1572: In den Palast Akbars im indischen Fatehpur Sikri kommt ein junger Mann, der behauptet, er sei aus Florenz im fernen Europa angereist, heiße Vespucci und sei Akbars Onkel. Der ob der überraschenden Verwandtschaftsbeziehung verblüffte, aber von der Neugier gepackte Moguln-Herrscher gewährt ihm Gastfreundschaft - und lässt sich in dämmrigen Abendstunden fasziniert erzählen. So erfährt er von Machiavelli, Botticelli, dem Admiral Andrea Doria, Dracula und tausend anderen. Die Schauplätze von Vespuccis weitschweifigem Bericht reichen vom indischen Subkontinent über das Italien der Renaissance und den Nahen Osten bis nach Amerika. Rushdies neuer Roman ist randvoll mit Geschichten - ein wahres Füllhorn schüttet der fantasiebegabte Autor über dem Leser aus.
1572: Ein blonder Reisender aus Europa kommt an den Hof des Moguln-Kaisers Akbar im indischen Fatehpur Sikri und behauptet, dessen Onkel zu sein. In der Tat: Verbunden scheinen die beiden durch eine geheimnisvolle Florentinerin, die schönste Frau der damals bekannten Welt ...
Der große Epiker Salman Rushdie lädt ein zu einer Kontinente und Zeiten umspannenden Reise zwischen Ost und West, zu einem Erzähl-Fest, das sich mit "Tausendundeine Nacht" messen kann.
"In 'Die bezaubernde Florentinerin' atmet, zittert und bebt alles. Jeder Charakter packt einen. Kommt der Leser einmal einen Augenblick zur Ruhe, wird er im nächsten Augenblick geschüttelt, beiseitegerissen und in die nächste Verwicklung gezerrt. Rushdie hat wieder ein Buch für Drogenabhängige geschrieben. Wer es liebt, immer tiefer einzusinken in fremde Welten und Ansichten, wer den Schauder ersehnt, der ihn überrieselt, wenn er im Fremdesten das Vertrauteste entdeckt, der wird das Buch nicht aus der Hand legen, bis ihn endlich der Schlaf einholt."
Arno Widmann, FRANKFURTER RUNDSCHAU
1572: Ein blonder Reisender aus Europa kommt an den Hof des Moguln-Kaisers Akbar im indischen Fatehpur Sikri und behauptet, dessen Onkel zu sein. In der Tat: Verbunden scheinen die beiden durch eine geheimnisvolle Florentinerin, die schönste Frau der damals bekannten Welt ...
Der große Epiker Salman Rushdie lädt ein zu einer Kontinente und Zeiten umspannenden Reise zwischen Ost und West, zu einem Erzähl-Fest, das sich mit "Tausendundeine Nacht" messen kann.
"In 'Die bezaubernde Florentinerin' atmet, zittert und bebt alles. Jeder Charakter packt einen. Kommt der Leser einmal einen Augenblick zur Ruhe, wird er im nächsten Augenblick geschüttelt, beiseitegerissen und in die nächste Verwicklung gezerrt. Rushdie hat wieder ein Buch für Drogenabhängige geschrieben. Wer es liebt, immer tiefer einzusinken in fremde Welten und Ansichten, wer den Schauder ersehnt, der ihn überrieselt, wenn er im Fremdesten das Vertrauteste entdeckt, der wird das Buch nicht aus der Hand legen, bis ihn endlich der Schlaf einholt."
Arno Widmann, FRANKFURTER RUNDSCHAU
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.03.2009Der Mogul und die Märchenbraut
Dichten mit Glacéhandschuhen, irren mit Macht: Salman Rushdies Roman "Die bezaubernde Florentinerin"
Die Mutter von Niccolò Machiavelli, erzählt Salman Rushdie in seinem neuen Roman, hat gegen gefährliche Krankheiten ein Zaubermittel: Maismehl. "Wenn wir krank werden", lässt er den kleinen Niccolò sagen, "schmiert sie uns mit Griesbrei ein." Für normale Infektionen nimmt Mama Bartolomea "gewöhnliche gelbe Polenta", für Schlimmeres wie die Pest, die im Florenz der Renaissance immer noch grassiert, kauft sie "das weiße Friuli-Mehl", dem sie Kohl beimengt "sowie Tomaten und was weiß ich noch für Zaubergemüse".
