Pure meaning, pure poetry - diese Idee scheint Menschen in allen Jahrhunderten umzutreiben und anzustacheln. Sie ist der Motor für die Erfindung von Sprachen wie Esperanto, Volapük oder Blissymbolics. Den Anekdoten hinter diesen Plansprachen geht Clemens J. Setz in Die Bienen und das Unsichtbare nach, getreu dem Motto: »Erzähl die beste Geschichte, die du kennst, so wahr wie möglich.«
Und diese Geschichte handelt unter anderem von Charles Bliss und seiner Symbolsprache, von Kindern mit Behinderung, die sich mit Blissymbolics zum ersten Mal ausdrücken können. Davon, wie Clemens J. Setz einen Sommer lang Volapük lernt und selbst eine eigene Sprache entwickelt. Es geht um die vermutlich einzige Volapük-Muttersprachlerin, die je gelebt hat, und die Plansprache Talossa für die gleichnamige Mikronation, die ein Teenager 1979 in seinem Schlafzimmer ausrief. Um Klingonisch und High Valyrian, eine Sprache, die für die Fernsehserie Game of Thrones geschaffen wurde. Und um Esperanto, die größte Erfolgsgeschichte in der Welt der Plansprachen, deren Sprecher unter Stalin und Hitler verfolgt wurden und durch die ein junger blinder Russe zum Dichter, Abenteurer und anarchistischen Weltgelehrten wurde. Stets ist es die eigenartige Vermengung von tiefer existenzieller Krise und Sprachenerfindung, die Setz aufspürt und die ihn in ihren Bann schlägt - und so ist dieses Buch auch die persönliche Geschichte des Sprachkünstlers Clemens J. Setz.
Und diese Geschichte handelt unter anderem von Charles Bliss und seiner Symbolsprache, von Kindern mit Behinderung, die sich mit Blissymbolics zum ersten Mal ausdrücken können. Davon, wie Clemens J. Setz einen Sommer lang Volapük lernt und selbst eine eigene Sprache entwickelt. Es geht um die vermutlich einzige Volapük-Muttersprachlerin, die je gelebt hat, und die Plansprache Talossa für die gleichnamige Mikronation, die ein Teenager 1979 in seinem Schlafzimmer ausrief. Um Klingonisch und High Valyrian, eine Sprache, die für die Fernsehserie Game of Thrones geschaffen wurde. Und um Esperanto, die größte Erfolgsgeschichte in der Welt der Plansprachen, deren Sprecher unter Stalin und Hitler verfolgt wurden und durch die ein junger blinder Russe zum Dichter, Abenteurer und anarchistischen Weltgelehrten wurde. Stets ist es die eigenartige Vermengung von tiefer existenzieller Krise und Sprachenerfindung, die Setz aufspürt und die ihn in ihren Bann schlägt - und so ist dieses Buch auch die persönliche Geschichte des Sprachkünstlers Clemens J. Setz.
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Rezensentin Wiebke Porombka fühlt sich sichtlich wohl im Kosmos des Schriftstellers Clemens J. Setz. Wenn Setz den Plansprachen nachspürt, ihre mitunter skurrile Erfinder vorstellt und von eigenen Erfahrungen mit Esperanto, Volapük oder Bliss-Symbolik berichtet, lauscht sie mit Gewinn, weil Setz humorvoll und ohne große Geste schreibt, selbst wenn er das Thema Mensch und Sprache umkreist und die Rettungsfunktion von Poesie. Manchmal muss die Rezensentin googeln, weil Setz' Funde allzu verrückt klingen.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 03.02.2021Hinter der Biegung, wo Katzenlämmer tänzeln
Clemens J. Setz erzählt in "Die Bienen und das Unsichtbare" von Plansprachen und deren Erfindern
Es beginnt exemplarisch: Das "Intro" von gut zwei Seiten bildet ein Dialog mit dem 1979 in Somaliland geborenen Mustafa Ahmed Jama, dem wegen einer angeborenen Zerebralparese die Verwendung der Stimmsprache verwehrt ist. Im Alter von fünf Jahren, er lebt mit den Eltern mittlerweile in Schweden, trifft er auf einen Lehrer, der ihm Bliss-Symbole beibringt - mit einem Stock wird dabei auf Piktogramme gedeutet - und dem Jungen die Tür in einen bis dahin verschlossenen Raum öffnet: zu sprachlichem Ausdruck und Austausch, zur Kommunikation. Setz hat den Kontakt zu dem jungen Mann gesucht, weil ihn dessen erster Gedichtband, verfasst in Bliss-Symbolen, beeindruckte.
