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Die bekannte Welt, sie endet in Virginia Mitte des 19. Jahrhunderts für viele an den Grenzen der Plantage, auf der sie geboren wurden. Und das gilt gleichermaßen für Sklaven, ihre weißen Herren sowie - kaum vorstellbar - für schwarze Sklavenhalter. Ein bahnbrechender Roman, der Einblick in ein weitgehend unbekanntes Kapitel amerikanischer Geschichte gewährt.
Henry Townsend gehört zu den Schwarzen, die es geschafft haben. Als junger Mann von seinem Vater freigekauft, ist er mit dreißig Jahren Besitzer einer Plantage und der dazugehörigen Sklaven. Er hat sich damit arrangiert, auf der Seite
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Produktbeschreibung
Die bekannte Welt, sie endet in Virginia Mitte des 19. Jahrhunderts für viele an den Grenzen der Plantage, auf der sie geboren wurden. Und das gilt gleichermaßen für Sklaven, ihre weißen Herren sowie - kaum vorstellbar - für schwarze Sklavenhalter. Ein bahnbrechender Roman, der Einblick in ein weitgehend unbekanntes Kapitel amerikanischer Geschichte gewährt.

Henry Townsend gehört zu den Schwarzen, die es geschafft haben. Als junger Mann von seinem Vater freigekauft, ist er mit dreißig Jahren Besitzer einer Plantage und der dazugehörigen Sklaven. Er hat sich damit arrangiert, auf der Seite derjenigen zu stehen, für die der Wert eines Schwarzen sich lediglich in Arbeitskraft und Dollars bemisst. Rund um das Schicksal von Henry Townsend erzählt Jones Geschichten über Weiße und Schwarze, über Gewalt und Widerstand, über Realität und Magie. »Mit einer Dichte, die an William Faulkner und Gabriel García Márquez erinnert« (Newsday), verwebt Edward P. Jones unzählige Lebensgeschichten kunstvoll zu einem großen, unvergesslichen Bild einer Epoche. Ausgezeichnet mit dem Pulitzer-Preis.

Autorenporträt
Hans-Christian Oeser, geb. 1950 in Wiesbaden, lebt als literarischer Übersetzer und Herausgeber in Dublin. Er übersetzte u. a. Werke von Christopher Nolan, Ian McEwan und John McGahern. Hans-Christian Oeser wurde mit dem Europäischen Übersetzerpreis 'Aristeion' ausgezeichnet und 2010 mit dem 'Heinrich Maria Ledig-Rowohlt-Preis'.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.08.2005

Die verkehrte Welt
Edward P. Jones hat einen Roman über einen schwarzen Sklavenhalter in Virginia geschrieben

Der Mann sitzt verloren an einem großen Konferenztisch, seine Augen sehen noch müder aus als auf dem Foto im Umschlag seines neuen Romans, und wenn man ihn mit einer seiner Figuren vergleichen müßte, dann wäre es wohl Rita, die entflohene Sklavin, die mit einer Ladung geschnitzter Spazierstöcke in einer Holzkiste von Virginia nach New York verfrachtet wird, in die Freiheit. Edward P. Jones ist nicht auf der Flucht, aber auch sein schlaffer Händedruck signalisiert "Vorsicht zerbrechlich!", wie die Worte auf der Kiste, und wenn er nun aus den Fenstern sieht, den großen Fenstern der Villa seines Hamburger Verlags, dann scheint er sich auch zu fragen, was das für seltsame Orte sind, an denen er nun angekommen ist, am Höhepunkt seiner Karriere.

"Hamburg sieht ein bißchen aus wie Virginia", sagt Jones beim Betrachten der Außenalster, aber vermutlich vergrößert dieser Umstand die gefühlte Entfernung zur Heimat eher noch. Es ist eine sehr weite Reise vom amerikanischen Süden in den deutschen Norden, und wenn man nach Jones' Sakko mit den großen Karos geht, dann muß es auch eine sehr lange Reise gewesen sein für den Sohn der Tellerwäscherin aus Washington D. C. zum neuen Star der amerikanischen Literatur.

Schon einmal hatte Jones kurz hineingeschnuppert in die Welt des literarischen Erfolgs, 1992, als seine Kurzgeschichtensammlung "Lost in the City" erschien, aber selbst eine Nominierung für den National Book Award verhalf dem Buch nicht zu einem größeren Publikum. Diesmal ist alles anders: Sein neuer Roman "Die bekannte Welt" begeisterte in Amerika die Kritiker und wurde zum Bestseller. Er gewann 2004 den Pulitzer-Preis für Literatur, die Filmrechte sind schon verkauft, außerdem spendierte ihm die MacArthur Foundation ein Stipendium in Höhe von 500 000 US-Dollar. Und weil kürzlich auch Oprah Winfrey auf ihrer Website den Roman empfahl, wird Jones' Ruhm diesmal nicht so schnell verblassen.