Wir befinden uns im Jahr 1478, dem Jahr der Pazzi-Verschwörung, deren prominentestes Opfer Giuliano de' Medici ist, der Bruder Lorenzos des Prächtigen - bei der Ostermesse im Dom von Florenz wird er von seinen Mördern niedergestochen. In Lissabon, am fernen Ende Europas, träumt währenddessen der Genuese Christoph Kolumbus von einer Reise, die ihn über den Rand der bekannten Welt hinaus in die Länder des Ostens bringen soll, dort, wo der kostbare und allseits begehrte Pfeffer wächst. Vierzehn Jahre später wird er, nun in spanischen Diensten, diese Reise antreten, und noch ein paar Jahre später wird er aus der Neuen Welt, die er entdeckt hat, die Kostbarkeiten des fremden Bodens nach Hause bringen: die Tomate, die bis ins achtzehnte Jahrhundert vor allem als Zierpflanze dient; und den goldgelben, schon von Mayas und Azteken hoch geschätzten Mais.
Frühes Zaubergemüse
Seit langem streiten sich Leser von historischen Romanen über die Frage, wie stark der Autor die Geschichte, die in den Büchern steht (den Geschichtsbüchern, nicht den historischen Romanen), eigentlich verändern darf. Bis zur Unkenntlichkeit? Bis an die Grenze des Glaubhaften? Oder nur so weit, wie es die überlieferten Fakten zulassen? Den Pedanten, die jeden literarischen Einfall unter den Scanner ihres Schulbuchwissens legen, stehen die Postmodernen gegenüber, denen die Umdichtung der Vergangenheit gar nicht radikal genug sein kann. Mit ihnen scheint es auch Salman Rushdie zu halten, wenn er den Florentinern der Frührenaissance Mais und Tomaten auf den Tisch legt oder an einer anderen Stelle seines Buchs von den "alten Kartoffelhexen am Kaspischen Meer" schwadroniert, die zweihundert Jahre vor der Einführung der Kartoffel um ihre Lagerfeuer herumsitzen und die toten Kriegshelden Transoxaniens beklagen. Aber vielleicht ist, von heute aus betrachtet, im alten Transoxanien sowieso irgendwie alles Jacke wie Hose, Bohne wie Kartoffel.
Andererseits gibt sich Rushdie diesmal jede erdenkliche Mühe, seine Geschichte in den Rahmen des historischen Geschehens einzupassen - jedenfalls, sobald der Roman das Terrain betritt, auf dem sein Autor sich auskennt. Und dieses Terrain ist in der "Bezaubernden Florentinerin" eben nicht Florenz, sondern das nördliche Indien zur Zeit des mittleren Mogulreichs, genauer: die Residenzstadt Fatehpur Sikri während der Herrschaft des Mogulkaisers Akbar (1556 bis 1605).
Dass sich Rushdie bei der Darstellung dieser Epoche (und, von den Tomaten- und Kartoffelschnitzern abgesehen, auch der italienischen Renaissance) nicht allein auf seine Phantasie verlassen hat, beweist er mit einer imponierenden achtseitigen Literaturliste am Ende seines Buchs, die von einer deutschen Übersetzung des "Rasenden Rolands" von Ariost bis zur englischen Ausgabe der Lebenserinnerungen der Mogulherrscher Babar und Jahangir reicht und auch verschiedene Websites aufführt. Die Paläste der Stadt Fatehpur Sikri schließlich, die von Babars Enkel Akbar als Regierungssitz errichtet, aber nach kaum fünfzehn Jahren aufgegeben wurde und inzwischen zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, schildert unser Autor genau so, wie man sie sich im Internet anschauen kann: die prächtige, von vier Türmen gekrönte Audienzhalle, in der der Herrscher seine privaten Gäste empfing, der Pachisi-Hof, in dem er mit lebenden Figuren Brettspiele spielte, oder das in rotem Sandstein erbaute Frauenhaus, in dem Akbars Hauptfrau Jodha Bai zusammen mit ihren Hofdamen lebte.
In Fatehpur Sikri beginnt auch die Geschichte. Ein Fremder, ein Italiener mit goldgelben Haaren (gelb wie Mais!), rollt auf einem Ochsenkarren in die Residenzstadt, fest entschlossen, zu Akbar vorzudringen, was ihm mit Hilfe einer spindeldürren Bordellhure (genannt "das Skelett") und ihrer dicken Kollegin (genannt "Matratze") auch gelingt.
Was der Fremde, der sich als Mogor dell'Amore - "Mogul der Liebe" - vorstellt, dem Herrscher zu erzählen hat, klingt ebenso abenteuerlich wie kulturhistorisch interessant: Er sei der Sohn einer Mogulprinzessin, Akbars verschollener Schwester, die als Schlachtbeute und Geliebte diverser Heerführer über Persien und Konstantinopel nach Florenz gelangte. Dort habe Qara Köz ("Schwarzauge") zwei Jahre lang die Herzen der rauhen Toskaner verzaubert, bevor sie sich in den Wirren nach dem Tod eines unbedeutenden Medici-Herrschers in die Neue Welt absetzen musste.
