Über keinen Modelleur der Meissener Königlichen Porzellanmanufaktur ist so viel publiziert worden wie über Johann Joachim Kaendler, der zwischen 1731 bis zu seinem Tod 1775 dort tätig war. Trotz der zahlreichen Arbeiten, die entweder ihn oder seine Zeit zum Thema hatten, wurden die autonomen
figürlichen Plastiken bisher nicht systematisch katalogisiert und das, obwohl mit Kaendlers…mehrÜber keinen Modelleur der Meissener Königlichen Porzellanmanufaktur ist so viel publiziert worden wie über Johann Joachim Kaendler, der zwischen 1731 bis zu seinem Tod 1775 dort tätig war. Trotz der zahlreichen Arbeiten, die entweder ihn oder seine Zeit zum Thema hatten, wurden die autonomen figürlichen Plastiken bisher nicht systematisch katalogisiert und das, obwohl mit Kaendlers Arbeitsberichten und der „Taxa“, einem zeitgenössischen internen Werkkatalog der Manufaktur, die seltene Gelegenheit bestand, die Eigenhändigkeit einzelner Arbeiten nachzuweisen. Sarah-Katharina Andres-Acevedo bezieht in ihrer zweibändigen Monografie auch die ebenfalls erhaltenen Arbeitsberichte von Kaendlers Mitarbeitern Johann Friedrich Eberlein, Johann Gottlieb Eder und Peter Reinicke in die Untersuchung ein, denn Kaendler hat deren Modelle stets eigenhändig überarbeitet, was auch die bemerkenswerte stilistische und künstlerische Einheitlichkeit der Meissener Werke aus der frühen Kaendler-Epoche erklärt. Die Erstpublikation der Arbeitsberichte von Kaendlers Werkstattmitarbeitern ist ebenfalls Teil von Andres-Acevedos Monografie.
Dass der Werkkatalog nur die Zeit zwischen Kaendlers Eintritt in die Manufaktur und dem Jahr 1748 abdeckt, ist dem Umstand geschuldet, dass die Arbeitsberichte im Jahr 1748 aus bisher unbekanntem Grund abbrechen. Auch danach schuf Kaendler weiter Figuren in seinem Stil, die ihm mit großer Wahrscheinlichkeit zugeordnet werden können (bzw. an dessen Schöpfung er mit Sicherheit beteiligt war), aber der archivalische Nachweis dafür ist nicht mehr zu führen, da in dieser Zeit Porzellan vom Modelleur nicht signiert wurde.
Als „autonome figürliche Plastik“ definiert die Autorin sämtliche Werke, die nicht als plastischer Schmuck eines Gebrauchsgegenstands konzipiert waren oder selber einen Gebrauchswert hatten. Nach einer kurzen Darstellung der europäischen Entdeckungsgeschichte des Porzellans und der Frühzeit der Meissener Manufaktur stellt Andres-Acevedo das personelle Umfeld in Kurzbiografien vor und fasst den Stand der Forschung ausführlich zusammen. Die Systematik des anschließend vorgestellten Figurenkonvolutes folgt weitgehend den verschiedenen Bildkategorien, wobei den Großplastiken für das Japanische Palais ein eigenes Kapitel gewidmet wird. Die Kleinplastik ist rein bildthematisch geordnet, angefangen bei den berühmten Tierplastiken, den Chinoiserien mit Anleihen aus Meissens Anfangszeit, über die Commedia dell’arte Figuren bis hin zu galanten Szenen und Genredarstellungen. Alle Kategorien werden mit exemplarischen und herausragenden Beispielen illustriert, die ausschließlich aus der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts stammen und somit auch einen exzellenten Überblick über die verwendeten Dekore (Höroldt) und Farben geben. Die Qualität der Arbeiten ist teilweise atemberaubend und wird in den technisch brillanten Aufnahmen hervorragend dokumentiert. Sie sind insbesondere geeignet, um das Auge gegenüber den oft malerisch überladenen Stilkopien des 19. Jahrhunderts zu schulen.
Der zweite Band enthält den eigentlichen Werkkatalog, der auf der (chronologischen) Basis von Kaendlers Arbeitsberichten den jeweiligen Modelleinträgen sehr detailliert sowohl die Konkordanzbezüge zu den „Taxa“ als auch Fotos von existierenden oder verschollenen Ausformungen gegenüberstellt. Der Rechercheaufwand dafür muss enorm gewesen sein. Jeweils chronologisch einsortiert sind die Werke von Kaendlers Mitarbeitern entsprechend der Datierung der eigenen Arbeitsberichte, ggf. noch ergänzt durch Kaendlers künstlerischen Beitrag, sofern diese in dessen Berichten erwähnt sind. Nach dem gleichen Muster werden auch die Einträge der „Taxa“ bearbeitet, wobei es natürlich zu Querverweisen kommt. Von den fast 1000 Positionen sind heute etwa die Hälfte durch Ausformungen belegt, wobei man feststellen muss, dass nicht alle (Ton)Modelle tatsächlich auch produziert wurden. Der Überlieferungsgrad ist jedenfalls bemerkenswert hoch und rechtfertigt ohne Zweifel die umfangreiche und sehr aufwändig produzierte Monografie.
Kaendlers figürliche Plastiken sind die Werke, die bis heute ungebrochenes Interesse bei Sammlern wecken (anderes als das Meissener „Gebrauchsporzellan“ und die Spätausformungen des 19. Jahrhunderts), was das Werk zu einem Muss für ernsthafte Sammler, den Kunsthandel und Museen macht.
(Dieses Buch wurde mir vom Verlag kostenfrei zur Verfügung gestellt. Auf meine Rezension wurde kein Einfluss genommen, der Inhalt stellt meine persönliche Meinung dar.)