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Die in jüngster Zeit verstärkt rezipierte spekulative Naturphilosophie Schellings und Hegels erschließt sich nicht in einem unmittelbaren Zugriff, sondern nur bei Berücksichtigung ihrer immanenten Entwicklungsgeschichte, des Stands der zeitgenössischen Naturwissenschaft und der jeweiligen systematischen Voraussetzungen. Schellings Naturphilosophie entwickelt sich schrittweise aus seiner Frühphilosophie und bleibt integraler Bestandteil des sogenannten Identitätssystems, und Hegels Naturphilosophie hat ihren systematischen Ort innerhalb der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften der…mehr

Produktbeschreibung
Die in jüngster Zeit verstärkt rezipierte spekulative Naturphilosophie Schellings und Hegels erschließt sich nicht in einem unmittelbaren Zugriff, sondern nur bei Berücksichtigung ihrer immanenten Entwicklungsgeschichte, des Stands der zeitgenössischen Naturwissenschaft und der jeweiligen systematischen Voraussetzungen. Schellings Naturphilosophie entwickelt sich schrittweise aus seiner Frühphilosophie und bleibt integraler Bestandteil des sogenannten Identitätssystems, und Hegels Naturphilosophie hat ihren systematischen Ort innerhalb der Enzyklopädie der philosophischen Wissenschaften der Berliner Zeit. So sind neben der Umbruchsituation, in der sich die Naturwissenschaften um 1800 befinden, auch die systematischen Voraussetzungen zu berücksichtigen, da Schelling wie Hegel, unter anderem in Abgrenzung von der Philosophie Kants, ihre Naturphilosophie in ein System der Philosophie eingeordnet haben.Kuno Fischer grenzt diese Kant-Rezeption von der durch J.F Fries begründeten ab. Fries arbeitete auf der Grundlage seiner anthropologischen Vernunftkritik eine mathematische Naturphilosophie aus, die als Alternative zur spekulativen Naturphilosophie Schellings und Hegels verstanden werden muß. Fries' Naturphilosophie steht nicht nur in einer größeren Nähe zu den Ergebnissen der zeitgenössischen Naturwissenschaft, sondern zeichnet sich auch durch eine Methodenreflexion aus, die schon bei Kant vorliegende Fehler vermeidet. Sie wird damit für heutige wissenschaftstheoretische Fragen relevant.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.10.1997

Lösest endlich auch einmal meine Seele ganz
Was die Romantik in der Naturphilosophie entfesselte, will die Wissenschaft einfangen

"Verstört durch die Entfremdung, die die wissenschaftlich-technische Zivilisation - ganz so wie von Adorno und Horkheimer diagnostiziert - mit sich gebracht hat, und besorgt um die Zukunft wenden sich nicht nur die Gebildeten unter den Verächtern der Wissenschaft erneut deren Geschichte zu." So beginnt Walther Zimmerli einen Sammelband, der aus dem von ihm geleiteten DFG-Projekt "Naturphilosophie im Umkreis der Jenaer Romantik" hervorgegangen ist. Um dann die hohe Intuition mit dem Referat recht prosaischer Ergebnisse zu schließen. Beinahe hätte Ritter das Ohmsche Gesetz gefunden, "hätten ihn nicht starke naturphilosophische Annahmen daran gehindert". Es fiele leicht, sich über den Philosophieprofessor lustig zu machen, den die Technik, deren Wesensschau er bei Heidegger oder Adorno gelernt hat, im ganzen und allgemeinen verwirrt und der doch beglückt ist, wenn ein Naturwissenschaftler Herr Kollege zu ihm sagt. Andererseits brauchen auch die Philosophen ihre Posaunisten, und wenn denn am Ende eine solide Erforschung der Naturwissenschaft und Naturphilosophie der Goethezeit herauskommt, waren die Gelder nicht verschenkt.

Aus dem Vorhaben, dem "sogenannten Triumphzug der modernen Wissenschaften" durch die Wiederentdeckung romantischen Naturdenkens zu begegnen, ist längst Philologie geworden. Wer einmal versucht hat, die chemischen Prozesse in Goethes "Wahlverwandtschaften" nachzuvollziehen oder zu verstehen, warum Hegel beim Verstand vom sich abstoßenden Gleichnamigen redet, wird das nicht geringschätzen. Es ist ja keineswegs so, daß man die naturwissenschaftlichen Äußerungen einfach ungelesen lassen könnte. Geistiges und Natürliches wurden immer in wechselseitiger Erhellung betrachtet. Wo die Kenntnis der einen Seite fehlt, bleibt das Verständnis der anderen defizient. Gadamer etwa fällt in einem kanonischen Text wider alle hermeneutische Regeln zum Gleichnamigen, das die Pole des Magneten meint, die scholastische Kategorie des Univocum ein. Und Walter Benjamins Urteil, Goethe kenne Geschichte nur als Naturgeschichte, übersieht, daß Goethe gerade im Spiegel des Konflikts von Vulkanismus und Neptunismus bis hin zum "Faust II" seine Revolutionsdeutung entfaltet.