Zwei weitere Episoden reißt Setz zum Auftakt an. Eine Geschichte Tommaso Landolfis aus dessen "Dialogo dei massimi sistemi" von 1937, die von einem Mann erzählt, der, angeleitet von einem englischen Kapitän, Persisch lernt bis zur Perfektion, bald darin sogar selbst zu dichten beginnt. Als er Jahre später erstmals einen klassischen persischen Dichter lesen will, sieht er nichts außer ihm völlig fremder Zeichen. Und einen anderen Sprachseparierten findet Setz in der von Werner Herzog überlieferten Szene über einen Aboriginal-Mann aus dem Süden Australiens: den letzten Sprecher einer Sprache, die von allen anderen Idiomen isoliert war. Im Pflegeheim verbringt dieser Mann seine Tage damit, Münzen in einen leeren Getränkeautomaten zu stecken und ihrem Klimpern nachzulauschen.
Und schließlich ruft Setz noch eine Passage aus Kafkas Erzählung "Eine Kreuzung" in Erinnerung, die ihn von Jugend an besonders bewegt habe. Ein merkwürdiges Tier, halb Lamm, halb Katze, tritt darin auf, ein Wesen, das der Erzähler vom Vater geerbt hat. Hin und wieder springt es auf den Sessel, hält die Schnauze an das Ohr des Erzählers, um diesem sodann prüfend ins Gesicht zu blicken. Wenn dieser nickt, als hätte er die Mitteilung verstanden, springt das Tier zu Boden und tänzelt umher. "Es ist dieses Tänzeln", schreibt Setz, "von dem mein Buch handelt. Es ist unsere eigentliche Natur."
So stößt Setz in einen Kosmos vor, der irgendwo zwischen dem physiologischen Vermögen der Lautformung, dem Maschinenraum des menschlichen Bewusstseins und dem Absoluten angesiedelt sein müsste. Anders gesagt: Wer will, kann "Die Bienen und das Unsichtbare" ein durch Autofiktion und "Anekdoten", wie der Suhrkamp Verlag es im Klappentext nennt, angereichertes Sachbuch über Plansprachen wie etwa Esperanto oder Volapük und deren Erfinder nennen. Vor allem aber ist es - obwohl oder eben gerade weil es weder mit großer Geste noch raunend oder verquast daherkommt, sondern unaufgeregt, als würde Setz in vertrauter Runde darüber plaudern - ein ebenso großartiger wie im kurios Abseitigen stöbernder Essay über das existentielle Verhältnis von Mensch und Sprache, über den Wunsch nach Verstandenwerden und Verstehen als anthropologische Grundkonstante.
Ein Buch über das Rettende der Poesie - der Titel ist einem Rilke-Zitat entlehnt - und eines, das man kaum ohne die Einsicht aus der Hand legen kann, dass zwischen dem Genialen und dem Banalen, der höchsten Erkenntnis und dem Nonsens mitunter nur minimalste Differenzen bestehen: "Lustigerweise ist das Hervorbringen scheinbar sinnloser Silben ein Betätigungsfeld, das sowohl die niedrigsten wie auch die höchsten Stufen geistiger Entwicklung umspannt, allerdings niemals die Bereiche dazwischen, das laue Mittelfeld." Vielleicht hat Setz nicht zuletzt dank dieser Erkenntnis zudem auch noch ein Buch geschrieben, das so viel Witz besitzt.
In sechs durch "Intro" und "Coda" gerahmten Kapiteln erzählt es von den mitunter haarsträubenden Lebenswegen von Plansprachenerfindern wie etwa Charles Bliss, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Karl Kasiel Blitz in Czernowitz geboren wird, einige Zeit in Dachau und Buchenwald interniert ist und schließlich nach England emigrieren kann. Die von Sprachperversion und -missbrauch begleiteten Verbrechen der Nationalsozialisten werden Bliss zum Antrieb, eine nichtkorrumpierbare Sprache erfinden zu wollen. Aus einer Vision aber wird verbissene Passion. Bliss' späteres Prozessieren gegen die Verwendung und Erweiterung seiner Zeichentafeln in der Frühförderung spastisch gelähmter Kinder offenbart die tragische Seite des Spracherfinders.
