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An einem strahlenden Frühlingstag kurz vor ihrem neunten Geburtstag beißt Rose Edelstein in ein Stück Zitronenkuchen, den ihre Mutter für sie gebacken hat. Und muss feststellen, dass zwischen den frischen Zitronen, dem Zucker und der Butter, nun ja, eindeutig ein Hauch Traurigkeit liegt. Nicht besser ergeht es Rose mit dem Hühnchen und den grünen Bohnen, die die Mutter zum Abendessen reicht - und von nun an mit allen Gerichten. Der Marmeladentoast ihres Bruders Joseph schmeckt seltsam abwesend, das Roastbeef ihres Vaters nach Schuldgefühlen, ein Sandwich nach großer Verliebtheit: Jeder Bissen…mehr

Produktbeschreibung
An einem strahlenden Frühlingstag kurz vor ihrem neunten Geburtstag beißt Rose Edelstein in ein Stück Zitronenkuchen, den ihre Mutter für sie gebacken hat. Und muss feststellen, dass zwischen den frischen Zitronen, dem Zucker und der Butter, nun ja, eindeutig ein Hauch Traurigkeit liegt. Nicht besser ergeht es Rose mit dem Hühnchen und den grünen Bohnen, die die Mutter zum Abendessen reicht - und von nun an mit allen Gerichten. Der Marmeladentoast ihres Bruders Joseph schmeckt seltsam abwesend, das Roastbeef ihres Vaters nach Schuldgefühlen, ein Sandwich nach großer Verliebtheit: Jeder Bissen offenbart mehr, als Rose lieb ist - und erst im Laufe der Jahre lernt sie, mit ihrer Gabe umzugehen, bis diese sie in ein französisches Bistro führt ...Aimee Benders furiose Idee, dem Alltäglichen des Essens eine magische Bedeutung zu geben, ist verführerisch und einnehmend zugleich. Voller leuchtender Sätzestellt ihr Roman die Frage, wieviel wir wirklich von unseren Liebsten wissen .
Autorenporträt
Aimee Bender, geb. 1969 in Los Angeles, schreibt Romane und Short Storys, die in Granta, Mc Sweeney's, The Paris Review und vielen anderen Magazinen erschienen sind. Ihre Texte wurden in zehn Sprachen übersetzt. Zweimal hat sie den Pushcart Prize gewonnen. Sie lebt in Los Angeles, wo sie Creative Writing unterrichtet.
Rezensionen
" Eine reich imaginierte,bittersüße Geschichte." -- VANITY FAIR

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.06.2011

Alles auf Zucker

Aimee Bender hat einen märchenhaften, doch nicht süßlichen Roman über eine Frau mit einer erstaunlichen Gabe geschrieben: Sie kann die Wut der Butter ebenso schmecken wie die Zuneigung in der Marmelade.

Rose Edelstein - schon der Name der Heldin ist Programm. Das Mädchen wächst in einer liebevollen, nach außen hin intakten Familie auf, deren Mitglieder allesamt eigen und außergewöhnlich sind: die Mutter, die neben dem Hausfrauendasein Erfüllung in der Kunstschreinerei und einer Affäre mit dem Vorgesetzten sucht, der grundsolide Vater, Typ Ernährer und Fels in der Brandung, der jedoch Krankenhäuser unter keinen Umständen erträgt, und der Bruder, ein extrem introvertierter, übersinnlich begabter Sonderling.

Alles beginnt an einem Tag im Frühling, als Rose neun wird und ihre Mutter ihr einen Zitronenkuchen backt. Die Kostprobe mutiert zum Schock-Erlebnis, denn der Kuchen schmeckt nicht nur nach Butter, Zitronen, Schokolade und anderen realen Zutaten, sondern auch nach etwas Unbegreiflichem, Metaphysischem - nämlich nach der inneren Leere, der geistigen Abwesenheit der Mutter. Was zunächst wie eine Einbildung scheint und bisweilen sogar als Essstörung verdächtigt wird, entpuppt sich als Gabe: Rose kann im Essen die emotionale Verfasstheit jener schmecken, die die jeweiligen Lebensmittel hergestellt oder verarbeitet haben. Fortan werden die Mahlzeiten für Rose zu einer gustatorischen Achterbahnfahrt, die mit einer ständigen unfreiwilligen Reizüberflutung einhergeht: der geballte Zorn, der zwischen den Hälften eines Sandwiches steckt, die Zerstreutheit eines Restes Karamellpudding, die Schuldgefühle, die ein Roastbeef verderben. Die Nahrungsaufnahme mutiert zur unkalkulierbaren Expedition in fremde Gefühlswelten und Rose zur Emotionsspionin wider Willen. Nur in wenigen Momenten erfährt sie Trost - etwa in einem Marmeladentoast voller Zuneigung, den der Freund gemacht hat, für den sie heimlich schwärmt.

