Untauglichkeit schon bei der ersten Gelegenheit. Zunächst sorgt Reeves, der einen Job bei einer Kreditanstalt in North Carolina gefunden hat, für den Lebensunterhalt, während Carson an einem Roman mit dem Arbeitstitel "Der Stumme" arbeitet. Sie reicht ein Exposé bei einem Wettbewerb ein, den sie zwar nicht gewinnt, der ihr aber einen Verlagsvertrag einbringt. Als das Buch 1940 unter dem Titel "Das Herz ist ein einsamer Jäger" erscheint, wird es so erfolgreich, daß Carson, die längst am nächsten Roman arbeitet und bereits die Idee für den dritten hegt, schlagartig vom Schreiben leben kann. Reeves dagegen hat noch keine einzige Zeile veröffentlicht.

Im Sommer 1940 zieht das Paar wieder nach New York. Die nächsten Kapitel dieser Liebesgeschichte sind bei weitem nicht so licht wie die ersten: Sie erzählen von Streit, Demütigungen und Schlägen, von Alkohol, den beide im Übermaß zu sich nehmen, wobei Carson gegen ihre Sucht ankämpft, während Reeves zusehends an Boden verliert. Von seinen literarischen Ambitionen ist längst nicht mehr die Rede. "Später flehte ich Reeves an, sich um einen Job zu bemühen, damit er nicht den ganzen Tag nur in der Wohnung herumhing und die Zeit totschlug. Er ging oft in Bars, um zu trinken, oder saß lesend zu Hause herum. Die völlige Sinnlosigkeit seines Lebens zermürbte mich, und diese absolute moralische Depression dauerte bis zu seinem Tod. Ich selbst war die ganze Zeit mit Schreiben beschäftigt, was ihm auf die Nerven gegangen sein muß." Die Erzählung "Wer hat den Wind gesehn", in der die Autorin präzise das Zerbrechen eines Paares an Alkohol und Schreibblockaden abbildet, veröffentlicht sie erst nach Reeves' Tod.

Vom einstigen Schriftstellerkollektiv ist schon nach wenigen Jahren nichts mehr übrig, und als Carson eine eigene Wohnung in Brooklyn bezieht, ist es zur Scheidung nicht mehr weit. Den unmittelbaren Anstoß gibt dann eine Scheckbetrügerei von Reeves, der unverfroren Carsons Unterschrift fälscht und anschließend alles ableugnet. Doch dann geschieht das Unerwartete: Die Vereinigten Staaten treten in den Zweiten Weltkrieg ein, Reeves kämpft hochdekoriert in der Normandie, in Luxemburg und Deutschland, und die Angst um sein Leben befördert Carsons Annäherung an den geschiedenen (und offensichtlich geläuterten) Ehemann, bis es schließlich im März 1945 zu einer zweiten Ehe kommt.

Von diesem Spannungsverhältnis ist ein wesentlicher Teil des Werks von Carson McCullers bestimmt. Die Qualen einer fordernden und gleichzeitig idealisierenden Liebe, die aus der Distanz ein Bild des anderen zeichnet, dem dieser aus der Nähe nie genügen kann, weiß niemand so meisterlich zu beschwören wie die immer noch unterschätzte Autorin aus der Südstaatenmetropole Columbus. In ihren Büchern - neben den vier großen Romanen noch eine Handvoll Kurzgeschichten, ein Theaterstück und einige Gedichte - feiert sie die verzweifelt Liebenden, ohne sich groß um die Geliebten zu bekümmern: Da ist der Soldat in "Spiegelbild im goldnen Auge" (1941), der sich Nacht für Nacht stumm ans Bett seiner schlafenden Augenliebe setzt, bis er von deren Ehemann entdeckt und ermordet wird; da ist das Mädchen Frankie, die sich in eine tragische Leidenschaft für die Gemeinschaft ihres Bruders und seiner Braut hineinsteigert ("Frankie", 1946); und da ist schließlich die komplizierte Dreiecksgeschichte "Die Ballade vom traurigen Café" (1943), um deretwillen man sich vermutlich noch an die Autorin erinnern wird, wenn Faulkner und Wolfe längst vergessen sind. "Die ungeschminkte Wahrheit", heißt