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Die Kriege, die in den Jahren 1912 und 1913 auf dem Balkan tobten, warfen ihre Schatten auf das 20. Jahrhundert. Sie enthielten im Keim alle jene Spannungen und Gräuel, die den Ersten und Zweiten Weltkrieg und zahlreiche Konflikte in Asien und Afrika prägen sollten. Trotzki, der damals als 33jähriger Revolutionär im Wiener Exil lebte, bereiste den Balkan während dieser Zeit als Korrespondent einer sozialistischen Kiewer Zeitung. Seine Berichte, die in diesem Band gesammelt sind, verbinden eine hervorragende Beobachtungsgabe mit einem tiefen Einblick in die gesellschaftlichen und politischen…mehr

Produktbeschreibung
Die Kriege, die in den Jahren 1912 und 1913 auf dem Balkan tobten, warfen ihre Schatten auf das 20. Jahrhundert. Sie enthielten im Keim alle jene Spannungen und Gräuel, die den Ersten und Zweiten Weltkrieg und zahlreiche Konflikte in Asien und Afrika prägen sollten. Trotzki, der damals als 33jähriger Revolutionär im Wiener Exil lebte, bereiste den Balkan während dieser Zeit als Korrespondent einer sozialistischen Kiewer Zeitung. Seine Berichte, die in diesem Band gesammelt sind, verbinden eine hervorragende Beobachtungsgabe mit einem tiefen Einblick in die gesellschaftlichen und politischen Ursachen des Geschehens. Der jüngste Krieg in Bosnien verleiht ihnen eine ungeahnte Aktualität. Das russische Original des Werkes war ursprünglich im Jahr 1926 als Band 6 seiner Gesammelten Werke im sowjetischen Staatsverlag erschienen, fiel jedoch kurz danach der stalinistischen Zensur zum Opfer. Direkt aus dem russischen Original übersetzt, liegt dieses Buch zum ersten Mal in deutscher Sprache vor.
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Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.07.1996

Weste bis zur Oberlippe
Leo Trotzki als journalistischer Kriegsberichterstatter

Leo Trotzki: Die Balkankriege. Aus dem Russischen übersetzt von Hannelore Georgi und Harald Schubärth. Arbeiterpresse Verlag, Essen 1996. 585 Seiten, brosch. 48,- Mark.

Am Abend des 25. Oktober 1912 nahm der russische Revolutionär Leo Trotzki in Wien einen Zug in Richtung Budapest und Belgrad. Noch auf dem Weg zum Bahnhof erfuhr er, daß König Nikola I. von Montenegro der türkischen Regierung den Krieg erklärt hatte. Die Welt hielt den Atem an: Gelänge es der europäischen Diplomatie, die Verbündeten des slawischen Kleinstaates, die Serben, Bulgaren und Griechen, vom Kriegseintritt abzuhalten? Was würde der russische Zar als Beschützer des antitürkischen Balkanbundes unternehmen, was der österreichische Kaiser, dessen Kanonenboote bereits die Donauschiffahrt unsicher machten?

In den an Katastrophen, Krisen und Konflikten reichen Jahren vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs erlebte das internationale Pressewesen - noch ganz unbeeinträchtigt von der Konkurrenz durch andere Medien - eine Blütezeit. Trotzkis journalistische Arbeiten, die dem Broterwerb und der Finanzierung sozialistischer Parteiblätter dienten, konnten sich mit den Texten der bekanntesten professionellen Reporter messen. "Jeder Artikel", schreibt sein Biograph Isaac Deutscher, "war ein umfangreicher Essay, der sich durch die Gründlichkeit und Allseitigkeit des informativen Teiles, durch den Reichtum seiner Eindrücke und seines Lokalkolorits, die hervorragende Schilderung und Analyse und last but not least durch seine bildhafte und lebensvolle Sprache auszeichnete." Verwunderlich war es also nicht, daß die renommierte liberale Tageszeitung Kiewskaja Mysl ("Kiewer Gedanke") ausgerechnet Trotzki als Kriegskorrespondenten auf den Balkan schickte. Und so beschreibt der selbst immer gut gekleidete Revolutionär das "Gemisch von Gesichtern, Gewändern, ethnographischen Typen und Kulturstufen" auf den Bahnhöfen südlich von Budapest: "Unglaubliche Westen, die fast bis zur Oberlippe reichen, glänzende Zylinder, türkische Filzkappen (Fez), jüdische Gesichtsprofile, Bastschuhe (Opanki), steife Reithosen, nackte Füße, der ,letzte Schrei' aus Paris, bronzefarbene Körper und inmitten von all dem die schwarzen Gestalten der katholischen Priester, die in keiner Menschenmenge übersehen werden können."

Der Krieg, den er bis dahin nur aus der Presse und aus den Resolutionen der Sozialistischen Internationale kannte, fand jetzt in Trotzki einen ungemein wachen, mitfühlenden Augenzeugen und Kommentator. Seine herbstliche Reise an die Flüsse Donau und Save war Teil jenes Weges, auf dem er - Friedrich Engels als sozialistischen Militärexperten ein- und überholend - zum sowjetrussischen Kriegskommissar und zum Begründer der Roten Armee wurde. In den erstmals in deutscher Übersetzung vorliegenden Balkan-Schriften wird noch jede bellizistische Versuchung - Trotzki sympathisierte anfänglich mit dem Anliegen des Balkanbundes, Makedonien von der türkischen Herrschaft zu befreien - durch einen pazifistischen Impuls ausgeglichen. Dieser zeigt sich in der Empathie mit den verlausten und zerlumpten Soldaten ebenso wie in der Berichterstattung über die Grausamkeiten und Massaker, über hunderttausendfaches Flüchtlingselend, über Hunger, Seuchen und kriegsbedingte Zerstörungen. Um so bedauerlicher ist es, daß der Verlag diesen auch heute noch lesenswerten Texten ein ziemlich doktrinär argumentierendes und unbeholfen aktualisierendes Vorwort vorangestellt hat. ROLF WÖRSDÖRFER

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