Der Leser begleitet die Protagonistin bis ins junge Erwachsenenalter und erlebt, wie Rose im Laufe der Jahre an Souveränität gewinnt. Anstatt ihre zunächst kaum mitteilbare und bisweilen furchteinflößende Gabe zu leugnen, lernt sie, damit zu leben und Nutzen daraus zu ziehen. Als junge Frau stellt Rose schließlich fest, dass sie nicht die Einzige in ihrer Familie mit einem besonderen Talent ist. Auch ihr wortkarger Vater und der quasi autistische Bruder verbergen geheimnisvolle Extravaganzen. Im Gegensatz zu Rose schaffen sie es aber nicht, Begabung und Alltag gelingend zu vereinen. Nur Rose erreicht auf ihre Weise die Synthese durch Synästhesie.

Aimee Bender, Jahrgang 1969, die an der University of Southern California Creative Writing lehrt, wurde mit magisch-surrealistischen Romanen und Kurzgeschichten ("Das Mädchen, das Feuer fing") bekannt. In "Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen" beschreibt sie die Ambivalenz einer Gabe zwischen Geschenk und Last. Indem diese unbewusste Empfindungen aus den Speisen hochsteigen lässt, entlarvt ihre Protagonistin eine verborgene emotionale Welt der Lügen und des Selbstbetrugs.

Aimee Bender gelingt es, eine große Nähe zu ihrer Hauptfigur herzustellen, unabhängig von deren jeweiligem Alter und Lebenssituation: Die naive Verwirrung der Neunjährigen wird ebenso genau porträtiert wie die lakonisch-ironische Selbst- und Weltdistanz der erwachsenen Rose. Dennoch sei gewarnt, wer in diesem Werk viel Realität sucht: Die Geschichte, die an Benders Geburtsort Los Angeles spielt, bewahrt das Märchenhafte bis zum Ende.

Der Roman endet im Ungewissen, mit einem plötzlichen Abbruch. Wofür Rose ihre Gabe alles einsetzen könnte, das wird nicht ausgeführt: eine angenehme Enttäuschung für alle, die zu Zeiten von Castingshows und C-Prominenz schon den gesellschaftlichen Durchbruch Roses als eine Art The Next Uri Geller befürchtet hatten. "Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen" hat in den Vereinigten Staaten mehrere Preise gewonnen - zu Recht. Denn wäre dieser Roman ein Kuchen, dann wäre er wohl eine Schokoladentorte: vielschichtig, die Füllung bedeutungsstark und streckenweise fast zu üppig, der Biskuit von erzählerischer Leichtigkeit, die Dekoration humorvoll-verspielt. Nach der letzten verschlungenen Seite steht der Wunsch nach mehr. Vorausgesetzt, man ist kein Blechkuchen-Typ.

ULRIKE SEIBOLD

Aimee Bender: "Die besondere Traurigkeit von Zitronenkuchen". Roman.

Aus dem Englischen von Christiane Buchner und Martina Tichy. Bloomsbury Verlag, Berlin 2011. 300 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensentin Ulrike Seibold hat diesen geschmacksintensiven Roman Aimee Benders mit großer Freude gelesen. Es geht um die heranwachsende Rose Edelstein, die über eine außergewöhnliche Gabe verfügt: Sie kann in Lebensmitteln die Gefühle ihrer Zubereiter schmecken, teilt die Rezensentin mit. Als Neunjährige zunächst überfordert, lerne sie zunehmend, sich mit dieser extravaganten Superkraft zu arrangieren und sie als Vorteil zu begreifen. Dabei lobt Seibold die Intimität, die Benders Erzählstil zwischen Leser und Protagonistin herzustellen verstehe. Auf welche Weise Rose von ihrem feinen Geschmackssinn letztlich Gebrauch macht, lasse der Roman allerdings offen - eine Entscheidung der Autorin, die Seibold ausdrücklich gutheißt. Insgesamt hat die Rezensentin ein "märchenhaftes, doch nicht süßliches" Buch gelesen. Am Ende erliegt sie allerdings selbst einer zuckrigen Versuchung - indem sie den Roman zur "vielschichtigen Schokoladentorte" mit "bedeutungsstarker Füllung" erklärt.

© Perlentaucher Medien GmbH