Produktdetails
- Verlag: be.bra verlag
- Seitenzahl: 143
- Abmessung: 245mm
- Gewicht: 748g
- ISBN-13: 9783930863488
- Artikelnr.: 07878180
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.12.1999Von der Bedeutung des Angelsports für die DDR
Man muss einfach loslassen können: Wie Friedrich Schorlemmer zwei Bücher vorstellt
Zehn Gäste waren gekommen, um sich die Erinnerungen Friedrich Schorlemmers und zweier Buchautoren über "Die Berliner Mauer" und über den "Leipziger Herbst '89" anzuhören, bis zum Ende blieben neun. Eine Gesprächsrunde sollte es werden. Zu Beginn hielt Schorlemmer vierzig Minuten lang einen Monolog. Was ihn zum Hierbleiben bewogen habe, hatte ihn die Moderatorin wie bestellt gefragt, die mit einer solch ausführlichen Lektion wohl nicht gerechnet hatte und nach zwanzig Minuten in ihrem Stuhl zurücksank. Dieses Mal war Freya Klier nicht dabei, die Schorlemmer vor einigen Tagen in Leipzig Anbiederung an den Kommunismus vorgeworfen hatte (F.A.Z. vom 1. Dezember). Er sprach von der Hoffnung auf Rückenwind aus Moskau Ende der achtziger Jahre und davon, dass es in Leipzig neben dem Signal der Ausreisewilligen - dem weißen Band an der Autoantenne - auch ein vierzig Zentimeter langes grünes Band gegeben habe, grün für die Hoffnung, vierzig Zentimeter für die DDR-Jahre, das symbolisieren sollte: Wir bleiben hier, auf unseren Widerstand kann man sich verlassen.
Ohne den Konflikt zwischen Hiergebliebenen und Weggegangenen anzusprechen, der sich zwischen den damaligen Dissidenten zu artikulieren beginnt, wenn sie aufeinander treffen, sagte Schorlemmer, je mehr die DDR von einigen geschwärzt werde, desto mehr werde sie von anderen vergoldet, und dann schimpft er: "Ich sage es ganz scharf: Es gab Leute, die wären ganz scharf darauf, die DDR zu fressen, haben sie aber noch immer nicht verdaut, sie kommt ihnen immer wieder hoch." Er nennt Leander Haußmanns Film "Sonnenallee" dagegen eine "wunderbare Art, von der DDR loszukommen, wunderschön", während andere Leute "antikommunistische Neurotiker" seien und überall, selbst in ihm, Kommunisten sähen. In Erregung geraten, zog Schorlemmer ein Blatt hervor und zitierte aus seiner Stasi-Akte, in der es heißt, er habe demokratischen Sozialismus propagiert und gegen die DDR gehetzt. Warum er ausgerechnet die Akten der Staatssicherheit, die er schon vor Jahren geschlossen sehen wollte, als Leumundszeugnis anführte, wurde in der freundlichen Runde nicht erfragt.
Schorlemmer sagte, es habe schon damals, in Leipzig am 9. Oktober 1989, von 70 000 Menschen geheißen: "Wir sind ein Volk!", und mit dem "Wir" seien die "polizeilichen Organe", die den Demonstranten gegenüberstanden, zur Verbrüderung aufgerufen worden. Nachdem die Moderatorin eine Frage an den Leipziger Kulturwissenschaftler Thomas Ahbe richtete, in der die Sentenz "Wir sind das Volk" vorkam, unterbrach sie Schorlemmer: In diesem Satz habe man nicht das Wort Volk, sondern das Wir zu betonen, weil sonst "der Sinn verdunkelt" werde. Birgit Peter vom Gustav Kiepenheuer Verlag in Leipzig sagte ihm höflich lächelnd: "Ich hab' es noch im Ohr, ich bin dabei gewesen."
