Eine Berührung kann elektrisieren und wohltuend sein. Sie vermittelt Nähe und Geborgenheit, aber sie kann auch bedrohen, sie kann verwunden, und man kann sich vor ihr ekeln. Menschen brauchen Berührungen, um zu gedeihen. Aber indem sie sich für andere öffnen, sind sie auch verwundbar. Elisabeth von Thadden fragt, was körperliche Nähe heute bedeutet, und beschreibt das Dilemma des spätmodernen Menschen: Er sehnt sich nach Berührung und will doch vor Verletzungen geschützt sein. Können wir den Kontrollverlust aushalten und freiwillig Nähe zulassen oder droht die berührungslose Gesellschaft?
Dieses Buch zeigt die Ambivalenzen des modernen Versprechens auf Unversehrtheit und des spätkapitalistischen Strebens nach dem perfekten Körper. Dass Körperverletzungen und ungewolltes Berühren heute endlich geahndet werden, ist eine große Errungenschaft. Doch wo früher erzwungene Nähe war, droht heute die selbstbestimmte Einsamkeit, in der digitale Welten den direkten Kontakt ersetzen. Wie gehen wir mit diesem Dilemma um? Wie vermeiden wir einen Verlust der Nähe? Und wie kann die Selbstbestimmung über den eigenen Körper endlich für alle Wirklichkeit werden? Elisabeth von Thadden erforscht das komplizierte Wechselspiel von Berührung und Distanz in der Moderne und zeichnet dabei ein scharfsinniges Porträt unserer Gesellschaft und ihres Verhältnisses zum menschlichen Körper.
Dieses Buch zeigt die Ambivalenzen des modernen Versprechens auf Unversehrtheit und des spätkapitalistischen Strebens nach dem perfekten Körper. Dass Körperverletzungen und ungewolltes Berühren heute endlich geahndet werden, ist eine große Errungenschaft. Doch wo früher erzwungene Nähe war, droht heute die selbstbestimmte Einsamkeit, in der digitale Welten den direkten Kontakt ersetzen. Wie gehen wir mit diesem Dilemma um? Wie vermeiden wir einen Verlust der Nähe? Und wie kann die Selbstbestimmung über den eigenen Körper endlich für alle Wirklichkeit werden? Elisabeth von Thadden erforscht das komplizierte Wechselspiel von Berührung und Distanz in der Moderne und zeichnet dabei ein scharfsinniges Porträt unserer Gesellschaft und ihres Verhältnisses zum menschlichen Körper.
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.10.2018Und doch sagt viel,
wer Nähe sagt
Besorgt: Elisabeth von Thadden fühlt der
„berührungslosen Gesellschaft“ den Puls
In ihrem neuen Buch „Die berührungslose Gesellschaft“ überliefert Elisabeth von Thadden eine Anekdote. „Usedom im Frühling, Literaturtage am Ostseestrand, der Himmel öffnet sich hell, die Stimmung im Urlaubspublikum: sorgenlos. Der Philosoph Peter Sloterdijk ist zu Gast, sein neues Buch wird bald erscheinen, er gerät ein wenig ins Plaudern.“ Dabei kommt heraus, dass Sloterdijk, der alleine lebt, immer eine Lampe anknipst, bevor er das Haus verlässt. Kehre er dann abends in die leere Wohnung zurück, fühle es sich so an, als erwarte ihn jemand.
Man stellt sich den Philosophen nun als eine Art Urgroßvater des „Blade Runner“ vor, jene Mensch-Maschine, die Ryan Gosling in dem gleichnamigen Film vor zwei Jahren spielte: Der kommt im Jahr 2049 abends in seine Single-Butze in Los Angeles und schaltet erst einmal eine attraktive, unterwürfige Hologramm-Frau ein, die aus einer Art Pod entspringt. Die Gesellschaft, die sie ihm simuliert, ist freilich deutlich stimulierender als jede Gelehrtenfunzel. In einer unvergesslichen Szene kommt es sogar zur erotischen Vereinigung, allerdings mit einer Prostituierten, die als Körpermedium eingesetzt wird. Die Maschine wollte es so!