Alles im Kopf

Weil der Durchbruch als Autor zunächst ausblieb, arbeitete Jones damals einfach weiter in seinem unterbezahlten Job als Lektor und Korrektor bei einem Wirtschaftsmagazin namens "Tax Notes", wo er Artikel über Steuerthemen aus Tageszeitungen zusammenfaßte und redigierte. Die eher prosaische Beschäftigung, mit welcher der 54jährige fast zwanzig Jahre lang seinen Lebensunterhalt verdiente, trug nicht unwesentlich dazu bei, den Roman als "Sensation" einzuordnen.

Nach der Arbeit aber entsteht "Die bekannte Welt" - die Geschichte von Henry Townsend, dem ehemaligen Sklaven aus Virginia, der in den Jahren vor dem amerikanischen Bürgerkrieg selbst zum Sklavenhalter wird. Auf über vierhundert Seiten entwirft Jones die Chronik von Manchester County, einem fiktiven County Virginias, und angesichts des beträchtlichen Personals, das er dabei zwei Generationen lang begleitet, ist die Entstehungsgeschichte des Romans tatsächlich überraschend. Denn bis auf zwei Abschnitte von jeweils sechs Seiten, die er 1995 zu Papier bringt, schleppt Jones sein gesamtes Buch in seinem Kopf herum. Er macht weder Aufzeichnungen noch Studien oder Stilübungen. "Die Figuren sind wie Nachbarn", meint Jones, "man wächst mit ihnen auf, man weiß, wie sie sind, ohne sich Notizen über sie zu machen."

Irgendwann ist sein Kopf voll genug, die Sätze wollen heraus, die Bilder zu Worten werden, um wieder zu Bildern zu werden, in den Köpfen der Leser, und wenn es Leute gibt, die diese Art des Schreibens ungewöhnlich finden, weil sie glauben, daß Schreiben ein Handwerk ist, das mit Werkzeugen wie Diagrammen und Strukturen und Karteikarten nicht nur einfacher, sondern auch besser wird, dann ist es Jones, der das alles nicht verstehen kann: "Die Leute scheinen ein Problem mit der Imagination zu haben. Sie können nicht glauben, daß man Dinge aus seinem Kopf herausholen kann - einfach so."

Zehn Jahre also vergehen, bevor Jones 2001, während eines fünfwöchigen Urlaubs, das beginnt, was er "den physischen Teil des Schreibens" nennt, das Aufschreiben der Geschichte. Den Stapel an Literatur, die Geschichtsbücher und die wenigen Sachbücher, die es über das zentrale Thema seines Romans gibt, über das ungewöhnliche Phänomen schwarzer Sklavenhalter, legt er ungelesen zur Seite. Immer wieder war er nach wenigen Seiten hängengeblieben, und das wenige, was er gelesen hatte, vergaß er schnell. Und weil auch der Besuch bei einem Freund in Lynchburg, Virginia, nicht zustande kommt, dem Bezirk, den Jones ursprünglich zum Schauplatz seiner Geschichte machen wollte, entscheidet er sich, das zu tun, was Schriftsteller eben tun: Er erfindet. Manchester County ist Jones' County; seine Geschichte, seine Statistiken, seine Gesellschaft sind ein einziger großer Bluff, herausgeholt aus dem Kopf ihres Schöpfers. Am Ende klingt das Buch zwar wie das Ergebnis mühsamer Recherche, "überladen" mit historischen Details, wie ein Kritiker fand, aber seine Stärke ist eben vor allem das: der Klang. Die Präzision der Beschreibung verdankt sich eher einer stilistischen Zurückhaltung, und mehr als durch allzu reiche Ausschmückungen funktioniert Jones' geglückte Täuschung durch die Kunst des Weglassens.

Tatsächlich nämlich sind seine Schilderungen des historischen Ambientes eher spärlich; daß sie trotz des Verzichts auf jegliches Südstaaten-Rokoko so reichhaltig erscheinen, liegt vor allem daran, daß Jones trotz allem weiß, auf welchem Stapel an Büchern, auf welchem Berg an Bildern sein Roman aufbaut: Die Welt der Plantagen und Slavenhütten, die Epoche rund um den Bürgerkrieg ist bereits so präsent in der amerikanischen Popkultur, daß man ihre Atmosphäre nur heraufbeschwören muß. "Wenn ich behaupte, daß es Virginia im Jahr 1855 ist, dann glaubt man mir, solange ich nichts sage, was dem widerspricht", meint Jones.

