Eine Berührung kann elektrisieren und wohltuend sein. Sie vermittelt Nähe und Geborgenheit, aber sie kann auch bedrohen, sie kann verwunden, und man kann sich vor ihr ekeln. Menschen brauchen Berührungen, um zu gedeihen. Aber indem sie sich für andere öffnen, sind sie auch verwundbar. Elisabeth von Thadden fragt, was körperliche Nähe heute bedeutet, und beschreibt das Dilemma des spätmodernen Menschen: Er sehnt sich nach Berührung und will doch vor Verletzungen geschützt sein. Können wir den Kontrollverlust aushalten und freiwillig Nähe zulassen oder droht die berührungslose Gesellschaft?
Dieses Buch zeigt die Ambivalenzen des modernen Versprechens auf Unversehrtheit und des spätkapitalistischen Strebens nach dem perfekten Körper. Dass Körperverletzungen und ungewolltes Berühren heute endlich geahndet werden, ist eine große Errungenschaft. Doch wo früher erzwungene Nähe war, droht heute die selbstbestimmte Einsamkeit, in der digitale Welten den direkten Kontakt ersetzen. Wie gehen wir mit diesem Dilemma um? Wie vermeiden wir einen Verlust der Nähe? Und wie kann die Selbstbestimmung über den eigenen Körper endlich für alle Wirklichkeit werden? Elisabeth von Thadden erforscht das komplizierte Wechselspiel von Berührung und Distanz in der Moderne und zeichnet dabei ein scharfsinniges Porträt unserer Gesellschaft und ihres Verhältnisses zum menschlichen Körper.
Dieses Buch zeigt die Ambivalenzen des modernen Versprechens auf Unversehrtheit und des spätkapitalistischen Strebens nach dem perfekten Körper. Dass Körperverletzungen und ungewolltes Berühren heute endlich geahndet werden, ist eine große Errungenschaft. Doch wo früher erzwungene Nähe war, droht heute die selbstbestimmte Einsamkeit, in der digitale Welten den direkten Kontakt ersetzen. Wie gehen wir mit diesem Dilemma um? Wie vermeiden wir einen Verlust der Nähe? Und wie kann die Selbstbestimmung über den eigenen Körper endlich für alle Wirklichkeit werden? Elisabeth von Thadden erforscht das komplizierte Wechselspiel von Berührung und Distanz in der Moderne und zeichnet dabei ein scharfsinniges Porträt unserer Gesellschaft und ihres Verhältnisses zum menschlichen Körper.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.12.2018Smartphones stillen keinen Hauthunger
Ausweitung der Wohnzone: Elisabeth von Thadden über Distanzierungstechniken
Wenn es weg ist, werden wir nervös, ist der Dauerkontakt mit seiner Kunststoffoberfläche nicht gewährleistet, fehlt uns etwas, ist die Kommunikation unterbrochen, nagt es an unserem Selbstwert: Längst ist das Smartphone Teil unseres Ichs geworden, unseres Seelenlebens, aber auch unseres Körpers. Wer heute über Berührungen spricht, kommt also nicht umhin, die digitale Zone zu betreten, in der sich das Gefühlsleben in physischer Distanz zum Gegenüber verwirklicht. Das prägt auch die Erkundungen der Journalistin Elisabeth von Thadden, die der "berührungslosen Gesellschaft" auf den Grund zu gehen versucht. Dabei nähert sie sich dem Thema mittels einer Synthese aus Soziologie und Emotionsforschung, journalistischer Szenenbeschreibungen sowie Gesprächen mit Experten.
Was passiert mit uns in dieser "flachen, glatten Welt"? "Wir veröden. Wir verrotten", sagt der Tastsinnforscher Martin Grunwald zu der Autorin. So sehr gleiche das Gerät inzwischen einem eigenen Körperteil, schreibt von Thadden, dass seine Berührung einer Selbstberührung gleichkomme, einer "Vergewisserung, dass man lebt". Wie aber ist das möglich, wenn die digitale Kommunikation gleichzeitig eine Distanz erzeugt, die das Gegenüber körperlich nicht mehr erfahrbar macht?