„Blade Runner“ ist nur eine von vielen Erzählungen, in der die Zukunft als Dauer-Liebesentzug ausgemalt wird. Es ist ein Kennzeichen der Moderne, dass sich der Mensch mit immer mehr Gerätschaften umgibt, die ihm Arbeit und Leben erleichtern und Gesellschaft leisten sollen – aber spätestens seit E.T.A. Hoffmanns Erzählungen sind ein weiteres Kennzeichen die kulturellen und intellektuellen Vorbehalte gegen genau diese Entwicklung.
In dieser Tradition steht auch „Die berührungslose Gesellschaft“. Ist der moderne Mensch dabei, sich eine Welt zu errichten, in der Kontakt und Nähe in erster Linie von elektrifizierten Gerätschaften geliefert werden? Befinden wir uns auf dem Weg in ein Körperverständnis, das die Freiheit zur Selbstbestimmung mit einem Zwang zur körperlichen Selbstgenügsamkeit eng führt? Warum scheint es für immer mehr Menschen permanent zu viel und zu wenig Nähe zu anderen zu geben – und was hat das mit Einsamkeit zu tun? Solchen und ähnlichen interessanten Fragen will Elisabeth von Thadden, die seit vielen Jahren im Feuilleton der Zeit arbeitet, in ihrem zumindest seitenmäßig kurz und knackig gehaltenen Band nachgehen.
Ihre These formuliert sie gleich zu Anfang: „Unsere Gesellschaft spürt beunruhigt, dass selbst die perfektesten Körper verwundbar sind, und dass sie doch notwendig der Nähe und Berührung bedürfen. Jeder trägt den Zwiespalt, Nähe zu brauchen und doch in seiner Verletzbarkeit vor unfreiwilliger Nähe geschützt sein zu wollen, am eigenen Leibe aus.“ Diesen Zwiespalt untersucht die Autorin. Ihr Grundgedanke ist einleuchtend, auch wenn er bereits in den Siebzigerjahren von Michel Foucault so ähnlich geltend gemacht wurde: Alles, was sich an zwischenmenschlichen Verhältnissen in den letzten 300 Jahren verbessert hat, lässt sich darauf zurück führen, dass der Mensch als „leib-seelisch verletzbar“ anerkannt wurde. Dass die Obrigkeit nicht mehr willkürlich über den Körper seiner Bürger verfügen und diesen etwa per Folter bestrafen solle, gehört zu den tragenden Überzeugungen der Aufklärung und des Jahrhunderts der europäischen Revolutionen.
Thadden vermutet, dass das Recht, nicht verletzt zu werden, ein immer zwanghafteres Streben nach Unverletztlichkeit gebiert. Dies äußert sich in einem kulturellen Unbehagen, das sie anhand verschiedener Filme, Jugendromane, der Videotelefonie und Pflegeroboter darzustellen versucht. Dabei tappt sie zielgenau in die Falle, die hinter allen soziokulturellen Diagnosen von „Unbehagen“, „Beunruhigung“ und eben „Zwiespalt“ lauert: Selten lässt sich darüber viel mehr sagen, als dass sie der Fall sind.
Dabei hat Thadden sich große Mühe gegeben, den Verdacht der metaphysischen Spekulation zu entkräften: Sie hat zum Beispiel die bekannte Sozialpsychologin Vera King befragt, die erforscht, wie die körperlose Anwesenheit anderer Menschen durch Skype auf Kinder wirkt. Sie beginnt das Buch mit einem interessanten Kapitel über den Tastsinn-Experten Martin Grunewald, der sich besorgt zeigt über Menschen, die ihre Touch-Screens und Tastaturen häufiger und möglicherweise auch zugewandter berühren als die Haut anderer Menschen: Er „nimmt eine Gesellschaft wahr, in der es leichter ist, sich im Netz einen Sexualpartner zu organisieren, als einen vertrauten Menschen zu finden, den man immer wieder umarmen kann.“
Das klingt kleinstädtischer als es vermutlich gemeint ist, ruft aber zumindest einen Einwand hervor. War es denn nicht schon immer etwas einfacher, Sexualpartner zu finden, als ein liebendes, vertrautes Gegenüber? Und selbst, wenn nicht: Lässt es sich nicht als Fortschritt im Sinne der Bedürfnisbefriedigung verstehen, wenn sich Menschen immerhin freiwilligen Genitalkontakt organisieren können, auch wenn es nicht zur regelmäßigen Umarmung reicht?