Ahbe repetierte mit bitterer Miene die oft gehörten Sätze: Die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche sei durch die "unvollendete Revolution" nicht verhindert worden, Ostdeutschland werde durch westdeutsche Eliten regiert und könne keine eigene Kultur aufbauen, der Sozialismus sei nicht reformiert worden. Ahbe nannte Zahlen aus einer zwei Jahre alten Elite-Studie, unter anderem über dreißig Prozent ostdeutsche Eliten in der gesamtdeutschen Politik und null Prozent in Justiz und Militär. Der Historiker Thomas Flemming, der ein Buch über ein "nicht mehr zu schwärzendes Kapitel" der DDR, nämlich die Berliner Mauer geschrieben hat, fragte vorsichtig, ob Ahbe denn wünsche, dass es in der Justiz und im Militär heute ostdeutsche Eliten geben solle. Dass die dreißig Prozent Ostdeutschen in Positionen politischer Elite bei einem Bevölkerungsverhältnis West/Ost von achtzig zu zwanzig ein ganz anderes Bild geben, irritierte niemanden in der Runde. Schorlemmer fand, dass es der Einheit schade, wenn die Ostdeutschen von Westdeutschen dominiert würden - in der Wissenschaft sind rund sieben Prozent Ostdeutsche in Führungspositionen - wo es doch im Osten beispielsweise gute Germanisten gegeben habe, aber es reiche auch nicht, nur Geld in den Osten zu stecken, es brauche auch Kompetenz, und an den Biedenkopf in Sachsen reiche keiner heran.
Am Ende wies Schorlemmer noch einmal den Verdacht der Kommunismusnähe von sich. Er sei Mitglied im "Konsum" und im "Anglerverband" gewesen. Es habe auch SED-Genossen gegeben, die sich "an der Partei gerieben" hätten, und die Generaldiffamierung der SED habe dem Einheitsprozess nur geschadet. Jetzt wünscht sich Schorlemmer: "Wir müssen endlich loslassen von der DDR." Jetzt, da die Auseinandersetzungen um die Deutung der DDR und die damalige Rollenverteilung zwischen Staatstreuen und Gegnern erst losgehen? Jetzt, da die letzte DDR-Generation der heute Dreißigjährigen, die zur Identifikation damals nicht kam und bisher ihre Meinung mangels Position nicht äußerte? Jetzt zu fordern, endlich die DDR loszulassen, nachdem er zehn Jahre seine Interpretation so nachdrücklich verbreitet hat, bis schließlich keiner mehr seine Veranstaltungen besucht, das klingt, als sei Schorlemmer in seiner Eitelkeit gekränkt.
MARTIN Z. SCHRÖDER
Die vorgestellten Bücher sind: Thomas Flemming/Hagen Koch: Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks. be.bra Verlag Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, 144 Seiten, 59,90 Mark.
Thomas Ahbe/Michael Hofmann/Volker Stiehler: Wir bleiben hier! Erinnerungen an den Leipziger Herbst '89. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig, 1999, 240 Seiten, 29 Mark.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Man muss einfach loslassen können: Wie Friedrich Schorlemmer zwei Bücher vorstellt
Zehn Gäste waren gekommen, um sich die Erinnerungen Friedrich Schorlemmers und zweier Buchautoren über "Die Berliner Mauer" und über den "Leipziger Herbst '89" anzuhören, bis zum Ende blieben neun. Eine Gesprächsrunde sollte es werden. Zu Beginn hielt Schorlemmer vierzig Minuten lang einen Monolog. Was ihn zum Hierbleiben bewogen habe, hatte ihn die Moderatorin wie bestellt gefragt, die mit einer solch ausführlichen Lektion wohl nicht gerechnet hatte und nach zwanzig Minuten in ihrem Stuhl zurücksank. Dieses Mal war Freya Klier nicht dabei, die Schorlemmer vor einigen Tagen in Leipzig Anbiederung an den Kommunismus vorgeworfen hatte (F.A.Z. vom 1. Dezember). Er sprach von der Hoffnung auf Rückenwind aus Moskau Ende der achtziger Jahre und davon, dass es in Leipzig neben dem Signal der Ausreisewilligen - dem weißen Band an der Autoantenne - auch ein vierzig Zentimeter langes grünes Band gegeben habe, grün für die Hoffnung, vierzig Zentimeter für die DDR-Jahre, das symbolisieren sollte: Wir bleiben hier, auf unseren Widerstand kann man sich verlassen.