Die Welt, in der dieser Roman spielt, ist die bekannte Welt. Was sie erschüttert, ist das kuriose Detail, um das seine Geschichte kreist, die verzerrte Perspektive, aus der Jones den Blick zurück in diese Zeit wirft. Aus den umgekehrten Vorzeichen, die in Manchester County die damals üblichen Verhältnisse durcheinanderbringen, gewinnt das Buch eine Dynamik, die für das Genre des historischen Romans eher ungewöhnlich ist: Niemand scheint hier die Rolle zu spielen, welche die Historie ihm zugewiesen hat, weder Henry, der glaubt, als guter Master auch ein guter Mensch sein zu können, noch sein ehemaliger Besitzer William Robbins, der mächtigste Mann im County, der seine Sklaven mit aller Härte behandelt, aber mit einer von ihnen zwei Kinder hat, die er sehr liebt: aber auch sie sind seine Sklaven. Es gibt die freie Farbige Fern Elston, eine Privatlehrerin, die mühelos als Weiße durchgeht, weil sich ihre Familie seit vier Generationen bemüht, "die Grenzen zwischen den Hautfarben" zu überschreiten, und es gibt den Sheriff John Skiffington, einen Gegner der Sklaverei, dessen Hauptaufgabe das Einfangen flüchtiger Sklaven ist.

Nichts in der Wohnung

Fast alle Beziehungen sind auch Eigentumsbeziehungen in Manchester County, und am Ende scheitern die meisten Figuren an diesem absurden und komplexen sozialen Geflecht, scheitern daran, daß die ohnehin paradoxen Regeln und Institutionen der Sklaverei aus den Fugen geraten: Alles ist möglich in einer Zeit, in der Schwarze zu Sklavenhaltern werden. Manchester County ist moralisch vermintes Terrain.

Mit ruhiger Stimme, ohne Entrüstung und mit einer nicht zu unterschätzenden Portion Humor erzählt Jones seine Geschichte, und weil es dieselbe Stimme ist, mit der er auch all dem Trubel begegnet, den der Platz auf der Bestsellerliste mit sich bringt, kann man ein wenig Angst haben, daß sie verstummt. Er sei ein einfacher Mensch, meint Jones, ein Einzelgänger, der lieber Videofilme anschaut, als sich in der Literatenszene zu bewegen. Vermutlich wird es ihm der Literaturbetrieb nicht noch einmal erlauben, sich zehn Jahre zurückzuziehen, aber andererseits: Wer weiß, daß Jones schon einmal eine Zeitlang von zwei Dollar am Tag lebte, kann sich ausrechnen, wie weit er allein mit seinen Preisgeldern kommt.

Vor kurzem ist er jedenfalls erst einmal umgezogen, zurück nach Washington, in einen Vorort im Nordwesten der Stadt. Das heißt: Umgezogen ist nicht ganz das richtige Wort. Seine alten Möbel hat er weggeschmissen, aber jetzt kann er sich nicht richtig für neue entscheiden. Mit den Möbeln geht es ihm ein wenig wie mit dem Bücherstapel: Er schaut ein bißchen hinein in die Läden, und wenn er aus dem vierten oder fünften wieder herauskommt, hat er vergessen, was er im ersten gesehen hat. Wenn Jones also nach Hause kommt von seinen nicht enden wollenden Lesereisen, stellt er seinen Koffer ab und setzt sich auf den Boden, nachts schläft er auf einer nicht aufgepumpten Luftmatratze, zwischen unausgepackten Bücherkartons.

Die Wohnung von Edward P. Jones ist so schnörkellos wie seine Prosa. Aber es kommt ja auch kaum Besuch. Nur die Figuren seiner neuen Kurzgeschichten tauchen gelegentlich auf. Die werden es wohl wieder eine Weile aushalten müssen, in seinem Kopf.