Der Mogulkaiser, begierig auf Weibs- wie Städtebilder, hört die Geschichte mit Vergnügen, und sein Hofmaler bannt den Liebreiz der Dame Schwarzauge so überzeugend auf die Leinwand, dass er ihm sogar selbst verfällt. Doch dann kommt der Punkt, an dem der gelbhaarige Erzähler glaubhaft machen muss, dass er Akbars Onkel ist, und in diesem Moment erlischt die Sympathie des Herrschers für den Fremdling. Am Ende kann der Liebesmogul, dessen Familienname Vespucci lautet (so wie der jenes Amerigo, nach dem Amerika benannt ist), froh sein, dass er mit "Matratze" und "Skelett" das Weite suchen darf.
Matratze auf der Flucht
In früheren Büchern, von den "Satanischen Versen" bis zu "Der Boden unter den Füßen", hat sich Salman Rushdie mit der Topographie und der Zeitstruktur seiner Geschichten manche Freiheiten erlaubt - dergleichen glaubte er seinem Ruf als postmoderner Erzähler offenbar schuldig zu sein. In der "Bezaubernden Florentinerin" dagegen nimmt er es mit der historischen Wahrheit sehr genau. Die Schauplätze, die Herrschernamen, die Kriegszüge, der Brief der englischen Königin Elisabeth, mit dem der Fremde in Fatehpur eintrifft, das Privatleben des Staatsdenkers Machiavelli und seine Dedikation des "Fürsten" an Lorenzo II. - das alles ist penibel recherchiert und der Erzählung geschickt untergerührt, es bindet ihre phantastischen und verschrobenen Ingredienzen wie das Maismehl die Soße.
Und dennoch weicht man am Ende, statt sich dem Sog des Epischen zu ergeben, vor Rushdies Geschichtsparabel zurück. Das liegt weder an den eingeschmuggelten Tomaten und Kartoffeln noch an den vier Schweizer Albino-Riesen namens Otho, Botho, Clotho und d'Artagnan, die die Leibwache von Prinzessin Schwarzauge bilden. Es liegt auch nicht an jener Passage gegen Ende des Buchs, in der Rushdie - in der gelenkigen Übersetzung Bernhard Robbens - den Mogulherrscher von einer "Kultur der Einbeziehung" fabulieren lässt, in der "alle Rassen, Stämme, Clans, Glaubensrichtungen und Nationen Teil einer großen Mogul-Synthese werden würden", einer "großen Vermengung der Erde".
Nein, dass man diese Geschichte eines interkulturellen Verschwägerungsversuchs (denn nichts anderes ist die indische Mission des gelbhaarigen Fremden) so ungerührt aus der Hand legt, liegt an ihrem Ton. Es ist der Ton eines sehr souveränen, entrückten, ein wenig selbstgefälligen Erzählers, dem alles gleichermaßen Material ist, die Inder und die Florentiner, der Islam und die Renaissance. Mit dieser Haltung schreibt man sehr tiefe oder sehr flache Bücher. Bei Rushdie, der vor der Berührung mit seinen Figuren immer erst die Glacéhandschuhe des Epikers überstreift, hat man oft den Eindruck, dass die Tiefe nur eine Spiegelung ist und das gespiegelte Bild nur eine Kopie.
Es sind nicht die großen Themen und Motive, in denen sich diese Schöpfung aus Vorgefertigtem verrät, sondern die kleinen Risse und Einschlüsse im Glasüberzug. Insofern ist die Polenta, mit der Niccolò Machiavellis Mutter die Krankheiten ihrer Familie kuriert, eben doch mehr als ein zufälliger Schnitzer. Sie zeigt an, wie ernst es der Erzähler Rushdie mit dem Erzählten meint. Der Roman der zwei Weltkulturen, den Rushdie mit der "Bezaubernden Florentinerin" schreiben wollte, scheitert an seiner Haltung zum Detail. Ein Schriftsteller, der aus der Vergangenheit die geistige Speise der Gegenwart bereiten will, sollte ohne Zaubergemüse auskommen.