Als lebensnotwendig beschreibt von Thadden körperliche Berührungen, insbesondere bei Kindern. Aber auch Erwachsene hätten "Hauthunger", die Bildschirmoberflächen seien ein "Substitut für die menschliche Haut, glatt und kühl, ein Kompromiss zwischen lebendig und tot", und sie erzeugten gleichzeitig "über die räumliche Ferne hinweg eine Nähe", die auf die Nutzer physisch wirke. Doch in der digitalen Welt obsiege das Kontrollbedürfnis über das Unverfügbare, das jeder menschlichen Beziehung eigen sei. Wo "Offliner" vor allem unter jüngeren Generationen kaum noch existent sind, wie erst kürzlich eine Studie des Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet belegt hat, wird "Online" zur Innenwelt. In den Schilderungen von Thaddens korrespondiert diese digitale Okkupation der Seele mit einer Flucht vor Widerständen.
Einen entscheidenden Einfluss auf das Meiden körperlichen Kontakts hat von Thadden zufolge, und das gehört zu den stärksten Befunden ihrer Analyse, die stetige Zunahme des individuellen Wohnraums. Seit Jahrzehnten nehme in Deutschland die Wohnfläche, die jeder für sich allein beanspruche, kontinuierlich zu; bei 45 Quadratmetern pro Kopf seien wir mittlerweile angekommen. In Anlehnung an Georg Simmel beschreibt von Thadden "die städtische Reizdichte der flüchtigen Berührungen im Vorübergehen, die Distanz unweigerlich hervorruft". Die rasante Ausweitung des Wohnraums mache "endlich freiwilligen Abstand zum Nächsten möglich".
Doch diese Freiheit hat ihren Preis. Bruchlinien der Berührung markiert von Thadden dort, wo die gewachsene Autonomie einer Angst vor Verletzung weicht. Nirgends sei die Angst größer als dort, wo besonders viel Platz ist. Wer sich zurückzieht, um nicht verletzt zu werden, ist demnach nicht frei, sondern einsam. Die Autorin beschreibt die wachsende Abschottung als eine Folge verfügbarer Technologien, "Ohrstöpsel eingesetzt, Blick aufs Smartphone gesenkt, unstörbar". Die berührungslose Gesellschaft, "das gejagte Selbst", ist gefangen im Widerspruch zwischen dem befreienden Abstand zum Nächsten und dem Bedürfnis nach Zuwendung und körperlicher Nähe.
Für besonders problematisch hält von Thadden diese Ambivalenz im Bereich der Pflege, die durch den Anstieg der Single-Haushalte und der alternden Bevölkerung herausgefordert sei. Am Umgang mit Millionen Pflegebedürftigen werde sich zeigen, "ob es gelingt, die Verletzlichkeit der Gebrechlichsten nicht zu missbrauchen, sondern zu respektieren und ihnen doch nahe zu kommen".
Die leicht geschriebenen Überlegungen von Thaddens regen zum Nachdenken an, überzeugen in methodischer Hinsicht jedoch nicht immer. Die journalistischen Szenenbeschreibungen, die etwa Auskunft über den Ort und Zeitpunkt der Gespräche oder das Aussehen der Gesprächspartner geben, haben in Reportagen ihren Platz, fügen sich aber nicht gut in den Text, der zugleich eine Gesellschaftsanalyse sein will. Die Analyse stößt dort auf Grenzen, wo sie sich in der Wiedergabe der befragten Experten erschöpft, die ohne wissenschaftliche Vertiefung oberflächlich bleiben muss. Und doch erliegt die Autorin nicht Kurzschlüssen, etwa der Annahme, dass Einsamkeit zwangsläufig aus dem Alleinsein resultiere. Wie wir einen Weg aus der berührungslosen Gesellschaft finden, wird sich erst noch zeigen müssen. Was dabei auf dem Spiel steht, hat von Thadden eindrücklich gezeigt.
HANNAH BETHKE
Elisabeth von Thadden: "Die berührungslose
Gesellschaft".
C. H. Beck Verlag, München 2018. 205 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Ausweitung der Wohnzone: Elisabeth von Thadden über Distanzierungstechniken
Wenn es weg ist, werden wir nervös, ist der Dauerkontakt mit seiner Kunststoffoberfläche nicht gewährleistet, fehlt uns etwas, ist die Kommunikation unterbrochen, nagt es an unserem Selbstwert: Längst ist das Smartphone Teil unseres Ichs geworden, unseres Seelenlebens, aber auch unseres Körpers. Wer heute über Berührungen spricht, kommt also nicht umhin, die digitale Zone zu betreten, in der sich das Gefühlsleben in physischer Distanz zum Gegenüber verwirklicht. Das prägt auch die Erkundungen der Journalistin Elisabeth von Thadden, die der "berührungslosen Gesellschaft" auf den Grund zu gehen versucht. Dabei nähert sie sich dem Thema mittels einer Synthese aus Soziologie und Emotionsforschung, journalistischer Szenenbeschreibungen sowie Gesprächen mit Experten.