H. C. Artmanns Piktisch kommt bei Setz ebenso zu Wort wie die skurrile Geschichte um Robert Ben Madison, der als Vierzehnjähriger sein Zimmer zum Königreich "Talossa" erklärt und sich auf diese Weise einen phantastischen Ausweg aus der deprimierenden Gegenwart erspinnt, samt eigener Sprache. Was Ende der siebziger Jahre in einem Kinderzimmer in Milwaukee beginnt, bildet, zunächst über Mundpropaganda, später im Internet, staatsähnliche Strukturen aus. Anfang des Jahrtausends schließlich gibt König Robert I., Gründer der Mikronation Talossa, dem Unmut seiner Online-Bürger nach und dankt ab.
Natürlich weiß auch Setz, dass man es hier mit einem über Jahrzehnte betriebenen Phantasierollenspiel zu tun hat. Der Schmerz aber, den Robert Ben Madison etwa bei seiner Ansprache zum dreißigsten Jubiläum von Talossa empfinde, sei echt. Man kann die Rede aus dem Jahr 2009 auf Youtube nachschauen, wie man überhaupt bei der Lektüre dieses Buches immer wieder das Internet öffnet, weil Setz' Funde wieder allzu phantastisch scheinen, selbst wenn er sie durch Bilder oder Screenshots belegt.
Setz fügt auch wiederholt Ausschnitte aus seinem Tagebuch ein, in denen er von einer eigenen Krise berichtet. Aufgrund einer "mysteriösen Autoimmunerkrankung", die ihn von 2013 bis 2016 beschäftigte, habe er kaum mehr mit den Augen lesen können und sei "allmählich wahnsinnig" geworden. In dieser Phase begann er, Volapük zu lernen. Das Erfinden und Erlernen von Plan- oder Kunstsprachen will er dabei nicht als Hilferuf verstanden wissen, sondern als "eine Art Verschwindetrick, ein Sich-Wegzaubern". Ein Wegzaubern, das nicht bloße Abwendung ist, sondern im frühromantischen Sinne einen utopischen Kern hat: den Glauben, dass man durch die poetische Sprache - ebenso wie den radikaleren Nonsens oder die Plansprachen - die Wirklichkeit in Gebilde von "geradezu außerirdischer Leuchtkraft" verwandeln kann, auf dass einem selbst der Eintritt in die verwandelte Welt erlaubt ist. "Gleich hinter der Straßenbiegung", schreibt Setz, "warten die unbekannten Kontinente, wo man dir schon bei der Einreise einen völlig neuen Kopf aufsetzt und wo die Katzenlämmer tänzeln."
Wer die eigenwilligen, mitunter befremdlichen und gerade in ihrer Unergründlichkeit faszinierenden Romane und Erzählungen des 1982 geborenen Clemens J. Setz schätzt, der kann durch "Die Bienen und das Unsichtbare" ganz sicher nicht gleich das Setz'sche Universum vollends entschlüsseln, aber doch staunend durch den verwinkelten, unendlich scheinenden Fundus dieses Dichters schlendern. Verlassen möchte man ihn so bald nicht wieder.
WIEBKE POROMBKA
Clemens J. Setz: "Die Bienen und das Unsichtbare".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 416 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Clemens J. Setz erzählt in "Die Bienen und das Unsichtbare" von Plansprachen und deren Erfindern
Es beginnt exemplarisch: Das "Intro" von gut zwei Seiten bildet ein Dialog mit dem 1979 in Somaliland geborenen Mustafa Ahmed Jama, dem wegen einer angeborenen Zerebralparese die Verwendung der Stimmsprache verwehrt ist. Im Alter von fünf Jahren, er lebt mit den Eltern mittlerweile in Schweden, trifft er auf einen Lehrer, der ihm Bliss-Symbole beibringt - mit einem Stock wird dabei auf Piktogramme gedeutet - und dem Jungen die Tür in einen bis dahin verschlossenen Raum öffnet: zu sprachlichem Ausdruck und Austausch, zur Kommunikation. Setz hat den Kontakt zu dem jungen Mann gesucht, weil ihn dessen erster Gedichtband, verfasst in Bliss-Symbolen, beeindruckte.
