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Eine respektlose Wissenschaftsgeschichte, die die berühmtesten Legenden und Mythen augenzwinkernd entlarvt und gleichzeitig ernst nimmt. Ob Archimedes, Leonardo, Newton, Maxwell, Nobel, Einstein oder Schrödinger - dieses Buch räumt auf mit Legenden und vermittelt das Wissen von der großen Wissenschaft in kurzweiligen und klugen Geschichten.

Produktbeschreibung
Eine respektlose Wissenschaftsgeschichte, die die berühmtesten Legenden und Mythen augenzwinkernd entlarvt und gleichzeitig ernst nimmt. Ob Archimedes, Leonardo, Newton, Maxwell, Nobel, Einstein oder Schrödinger - dieses Buch räumt auf mit Legenden und vermittelt das Wissen von der großen Wissenschaft in kurzweiligen und klugen Geschichten.
Autorenporträt
Sven Ortoli, geboren 1953, ist Franzose. Er studierte Physik und arbeitet als Journalist. Ortoli ist Gründer von »Science & Vie junior«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.05.1997

Des Chaos Flügelschlag
Wirbelstürme in den Legenden der Wissenschaft

Noch niemandem ist es leichtgefallen, Mythos und Logos in einem zu denken, ist doch die "im Mythos eingesetzte Logik" eher eine der "Ambiguität, Mehrdeutigkeit und Polarität", wie Jean-Pierre Vernant schreibt. Das gilt auch für die mythischen Legenden und Sagen, die aus dem Urreich des Logos berichten: von den Wissenschaften und den Taten und Untaten, mit denen der Mensch versucht, seine Umwelt zu begreifen und ihrer Herr zu werden. Die französischen Physiker und Journalisten Sven Ortoli und Nicolas Witkowski haben ein Schatzkästlein solcher Erzählungen zusammengetragen, ein Kompendium von Legenden, von denen die meisten auch das Menschliche im Rationalen dekuvrieren. In ihrer anekdotischen Form bewahren diese Geschichten von Sternstunden der Wissenschaft den Sinn für das Scheitern der Vernunft. Denn sie alle zeigen, daß der Mythos sein vermeintliches Gegenteil durchkreuzt. Auch heute gibt es kein Verstehen ohne Mythen.

Man sieht das am Schmetterlingseffekt: Auch wer vom Verhalten "dynamischer, nichtlinearer Systeme", vulgo Chaos-Theorie, kein Jota versteht, weiß, daß ihre Essenz in jenem berühmten imaginären Flügelschlag des Schmetterlings liegt. Reicht es doch hin, daß eines dieser zarten Insekten zur rechten Zeit am rechten Ort den Flügel senkt, damit ein oder zwei Kontinente weiter ein Wirbelsturm ganze Länder verwüstet. Ortoli und Witkowski nun machen sich auf die Fährte dieser Schuppenflügler und entdecken die historische Metamorphose der Flattertiere aus der Möwe, dem Saurier und anderen (literarischen) Urwesen. Mehr noch: Sie finden heraus, wo sich ein Flügel heben muß - meist in Peking oder am Amazonas -, damit dann in der angeblich zivilisierten Welt - vorzugsweise in New York - Barometer und Bäume fallen.

Und sie berichten von dem mysteriösen Phänomen, "daß ein Wirbelsturm in Mexiko den Flügelschlag eines Schmetterlings in England bewirken kann". Aus solchen Lektüren aktueller Mythen entwickeln die Autoren eine anekdotische Geschichte unseres zivilisationsmüden Weltbildes. Unbekümmert um Vollständigkeit, oft redselig und immer kenntnisreich, plaudern sie ihre Derivate des Prometheus-Mythos herbei.

Was dieses Bestiarium der modernen Folklore zusammenhält, ist die einfache und seit den Schriften Roland Barthes' und Claude Lévi-Strauss' zum kulturtheoretischen Topos gewordene Einsicht, daß für unsere technikbestimmte und sich gottfern ahnende Welt die Wissenschaft zum elementaren Mythos geworden ist. Das Rationale - wenn es denn tatsächlich vernünftig ist - erzeugt Irrationales. Nicht nur in Form von Bomben und Brechstangen, sondern auch in Gestalt von Bildern seiner selbst: "Wir glauben an die Schwarzen Löcher wie die fränkischen Bauern an die Geister des Waldes."

Wenn auch nicht recht klar wird, welche Geister hier gemeint sind, freut man sich doch, daß die Autoren nicht angetreten sind, sie durch Fakten und Spezialkenntnisse auszutreiben. Denn als Naturwissenschaftler, die sie sind, sind sie sich darüber im klaren, "daß ein gutes Bild allemal mehr wert ist als eine lange Rechnung". Und erst in mythischen Bildern, Stoffen und Strukturen erobert die Wissenschaft das kollektive Imaginäre. Als Kronzeugen dieser Einsicht zitieren die Autoren Lévi-Strauss: "Der Dialog mit der Wissenschaft ist es, der das mythische Denken wieder aktuell macht." Vieles von dem, was wir dem Wissen zurechnen, gehört also dem Mythos an: Newtons Apfel, Kekulès Schlange, Schrödingers Katze und natürlich die Badewanne des Archimedes.

Wie es in der (französischen) Popularwissenschaft oft der Fall ist, entwickelt auch dieses Buch kaum Thesen, sondern konzentriert sich darauf, einzelne mythische Vorstellungen mit einer Flut von Bezügen, Analogien, Differenzen und Anspielungen zu illustrieren und verschwimmen zu lassen. Bei solcher Kleinkunst der Verfremdung nimmt man sogar in Kauf, daß man etwas lernt. Wer weiß schon, wann das "fehlende Glied in der Kette" als Idee zum ersten Mal auftauchte, wer kennt die wirkliche Wahrheit über "Heureka" und "E=mc²", und wer hat schon parat, wann die Außerirdischen von Zigarren auf Untertassen umstiegen? In diesen drängenden Fragen schaffen Ortoli und Witkowski endlich Aufklärung.

Zugleich bereichern sie den Schatz der kurrenten Legenden, Sagen und Gerüchte um ihre eigenen teils dechiffrierenden, teils bloß zerstreuenden Anekdoten über Leonardos Tagebücher, Doktor Frankenstein und Palissys Heizmethoden. So verbreiten sie die freundlich antidialektische Täuschung, daß letztlich eine Handvoll prägnanter Geschichten und Analogien hinreicht, um sich halbwegs zurechtzufinden im ewigen Chaos der Theorien und in der Praxis des Chaos. Was bleibt, stiften die Legenden; den Rest besorgen andere. HANS-JOACHIM NEUBAUER

Sven Ortoli, Nicolas Witkowski: "Die Badewanne des Archimedes". Berühmte Legenden aus der Wissenschaft. Aus dem Französischen von Juliane Gräbener-Müller. Piper-Verlag, München, Zürich 1997. 192 S., 25 Abb., geb., 29,80 DM.

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