Überhaupt, Sex ist ein Thema, das in diesem Buch zwar ab und an auftaucht. Aber in einem Buch, das sich als Plädoyer für Nähe und Körpervertrauen ausgibt, müssten Sex, Säuglingspflege, Alter, Krankheit spürbarer werden. Thadden hat ein erschöpfendes Literaturverzeichnis und massenhaft Fußnoten erstellt. Sie liefert ein ganzes Kapitel, in dem sie Hartmut Rosas Theorie der Resonanz referiert, die inhaltlich passt, aber mit der sich eben einfach nur noch eine weitere Theorie-Schicht auf das ohnehin so theoretisch gehaltene Thema legt. So beeindruckend gelehrig dieser Text daher kommt, so lebensarm wirkt er an vielen Stellen.
Das hat auch formale Gründe: Thadden thematisiert im Text allzu deutlich ihre Spurensuche, bei der aber wenig passiert: „Aufgehorcht, Notizen gemacht“, heißt es an einer Stelle, das soll wohl Leichtigkeit und Unmittelbarkeit suggerieren. Es ragen einem aber zu oft solche Sätze aus dem Text entgegen, aus denen man keinen anderen Inhalt gewinnt neben der Mitteilung, dass hier, Achtung, ein Essay stattfindet!
Im Schlusswort wiederholt die Autorin ihre Thesen vom Anfang, sie bringt sogar die selben Beispiele. Zurück bleibt der Eindruck einer intellektuellen Fingerübung. Dennoch: Wer sich für die Natur unseres Kontaktverhaltens interessiert, wer über Einsamkeit und die Frage, was Nähe wirklich ist, nachdenken will, wird in diesem Buch viele Anregungen zum Weiter-Denken finden.
MEREDITH HAAF
Droht eine Zukunft mit
dauerhaftem Liebesentzug, eine
Welt ohne Umarmungen?
Elisabeth von Thadden:
Die berührungslose
Gesellschaft. Verlag C.H.Beck, München 2018. 205 Seiten, 16,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
wer Nähe sagt
Besorgt: Elisabeth von Thadden fühlt der
„berührungslosen Gesellschaft“ den Puls
In ihrem neuen Buch „Die berührungslose Gesellschaft“ überliefert Elisabeth von Thadden eine Anekdote. „Usedom im Frühling, Literaturtage am Ostseestrand, der Himmel öffnet sich hell, die Stimmung im Urlaubspublikum: sorgenlos. Der Philosoph Peter Sloterdijk ist zu Gast, sein neues Buch wird bald erscheinen, er gerät ein wenig ins Plaudern.“ Dabei kommt heraus, dass Sloterdijk, der alleine lebt, immer eine Lampe anknipst, bevor er das Haus verlässt. Kehre er dann abends in die leere Wohnung zurück, fühle es sich so an, als erwarte ihn jemand.
Man stellt sich den Philosophen nun als eine Art Urgroßvater des „Blade Runner“ vor, jene Mensch-Maschine, die Ryan Gosling in dem gleichnamigen Film vor zwei Jahren spielte: Der kommt im Jahr 2049 abends in seine Single-Butze in Los Angeles und schaltet erst einmal eine attraktive, unterwürfige Hologramm-Frau ein, die aus einer Art Pod entspringt. Die Gesellschaft, die sie ihm simuliert, ist freilich deutlich stimulierender als jede Gelehrtenfunzel. In einer unvergesslichen Szene kommt es sogar zur erotischen Vereinigung, allerdings mit einer Prostituierten, die als Körpermedium eingesetzt wird. Die Maschine wollte es so!
„Blade Runner“ ist nur eine von vielen Erzählungen, in der die Zukunft als Dauer-Liebesentzug ausgemalt wird. Es ist ein Kennzeichen der Moderne, dass sich der Mensch mit immer mehr Gerätschaften umgibt, die ihm Arbeit und Leben erleichtern und Gesellschaft leisten sollen – aber spätestens seit E.T.A. Hoffmanns Erzählungen sind ein weiteres Kennzeichen die kulturellen und intellektuellen Vorbehalte gegen genau diese Entwicklung.