Ohne den Konflikt zwischen Hiergebliebenen und Weggegangenen anzusprechen, der sich zwischen den damaligen Dissidenten zu artikulieren beginnt, wenn sie aufeinander treffen, sagte Schorlemmer, je mehr die DDR von einigen geschwärzt werde, desto mehr werde sie von anderen vergoldet, und dann schimpft er: "Ich sage es ganz scharf: Es gab Leute, die wären ganz scharf darauf, die DDR zu fressen, haben sie aber noch immer nicht verdaut, sie kommt ihnen immer wieder hoch." Er nennt Leander Haußmanns Film "Sonnenallee" dagegen eine "wunderbare Art, von der DDR loszukommen, wunderschön", während andere Leute "antikommunistische Neurotiker" seien und überall, selbst in ihm, Kommunisten sähen. In Erregung geraten, zog Schorlemmer ein Blatt hervor und zitierte aus seiner Stasi-Akte, in der es heißt, er habe demokratischen Sozialismus propagiert und gegen die DDR gehetzt. Warum er ausgerechnet die Akten der Staatssicherheit, die er schon vor Jahren geschlossen sehen wollte, als Leumundszeugnis anführte, wurde in der freundlichen Runde nicht erfragt.
Schorlemmer sagte, es habe schon damals, in Leipzig am 9. Oktober 1989, von 70 000 Menschen geheißen: "Wir sind ein Volk!", und mit dem "Wir" seien die "polizeilichen Organe", die den Demonstranten gegenüberstanden, zur Verbrüderung aufgerufen worden. Nachdem die Moderatorin eine Frage an den Leipziger Kulturwissenschaftler Thomas Ahbe richtete, in der die Sentenz "Wir sind das Volk" vorkam, unterbrach sie Schorlemmer: In diesem Satz habe man nicht das Wort Volk, sondern das Wir zu betonen, weil sonst "der Sinn verdunkelt" werde. Birgit Peter vom Gustav Kiepenheuer Verlag in Leipzig sagte ihm höflich lächelnd: "Ich hab' es noch im Ohr, ich bin dabei gewesen."
Ahbe repetierte mit bitterer Miene die oft gehörten Sätze: Die Spaltung der Gesellschaft in Arme und Reiche sei durch die "unvollendete Revolution" nicht verhindert worden, Ostdeutschland werde durch westdeutsche Eliten regiert und könne keine eigene Kultur aufbauen, der Sozialismus sei nicht reformiert worden. Ahbe nannte Zahlen aus einer zwei Jahre alten Elite-Studie, unter anderem über dreißig Prozent ostdeutsche Eliten in der gesamtdeutschen Politik und null Prozent in Justiz und Militär. Der Historiker Thomas Flemming, der ein Buch über ein "nicht mehr zu schwärzendes Kapitel" der DDR, nämlich die Berliner Mauer geschrieben hat, fragte vorsichtig, ob Ahbe denn wünsche, dass es in der Justiz und im Militär heute ostdeutsche Eliten geben solle. Dass die dreißig Prozent Ostdeutschen in Positionen politischer Elite bei einem Bevölkerungsverhältnis West/Ost von achtzig zu zwanzig ein ganz anderes Bild geben, irritierte niemanden in der Runde. Schorlemmer fand, dass es der Einheit schade, wenn die Ostdeutschen von Westdeutschen dominiert würden - in der Wissenschaft sind rund sieben Prozent Ostdeutsche in Führungspositionen - wo es doch im Osten beispielsweise gute Germanisten gegeben habe, aber es reiche auch nicht, nur Geld in den Osten zu stecken, es brauche auch Kompetenz, und an den Biedenkopf in Sachsen reiche keiner heran.