Zwei weitere Episoden reißt Setz zum Auftakt an. Eine Geschichte Tommaso Landolfis aus dessen "Dialogo dei massimi sistemi" von 1937, die von einem Mann erzählt, der, angeleitet von einem englischen Kapitän, Persisch lernt bis zur Perfektion, bald darin sogar selbst zu dichten beginnt. Als er Jahre später erstmals einen klassischen persischen Dichter lesen will, sieht er nichts außer ihm völlig fremder Zeichen. Und einen anderen Sprachseparierten findet Setz in der von Werner Herzog überlieferten Szene über einen Aboriginal-Mann aus dem Süden Australiens: den letzten Sprecher einer Sprache, die von allen anderen Idiomen isoliert war. Im Pflegeheim verbringt dieser Mann seine Tage damit, Münzen in einen leeren Getränkeautomaten zu stecken und ihrem Klimpern nachzulauschen.
Und schließlich ruft Setz noch eine Passage aus Kafkas Erzählung "Eine Kreuzung" in Erinnerung, die ihn von Jugend an besonders bewegt habe. Ein merkwürdiges Tier, halb Lamm, halb Katze, tritt darin auf, ein Wesen, das der Erzähler vom Vater geerbt hat. Hin und wieder springt es auf den Sessel, hält die Schnauze an das Ohr des Erzählers, um diesem sodann prüfend ins Gesicht zu blicken. Wenn dieser nickt, als hätte er die Mitteilung verstanden, springt das Tier zu Boden und tänzelt umher. "Es ist dieses Tänzeln", schreibt Setz, "von dem mein Buch handelt. Es ist unsere eigentliche Natur."
So stößt Setz in einen Kosmos vor, der irgendwo zwischen dem physiologischen Vermögen der Lautformung, dem Maschinenraum des menschlichen Bewusstseins und dem Absoluten angesiedelt sein müsste. Anders gesagt: Wer will, kann "Die Bienen und das Unsichtbare" ein durch Autofiktion und "Anekdoten", wie der Suhrkamp Verlag es im Klappentext nennt, angereichertes Sachbuch über Plansprachen wie etwa Esperanto oder Volapük und deren Erfinder nennen. Vor allem aber ist es - obwohl oder eben gerade weil es weder mit großer Geste noch raunend oder verquast daherkommt, sondern unaufgeregt, als würde Setz in vertrauter Runde darüber plaudern - ein ebenso großartiger wie im kurios Abseitigen stöbernder Essay über das existentielle Verhältnis von Mensch und Sprache, über den Wunsch nach Verstandenwerden und Verstehen als anthropologische Grundkonstante.
Ein Buch über das Rettende der Poesie - der Titel ist einem Rilke-Zitat entlehnt - und eines, das man kaum ohne die Einsicht aus der Hand legen kann, dass zwischen dem Genialen und dem Banalen, der höchsten Erkenntnis und dem Nonsens mitunter nur minimalste Differenzen bestehen: "Lustigerweise ist das Hervorbringen scheinbar sinnloser Silben ein Betätigungsfeld, das sowohl die niedrigsten wie auch die höchsten Stufen geistiger Entwicklung umspannt, allerdings niemals die Bereiche dazwischen, das laue Mittelfeld." Vielleicht hat Setz nicht zuletzt dank dieser Erkenntnis zudem auch noch ein Buch geschrieben, das so viel Witz besitzt.
In sechs durch "Intro" und "Coda" gerahmten Kapiteln erzählt es von den mitunter haarsträubenden Lebenswegen von Plansprachenerfindern wie etwa Charles Bliss, der Ende des neunzehnten Jahrhunderts als Karl Kasiel Blitz in Czernowitz geboren wird, einige Zeit in Dachau und Buchenwald interniert ist und schließlich nach England emigrieren kann. Die von Sprachperversion und -missbrauch begleiteten Verbrechen der Nationalsozialisten werden Bliss zum Antrieb, eine nichtkorrumpierbare Sprache erfinden zu wollen. Aus einer Vision aber wird verbissene Passion. Bliss' späteres Prozessieren gegen die Verwendung und Erweiterung seiner Zeichentafeln in der Frühförderung spastisch gelähmter Kinder offenbart die tragische Seite des Spracherfinders.
