Produktdetails
- Verlag: Hanser, Carl
- ISBN-13: 9783446153899
- Artikelnr.: 25294918
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.09.2019NEUE TASCHENBÜCHER
Ende einer Utopie –
Andrej Platonows „Die Baugrube“
Woschtschew wird an seinem 30. Geburtstag infolge „wachsender Kraftschwäche in ihm und seiner Nachdenklichkeit im allgemeinen Tempo der Arbeit“ entlassen. Er schließt sich Arbeitern an, die am Stadtrand ein „gemeinproletarisches“ Haus hochziehen sollen. Was als „Muttergrube für das künftige Leben“ gedacht war, ist am Ende - ein Grab. Der Zergrübler Woschtschew ist vielleicht so etwas wie das Alter Ego von Andrej Platonow, dem Autor von „Die Baugrube“, jenes gnadenlos fordernden Romans, der an der Wende des Jahres 1929/ 30, während des ersten Fünfjahresplans, in der russischen Provinz spielt, und in der UdSSR erst 1987 erscheinen konnte. Da war sein Verfasser, der in den Zwanzigerjahren Ingenieur für Bewässerungstechnik war, schon längst tot. Lange galt „Die Baugrube“ als unübersetzbar. Freilich gab es Versuche, doch erst Gabriele Leupold gelang kürzlich eine Fassung, die das (Sprach)Ereignis, das der Roman unbedingt ist, auch im Deutschen nachvollziehbar macht.
Sibylle Lewitscharoff, die einen Essay beisteuerte, meint, eine schärfere Abrechnung mit dem Stalinismus sei nie geschrieben worden. Platonow lässt den Jargon der Kommunisten mit der Alltagssprache kollidieren, so dass Worte und Grammatik einen wilden (Toten)Tanz vollführen. Gleichzeitig stößt das mantraartig beschworene Glücksversprechen auf Figuren, die allesamt des Lebens müde sind.
Die mittlerweile umfangreiche Forschung hat ergeben, dass „Die Baugrube“ um Begriffe wie Arbeit, Existenz, Zukunft, Nutzen, Lage und Wetter kreist. Man könnte noch den des Körpers hinzufügen, so eindringlich versteht es Platonow, geschundene Leiber zu beschreiben. In dem Roman, in dem unablässig gestorben und gemordet wird, fallen selbst die Vögel tot vom Himmel. Schließlich verdichtet sich alles in der Waise Nastja – in dem Namen steckt das Wort Auferstehung. Das zarte Geschöpf repräsentiert den „Sozialismus im barfüßigen Körper“ und sagt gleichwohl ohne Rührung Sachen wie „Liquidiere den Kulaken als Klasse“. FLORIAN WELLE
Andrej Platonow: Die Baugrube. A. d. Russ. von Gabriele Leupold. Mit einem Essay von Sibylle Lewitscharoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 240 S., 12 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Ende einer Utopie –
Andrej Platonows „Die Baugrube“
Woschtschew wird an seinem 30. Geburtstag infolge „wachsender Kraftschwäche in ihm und seiner Nachdenklichkeit im allgemeinen Tempo der Arbeit“ entlassen. Er schließt sich Arbeitern an, die am Stadtrand ein „gemeinproletarisches“ Haus hochziehen sollen. Was als „Muttergrube für das künftige Leben“ gedacht war, ist am Ende - ein Grab. Der Zergrübler Woschtschew ist vielleicht so etwas wie das Alter Ego von Andrej Platonow, dem Autor von „Die Baugrube“, jenes gnadenlos fordernden Romans, der an der Wende des Jahres 1929/ 30, während des ersten Fünfjahresplans, in der russischen Provinz spielt, und in der UdSSR erst 1987 erscheinen konnte. Da war sein Verfasser, der in den Zwanzigerjahren Ingenieur für Bewässerungstechnik war, schon längst tot. Lange galt „Die Baugrube“ als unübersetzbar. Freilich gab es Versuche, doch erst Gabriele Leupold gelang kürzlich eine Fassung, die das (Sprach)Ereignis, das der Roman unbedingt ist, auch im Deutschen nachvollziehbar macht.
Sibylle Lewitscharoff, die einen Essay beisteuerte, meint, eine schärfere Abrechnung mit dem Stalinismus sei nie geschrieben worden. Platonow lässt den Jargon der Kommunisten mit der Alltagssprache kollidieren, so dass Worte und Grammatik einen wilden (Toten)Tanz vollführen. Gleichzeitig stößt das mantraartig beschworene Glücksversprechen auf Figuren, die allesamt des Lebens müde sind.
Die mittlerweile umfangreiche Forschung hat ergeben, dass „Die Baugrube“ um Begriffe wie Arbeit, Existenz, Zukunft, Nutzen, Lage und Wetter kreist. Man könnte noch den des Körpers hinzufügen, so eindringlich versteht es Platonow, geschundene Leiber zu beschreiben. In dem Roman, in dem unablässig gestorben und gemordet wird, fallen selbst die Vögel tot vom Himmel. Schließlich verdichtet sich alles in der Waise Nastja – in dem Namen steckt das Wort Auferstehung. Das zarte Geschöpf repräsentiert den „Sozialismus im barfüßigen Körper“ und sagt gleichwohl ohne Rührung Sachen wie „Liquidiere den Kulaken als Klasse“. FLORIAN WELLE
Andrej Platonow: Die Baugrube. A. d. Russ. von Gabriele Leupold. Mit einem Essay von Sibylle Lewitscharoff. Suhrkamp Verlag, Berlin 2019. 240 S., 12 Euro.
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