In dieser Tradition steht auch „Die berührungslose Gesellschaft“. Ist der moderne Mensch dabei, sich eine Welt zu errichten, in der Kontakt und Nähe in erster Linie von elektrifizierten Gerätschaften geliefert werden? Befinden wir uns auf dem Weg in ein Körperverständnis, das die Freiheit zur Selbstbestimmung mit einem Zwang zur körperlichen Selbstgenügsamkeit eng führt? Warum scheint es für immer mehr Menschen permanent zu viel und zu wenig Nähe zu anderen zu geben – und was hat das mit Einsamkeit zu tun? Solchen und ähnlichen interessanten Fragen will Elisabeth von Thadden, die seit vielen Jahren im Feuilleton der Zeit arbeitet, in ihrem zumindest seitenmäßig kurz und knackig gehaltenen Band nachgehen.
Ihre These formuliert sie gleich zu Anfang: „Unsere Gesellschaft spürt beunruhigt, dass selbst die perfektesten Körper verwundbar sind, und dass sie doch notwendig der Nähe und Berührung bedürfen. Jeder trägt den Zwiespalt, Nähe zu brauchen und doch in seiner Verletzbarkeit vor unfreiwilliger Nähe geschützt sein zu wollen, am eigenen Leibe aus.“ Diesen Zwiespalt untersucht die Autorin. Ihr Grundgedanke ist einleuchtend, auch wenn er bereits in den Siebzigerjahren von Michel Foucault so ähnlich geltend gemacht wurde: Alles, was sich an zwischenmenschlichen Verhältnissen in den letzten 300 Jahren verbessert hat, lässt sich darauf zurück führen, dass der Mensch als „leib-seelisch verletzbar“ anerkannt wurde. Dass die Obrigkeit nicht mehr willkürlich über den Körper seiner Bürger verfügen und diesen etwa per Folter bestrafen solle, gehört zu den tragenden Überzeugungen der Aufklärung und des Jahrhunderts der europäischen Revolutionen.
Thadden vermutet, dass das Recht, nicht verletzt zu werden, ein immer zwanghafteres Streben nach Unverletztlichkeit gebiert. Dies äußert sich in einem kulturellen Unbehagen, das sie anhand verschiedener Filme, Jugendromane, der Videotelefonie und Pflegeroboter darzustellen versucht. Dabei tappt sie zielgenau in die Falle, die hinter allen soziokulturellen Diagnosen von „Unbehagen“, „Beunruhigung“ und eben „Zwiespalt“ lauert: Selten lässt sich darüber viel mehr sagen, als dass sie der Fall sind.
Dabei hat Thadden sich große Mühe gegeben, den Verdacht der metaphysischen Spekulation zu entkräften: Sie hat zum Beispiel die bekannte Sozialpsychologin Vera King befragt, die erforscht, wie die körperlose Anwesenheit anderer Menschen durch Skype auf Kinder wirkt. Sie beginnt das Buch mit einem interessanten Kapitel über den Tastsinn-Experten Martin Grunewald, der sich besorgt zeigt über Menschen, die ihre Touch-Screens und Tastaturen häufiger und möglicherweise auch zugewandter berühren als die Haut anderer Menschen: Er „nimmt eine Gesellschaft wahr, in der es leichter ist, sich im Netz einen Sexualpartner zu organisieren, als einen vertrauten Menschen zu finden, den man immer wieder umarmen kann.“
Das klingt kleinstädtischer als es vermutlich gemeint ist, ruft aber zumindest einen Einwand hervor. War es denn nicht schon immer etwas einfacher, Sexualpartner zu finden, als ein liebendes, vertrautes Gegenüber? Und selbst, wenn nicht: Lässt es sich nicht als Fortschritt im Sinne der Bedürfnisbefriedigung verstehen, wenn sich Menschen immerhin freiwilligen Genitalkontakt organisieren können, auch wenn es nicht zur regelmäßigen Umarmung reicht?
Überhaupt, Sex ist ein Thema, das in diesem Buch zwar ab und an auftaucht. Aber in einem Buch, das sich als Plädoyer für Nähe und Körpervertrauen ausgibt, müssten Sex, Säuglingspflege, Alter, Krankheit spürbarer werden. Thadden hat ein erschöpfendes Literaturverzeichnis und massenhaft Fußnoten erstellt. Sie liefert ein ganzes Kapitel, in dem sie Hartmut Rosas Theorie der Resonanz referiert, die inhaltlich passt, aber mit der sich eben einfach nur noch eine weitere Theorie-Schicht auf das ohnehin so theoretisch gehaltene Thema legt. So beeindruckend gelehrig dieser Text daher kommt, so lebensarm wirkt er an vielen Stellen.