Am Ende wies Schorlemmer noch einmal den Verdacht der Kommunismusnähe von sich. Er sei Mitglied im "Konsum" und im "Anglerverband" gewesen. Es habe auch SED-Genossen gegeben, die sich "an der Partei gerieben" hätten, und die Generaldiffamierung der SED habe dem Einheitsprozess nur geschadet. Jetzt wünscht sich Schorlemmer: "Wir müssen endlich loslassen von der DDR." Jetzt, da die Auseinandersetzungen um die Deutung der DDR und die damalige Rollenverteilung zwischen Staatstreuen und Gegnern erst losgehen? Jetzt, da die letzte DDR-Generation der heute Dreißigjährigen, die zur Identifikation damals nicht kam und bisher ihre Meinung mangels Position nicht äußerte? Jetzt zu fordern, endlich die DDR loszulassen, nachdem er zehn Jahre seine Interpretation so nachdrücklich verbreitet hat, bis schließlich keiner mehr seine Veranstaltungen besucht, das klingt, als sei Schorlemmer in seiner Eitelkeit gekränkt.
MARTIN Z. SCHRÖDER
Die vorgestellten Bücher sind: Thomas Flemming/Hagen Koch: Die Berliner Mauer. Geschichte eines politischen Bauwerks. be.bra Verlag Berlin-Brandenburg, Berlin 1999, 144 Seiten, 59,90 Mark.
Thomas Ahbe/Michael Hofmann/Volker Stiehler: Wir bleiben hier! Erinnerungen an den Leipziger Herbst '89. Gustav Kiepenheuer Verlag, Leipzig, 1999, 240 Seiten, 29 Mark.
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.06.2000Mauer im Wald
Eine Mauer, die spazieren geht: Für den Landart-Künstler Andy Goldsworthy bilden die steinernen Gebilde keine starren Grenzen, die Grundstücke trennen oder gar Frontlinien zwischen verfeindeten Nachbarn bilden. Goldsworthy macht die Mauern beweglich und lebendig – er schickt sie auf Wanderschaft. Sie laufen über Hügel und Täler, tauchen in Seen ein und legen sich in üppigen Kurven um die Baumstämme eines Waldes. Aus der Schlangenform von Goldworthys Mauern spricht „Respekt vor der Priorität der Bäume, die vor ihnen da waren”, meint der Kunstkritiker Kenneth Baker. Goldworthys 760 Meter lange Steinmauer im Skulpturenpark des Storm King Art Center im Staat New York ist die Hauptattraktion seines Buches mit dem einfachen Titel Mauer, das bei Zweitausendeins erschien (60 Farbfotos, 94 S. , 33 Mark).
ajh/Foto: Verlag
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Eine Mauer, die spazieren geht: Für den Landart-Künstler Andy Goldsworthy bilden die steinernen Gebilde keine starren Grenzen, die Grundstücke trennen oder gar Frontlinien zwischen verfeindeten Nachbarn bilden. Goldsworthy macht die Mauern beweglich und lebendig – er schickt sie auf Wanderschaft. Sie laufen über Hügel und Täler, tauchen in Seen ein und legen sich in üppigen Kurven um die Baumstämme eines Waldes. Aus der Schlangenform von Goldworthys Mauern spricht „Respekt vor der Priorität der Bäume, die vor ihnen da waren”, meint der Kunstkritiker Kenneth Baker. Goldworthys 760 Meter lange Steinmauer im Skulpturenpark des Storm King Art Center im Staat New York ist die Hauptattraktion seines Buches mit dem einfachen Titel Mauer, das bei Zweitausendeins erschien (60 Farbfotos, 94 S. , 33 Mark).
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