Was passiert mit uns in dieser "flachen, glatten Welt"? "Wir veröden. Wir verrotten", sagt der Tastsinnforscher Martin Grunwald zu der Autorin. So sehr gleiche das Gerät inzwischen einem eigenen Körperteil, schreibt von Thadden, dass seine Berührung einer Selbstberührung gleichkomme, einer "Vergewisserung, dass man lebt". Wie aber ist das möglich, wenn die digitale Kommunikation gleichzeitig eine Distanz erzeugt, die das Gegenüber körperlich nicht mehr erfahrbar macht?
Als lebensnotwendig beschreibt von Thadden körperliche Berührungen, insbesondere bei Kindern. Aber auch Erwachsene hätten "Hauthunger", die Bildschirmoberflächen seien ein "Substitut für die menschliche Haut, glatt und kühl, ein Kompromiss zwischen lebendig und tot", und sie erzeugten gleichzeitig "über die räumliche Ferne hinweg eine Nähe", die auf die Nutzer physisch wirke. Doch in der digitalen Welt obsiege das Kontrollbedürfnis über das Unverfügbare, das jeder menschlichen Beziehung eigen sei. Wo "Offliner" vor allem unter jüngeren Generationen kaum noch existent sind, wie erst kürzlich eine Studie des Instituts für Vertrauen und Sicherheit im Internet belegt hat, wird "Online" zur Innenwelt. In den Schilderungen von Thaddens korrespondiert diese digitale Okkupation der Seele mit einer Flucht vor Widerständen.
Einen entscheidenden Einfluss auf das Meiden körperlichen Kontakts hat von Thadden zufolge, und das gehört zu den stärksten Befunden ihrer Analyse, die stetige Zunahme des individuellen Wohnraums. Seit Jahrzehnten nehme in Deutschland die Wohnfläche, die jeder für sich allein beanspruche, kontinuierlich zu; bei 45 Quadratmetern pro Kopf seien wir mittlerweile angekommen. In Anlehnung an Georg Simmel beschreibt von Thadden "die städtische Reizdichte der flüchtigen Berührungen im Vorübergehen, die Distanz unweigerlich hervorruft". Die rasante Ausweitung des Wohnraums mache "endlich freiwilligen Abstand zum Nächsten möglich".
Doch diese Freiheit hat ihren Preis. Bruchlinien der Berührung markiert von Thadden dort, wo die gewachsene Autonomie einer Angst vor Verletzung weicht. Nirgends sei die Angst größer als dort, wo besonders viel Platz ist. Wer sich zurückzieht, um nicht verletzt zu werden, ist demnach nicht frei, sondern einsam. Die Autorin beschreibt die wachsende Abschottung als eine Folge verfügbarer Technologien, "Ohrstöpsel eingesetzt, Blick aufs Smartphone gesenkt, unstörbar". Die berührungslose Gesellschaft, "das gejagte Selbst", ist gefangen im Widerspruch zwischen dem befreienden Abstand zum Nächsten und dem Bedürfnis nach Zuwendung und körperlicher Nähe.
Für besonders problematisch hält von Thadden diese Ambivalenz im Bereich der Pflege, die durch den Anstieg der Single-Haushalte und der alternden Bevölkerung herausgefordert sei. Am Umgang mit Millionen Pflegebedürftigen werde sich zeigen, "ob es gelingt, die Verletzlichkeit der Gebrechlichsten nicht zu missbrauchen, sondern zu respektieren und ihnen doch nahe zu kommen".
Die leicht geschriebenen Überlegungen von Thaddens regen zum Nachdenken an, überzeugen in methodischer Hinsicht jedoch nicht immer. Die journalistischen Szenenbeschreibungen, die etwa Auskunft über den Ort und Zeitpunkt der Gespräche oder das Aussehen der Gesprächspartner geben, haben in Reportagen ihren Platz, fügen sich aber nicht gut in den Text, der zugleich eine Gesellschaftsanalyse sein will. Die Analyse stößt dort auf Grenzen, wo sie sich in der Wiedergabe der befragten Experten erschöpft, die ohne wissenschaftliche Vertiefung oberflächlich bleiben muss. Und doch erliegt die Autorin nicht Kurzschlüssen, etwa der Annahme, dass Einsamkeit zwangsläufig aus dem Alleinsein resultiere. Wie wir einen Weg aus der berührungslosen Gesellschaft finden, wird sich erst noch zeigen müssen. Was dabei auf dem Spiel steht, hat von Thadden eindrücklich gezeigt.