Das hat auch formale Gründe: Thadden thematisiert im Text allzu deutlich ihre Spurensuche, bei der aber wenig passiert: „Aufgehorcht, Notizen gemacht“, heißt es an einer Stelle, das soll wohl Leichtigkeit und Unmittelbarkeit suggerieren. Es ragen einem aber zu oft solche Sätze aus dem Text entgegen, aus denen man keinen anderen Inhalt gewinnt neben der Mitteilung, dass hier, Achtung, ein Essay stattfindet!
Im Schlusswort wiederholt die Autorin ihre Thesen vom Anfang, sie bringt sogar die selben Beispiele. Zurück bleibt der Eindruck einer intellektuellen Fingerübung. Dennoch: Wer sich für die Natur unseres Kontaktverhaltens interessiert, wer über Einsamkeit und die Frage, was Nähe wirklich ist, nachdenken will, wird in diesem Buch viele Anregungen zum Weiter-Denken finden.
MEREDITH HAAF
Droht eine Zukunft mit
dauerhaftem Liebesentzug, eine
Welt ohne Umarmungen?
Elisabeth von Thadden:
Die berührungslose
Gesellschaft. Verlag C.H.Beck, München 2018. 205 Seiten, 16,95 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2018Smartphones stillen keinen Hauthunger
Ausweitung der Wohnzone: Elisabeth von Thadden über Distanzierungstechniken
Wenn es weg ist, werden wir nervös, ist der Dauerkontakt mit seiner Kunststoffoberfläche nicht gewährleistet, fehlt uns etwas, ist die Kommunikation unterbrochen, nagt es an unserem Selbstwert: Längst ist das Smartphone Teil unseres Ichs geworden, unseres Seelenlebens, aber auch unseres Körpers. Wer heute über Berührungen spricht, kommt also nicht umhin, die digitale Zone zu betreten, in der sich das Gefühlsleben in physischer Distanz zum Gegenüber verwirklicht. Das prägt auch die Erkundungen der Journalistin Elisabeth von Thadden, die der "berührungslosen Gesellschaft" auf den Grund zu gehen versucht. Dabei nähert sie sich dem Thema mittels einer Synthese aus Soziologie und Emotionsforschung, journalistischer Szenenbeschreibungen sowie Gesprächen mit Experten.
Was passiert mit uns in dieser "flachen, glatten Welt"? "Wir veröden. Wir verrotten", sagt der Tastsinnforscher Martin Grunwald zu der Autorin. So sehr gleiche das Gerät inzwischen einem eigenen Körperteil, schreibt von Thadden, dass seine Berührung einer Selbstberührung gleichkomme, einer "Vergewisserung, dass man lebt". Wie aber ist das möglich, wenn die digitale Kommunikation gleichzeitig eine Distanz erzeugt, die das Gegenüber körperlich nicht mehr erfahrbar macht?
Als lebensnotwendig beschreibt von Thadden körperliche Berührungen, insbesondere bei Kindern. Aber auch Erwachsene hätten "Hauthunger", die Bildschirmoberflächen seien ein "Substitut für die menschliche Haut, glatt und kühl, ein Kompromiss zwischen lebendig und tot", und sie erzeugten gleichzeitig "über die räumliche Ferne hinweg eine Nähe", die auf die Nutzer physisch wirke. Doch in der digitalen Welt obsiege das Kontrollbedürfnis über das Unverfügbare, das jeder menschlichen Beziehung eigen sei. Wo "Offliner" vor allem unter jüngeren Generationen kaum noch existent sind, wie erst kürzlich eine Studie des Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet belegt hat, wird "Online" zur Innenwelt. In den Schilderungen von Thaddens korrespondiert diese digitale Okkupation der Seele mit einer Flucht vor Widerständen.
