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Die Geschichten John McGaherns spielen in der irischen Provinz, erzählen von Dorfschullehrern, Pubs und der Hasenjagd, von Farmern, Polizisten und Geistlichen, von Vätern und Söhnen. Sie schildern die banalen Erlebnisse desillusionierter Männer, die ihre Träume längst verloren haben, deren Leben sich in endlosen Wiederholungen erschöpft. Sie zeigen die lähmenden Fesseln familiärer Bindungen und den Terror zwischenmenschlicher Beziehungen. Doch wie kritisch John McGahern das Leben seiner "Helden" auch hinterfragt, stets läßt er ihnen ihre Würde.

Produktbeschreibung
Die Geschichten John McGaherns spielen in der irischen Provinz, erzählen von Dorfschullehrern, Pubs und der Hasenjagd, von Farmern, Polizisten und Geistlichen, von Vätern und Söhnen. Sie schildern die banalen Erlebnisse desillusionierter Männer, die ihre Träume längst verloren haben, deren Leben sich in endlosen Wiederholungen erschöpft. Sie zeigen die lähmenden Fesseln familiärer Bindungen und den Terror zwischenmenschlicher Beziehungen. Doch wie kritisch John McGahern das Leben seiner "Helden" auch hinterfragt, stets läßt er ihnen ihre Würde.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.12.1996

Angespannt im Kleinverband
Wirklich winzige Welten! John McGahern erforscht die irische Familie / Von Paul Ingendaay

In Deutschland, wo man sich auf systematischen Selbstzweifel etwas zugute hält, hat man den Iren zum Lieblingsausländer erklärt, weil er, zumindest bis vor kurzem, ein niedriges Wirtschaftswachstum mit systematischer Gutmütigkeit verband. Inzwischen übertrifft das irische Wirtschaftswachstum bei weitem das deutsche. Das ist kein Grund, sich zu beunruhigen, denn da die irische Gutmütigkeit nicht zur Überheblichkeit neigt, darf das Verhältnis zwischen den Nationen bleiben, was es war: eine Freude für die irische Tourismusbehörde. Die letzte Frankfurter Buchmesse, auf der die Bereitschaft groß war, irische Schriftsteller spontan ins Herz zu schließen, hat es noch weiter gefestigt.

Ein bißchen schwierig ist es nun, da die Klischeewalze schon einige Male zu oft durchs Gelände gerollt ist, die Erzählungen des 1934 geborenen, auf einem Bauernhof in der Grafschaft Leitrim lebenden John McGahern zu beschreiben. Auch der Klappentext hat seine Mühe damit. Er behauptet, die Geschichten - eine Auswahl aus den "Collected Stories" - seien "Reisen ins innere Irland, fernab der bevölkerten Touristenrouten". Wenn damit das Landesinnere gemeint ist, touché! Aber darüber hinaus ist das große Fernab der bevölkerten Touristenrouten ja genau das, was Touristen suchen, wenn sie nach Irland kommen, und insofern wäre der Schauplatz der zehn Geschichten doch wieder ganz the real thing.

Zumindest auf den ersten Blick. Da gibt es ein Dorf, und Querverbindungen zwischen den Erzählungen lassen vermuten, daß es immer dasselbe ist. Da gibt es die Schule, drei Straßen, die Häuser, den Pub. "Kanonikus Glynn", heißt es von dem alten Priester, der hier seinen Dienst versieht, "paßte sich seiner Umgebung vorzüglich an. Er war auf einem Bauernhof aufgewachsen und liebte das Kartenspiel und Whiskey, doch seine eigentliche Leidenschaft im Leben galt den reinrassigen Kurzhornrindern, die er auf dem Kirchengelände grasen ließ. In der Öffentlichkeit neigte er dazu, eher Gottes Gnade hervorzuheben als seinen Zorn, und privat glaubte er, daß die irdischen Angelegenheiten um so glücklicher verliefen, je weniger Gott ins Spiel gebracht wurde."

Dennoch hat das Leben, das McGahern schildert, genausoviel Recht auf Tragödie wie das Leben an aufregenderen Orten. Sie kommt hier nur mit weniger Worten daher, und eine von McGaherns Eigenarten besteht darin, die Geschichten noch früher abzubrechen als in der Short Story üblich. Manchmal ist das so früh, daß der Leser nicht einmal den "nachschwingenden Eindruck", das "festgefrorene Bild" zurückbehält, von dem die Poetik der Kurzgeschichte spricht.