Naturwissenschaft und -philosophie der Goethezeit sind in den letzten Jahren vor allem von der Schellingforschung im Zusammenhang der neuen Werksausgabe ausgearbeitet worden. Auch zu Zimmerlis Sammelband, eigentlich der naturwissenschaftlichen Frühphase Achim von Arnims gewidmet, trägt sie das Wichtigste bei. Francesco Moiso, vielleicht kenntnisreichster Autor der Richtung, referiert die Entwicklung, die von Kants Behandlung der Materie als Produkt von Attraktion und Repulsion zu Schellings Konstruktion der Natur führt, und zeigt den Einfluß Arnimscher Argumente zu Chemismus, Elektrizität, Magnetismus auf Schelling. Arnim bleibe jedoch gegenüber dem Konstruieren skeptisch. Für ihn verlangt die Naturbetrachtung stete wechselseitige Korrektur von Philosophie und Empirie, besteht sie in einem apriorisch-aposteriorischem Doppelweg, den zu beschreiten den Einsatz des ganzen Lebens bedeutet. Arnim entscheidet sich für die Dichtung.

Unter dem Schirm von Zimmerli haben Michael Gerten und Klaus Stein den naturwissenschaftlichen Nachlaß Arnims bearbeitet. Da scheint etwas zu holen zu sein. Faszinierend sind die Formeln von der "verschiedenen Vorstellbarkeit des Verschiedenen", der "systemlosen Bewegung durch die Systeme", das Programm einer "Meteorologie", einer Wissenschaft der Erde, als theoretisch-empirischer Einheitswissenschaft. Um so schmerzlicher macht sich eine Tendenz bemerkbar, die für die ganze Forschungsrichtung gilt und die man mit einem Ausdruck der Ethnologie Verkafferung nennen möchte. In das Naturdenken der Goethezeit taucht man ein und verschwindet. Fehlte bei der Betrachtung von Kunst und Philosophie die Seite der Natur, so gilt jetzt das Umgekehrte. Denn offenbar ist diese Meteorologie mit der progressiven Universalpoesie verwandt, offenbar findet Arnim in der Naturwissenschaft, was von den Athenäumsfragmenten über die "Phänomenologie des Geistes", Müllers "Lehre vom Gegensatz" bis zu Schleiermachers Hermeneutik seine Zeit beschäftigte: die Möglichkeit der Relationierung von Perspektiven als Antwort auf den modernen Zerfall der einheitlichen Welt. Einzig die Literaturwissenschaftlerin Roswitha Burwick führt vor, wie der Erstlingsroman "Hollin's Liebesleben" mit der Beilage der Saussurebiographie eine Reflexion des Verhältnisses von Dichtung und Wissenschaft betreibt.

Die Hegelforschung hat, wie so manches auch, die Beschäftigung mit der Naturphilosophie verschlafen. Die glorreiche Ausnahme macht Michael Petry, durch seine englische Edition der Enzyklopädie und sein Studium von Hegels Zeitungslektüren bekannt. In einem Aufsatz zu Hegels berüchtigter Jenenser Dissertation über die Planetenbahnen führt er aus, daß hier nicht Newton, sondern die vorherrschende cartesianische Newtondeutung im Blick sei und daß eine ironische Betrachtung der planetarischen Proportionslehre von Platons "Timaios" bereits so früh Schellings empirieferne Deduktionen mitmeine. Hegel gehe es um die Diskussion der mathematischen Fundierung der Naturwissenschaften. Während die Romantiker Empirisches und Kategorisches verwechseln, so kann man Petry weiterdenken, ist Hegel all seinem Aristotelismus zum Trotz insofern moderner, als er der Philosophie die methodisch-kategoriale Reflexion der Grundlagenprobleme zuweist.