es da, "lautet, daß viele es gar nicht ertragen können, geliebt zu werden. Der Geliebte fürchtet und haßt den Liebenden, und nicht ohne Berechtigung. Der Liebende sehnt sich nach jeder nur erdenklichen Annäherung, auch wenn ihm das Erlebnis nichts als Qual bereitet." Durchgespielt wird dieses Axiom am Fall der maskulinen Miss Amelia, die in einer abgelegenen Siedlung ein auf Geschäftssinn und Schwarzbrennerei basierendes Regiment führt, bis eines Tages ein buckliger entfernter Verwandter auftaucht, dem sie auf rätselhafte Weise verfällt. Vollends kompliziert werden die Dinge, als auch noch Amelias früherer Ehemann aus dem Gefängnis entlassen wird. Ihm, dessen Liebe zu Amelia einem abgründigen Haß gewichen ist, gilt wiederum die ganze - und unerwiderte - Zuneigung des verkrüppelten Hausgastes, und eine Entwicklung nimmt ihren Lauf, die schließlich in der völligen Zerstörung von Amelias Existenz mündet. Die umfassende Einsamkeit, die McCullers ihren Figuren in jedem Roman zumutet, kulminiert hier in einem ausweglosen Beziehungsgeflecht. Das Schlußbild dieses Textes entwirft endlich ein Modell der Gemeinsamkeit, das aber nur unter extremen Bedingungen bestehen kann: Es zeigt zwölf Sträflinge, die aneinandergekettet sind und zusammen ihre Zwangsarbeit ableisten.

Wer das schmale Werk der Carson McCullers kennt, die Nachlaßedition "The Mortgaged Heart" von 1971 eingeschlossen, wird die Nachricht von einer lange Zeit unedierten Autobiographie der Autorin erwartungsvoll zur Kenntnis genommen haben. Im Jahr 1999 ist das Manuskript unter dem Titel "Illumination and Night Glare" endlich im Original erschienen; jetzt liegt es in einer deutschen Ausgabe vor.

Entstanden ist es im letzten Jahr von McCullers' Leben. Als sie 1966 beginnt, die Autobiographie zu diktieren, blickt sie auf eine so unfaßbare Leidensgeschichte zurück, daß man sich kaum über die lange Pause in ihren späten Publikationen wundern mag. Da sind die Krankheiten, die sich wie ein schwarzer Faden durch das Leben der Autorin ziehen: das rheumatische Fieber der Jugendlichen und heftige Atemwegsinfektionen, mit gerade 24 Jahren dann der erste Schlaganfall, der noch glimpflich ausgeht. Zwei weitere Schlaganfälle hinterlassen eine halbseitige Lähmung, ein Beckenbruch tut ein übriges, um sie die letzten drei Jahre ihres Lebens ans Bett zu fesseln. Die Arbeiten aus dieser Zeit - etwa die matte Erzählung "Der Marsch" - sind unter schwierigsten Bedingungen entstanden und können sich nicht entfernt mit dem übrigen Werk messen, das mit dem großartigen Todesepos "Uhr ohne Zeiger" (1961) im Grunde seinen frühen Abschluß gefunden hatte. Und leider ist auch die Autobiographie weit von den in besseren Zeiten entstandenen Texten der Autorin entfernt. Die einzelnen Passagen erscheinen ungeordnet und in eher assoziativer Abfolge, so daß man auf die Zeittafel im Anhang unbedingt angewiesen ist, wenn man mit dem Leben der Autorin nicht vertraut ist. Die Liebesgeschichte mit Reeves bildet zwar das offensichtliche Zentrum des Buches, das dadurch manchmal sogar wie eine Rechtfertigungsschrift erscheint, aber die eigentliche Auseinandersetzung mit der zerstörerischen Beziehung findet viel eher - und mit erstaunlicher Offenheit - im Werk statt. Zudem ist der etwa hundertseitige Text der eigentlichen Autobiographie voller Wiederholungen, der Stil harrt in manchen Passagen dringend der Revision - in ihrer besten Zeit, als sie "Spiegelbild im goldnen Auge" schrieb, pflegte McCullers einzelne Kapitel bis zu zwanzig Mal zu überarbeiten.