ANDREAS KILB
Salman Rushdie: "Die bezaubernde Florentinerin". Übersetzt von Bernhard Robben. 448 Seiten, Rowohlt, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Dichten mit Glacéhandschuhen, irren mit Macht: Salman Rushdies Roman "Die bezaubernde Florentinerin"
Die Mutter von Niccolò Machiavelli, erzählt Salman Rushdie in seinem neuen Roman, hat gegen gefährliche Krankheiten ein Zaubermittel: Maismehl. "Wenn wir krank werden", lässt er den kleinen Niccolò sagen, "schmiert sie uns mit Griesbrei ein." Für normale Infektionen nimmt Mama Bartolomea "gewöhnliche gelbe Polenta", für Schlimmeres wie die Pest, die im Florenz der Renaissance immer noch grassiert, kauft sie "das weiße Friuli-Mehl", dem sie Kohl beimengt "sowie Tomaten und was weiß ich noch für Zaubergemüse".
Wir befinden uns im Jahr 1478, dem Jahr der Pazzi-Verschwörung, deren prominentestes Opfer Giuliano de' Medici ist, der Bruder Lorenzos des Prächtigen - bei der Ostermesse im Dom von Florenz wird er von seinen Mördern niedergestochen. In Lissabon, am fernen Ende Europas, träumt währenddessen der Genuese Christoph Kolumbus von einer Reise, die ihn über den Rand der bekannten Welt hinaus in die Länder des Ostens bringen soll, dort, wo der kostbare und allseits begehrte Pfeffer wächst. Vierzehn Jahre später wird er, nun in spanischen Diensten, diese Reise antreten, und noch ein paar Jahre später wird er aus der Neuen Welt, die er entdeckt hat, die Kostbarkeiten des fremden Bodens nach Hause bringen: die Tomate, die bis ins achtzehnte Jahrhundert vor allem als Zierpflanze dient; und den goldgelben, schon von Mayas und Azteken hoch geschätzten Mais.
Frühes Zaubergemüse
Seit langem streiten sich Leser von historischen Romanen über die Frage, wie stark der Autor die Geschichte, die in den Büchern steht (den Geschichtsbüchern, nicht den historischen Romanen), eigentlich verändern darf. Bis zur Unkenntlichkeit? Bis an die Grenze des Glaubhaften? Oder nur so weit, wie es die überlieferten Fakten zulassen? Den Pedanten, die jeden literarischen Einfall unter den Scanner ihres Schulbuchwissens legen, stehen die Postmodernen gegenüber, denen die Umdichtung der Vergangenheit gar nicht radikal genug sein kann. Mit ihnen scheint es auch Salman Rushdie zu halten, wenn er den Florentinern der Frührenaissance Mais und Tomaten auf den Tisch legt oder an einer anderen Stelle seines Buchs von den "alten Kartoffelhexen am Kaspischen Meer" schwadroniert, die zweihundert Jahre vor der Einführung der Kartoffel um ihre Lagerfeuer herumsitzen und die toten Kriegshelden Transoxaniens beklagen. Aber vielleicht ist, von heute aus betrachtet, im alten Transoxanien sowieso irgendwie alles Jacke wie Hose, Bohne wie Kartoffel.
Andererseits gibt sich Rushdie diesmal jede erdenkliche Mühe, seine Geschichte in den Rahmen des historischen Geschehens einzupassen - jedenfalls, sobald der Roman das Terrain betritt, auf dem sein Autor sich auskennt. Und dieses Terrain ist in der "Bezaubernden Florentinerin" eben nicht Florenz, sondern das nördliche Indien zur Zeit des mittleren Mogulreichs, genauer: die Residenzstadt Fatehpur Sikri während der Herrschaft des Mogulkaisers Akbar (1556 bis 1605).
Dass sich Rushdie bei der Darstellung dieser Epoche (und, von den Tomaten- und Kartoffelschnitzern abgesehen, auch der italienischen Renaissance) nicht allein auf seine Phantasie verlassen hat, beweist er mit einer imponierenden achtseitigen Literaturliste am Ende seines Buchs, die von einer deutschen Übersetzung des "Rasenden Rolands" von Ariost bis zur englischen Ausgabe der Lebenserinnerungen der Mogulherrscher Babar und Jahangir reicht und auch verschiedene Websites aufführt. Die Paläste der Stadt Fatehpur Sikri schließlich, die von Babars Enkel Akbar als Regierungssitz errichtet, aber nach kaum fünfzehn Jahren aufgegeben wurde und inzwischen zum Unesco-Weltkulturerbe zählt, schildert unser Autor genau so, wie man sie sich im Internet anschauen kann: die prächtige, von vier Türmen gekrönte Audienzhalle, in der der Herrscher seine privaten Gäste empfing, der Pachisi-Hof, in dem er mit lebenden Figuren Brettspiele spielte, oder das in rotem Sandstein erbaute Frauenhaus, in dem Akbars Hauptfrau Jodha Bai zusammen mit ihren Hofdamen lebte.