Nun ist zwar im Rahmen der Schellingforschung dem romantischen Naturdenken auch jenseits irgendwelchen Einheitsgefaseles naturwissenschaftliche Aktualität vindiziert worden. Marie-Luise Heuser weist neben Schellings Theorie der Selbstorganisation der Natur auf "sein Konzept des atopologischen Raumes und die daraus emergierende Einheit von Raum, Kraft und Materie". Das klingt plausibel. Andererseits hat man das Gefühl, daß man sehr vieles zum Vorläufer von sehr vielem machen kann. Luhmann hat einmal auf den Einwurf von Herbert Schnädelbach, die Systemtheorie erinnere ihn an den Deutschen Idealismus, geantwortet, solche Überlegungen müsse er seinen Interpreten überlassen. Man sieht in der Tat nicht, was man dabei lernen sollte.

Auch nichts lernen läßt sich von Wolfgang Bonsiepens Habilitation über die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel. Als ob es sich um einen wesentlichen erweiterten Schulaufsatz zu einem unverstandenen Text handelte, wird man von Stelle zu Stelle, Werk zu Werk, Autor zu Autor, Thema zu Thema, Forschungsdiskussion zu Forschungsdiskussion so im Kreise geführt, daß nach wenigen Seiten Schwindelgefühle und Übelkeit einsetzen. Um Hegels Verständnis von Entwicklung der Natur zu verstehen, müssen wir den Anfang seiner Logik verstehen, und um den Anfang seiner Logik zu verstehen, der im übrigen wichtige Konsequenzen für Hegels Philosophie der Mathematik hat, insofern er den Fluxionsbegriff der Newtonschen Infinitiesimalrechnung ersetzen soll, müssen wir Hegels Kritik der Kantischen Antinomien kennen, die wir verstehen, wenn wir sie mit der Friesschen Kritik vergleichen. Und das alles auf zwei Seiten. Gar nur einen kurzen Absatz braucht die Widerlegung von Hegels Vernunftbegriff. Hegel wolle Linnés künstliche Klassifikation durch die Aristotelischen Unterscheidungen der Tiere anhand der Klauen ersetzen. Damit folgt er seiner Kritik der sinnlichen Gewißheit, daß es die empirische Einzelheit nur als Moment des Allgemeinen gibt. Und gegen diese Lehre "wäre mit J. F. Fries und L. Feuerbach darauf hinzuweisen, daß es durchaus ein Aufzeigen des empirischen Einzelnen gibt, das nicht unter Hegels Verdikt fällt". Wollte man wissen, wie Bonsiepen zu dem kompletten Blödsinn, daß es bei Hegel keine Einzelheit "gibt", kommt, müßte man einem Fußnotenverweis auf einen Bonsiepenaufsatz folgen. Wie denn überhaupt mit 24 Titeln im Literaturverzeichnis und 35 Fußnoten Bonsiepen als der wichtigste Autor zur Naturphilosophie der Goethezeit ausgewiesen ist.

Wolfgang Bonsiepen hat als Mitarbeiter des Hegelarchivs außer dieser Habilitation eine untaugliche, weil nur wenige Stellen recht stereotyp kommentierende Ausgabe der "Phänomenologie des Geistes" betreut. Bedenkt man, daß andere Bände der Werke teils wegen Rechtsstreitigkeiten nicht herauskommen, teils, weil die Editoren anderweitig beschäftigt sind, daß sich in dem Erschienenen peinliche Lesefehler finden, daß oft zweifelhafte editorische Entscheidungen zugrunde liegen und daß für die Edition der Vorlesenachschriften offenbar noch gar nichts getan wurde - dann versteht man, was in der Gelehrtenrepublik Erstaunen auslöste, daß an allen Hegelkennern vorbei für die Nachfolge Pöggelers in der Leitung des Archivs ein Neuplatonismusforscher ausgewählt wurde. Oder um für die Schlußpointe ein Zitat beim Naturdenken Richard Wagners auszuborgen: "Ich lieg und besitze: - Laßt mich schlafen." GUSTAV FALKE

Walther Ch. Zimmerli, Klaus Stein, Michael Gerten (Hrsg.): "Fessellos durch die Systeme". Frühromantisches Naturdenken im Umfeld von Arnim, Ritter und Schelling. Verlag frommann-holzboog, Stuttgart 1997. 533 S., br., 96,- DM.

Wolfgang Bonsiepen: "Die Begründung einer Naturphilosophie bei Kant, Schelling, Fries und Hegel". Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt am Main 1997. 651 S., geb., 198,- DM.

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