Einen entscheidenden Einfluss auf das Meiden körperlichen Kontakts hat von Thadden zufolge, und das gehört zu den stärksten Befunden ihrer Analyse, die stetige Zunahme des individuellen Wohnraums. Seit Jahrzehnten nehme in Deutschland die Wohnfläche, die jeder für sich allein beanspruche, kontinuierlich zu; bei 45 Quadratmetern pro Kopf seien wir mittlerweile angekommen. In Anlehnung an Georg Simmel beschreibt von Thadden "die städtische Reizdichte der flüchtigen Berührungen im Vorübergehen, die Distanz unweigerlich hervorruft". Die rasante Ausweitung des Wohnraums mache "endlich freiwilligen Abstand zum Nächsten möglich".
Doch diese Freiheit hat ihren Preis. Bruchlinien der Berührung markiert von Thadden dort, wo die gewachsene Autonomie einer Angst vor Verletzung weicht. Nirgends sei die Angst größer als dort, wo besonders viel Platz ist. Wer sich zurückzieht, um nicht verletzt zu werden, ist demnach nicht frei, sondern einsam. Die Autorin beschreibt die wachsende Abschottung als eine Folge verfügbarer Technologien, "Ohrstöpsel eingesetzt, Blick aufs Smartphone gesenkt, unstörbar". Die berührungslose Gesellschaft, "das gejagte Selbst", ist gefangen im Widerspruch zwischen dem befreienden Abstand zum Nächsten und dem Bedürfnis nach Zuwendung und körperlicher Nähe.
Für besonders problematisch hält von Thadden diese Ambivalenz im Bereich der Pflege, die durch den Anstieg der Single-Haushalte und der alternden Bevölkerung herausgefordert sei. Am Umgang mit Millionen Pflegebedürftigen werde sich zeigen, "ob es gelingt, die Verletzlichkeit der Gebrechlichsten nicht zu missbrauchen, sondern zu respektieren und ihnen doch nahe zu kommen".
Die leicht geschriebenen Überlegungen von Thaddens regen zum Nachdenken an, überzeugen in methodischer Hinsicht jedoch nicht immer. Die journalistischen Szenenbeschreibungen, die etwa Auskunft über den Ort und Zeitpunkt der Gespräche oder das Aussehen der Gesprächspartner geben, haben in Reportagen ihren Platz, fügen sich aber nicht gut in den Text, der zugleich eine Gesellschaftsanalyse sein will. Die Analyse stößt dort auf Grenzen, wo sie sich in der Wiedergabe der befragten Experten erschöpft, die ohne wissenschaftliche Vertiefung oberflächlich bleiben muss. Und doch erliegt die Autorin nicht Kurzschlüssen, etwa der Annahme, dass Einsamkeit zwangsläufig aus dem Alleinsein resultiere. Wie wir einen Weg aus der berührungslosen Gesellschaft finden, wird sich erst noch zeigen müssen. Was dabei auf dem Spiel steht, hat von Thadden eindrücklich gezeigt.
HANNAH BETHKE
Elisabeth von Thadden: "Die berührungslose
Gesellschaft".
C. H. Beck Verlag, München 2018. 205 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ausweitung der Wohnzone: Elisabeth von Thadden über Distanzierungstechniken
Wenn es weg ist, werden wir nervös, ist der Dauerkontakt mit seiner Kunststoffoberfläche nicht gewährleistet, fehlt uns etwas, ist die Kommunikation unterbrochen, nagt es an unserem Selbstwert: Längst ist das Smartphone Teil unseres Ichs geworden, unseres Seelenlebens, aber auch unseres Körpers. Wer heute über Berührungen spricht, kommt also nicht umhin, die digitale Zone zu betreten, in der sich das Gefühlsleben in physischer Distanz zum Gegenüber verwirklicht. Das prägt auch die Erkundungen der Journalistin Elisabeth von Thadden, die der "berührungslosen Gesellschaft" auf den Grund zu gehen versucht. Dabei nähert sie sich dem Thema mittels einer Synthese aus Soziologie und Emotionsforschung, journalistischer Szenenbeschreibungen sowie Gesprächen mit Experten.