In Fatehpur Sikri beginnt auch die Geschichte. Ein Fremder, ein Italiener mit goldgelben Haaren (gelb wie Mais!), rollt auf einem Ochsenkarren in die Residenzstadt, fest entschlossen, zu Akbar vorzudringen, was ihm mit Hilfe einer spindeldürren Bordellhure (genannt "das Skelett") und ihrer dicken Kollegin (genannt "Matratze") auch gelingt.
Was der Fremde, der sich als Mogor dell'Amore - "Mogul der Liebe" - vorstellt, dem Herrscher zu erzählen hat, klingt ebenso abenteuerlich wie kulturhistorisch interessant: Er sei der Sohn einer Mogulprinzessin, Akbars verschollener Schwester, die als Schlachtbeute und Geliebte diverser Heerführer über Persien und Konstantinopel nach Florenz gelangte. Dort habe Qara Köz ("Schwarzauge") zwei Jahre lang die Herzen der rauhen Toskaner verzaubert, bevor sie sich in den Wirren nach dem Tod eines unbedeutenden Medici-Herrschers in die Neue Welt absetzen musste.
Der Mogulkaiser, begierig auf Weibs- wie Städtebilder, hört die Geschichte mit Vergnügen, und sein Hofmaler bannt den Liebreiz der Dame Schwarzauge so überzeugend auf die Leinwand, dass er ihm sogar selbst verfällt. Doch dann kommt der Punkt, an dem der gelbhaarige Erzähler glaubhaft machen muss, dass er Akbars Onkel ist, und in diesem Moment erlischt die Sympathie des Herrschers für den Fremdling. Am Ende kann der Liebesmogul, dessen Familienname Vespucci lautet (so wie der jenes Amerigo, nach dem Amerika benannt ist), froh sein, dass er mit "Matratze" und "Skelett" das Weite suchen darf.
Matratze auf der Flucht
In früheren Büchern, von den "Satanischen Versen" bis zu "Der Boden unter den Füßen", hat sich Salman Rushdie mit der Topographie und der Zeitstruktur seiner Geschichten manche Freiheiten erlaubt - dergleichen glaubte er seinem Ruf als postmoderner Erzähler offenbar schuldig zu sein. In der "Bezaubernden Florentinerin" dagegen nimmt er es mit der historischen Wahrheit sehr genau. Die Schauplätze, die Herrschernamen, die Kriegszüge, der Brief der englischen Königin Elisabeth, mit dem der Fremde in Fatehpur eintrifft, das Privatleben des Staatsdenkers Machiavelli und seine Dedikation des "Fürsten" an Lorenzo II. - das alles ist penibel recherchiert und der Erzählung geschickt untergerührt, es bindet ihre phantastischen und verschrobenen Ingredienzen wie das Maismehl die Soße.
Und dennoch weicht man am Ende, statt sich dem Sog des Epischen zu ergeben, vor Rushdies Geschichtsparabel zurück. Das liegt weder an den eingeschmuggelten Tomaten und Kartoffeln noch an den vier Schweizer Albino-Riesen namens Otho, Botho, Clotho und d'Artagnan, die die Leibwache von Prinzessin Schwarzauge bilden. Es liegt auch nicht an jener Passage gegen Ende des Buchs, in der Rushdie - in der gelenkigen Übersetzung Bernhard Robbens - den Mogulherrscher von einer "Kultur der Einbeziehung" fabulieren lässt, in der "alle Rassen, Stämme, Clans, Glaubensrichtungen und Nationen Teil einer großen Mogul-Synthese werden würden", einer "großen Vermengung der Erde".
Nein, dass man diese Geschichte eines interkulturellen Verschwägerungsversuchs (denn nichts anderes ist die indische Mission des gelbhaarigen Fremden) so ungerührt aus der Hand legt, liegt an ihrem Ton. Es ist der Ton eines sehr souveränen, entrückten, ein wenig selbstgefälligen Erzählers, dem alles gleichermaßen Material ist, die Inder und die Florentiner, der Islam und die Renaissance. Mit dieser Haltung schreibt man sehr tiefe oder sehr flache Bücher. Bei Rushdie, der vor der Berührung mit seinen Figuren immer erst die Glacéhandschuhe des Epikers überstreift, hat man oft den Eindruck, dass die Tiefe nur eine Spiegelung ist und das gespiegelte Bild nur eine Kopie.