Was statt dessen zurückbleibt, muß nicht schwächer sein. In der Titelerzählung "Die Bekehrung des William Kirkwood" ist die Geschichte in dem Augenblick zu Ende, als das moralische Dilemma der Hauptfigur offenbar wird: William Kirkwood steht vor der Entscheidung, ob er um seiner zukünftigen Frau willen die treue Dienstmagd und deren Tochter aus dem Haus weisen soll oder nicht. Das wüßte man nun gerne. Aber wer es weiß, könnte das Buch zuklappen und mit der Moral von dannen ziehen. McGahern dagegen findet, daß der Leser mit dem Wissen um den Konflikt genug hat, und was die Figuren daraus machen, scheint ihm fast zweitrangig. Man sieht an der Art, wie der Autor mit seinem Material umgeht, mindestens zweierlei: wieviel er seinen Lesern zutraut und wie genau die Geschichten gearbeitet sind. (In den Vorstufen, heißt es, seien sie dreimal so lang.)

Der Angelpunkt von McGaherns Werk ist die Familie. Oft gehen die Söhne fort in die Stadt, und wenn sie wiederkommen, denkt man, sie hätten vielleicht doch lieber wegbleiben sollen. Ein anderer Sohn, in einer anderen Geschichte, belauscht ein Gespräch seines Vaters, der ihn gedrängt hat, sein Glück in Amerika zu versuchen: In Wahrheit spekuliert der Vater darauf, daß sein Sohn sich als Kriegsfreiwilliger meldet, damit monatlich zweihundertfünzig Dollar fällig werden (und zehntausend im Todesfall).

Fehlende gesellschaftliche Schichtungen, so hat McGahern einmal gesagt, hätten verhindert, daß Irland große Romanciers hervorgebracht habe, denn der Roman sei ein Medium für die breite Darstellung der feinen Klassenunterschiede. Umgekehrt läßt sich daraus folgern, daß Irland auch deshalb so hervorragende Kurzgeschichtenautoren besitzt, weil das Land in überschaubaren Kleinverbänden organisiert ist. Deren mächtigster, die Familie, vertraut auf die Wiederholung des Immergleichen. Auch der Irland-Tourist weiß längst, daß so etwas nicht pittoresk ist, sondern eher bedrückend und lähmend: Stoff für eine Kunst aus dem Geist der Melancholie, wie sie den meisten irischen Short-Story-Autoren eigen ist.

John McGaherns Bücher leben von Wiederholungen. Familienrituale, Auflehnung, Zwist und Autoritätsansprüche sind die treibenden Kräfte in der wirklich winzigen Welt seiner Figuren. Früher hat der Autor gegen diese Enge, von der wir uns nur schwer einen Begriff machen, beharrlich angeschrieben. In den sechziger Jahren nahm er sogar in Kauf, daß sein Roman "The Dark" (Das Dunkle) auf den Index gesetzt wurde und er selbst seine Stelle an einer katholischen Schule verlor. Heute gilt McGahern neben Edna O'Brien als Wegbereiter der (nicht nur sexuellen) Liberalisierung Irlands.

McGaherns Roman "Der Pornograph" (The Pornographer) aus dem Jahre 1970 zeugt von den Anstrengungen, die es einmal gekostet hat, die Beschreibung von Erotik als Normalfall auszugeben. Die "Stellen" sind hier wirkliche Stellen, nämlich Auszüge aus der ziemlich lustlosen pornographischen Schriftstellerei eines dreißigjährigen Dubliners, der ein Verhältnis mit einer acht Jahre älteren Frau beginnt und sich vor der Verantwortung drückt, als sie schwanger wird. Der Roman erschien erst 1992 auf deutsch und hatte doppelt Pech. Zum einen gab er sich wegen der schematischen Körper-Geist-Dichotomie, die McGahern ein wenig zu aufdringlich durchs Bild schiebt, sofort als period piece zu erkennen. Zum anderen ließ die Übersetzung kaum noch etwas von McGaherns Sprachrhythmus ahnen.

Jetzt legt der Verlag, unter dem neuen und irreführenden Titel "Der Liebhaber", eine überarbeitete Fassung des Romans als Taschenbuch vor. Gern würde man die Tat als vorbildlich preisen und zur Nachahmung empfehlen, doch das ist beim besten Willen nicht möglich. Die Übersetzung wurde zwar kosmetisch behandelt, stellenweise sogar umgebaut, aber die Interpunktion hat dabei fürchterlich Schaden genommen. Es sind soviele Kommata falsch gesetzt, daß man annehmen muß, bei Steidl in Göttingen wären heimlich drei mittelgroße Hühner über die Schreibtische gelaufen. Merkwürdigerweise sind es dieselben Schreibtische, auf denen auch Hans-Christian Oesers schöne und genaue Übersetzung der Erzählungen gelegen hat. Kluge Hühner wissen, wo sie sich beherrschen müssen.

John McGahern: "Die Bekehrung des William Kirkwood". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Hans-Christian Oeser. Steidl Verlag, Göttingen 1996. 192 S., geb., 28,- DM.

John McGahern: "Der Liebhaber". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Martin Hielscher. Steidl Verlag, Göttingen 1996. 400 S., br., 18,80 DM.

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