Was passiert mit uns in dieser "flachen, glatten Welt"? "Wir veröden. Wir verrotten", sagt der Tastsinnforscher Martin Grunwald zu der Autorin. So sehr gleiche das Gerät inzwischen einem eigenen Körperteil, schreibt von Thadden, dass seine Berührung einer Selbstberührung gleichkomme, einer "Vergewisserung, dass man lebt". Wie aber ist das möglich, wenn die digitale Kommunikation gleichzeitig eine Distanz erzeugt, die das Gegenüber körperlich nicht mehr erfahrbar macht?
Als lebensnotwendig beschreibt von Thadden körperliche Berührungen, insbesondere bei Kindern. Aber auch Erwachsene hätten "Hauthunger", die Bildschirmoberflächen seien ein "Substitut für die menschliche Haut, glatt und kühl, ein Kompromiss zwischen lebendig und tot", und sie erzeugten gleichzeitig "über die räumliche Ferne hinweg eine Nähe", die auf die Nutzer physisch wirke. Doch in der digitalen Welt obsiege das Kontrollbedürfnis über das Unverfügbare, das jeder menschlichen Beziehung eigen sei. Wo "Offliner" vor allem unter jüngeren Generationen kaum noch existent sind, wie erst kürzlich eine Studie des Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet belegt hat, wird "Online" zur Innenwelt. In den Schilderungen von Thaddens korrespondiert diese digitale Okkupation der Seele mit einer Flucht vor Widerständen.
Einen entscheidenden Einfluss auf das Meiden körperlichen Kontakts hat von Thadden zufolge, und das gehört zu den stärksten Befunden ihrer Analyse, die stetige Zunahme des individuellen Wohnraums. Seit Jahrzehnten nehme in Deutschland die Wohnfläche, die jeder für sich allein beanspruche, kontinuierlich zu; bei 45 Quadratmetern pro Kopf seien wir mittlerweile angekommen. In Anlehnung an Georg Simmel beschreibt von Thadden "die städtische Reizdichte der flüchtigen Berührungen im Vorübergehen, die Distanz unweigerlich hervorruft". Die rasante Ausweitung des Wohnraums mache "endlich freiwilligen Abstand zum Nächsten möglich".
Doch diese Freiheit hat ihren Preis. Bruchlinien der Berührung markiert von Thadden dort, wo die gewachsene Autonomie einer Angst vor Verletzung weicht. Nirgends sei die Angst größer als dort, wo besonders viel Platz ist. Wer sich zurückzieht, um nicht verletzt zu werden, ist demnach nicht frei, sondern einsam. Die Autorin beschreibt die wachsende Abschottung als eine Folge verfügbarer Technologien, "Ohrstöpsel eingesetzt, Blick aufs Smartphone gesenkt, unstörbar". Die berührungslose Gesellschaft, "das gejagte Selbst", ist gefangen im Widerspruch zwischen dem befreienden Abstand zum Nächsten und dem Bedürfnis nach Zuwendung und körperlicher Nähe.
Für besonders problematisch hält von Thadden diese Ambivalenz im Bereich der Pflege, die durch den Anstieg der Single-Haushalte und der alternden Bevölkerung herausgefordert sei. Am Umgang mit Millionen Pflegebedürftigen werde sich zeigen, "ob es gelingt, die Verletzlichkeit der Gebrechlichsten nicht zu missbrauchen, sondern zu respektieren und ihnen doch nahe zu kommen".
Die leicht geschriebenen Überlegungen von Thaddens regen zum Nachdenken an, überzeugen in methodischer Hinsicht jedoch nicht immer. Die journalistischen Szenenbeschreibungen, die etwa Auskunft über den Ort und Zeitpunkt der Gespräche oder das Aussehen der Gesprächspartner geben, haben in Reportagen ihren Platz, fügen sich aber nicht gut in den Text, der zugleich eine Gesellschaftsanalyse sein will. Die Analyse stößt dort auf Grenzen, wo sie sich in der Wiedergabe der befragten Experten erschöpft, die ohne wissenschaftliche Vertiefung oberflächlich bleiben muss. Und doch erliegt die Autorin nicht Kurzschlüssen, etwa der Annahme, dass Einsamkeit zwangsläufig aus dem Alleinsein resultiere. Wie wir einen Weg aus der berührungslosen Gesellschaft finden, wird sich erst noch zeigen müssen. Was dabei auf dem Spiel steht, hat von Thadden eindrücklich gezeigt.