Der Nutzen des Bandes liegt auch nicht in dem beigegebenen Exposé zu "Das Herz ist ein einsamer Jäger", denn das wurde auf deutsch bereits zweimal publiziert, zuletzt in Gerd Haffmans' bei Diogenes erschienener Sammlung "Über Carson McCullers" (1974). Was dagegen das jetzt erschienene Buch so faszinierend macht, sind die Briefe, die Carson und Reeves wechselten, während er als Soldat im Zweiten Weltkrieg kämpfte. Die hier erstmals veröffentlichten, mal zärtlichen, mal besorgten, selten sachlichen Schreiben, die über den Atlantik hin und her gingen, lassen nicht nur ein überaus plastisches Bild der letzten Kriegsmonate entstehen. Sie zeigen das Paar auch in einer Verbundenheit, deren Grundbedingung offenbar die räumliche Trennung war. Es hat den Anschein, als steigere sich Carson, einmal allein gelassen, wie viele ihrer Figuren in einen Möglichkeitsraum hinein, der alle bekannten Probleme eliminiert und eine goldene Zukunft heraufbeschwört, die nur vom festen Willen der Beteiligten abhängt. Sie habe mit sich selbst einen Vertrag über die prompte Fertigstellung ihres neuen Romans abgeschlossen, teilt sie Reeves stolz mit, der postwendend antwortet: Auch er habe einen Vertrag mit sich geschlossen, der allerdings auf keine literarische Arbeit, sondern auf die Eindämmung seiner Trunksucht abzielt. Später, einige Jahre nach dem Krieg, wird er Carson vorschlagen, gemeinsam Selbstmord zu begehen. Als sie ablehnt, vollzieht er den Schritt allein.

Ein Foto, aufgenommen zur Zeit der ersten Hochzeit, zeigt Reeves und Carson irgendwo im Grünen. Zuversicht strahlen sie aus, und Carsons Arm liegt beinahe beschützend auf dem ihres Verlobten. War denn das Leben mit Reeves tatsächlich so katastrophal, wie es vom Ende her erscheint? Auf diese Frage ihrer Therapeutin Mary Mercer findet Carson McCullers viele Jahre nach Reeves' Tod eine versöhnliche Antwort: "Ich weiß noch, wie wir eines Abends auf das Mansardendach unseres Hauses kletterten, nur um uns den Mond anzusehen. Wir hatten gute Zeiten, und das machte es so schwierig. Wenn alles schlecht gewesen wäre, wäre es so eine Erleichterung gewesen, denn dann hätte ich ihn ohne diesen Kampf verlassen können. Und vergessen Sie nicht, er war für mich eine enorme Hilfe,  als ich ,Das Herz' und ,Spiegelbild' schrieb."

Carson McCullers: "Die Autobiographie". Illumination and Night Glare. Herausgegeben von Carlos L. Dews. Aus dem Amerikanischen übersetzt von Brigitte Walitzek. Schöffling & Co, Frankfurt am Main 2002. 320 S., geb., 24,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Die Rezensentin Angela Schader ist sichtlich gespalten, was dieses aus autobiografischen Aufzeichnungen und einer Sammlung von Briefen zusammengestellte Buch angeht. In der Tat seien McCullers' Aufzeichnungen kurz vor ihrem Tod und unter großen Anstrengungen entstanden, zu einem Zeitpunkt also, als sie schwer krank war, unfähig selbst zu schreiben und daher auf fremde Hilfe angewiesen - worunter das geschriebene Wort sichtlich leide. Und so ist es vor allem der glücklicherweise beigefügte 34-seitige Romanentwurf zu "Das Herz ist ein einsamer Jäger", der es der Rezensentin in seiner "nüchternen Klarsicht" angetan hat. Er ist, so Schader, wohl der "stärkste, jedenfalls der gedanklich dichteste Text im Buch". Angesichts einiger "aufgetakelter" und daher "misstrauisch" stimmender Episoden, die so sehr an Groschenromane erinnern, dass McCullers unmöglich selbst die Feder geführt haben kann, und der "Sprung- und Lückenhaftigkeit" des Textes bleibt das aufschlussreichste Zeugnis über die Autorin letztlich Virginia Spencer Carrs umfassende Biografie, so die Rezensentin. Dieses Buch "zu schätzen wissen", so Schader, werden vor allem diejenigen, die McCullers schon kennen.