Es sind nicht die großen Themen und Motive, in denen sich diese Schöpfung aus Vorgefertigtem verrät, sondern die kleinen Risse und Einschlüsse im Glasüberzug. Insofern ist die Polenta, mit der Niccolò Machiavellis Mutter die Krankheiten ihrer Familie kuriert, eben doch mehr als ein zufälliger Schnitzer. Sie zeigt an, wie ernst es der Erzähler Rushdie mit dem Erzählten meint. Der Roman der zwei Weltkulturen, den Rushdie mit der "Bezaubernden Florentinerin" schreiben wollte, scheitert an seiner Haltung zum Detail. Ein Schriftsteller, der aus der Vergangenheit die geistige Speise der Gegenwart bereiten will, sollte ohne Zaubergemüse auskommen.
ANDREAS KILB
Salman Rushdie: "Die bezaubernde Florentinerin". Übersetzt von Bernhard Robben. 448 Seiten, Rowohlt, 19,90 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Eingenommen zeigt sich Kai Wiegandt für Salman Rushdies neuen Roman "Die bezaubernde Florentinerin". Die Dreistigkeit, mit der der studierte Historiker Rushdie seine Geschichten ineinanderspinnt, findet Kai Wigandt überaus charmant. Bisweilen hat er allerdings den Eindruck, der Autor verwende immer wieder "abgegriffene" Wendungen und eine "raffende" Erzählweise, nur um möglichst viel erzählen zu können, was aber auch verhindert, dass die Figuren Kontur gewinnen. Mit Spannung verfolgt Wiegandt dann aber wieder den Ausführungen des Romans über eine "Moralität jenseits religiöser Maßstäbe", die ja in eine höchst aktuelle Debatte eingreifen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 11.04.2009Der Charme der Dreistigkeit
Salman Rushdies neuer Roman „Die bezaubernde Florentinerin”
Es ist schon eine eigentümliche Erfahrung, Salman Rushdies Roman „Die bezaubernde Florentinerin” aufzuschlagen und, ehe man sich’s versieht, auf Seite achtzig angelangt zu sein. So groß ist die Eile, mit der Rushdie seine sich an Phantastik und Drastik überbietenden Anekdoten über Lorenzo de Medici und Vlad den Pfähler, gemordete Schiffskapitäne, Prostituierte, florentinische Reisende mit gelbem Haar und Schweizer Albinoriesen erzählt und in Tausendundeiner Abschweifung die Rahmen- und Binnenerzählung umspielen lässt.
Ein junger Florentiner schlägt sich 1572 bis zum Hof des Moguls Abu Akbar im indischen Sikri durch, um ihm ein nur für seine Ohren bestimmtes Geheimnis anzuvertrauen: Dass er Akbars Onkel ist. Da man Mogor dell’Amore, wie der Reisende sich nennt, am Hof für einen Hochstapler hält, muss er wie Scheherazade um sein Leben erzählen und den Herrscher von der Wahrheit seiner Worte überzeugen. Und so erzählt er, fast bis ans Ende des Romans, die Geschichte dreier Freunde aus Florenz und ihrer Begegnungen mit der Prinzessin Qara Köz, die später als „bezaubernde Florentinerin” bekannt wird.
Argalia, der leichenblasse Draufgänger, verdingt sich auf einem Schiff, läuft nach einer Schlacht an der Seite von Andrea Doria zu den Türken über, wird dort ein geschätzter Feldherr und kehrt auf seine alten Tage nach Florenz zurück, an seiner Seite die eroberte Qara Köz. Niccolò Machiavelli, dessen historische Identität Rushdie nach und nach lüftet, steigt in seiner Heimatstadt zu hohen Ämtern auf und schreibt, von den Medici verstoßen, seinen verwilderten Fürstenspiegel, einen auf kompromissloser Rationalität beruhenden Gegenentwurf zur eigenen Zeit, in der sich laut Rushdie Magie und Wirklichkeit noch nicht ausschließen. Agostino Vespucci, mit Amerigo Vespucci verwandt, führt ein bescheidenes Leben, ist jedoch auserwählt, am Ende mit Qara Köz in die neue Welt aufzubrechen und ein Vorfahr jenes jungen Mannes zu werden, der einmal vor Akbar stehen und ihm seine Geschichte erzählen soll.
Bezaubernd an der „Florentinerin” ist die Dreistigkeit, mit welcher der studierte Historiker Rushdie diese halbwahren, erfundenen und erlogenen Geschichten erzählt. Es gibt gewitzte und eindrückliche Anekdoten, von denen die beste vielleicht die über den Maler Dashwanth ist, der Qara Köz malt und danach plötzlich verschwindet. Von all seinen Bildern steht nur noch das der Prinzessin in seinem Atelier. Als Akbars Bedienstete den Rahmen abnehmen, entdecken sie den Künstler, eine zuvor vom Rahmen verborgene, aufs Gemälde gepinselte Gestalt, die eigenen Bilder unter den Arm geklemmt. So einfach überschreiten Rushdies Figuren die Grenze zwischen Leben und Kunst.