HARALD STAUN

Edward P. Jones: "Die bekannte Welt". Roman, deutsch von Hans-Christian Oeser. Hoffmann & Campe. Hamburg 2005, 450 Seiten, 22 Euro.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.02.2006

Das abgeschnittene Ohr
Bittere Wahrheit: Edward P. Jones’ brillanter Sklaverei-Roman „Die bekannte Welt”
Henry Townsend zählt 31 Jahre, als er stirbt. Als Schuhmacher hat er angefangen, und da er sehr geschickt ist, kann er sich schon als junger Mann ein Stück Land und einen ersten Arbeiter leisten. Unterstützt von Moses, der später zum Aufseher avancieren wird, baut er ein geräumiges, mehrstöckiges Haus. Er heiratet die attraktive Caldonia und gebietet schließlich über 50 Morgen und 33 Menschen: elf Männer, dreizehn Frauen und neun Kinder. In seiner freien Zeit greift er gerne zur Bibel, aber auch zu Miltons „Paradise Lost”. Und doch unterscheidet ihn ein grundlegendes Merkmal von den anderen Großgrundbesitzern im Virginia des vorletzten Jahrhunderts. Mit denen, über deren Leben und Tod er jederzeit entscheiden kann, teilt er die Hautfarbe: Henry ist ein schwarzer Herr schwarzer Sklaven.
Augustus, sein Vater, wurde nicht frei geboren. Als tüchtiger Schreiner und Schnitzer gelingt es ihm aber, erst sich, dann auch seine Frau Mildred und seinen Sohn freizukaufen. Henry geht bei einer klugen, ebenfalls freien Lehrerin zur Schule; für die Weltweisheit sorgt William Robbins, sein früherer Besitzer, der ihn fast so freundlich behandelt wie die Kinder, die er mit seiner Mätresse hat. Als er sieht, wie Henry eines Tages mit Moses spielerisch rauft, weist er ihn streng zurecht: „Das Gesetz erwartet, dass du weißt, was ein Herr ist und was ein Sklave. Und es macht keinen Unterschied, ob du möglicherweise dunkelhäutiger bist als dein Sklave. Davor verschließt das Gesetz die Augen. Du bist der Herr, mehr will das Gesetz nicht wissen. Das Gesetz wird auf deiner Seite sein und sich hinter dich stellen. Aber wenn du dich herumwälzt und Spielgefährte deines Eigentums bist, und dein Eigentum dreht sich um und beißt dich, dann wird das Gesetz zwar immer noch zu dir stehen, aber nicht aus vollem Herzen und nicht mehr so schnell.”
Die Eltern von Henry sind entsetzt über den Weg, den ihr Sohn einschlägt. Besuchen sie ihn, übernachten sie demonstrativ nicht im Haus, sondern in einer der bescheidenen Sklavenhütten. Henry hofft zunächst, er werde „ein besserer Master sein als alle Weißen, die er kenne”; wie „eine Art guter Hirte” möchte er auf seinen menschlichen Besitz achten. Betrügt er sich mit solchen Aussagen selbst? Die übliche Herrschaftspraxis erweist sich jedenfalls als stärker als alle guten Vorsätze. Dass ein entlaufener Sklave ein Dieb ist, der sich selbst gestohlen hat und daher empfindlich bestraft gehört - diese Ansicht unterschreibt nach kurzer Zeit auch Henry: „Als er Moses sagen hörte, Elias sei verschwunden, hatte er beschlossen, dass es mit Auspeitschen nicht getan war, dass diesmal nur ein Ohr den Zweck erfüllen würde. Er hatte nur noch nicht entschieden, ob es das ganze Ohr sein sollte oder bloß ein Stück, und falls nur ein Stück, dann wie groß?” Vermutlich ist es auch seine prekäre Situation zwischen den Klassen und Rassen, die Henry immer kaltblütiger agieren lässt. Dem Sklavenfänger, der mit dem Rasiermesser sein blutiges Werk an Elias verrichtet hat, steckt er ungerührt einen Dollar zu.
Verstoß gegen den Opfermythos
Die Schilderung von Henrys kurzem Leben steht im Zentrum von „Die bekannte Welt”. Zugleich sind mit ihm aber zahlreiche weitere Schicksale verknüpft. Von John Skiffington, dem frommen, magenkranken Sheriff wird erzählt und von seinem skrupellosen, reichen Cousin Counsel, der durch eine Pockenepidemie wie ein moderner Hiob seine Familie und seinen Besitz verliert. Henrys und Caldonias Verwandte treten auf, und auch die Sklaven erhalten ihr eigenes Profil. Selbst von Nebenfiguren erfährt der Leser einiges über ihre bisherige, manchmal zudem ihre zukünftige Existenz. Allerdings wird die Technik der Vorausblende in der ersten Hälfte ein wenig inflationär eingesetzt; hier scheint der Autor dem Reiz erlegen zu sein, sich gegenüber seinen Figuren allzu demiurgisch zu gebärden.