© Perlentaucher Medien GmbH
Ruhm und Krankheit
Carson McCullers, 1967 im Alter von 50 Jahren gestorben, gilt heute trotz ihres vergleichsweise schmalen Œuvres als eine der bedeutendsten amerikanischen Schriftstellerinnen des 20. Jahrhunderts. Mit Das Herz ist ein einsamer Jäger erlangte sie 1940 frühen Ruhm, den sie oft selbst als Fluch empfunden hat. Die Ballade vom traurigen Café, 1951 erschienen, ist ein Klassiker der Nachkriegsliteratur. Schon früh wurde sie von Schlaganfällen heimgesucht, und vor allem ihre letzten Lebensjahre wurden von deren Folgen überschattet. Sie war halbseitig gelähmt und konnte nur noch mit Hilfe anderer schreiben. Der Band, der jetzt als Autobiografie erschienen ist, enthält Skizzen, Gedanken und Erzählungen, die die Autorin in ihren letzten Lebensmonaten diktiert hat. Sie selbst konnte das Buch nicht mehr vollenden. Erst 1999, über 30 Jahre nach Ihrem Tod, wurde der Band nach ihren Plänen vervollständigt und veröffentlicht.
Die Wahrheit mit den Zähnen packen
So weit die Fakten. Das Wesen von Carson McCullers enthalten sie nicht. Sicher wäre es auch falsch zu behaupten, diese Autobiografie enthalte es. Dennoch: In die Empfindungen ebenso wie in die Arbeitsweise der Autorin gewährt dieser Band Einblicke, wie sie keine Sekundärquelle zu bieten vermag. Egal, ob sie von ihrem Elternhaus, ihrem Weg zum Schreiben, ihrer Liebe oder ihren Freundschaften etwa mit John Huston oder Marilyn Monroe erzählt: Immer spricht sie in dem ihr eigenen Ton, einer merkwürdigen Synthese aus zarter Empfindung, kühler Beobachtung und Lust am Exzess. Carsons Cousine Virginia sagte einmal: "Sie liebte es, die Wahrheit mit den Zähnen zu packen und damit loszurennen, eine Gewohnheit, die sie nie abgelegt hat." Eben dieser "Gewohnheit" entspringt auch der ganz eigene Stil dieser Autobiografie.
Die Briefe
Neben den autobiografischen Aufzeichnungen der Autorin und dem Exposé zu Der Stumme, aus dem später Das Herz ist ein einsamer Jäger wurde, enthält der Band auch den Briefwechsel zwischen Carson McCullers und ihrem Mann Reeves aus den Jahren 1944 und 1945. Reeves war als Soldat in Übersee stationiert. In diesen bewegenden, zum Teil brillant geschriebenen Briefen erreichte ihre Beziehung eine Intensität und Nähe, die sie sonst nicht zu leben vermochten. Frühere wie spätere Versuche, eine annähernd normale Ehe zu führen, scheiterten immer wieder. Reeves McCullers nahm sich 1953 in Paris das Leben. Er blieb für Carson die Liebe ihres Lebens. Es war ihr ausdrücklicher Wunsch, dass dieser Briefwechsel in ihre Autobiografie mit aufgenommen werde.