Die Wahrheit der Leidenschaften
Allerdings begnügt sich Rushdie dabei allzu oft mit abgegriffenen sprachlichen Wendungen, als wollte er nur möglichst rasch möglichst viel erzählen. Der raffende Erzählstil verhindert, dass die Figuren Kontur gewinnen könnten. Akbar, Machiavelli und Vespucci mögen noch am ehesten als Individuen erscheinen, doch die Frauenfiguren gleichen sich so sehr darin, wunderschön und darauf aus zu sein, die Männerwelt zu bezaubern, dass ihre Umrisse verschwimmen.
Keine Frage, dass Rushdie in seinem Bemühen, Ähnlichkeiten zwischen vermeintlich unterschiedlichen Menschen herauszustreichen, das Ineinanderfließen von Figuren beabsichtigt. Namen wie Angelica bezeichnen mehrere Figuren, einzelne Charaktere tragen wiederum mehrere Namen. Die bezaubernde Florentinerin heißt mal Qara Köz, mal Schwarzauge, mal Angelica, der Reisende aus Florenz nennt sich zunächst Uccello, dann Mogor dell’amore und schließlich Niccolò Vespucci. Doch auch das Individuum – nach Jacob Burckhardts Legende eine Erfindung der Renaissance – ist Thema, wenn es heißt, der Herrscher müsse im majestätischen Plural von sich sprechen, da er mehrere Individuen und deren unterschiedliche Wertvorstellungen umfasst. Nur kommen individuelle Figuren in Rushdies Roman nicht vor.
Die zweite Romanhälfte konzentriert sich auf Qara Köz, die Argalia nach Florenz mitbringt, wo sie ihre Wunder wirkt und die Stadt viele Jahre lang verzaubert. „Die bezaubernde Florentinerin” gewinnt erneut an Schwung, und wenn Rushdie zurück in die Rahmengeschichte springt, und Akbar, der in unseren Geschichtsbüchern für seine Toleranz in Glaubenssachen gelobt wird, über die Moralität jenseits religiöser Maßstäbe nachdenkt, ist der Roman schließlich bei Themen angelangt, mit denen sich Salman Rushdie seit der 1989 gegen ihn verhängten Fatwa intensiv beschäftigt.
Indem er eine Prinzessin aus dem Orient eine Hauptstadt der europäischen Renaissance verzaubern und einen mächtigen Erzähler aus dem Okzident einen östlichen Herrscher umgarnen lässt, setzt Salman Rushdie allen religiösen Unterschieden eine sich gleichbleibende Menschennatur entgegen: Dass die Leidenschaften und Bedürfnisse der Menschen überall dieselben sind und es mehr Vereinendes als Trennendes zwischen den Kulturen gibt, ist die in Großbuchstaben geschriebene Botschaft dieses Romans. KAI WIEGANDT
SALMAN RUSHDIE: Die bezaubernde Florentinerin. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 440 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
Salman Rushdies neuer Roman „Die bezaubernde Florentinerin”
Es ist schon eine eigentümliche Erfahrung, Salman Rushdies Roman „Die bezaubernde Florentinerin” aufzuschlagen und, ehe man sich’s versieht, auf Seite achtzig angelangt zu sein. So groß ist die Eile, mit der Rushdie seine sich an Phantastik und Drastik überbietenden Anekdoten über Lorenzo de Medici und Vlad den Pfähler, gemordete Schiffskapitäne, Prostituierte, florentinische Reisende mit gelbem Haar und Schweizer Albinoriesen erzählt und in Tausendundeiner Abschweifung die Rahmen- und Binnenerzählung umspielen lässt.
Ein junger Florentiner schlägt sich 1572 bis zum Hof des Moguls Abu Akbar im indischen Sikri durch, um ihm ein nur für seine Ohren bestimmtes Geheimnis anzuvertrauen: Dass er Akbars Onkel ist. Da man Mogor dell’Amore, wie der Reisende sich nennt, am Hof für einen Hochstapler hält, muss er wie Scheherazade um sein Leben erzählen und den Herrscher von der Wahrheit seiner Worte überzeugen. Und so erzählt er, fast bis ans Ende des Romans, die Geschichte dreier Freunde aus Florenz und ihrer Begegnungen mit der Prinzessin Qara Köz, die später als „bezaubernde Florentinerin” bekannt wird.