„Die bekannte Welt” lässt sich als Gegenentwurf zu Alex Haleys „Roots” begreifen. Edward P. Jones ist Afroamerikaner, wagt aber die Mitbürger seiner Hautfarbe mit der unangenehmen, historisch belegten Wahrheit zu konfrontieren, dass einige ihrer Vorfahren selbst Sklavenhalter waren. Die Kühnheit dieses Verstoßes gegen einen Identität stiftenden Opfermythos ist zu bewundern, mehr aber noch, wie der Autor von der Unmenschlichkeit zu erzählen versteht, ohne in einen wohlfeilen Tonfall der Empörung abzugleiten. Exemplarisch hierfür ist die Szene, in der Mr. Robbins Moses und dessen Gefährtin Bessie kauft. Er befiehlt beiden, sich auszuziehen, prüft dann ihr Gebiss und ihre Muskeln. Von seinem Begleiter heißt es nur: „Henry trat einen Schritt zurück, bis ihm der Türknauf ins Kreuz stieß.” Der Sheriff, der ebenfalls anwesend ist, sorgt sich währenddessen um die Schicklichkeit: „Ihm fiel auf, dass eine Weiße am Fenster vorbeikommen und sich in ihrem Zartgefühl gekränkt fühlen mochte, wenn sie einen nackten Sklaven sah, und er stand auf und ging zum Fenster, um etwaig vorübergehende Frauen abzulenken.”
Der Roman endet mit einem Brief, den Caldonias Zwillingsbruder Louis 1861, sechs Jahre nach Henrys Tod, an seine Schwester schreibt. In Washington hat er Arbeit und eine neue Heimat gefunden, in einem Hotel, das von zwei früheren Sklavinnen, die Henry entflohen sind, geführt wird. Alice, eine von ihnen, galt als Irre; nun entpuppt sie sich als Künstlerin. Im Speisesaal hängen zwei ihrer Werke, „teils Bildteppich, teils Gemälde, teils aus Ton geformt”. Das erste ist „eine Art Landkarte des Lebens in Manchester County, Virginia”, das zweite zeigt die Plantage und ihre Bewohner, „so, wie der Herrgott sie sieht, wenn er herniederblickt”. Der Roman und der Zugriff des Autors auf seinen Stoff sind hier gespiegelt. Die Miniaturisierung der zuvor entfalteten epischen Welt verweist aber auch auf die tragische Ironie von Henrys Aufstiegsprojekt: Es versuchte eine weiße Kultur zu kopieren, die der Sezessionskrieg bald darauf obsolet machen sollte. Das falsche Leben ist gescheitert, Louis bleibt die Hoffnung auf das richtige. CHRISTOPH HAAS
EDWARD P. JONES: Die bekannte Welt. Roman. Aus dem Amerikanischen von Hans-Christian Oeser. Hoffmann und Campe Verlag, Hamburg 2005. 448 Seiten, 22 Euro.
Eine Sklavenauktion in Richmond, Virginia, 1861
Foto: Corbis
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Edward P. Jones gelingt in seinem 2004 mit dem Pulitzerpreis für Literatur ausgezeichneten Roman "manches", räumt Thomas Leuchtenmüller ein. Die psychologische Durchdringung der verworrenen Verhältnisse rund um einen Schwarzen, der sich schwarze Sklaven hält, fällt "plausibel" aus, so der Rezensent. Auch werde der Alltag im sklavenhalterischen (und fiktionalen) Manchester County in Virginia plastisch dargestellt. Doch im Ganzen, so der gestrenge Rezensent, "missfällt 'Die bekannte Welt'. Leuchtenmüller stört sich an zu viel "Onkel Toms Hütte" und zu viel "Vom Winde verweht", auch haben ihm die eingestreuten Vorausblicke in die Zukunft der Erzählung die Spannung verdorben. Gewisse Klischees mag Leuchtenmüller ebenfalls nicht mehr lesen, gerade wenn sie von der Forschung längst überholt seien - Sklavinnen, die wesentlichen Einfluss und "mannigfaltige Aufgaben" hätten, die habe es schlicht nicht gegeben. Und das menschliche Panorama des Romans, notiert der Rezensent säuerlich, biete "Karikaturen, keine Kreaturen". Dann aber gerät er richtig in Rage. Die Verleihung des Pulitzerpreises identifiziert Leuchtenmüller als strategisch eingesetztes "falsches Lob": "Wundert es, dass von Weißen dominierte Organe eine schwache Publikation eines schwarzen Schriftstellers über schwarze Sklavenherrschaft als Glanzstück apostrophieren?" Deutlich bessere Autoren, so Leuchtmüller, gingen leer aus.

© Perlentaucher Medien GmbH
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