(Roland Große Holtforth, literaturtest.de)
"Carsons Herz war oft einsam, und es war ein unermüdlicher Jäger auf der Suche nach Menschen, denen sie es anbieten konnte; aber es war ein Herz, das mit einem Licht gesegnet war, das seine Schatten überstrahlte." (Tennessee Williams)
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 27.11.2002

Aus dem Leben einer Napfschnecke
Eine enttäuschende Autobiographie, anrührende Kriegsbriefe und ein Roman- Exposé von Carson McCullers
Columbus/Georgia droht das ganze Jahr ein glasblauer Himmel. Carson McCullers nutzte die „zügellose Glut” des Südens, um ihre Geschichten von der amerikanischen Einsamkeit in die Langsamkeit einzulullen und sie durch plötzliche und schreckliche Ereignisse zu unterbrechen. Das Juweliergeschäft an der Hauptstrasse könnte der Laden von Lamar Smith, Vater der 1917 geborenen Lula Carson Smith, gewesen sein, die unter dem Namen Carson McCullers berühmt wurde. Vor dem kleinen Holzhaus in der Wynnton Road ist ein hässliches bronzenes Erinnerungsschild angebracht. Hier verbrachte Carson McCullers ihre Kindheit, ging in die Wynnton School, wurde in die First Baptist Church aufgenommen und zog neun Jahre später mit ihrer Familie in ein Haus in der Stark Avenue. Lebenslang klebte sie „wie eine Art Napfschnecke” an ihrer Familie. So bleibt, auch wenn sie die meiste Zeit ihres Leben in Nyack/ N.Y. lebte, Columbus/Georgia ihre literarische Landschaft.
Eigentlich sollte sie Pianistin werden. Aber sie versetzt im Geschäft des Vaters das Erbstück der Großmutter, besteigt in Savannah ein Schiff, fährt nach New York und belegt an der Columbia University einen Kurs in „Creative Writing”. 1940 erscheint ihr erster Roman „Das Herz ist ein einsamer Jäger”, gefolgt von „Der Soldat und die Lady” (1941), der „Ballade vom traurigen Café” (1943), „Frankie” ( 1946) und „Uhr ohne Zeiger” ( 1961). Carson McCullers war eine langsam arbeitende Verwertungsmaschine. Sie schrieb, gemeinsam mit Tennessee Williams, zu „The Member of the Wedding” eine Bühnenfassung, verkaufte Filmrechte an Stanley Kramer und ihre Kurzgeschichten an „Mademoiselle”, „Esquire” und „Harper’s Bazaar”. Sie dramatisierte die „Ballade vom traurigen Café”, machte Tonaufnahmen, las viel, zum Beispiel Proust und E.M. Forster. Mit den Romanen Virginia Woolfs konnte sie nichts anfangen, der „Ulysses” war nicht „ihr Fall”.
Sie war mit Elizabeth Brown und Lillian Hellman befreundet, schwärmte für die exzentrische Edith Sitwell, lebte für ein paar Monate in einer Wohngemeinschaft mit W. H. Auden, kannte Erika Mann, Eudora Welty, und Marilyn Monroe, protestierte gegen die Rassentrennung, unterstützte 1948 Harry Trumans Präsidentschaftskandidatur und schwärmte für Dostojewski und Tolstoi. In ihrer Autobiographie jedoch bekennt sich Carson McCullers zu Büchern, die „klein und exakt sind, wie Vermeer”.
Der gepeinigte Mensch
Wer die „kleinen und exakten” Bücher von Carson McCullers irgendwann einmal mit Begeisterung gelesen hat, fürchtet sich, das zum zweiten Mal zu tun, denn wer desillusioniert sich gern selbst? Aber die beste Art,die Autobiographie eines Schriftstellers zu lesen, ist das „Original” zu prüfen, zum Beispiel die Beschreibung des geisterhaften Ringkampfs zwischen Miss Amelia und Marvin Macy in der „Ballade vom traurigen Café” wiederzulesen. Dieses schaurige kleine Meisterwerk überragt alle Legenden und Tragödien in Carson McCullers’ Leben.