Argalia, der leichenblasse Draufgänger, verdingt sich auf einem Schiff, läuft nach einer Schlacht an der Seite von Andrea Doria zu den Türken über, wird dort ein geschätzter Feldherr und kehrt auf seine alten Tage nach Florenz zurück, an seiner Seite die eroberte Qara Köz. Niccolò Machiavelli, dessen historische Identität Rushdie nach und nach lüftet, steigt in seiner Heimatstadt zu hohen Ämtern auf und schreibt, von den Medici verstoßen, seinen verwilderten Fürstenspiegel, einen auf kompromissloser Rationalität beruhenden Gegenentwurf zur eigenen Zeit, in der sich laut Rushdie Magie und Wirklichkeit noch nicht ausschließen. Agostino Vespucci, mit Amerigo Vespucci verwandt, führt ein bescheidenes Leben, ist jedoch auserwählt, am Ende mit Qara Köz in die neue Welt aufzubrechen und ein Vorfahr jenes jungen Mannes zu werden, der einmal vor Akbar stehen und ihm seine Geschichte erzählen soll.
Bezaubernd an der „Florentinerin” ist die Dreistigkeit, mit welcher der studierte Historiker Rushdie diese halbwahren, erfundenen und erlogenen Geschichten erzählt. Es gibt gewitzte und eindrückliche Anekdoten, von denen die beste vielleicht die über den Maler Dashwanth ist, der Qara Köz malt und danach plötzlich verschwindet. Von all seinen Bildern steht nur noch das der Prinzessin in seinem Atelier. Als Akbars Bedienstete den Rahmen abnehmen, entdecken sie den Künstler, eine zuvor vom Rahmen verborgene, aufs Gemälde gepinselte Gestalt, die eigenen Bilder unter den Arm geklemmt. So einfach überschreiten Rushdies Figuren die Grenze zwischen Leben und Kunst.
Die Wahrheit der Leidenschaften
Allerdings begnügt sich Rushdie dabei allzu oft mit abgegriffenen sprachlichen Wendungen, als wollte er nur möglichst rasch möglichst viel erzählen. Der raffende Erzählstil verhindert, dass die Figuren Kontur gewinnen könnten. Akbar, Machiavelli und Vespucci mögen noch am ehesten als Individuen erscheinen, doch die Frauenfiguren gleichen sich so sehr darin, wunderschön und darauf aus zu sein, die Männerwelt zu bezaubern, dass ihre Umrisse verschwimmen.
Keine Frage, dass Rushdie in seinem Bemühen, Ähnlichkeiten zwischen vermeintlich unterschiedlichen Menschen herauszustreichen, das Ineinanderfließen von Figuren beabsichtigt. Namen wie Angelica bezeichnen mehrere Figuren, einzelne Charaktere tragen wiederum mehrere Namen. Die bezaubernde Florentinerin heißt mal Qara Köz, mal Schwarzauge, mal Angelica, der Reisende aus Florenz nennt sich zunächst Uccello, dann Mogor dell’amore und schließlich Niccolò Vespucci. Doch auch das Individuum – nach Jacob Burckhardts Legende eine Erfindung der Renaissance – ist Thema, wenn es heißt, der Herrscher müsse im majestätischen Plural von sich sprechen, da er mehrere Individuen und deren unterschiedliche Wertvorstellungen umfasst. Nur kommen individuelle Figuren in Rushdies Roman nicht vor.
Die zweite Romanhälfte konzentriert sich auf Qara Köz, die Argalia nach Florenz mitbringt, wo sie ihre Wunder wirkt und die Stadt viele Jahre lang verzaubert. „Die bezaubernde Florentinerin” gewinnt erneut an Schwung, und wenn Rushdie zurück in die Rahmengeschichte springt, und Akbar, der in unseren Geschichtsbüchern für seine Toleranz in Glaubenssachen gelobt wird, über die Moralität jenseits religiöser Maßstäbe nachdenkt, ist der Roman schließlich bei Themen angelangt, mit denen sich Salman Rushdie seit der 1989 gegen ihn verhängten Fatwa intensiv beschäftigt.
Indem er eine Prinzessin aus dem Orient eine Hauptstadt der europäischen Renaissance verzaubern und einen mächtigen Erzähler aus dem Okzident einen östlichen Herrscher umgarnen lässt, setzt Salman Rushdie allen religiösen Unterschieden eine sich gleichbleibende Menschennatur entgegen: Dass die Leidenschaften und Bedürfnisse der Menschen überall dieselben sind und es mehr Vereinendes als Trennendes zwischen den Kulturen gibt, ist die in Großbuchstaben geschriebene Botschaft dieses Romans. KAI WIEGANDT
SALMAN RUSHDIE: Die bezaubernde Florentinerin. Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Bernhard Robben. Rowohlt Verlag, Reinbek bei Hamburg 2009. 440 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de