HANNAH BETHKE
Elisabeth von Thadden: "Die berührungslose
Gesellschaft".
C. H. Beck Verlag, München 2018. 205 S., br., 16,95 [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension
Sind wir tatsächlich "unterkuschelt", wie es in einigen Artikeln derzeit nahegelegt wird? Dieser Frage geht die Journalistin und Autorin Elisabeth von Thadden in ihrem Buch "Die berührungslose Gesellschaft" nach. In Zeiten von Whatsapp, Instagram und Youporn liegt es durchaus nahe, darüber nachzudenken, ob der technische Fortschritt auch eine "digitale Distanz" mit sich bringt, findet Rezensent Tobias Seldmaier. Von Thadden tut dies, indem sie verschiedene Ansätze wie z.B. Interviews, literarische Analysen und einen Abriss der Ideengeschichte miteinander kombiniert, erklärt Sedlmaier. Einige ihrer aus diesem Vorgehen resultierenden Antworten sind durchaus aufschlussreich, andere erscheinen dem Rezensentin eher angedeutet und oberflächlich behandelt. Alles in allem ist es jedoch ein anregendes Buch, so Sedlmaier.
© Perlentaucher Medien GmbH
© Perlentaucher Medien GmbH
"Als ich es das erste Mal las, wollte ich dieses kluge Plädoyer für Hautkontakt statt Displays-Streicheln am liebsten jedem schenken."
Berliner Zeitung, Barbara Weitzel
"Von Thadden skizziert die Zerrissenheit des postmodernen Menschen, der sich zwar nach Nähe sehnt und sie braucht, Verletzlichkeit aber vermeiden will."
Emotion
"Ein Anreger für leib- und geistbetonte, haptische und psychische Nahbarkeit."
socialnet.de, Jos Schnurer
"Ein sehr kluges Buch."
Deutschlandfunk, Susanne Billig
"Ein gescheites Porträt, das allen, die über Einsamkeit nachdenken, viel Wissenswertes beschert."
zeitzeichen
"Ein kluger, höchst lebendiger Essay."
Spiegel Online, Elke Schmitter
"Elisabeth von Thaddens Analyse (...) strotzt nicht nur vor klugen Gedanken, sondern auch vor Sinnlichkeit - und ist ein Plädoyer für diese."
WELT am Sonntag, Barbara Weitzel
"Grandioser Parforceritt (...) Ein Plädoyer für Kontakt - mit Takt."
ZEIT Wissen, Stefanie Maeck
"Eine (...) unterhaltsame, wenn auch nachdenklich stimmende Lektüre."
der Freitag, Marlen Hobrack
"Wer sich für die Natur unseres Kontaktverhaltens interessiert, wer über Einsamkeit und die Frage, was Nähe wirklich ist, nachdenken will, wird in diesem Buch viele Anregungen zum Weiter-Denken finden."
Süddeutsche Zeitung, Meredith Haaf
Berliner Zeitung, Barbara Weitzel
"Von Thadden skizziert die Zerrissenheit des postmodernen Menschen, der sich zwar nach Nähe sehnt und sie braucht, Verletzlichkeit aber vermeiden will."
Emotion
"Ein Anreger für leib- und geistbetonte, haptische und psychische Nahbarkeit."
socialnet.de, Jos Schnurer
"Ein sehr kluges Buch."
Deutschlandfunk, Susanne Billig
"Ein gescheites Porträt, das allen, die über Einsamkeit nachdenken, viel Wissenswertes beschert."
zeitzeichen
"Ein kluger, höchst lebendiger Essay."
Spiegel Online, Elke Schmitter
"Elisabeth von Thaddens Analyse (...) strotzt nicht nur vor klugen Gedanken, sondern auch vor Sinnlichkeit - und ist ein Plädoyer für diese."
WELT am Sonntag, Barbara Weitzel
"Grandioser Parforceritt (...) Ein Plädoyer für Kontakt - mit Takt."
ZEIT Wissen, Stefanie Maeck
"Eine (...) unterhaltsame, wenn auch nachdenklich stimmende Lektüre."
der Freitag, Marlen Hobrack
"Wer sich für die Natur unseres Kontaktverhaltens interessiert, wer über Einsamkeit und die Frage, was Nähe wirklich ist, nachdenken will, wird in diesem Buch viele Anregungen zum Weiter-Denken finden."
Süddeutsche Zeitung, Meredith Haaf