Ihre Autobiographie, der in der deutschen Übersetzung leider der notwendige Zusatz: „The Unfinished Autobiography” fehlt, ist eine ausführliche Chronologie angefügt. Sie liest sich wie das Bulletin eines gepeinigten Menschen. Ein Leben, durchzogen von schweren Krankheiten, einem Selbstmordversuch, den sie gemeinsam mit ihrem Mann, Reeves McCullers, wiederholte, von dem sie sich 1941 scheiden ließ und den sie 1945 wieder heiratete. Dazwischen liegen Aufenthalte in psychiatrischen Kliniken, Reisen nach Europa, unzählige Operationen, Zigaretten und Whiskeys. Auf die Zusammenbrüche folgen Phasen äußerster Produktivität und organisatorischer Tüchtigkeit.
Zwischen dem 18. April und dem 15. August 1967, kurz vor ihrem Tod am 20. September dessselben Jahres, diktierte sie Freunden, Familienmitgliedern und studentischen Hilfskräften vom Bett in ihrem Haus in Nyack „Illumination and Night Glare”. Es ist der Lebensbericht einer kranken Frau, die nur noch knarrend sprechen und nicht mehr gehen konnte. Muss man ein solches Buch wirklich übersetzen? Um es deutlich zu sagen: nein. Carson McCullers wurde damit kein Gefallen getan. Der Stil ist ungelenk, ganz offenbar hat sie den Text nicht überarbeiten können. Außerdem erzählt sie keine Neuigkeiten, ist vorsichtig, beschreibt ihr Leben, ohne ihr Leben preiszugeben. Weshalb dann eine Autobiographie?
Aus Eitelkeit wohl kaum. Die Erklärung, die sie einem Journalisten an ihrem fünfzigsten Geburtstag im Februar 1967 gab, klingt, als hätte sie sich entschlossen, als guter Mensch von Columbus in den Himmel aufzufahren. Sie wolle mit ihrer Autobiographie auf die Schwierigkeiten des Erfolgs in jungen Jahren aufmerksam machen und „zukünftige Generationen” warnen. Das ist ziemlich naiv, aber immerhin ein Motiv.
Was die literarisch enttäuschende„Autobiographie” dennoch zu einer aufschlussreichen Studie über Gedächtnis und Verdrängung macht, sind die beigefügten 60 „Kriegsbriefe”, die Carson und Reeves McCullers zwischen 1944 und 1945 gewechselt haben. Diese Liebesbriefe eines geschiedenen Paares werfen neues Licht auf eine Ehe, die immer als kompliziert, unglücklich und unerfüllt dargestellt wird. „Liebstes”, schreibt Carson McCullers am 15. Januar 1945, „wenn wir nicht zusammen sind, fühle ich mich unsicher, ausgesetzt, es ist als lebte ich in einem Zimmer ohne Wände.” Am 4. Dezember 1944 schreibt Reeves aus Belgien: „wir drängen die Schweinehunde zurück an den Rhein”. Vier Tage später berichtet er von der „kalten Verachtung für den Tod und einen Hass auf die Deutschen, der völlig leidenschaftslos geworden ist”. Am 7. August 1945: „ich bin verrückt nach Dir.”
Der Herausgeber schließt den Band mit dem Exposé zu „Das Herz ist ein einsamer Jäger”, einem erstaunlichen Beweis für ihre analytische Arbeitsweise, ihr Bedürfnis, jede Figur, jeden Handlungsfaden, jede Beziehung zwischen den Personen zu erläutern, zu versachlichen und zu abstrahieren. Carson McCullers war eine Dramatikerin, sie wusste, wie Spannung entsteht, Neugier und Gewalt. Ihre unvollendete Autobiographie aber ist Leichenfledderei. Die „Kriegsbriefe” und das Roman-Exposé sind aufschlussreich. Aber das Beste ist, ihre Erzählungen und Romane wieder zu lesen.
VERENA AUFFERMANN
CARSON McCULLERS: Die Autobiographie. Illumination and Night Glare. Herausgegeben von Carlos L. Dews. Aus dem Amerikanischen von Brigitte Walitzek. Verlag Schöffling&Co, Frankfurt am Main 2002. 350 Seiten, 24,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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"Carsons Herz war oft einsam, und es war ein unermüdlicher Jäger auf der Suche nach Menschen, denen sie es anbieten konnte; aber es war ein Herz, das mit einem Licht gesegnet war, das seine Schatten überstrahlte." (Tennessee Williams)