HANNAH BETHKE
Elisabeth von Thadden: "Die berührungslose
Gesellschaft".
C. H. Beck Verlag, München 2018. 205 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Sind wir tatsächlich "unterkuschelt", wie es in einigen Artikeln derzeit nahegelegt wird? Dieser Frage geht die Journalistin und Autorin Elisabeth von Thadden in ihrem Buch "Die berührungslose Gesellschaft" nach. In Zeiten von Whatsapp, Instagram und Youporn liegt es durchaus nahe, darüber nachzudenken, ob der technische Fortschritt auch eine "digitale Distanz" mit sich bringt, findet Rezensent Tobias Seldmaier. Von Thadden tut dies, indem sie verschiedene Ansätze wie z.B. Interviews, literarische Analysen und einen Abriss der Ideengeschichte miteinander kombiniert, erklärt Sedlmaier. Einige ihrer aus diesem Vorgehen resultierenden Antworten sind durchaus aufschlussreich, andere erscheinen dem Rezensentin eher angedeutet und oberflächlich behandelt. Alles in allem ist es jedoch ein anregendes Buch, so Sedlmaier.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Als ich es das erste Mal las, wollte ich dieses kluge Plädoyer für Hautkontakt statt Displays-Streicheln am liebsten jedem schenken."
Berliner Zeitung, Barbara Weitzel
"Von Thadden skizziert die Zerrissenheit des postmodernen Menschen, der sich zwar nach Nähe sehnt und sie braucht, Verletzlichkeit aber vermeiden will."
Emotion
"Ein Anreger für leib- und geistbetonte, haptische und psychische Nahbarkeit."
socialnet.de, Jos Schnurer
"Ein sehr kluges Buch."
Deutschlandfunk, Susanne Billig
"Ein gescheites Porträt, das allen, die über Einsamkeit nachdenken, viel Wissenswertes beschert."
zeitzeichen
"Ein kluger, höchst lebendiger Essay."
Spiegel Online, Elke Schmitter
"Elisabeth von Thaddens Analyse (...) strotzt nicht nur vor klugen Gedanken, sondern auch vor Sinnlichkeit - und ist ein Plädoyer für diese."
WELT am Sonntag, Barbara Weitzel
"Grandioser Parforceritt (...) Ein Plädoyer für Kontakt - mit Takt."
ZEIT Wissen, Stefanie Maeck
"Eine (...) unterhaltsame, wenn auch nachdenklich stimmende Lektüre."
der Freitag, Marlen Hobrack
"Wer sich für die Natur unseres Kontaktverhaltens interessiert, wer über Einsamkeit und die Frage, was Nähe wirklich ist, nachdenken will, wird in diesem Buch viele Anregungen zum Weiter-Denken finden."
Süddeutsche Zeitung, Meredith Haaf
Berliner Zeitung, Barbara Weitzel
"Von Thadden skizziert die Zerrissenheit des postmodernen Menschen, der sich zwar nach Nähe sehnt und sie braucht, Verletzlichkeit aber vermeiden will."
Emotion
"Ein Anreger für leib- und geistbetonte, haptische und psychische Nahbarkeit."
socialnet.de, Jos Schnurer
"Ein sehr kluges Buch."
Deutschlandfunk, Susanne Billig
"Ein gescheites Porträt, das allen, die über Einsamkeit nachdenken, viel Wissenswertes beschert."
zeitzeichen
"Ein kluger, höchst lebendiger Essay."
Spiegel Online, Elke Schmitter
"Elisabeth von Thaddens Analyse (...) strotzt nicht nur vor klugen Gedanken, sondern auch vor Sinnlichkeit - und ist ein Plädoyer für diese."
WELT am Sonntag, Barbara Weitzel
"Grandioser Parforceritt (...) Ein Plädoyer für Kontakt - mit Takt."
ZEIT Wissen, Stefanie Maeck
"Eine (...) unterhaltsame, wenn auch nachdenklich stimmende Lektüre."
der Freitag, Marlen Hobrack
"Wer sich für die Natur unseres Kontaktverhaltens interessiert, wer über Einsamkeit und die Frage, was Nähe wirklich ist, nachdenken will, wird in diesem Buch viele Anregungen zum Weiter-Denken finden."
Süddeutsche Zeitung, Meredith Haaf