H. C. Artmanns Piktisch kommt bei Setz ebenso zu Wort wie die skurrile Geschichte um Robert Ben Madison, der als Vierzehnjähriger sein Zimmer zum Königreich "Talossa" erklärt und sich auf diese Weise einen phantastischen Ausweg aus der deprimierenden Gegenwart erspinnt, samt eigener Sprache. Was Ende der siebziger Jahre in einem Kinderzimmer in Milwaukee beginnt, bildet, zunächst über Mundpropaganda, später im Internet, staatsähnliche Strukturen aus. Anfang des Jahrtausends schließlich gibt König Robert I., Gründer der Mikronation Talossa, dem Unmut seiner Online-Bürger nach und dankt ab.
Natürlich weiß auch Setz, dass man es hier mit einem über Jahrzehnte betriebenen Phantasierollenspiel zu tun hat. Der Schmerz aber, den Robert Ben Madison etwa bei seiner Ansprache zum dreißigsten Jubiläum von Talossa empfinde, sei echt. Man kann die Rede aus dem Jahr 2009 auf Youtube nachschauen, wie man überhaupt bei der Lektüre dieses Buches immer wieder das Internet öffnet, weil Setz' Funde wieder allzu phantastisch scheinen, selbst wenn er sie durch Bilder oder Screenshots belegt.
Setz fügt auch wiederholt Ausschnitte aus seinem Tagebuch ein, in denen er von einer eigenen Krise berichtet. Aufgrund einer "mysteriösen Autoimmunerkrankung", die ihn von 2013 bis 2016 beschäftigte, habe er kaum mehr mit den Augen lesen können und sei "allmählich wahnsinnig" geworden. In dieser Phase begann er, Volapük zu lernen. Das Erfinden und Erlernen von Plan- oder Kunstsprachen will er dabei nicht als Hilferuf verstanden wissen, sondern als "eine Art Verschwindetrick, ein Sich-Wegzaubern". Ein Wegzaubern, das nicht bloße Abwendung ist, sondern im frühromantischen Sinne einen utopischen Kern hat: den Glauben, dass man durch die poetische Sprache - ebenso wie den radikaleren Nonsens oder die Plansprachen - die Wirklichkeit in Gebilde von "geradezu außerirdischer Leuchtkraft" verwandeln kann, auf dass einem selbst der Eintritt in die verwandelte Welt erlaubt ist. "Gleich hinter der Straßenbiegung", schreibt Setz, "warten die unbekannten Kontinente, wo man dir schon bei der Einreise einen völlig neuen Kopf aufsetzt und wo die Katzenlämmer tänzeln."
Wer die eigenwilligen, mitunter befremdlichen und gerade in ihrer Unergründlichkeit faszinierenden Romane und Erzählungen des 1982 geborenen Clemens J. Setz schätzt, der kann durch "Die Bienen und das Unsichtbare" ganz sicher nicht gleich das Setz'sche Universum vollends entschlüsseln, aber doch staunend durch den verwinkelten, unendlich scheinenden Fundus dieses Dichters schlendern. Verlassen möchte man ihn so bald nicht wieder.
WIEBKE POROMBKA
Clemens J. Setz: "Die Bienen und das Unsichtbare".
Suhrkamp Verlag, Berlin 2020. 416 S., geb., 24,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Wer die eigenwilligen, mitunter befremdlichen und gerade in ihrer Unergründlichkeit faszinierenden Romane und Erzählungen des ... Clemens J. Setz schätzt, der kann durch Die Bienen und das Unsichtbare ganz sicher nicht gleich das Setz'sche Universum vollends entschlüsseln, aber doch staunend durch den verwinkelten, unendlich scheinenden Fundus dieses Dichters schlendern.« Wiebke Porombka Frankfurter Allgemeine Zeitung 20210203