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Die Biennale von Venedig ist die älteste Weltausstellung der bildenden Kunst: 1895 als Zentralveranstaltung der Kunstszene begründet, stand die Venedig Biennale auch Modell für die Großausstellungen zeitgenössischer Kunst, von der 'documenta' bis zu den mehr als 200 Kunst-Biennalen der Gegenwart. Die Geschichte der Biennale von Venedig ist eine Geschichte der Ausstellungskunst und ihrer spektakulären Provokationen: Wie weit ist der Weg von Giaccomo Grossos Gruppensex-Gemälde der ersten 'Exposizione' von 1895 zu Maurizio Cattelans Skulptur des vom Meteoriten niedergeschmetterten Papstes…mehr

Produktbeschreibung
Die Biennale von Venedig ist die älteste Weltausstellung der bildenden Kunst: 1895 als Zentralveranstaltung der Kunstszene begründet, stand die Venedig Biennale auch Modell für die Großausstellungen zeitgenössischer Kunst, von der 'documenta' bis zu den mehr als 200 Kunst-Biennalen der Gegenwart. Die Geschichte der Biennale von Venedig ist eine Geschichte der Ausstellungskunst und ihrer spektakulären Provokationen: Wie weit ist der Weg von Giaccomo Grossos Gruppensex-Gemälde der ersten 'Exposizione' von 1895 zu Maurizio Cattelans Skulptur des vom Meteoriten niedergeschmetterten Papstes Johannes Paul II. auf der 49. Biennale 2001? Aber die Geschichte der Biennale ist auch eine Geschichte des 20. Jahrhunderts: 1928 verstaatlicht Mussolini die Biennale, 1934 zelebriert er mit Hitler in den 'Giardini' den künstlerischen Schulterschluss vor dem militärischen. 1948 übernimmt die jahrelang verfemte Klassische Moderne die Ausstellung und damit die Vorherrschaft in der Kunstwelt. 1964 triumphiert die US-Kunst in Venedig über die Metropole Paris. 1968 wird die Biennale zum Schauplatz der Mai-Revolte im Kunstbereich. 1977 wird mit weitreichenden Folgen die Kunst der Sowjet-Dissidenten präsentiert. 1980 ereilen Postmoderne und Finanzspekulation ausgerechnet in Venedig die bildende Kunst. Flecks erzählender Essay ist eine geschichtenreiche Reflexion über Kunst und Künstler zwischen Ausstellung und Geopolitik.
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Autorenporträt
Robert Fleck, 1957 geboren, ist Intendant der Bundeskunsthalle Bonn. Er hat unter anderem bei Gilles Deleuze und Michel Foucault studiert und 1988 in Innsbruck mit einer Arbeit u¿ber die Revolution von 1848 promoviert. Bei Philo Fine Arts erschienen: Hier Distans. Arnulf Rainer, Dieter Roth & die Wiener Ku¿nstlerbohème der Siebziger (2008); Deleuze schickt mich in die Bibliothek. Über Bu¿cher und Menschen (FUNDUS 190, 2010).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.06.2009

Die Geschichte eines Ungeheuers

Die Kunstbiennale von Venedig zählt zu den wichtigsten Ausstellungen der Welt: Wie sie wurde, was sie ist, erzählt Robert Fleck.

Dieses Buch besitzt gleich zwei Vorzüge: Es ist zum einen die erste zusammenfassende Darstellung der weit über hundertjährigen Geschichte der Biennale von Venedig; und es ist zum anderen eine Erzählung, die von Thesen getragen wird, welche Kapitel für Kapitel behutsam eingeflochten werden und den Mehrwert dieser Geschichte ausmachen. Etwa zweihundert Seiten fasst der im handlichen Format der Fundus-Reihe erschienene Band. Danach wird man als Leser nicht nur die Geschichte der Biennale überblicken, sondern auch wie durch eine gut geputzte Brille schärfer die gegenwärtigen Ereignisse im Kunstbetrieb ansehen können.

Den Anlass für dieses Buch gab dem Autor Robert Fleck, seit 2009 Leiter der Bundeskunsthalle in Bonn, ein Auftrag, der ihn auch als Fachmann für das Thema qualifiziert: Vor zwei Jahren kuratierte Fleck, 1957 in Wien geboren, den österreichischen Pavillon – er zeigte großformatige Gemälde von Herbert Brandl – und erlebte dadurch eines der weltweit bedeutendsten Kunstereignisse von der Planung bis zur Ausführung hautnah mit.

Wie erzählt man also ein Jahrhundert Kunstgeschichte, die Historie einer Ausstellung, die alle zwei Jahre seit 1895 stattfindet? Robert Fleck hat die Geschichte auf dreizehn Kapitel heruntergebrochen, in deren Zentrum jeweils eine Biennale steht. Sein Anliegen ist es also nicht, enzyklopädisch jede der inzwischen dreiundfünfzig Biennalen im Detail zu schildern, sondern an ausgewählten Beispielen durch die wechselvolle Geschichte zu führen.

Den Beginn macht dabei die 49. Biennale, die im Juni 2001 eröffnete und schon im Vorfeld für Furore sorgte. "Provokationskunst auf der ersten Biennale von Venedig im 21. Jahrhundert" betitelt Fleck das erste Kapitel, was durch die diesjährige Biennale eine schöne zusätzliche Pointe erhält: Aufregung verursachte nämlich eine Skulptur des italienischen Künstlers Maurizio Cattelan. Zu sehen ist zurzeit sein Beitrag zu den vom Künstlerduo Elmgreen & Dragset kuratierten nordischen Pavillon. Die beiden machten aus der repräsentativen Architektur der Gebäude die Privaträume fiktiver Kunstsammler und luden Maurizio Cattelan ein, die Leiche dazu zu liefern. Die Figur eines älteren Herrn, der mit dem Gesicht nach unten im Pool treibt, wurde zu einem der beliebtesten Bildmotive in den Rezensionen der letzten Woche.

Vor acht Jahren schlugen dieWellen allerdings hoch. Vierhundert Künstler nahmen an dieser Biennale teil, 2300 Kunstwerke gab es zu bestaunen, aber kein Beitrag wurde so häufig abgebildet wie Maurizio Cattelans "La Nona Ora", eine aus Plastik modellierte Figur des damals amtierenden Papstes Johannes Paul II. Von einem Meteoriten getroffen, lag derWürdenträger am Boden. Ein Loch wurde in die gläserne Decke des Raumes geschlagen, Glassplitter hagelten auf den Boden, und das Publikum zerfiel in die erwarteten Lager.

Die einen amüsierten sich prächtig, die anderen empfanden die gezeigte Szene als Blasphemie, eine Reaktion, die umso stärker ausfallen musste, als das Werk zum ersten Mal auf italienischem Boden gezeigt wurde. Zuvor war es bereits in Großbritannien und in der Schweiz zu sehen gewesen, ohne viel Aufsehen zu erregen. Der bereits in der Vorberichterstattung skandalisierte Beitrag zahlte sich jedoch, wie Fleck schreibt, für alle Seiten aus: 350 000 Besucher kamen nach Venedig, umdie Ausstellung zu sehen, Maurizio Cattelan verdreifachte seine Preise auf dem Kunstmarkt, und die Kunstbiennale erreichte mit dreitausend akkreditierten Journalisten ein Medienecho, "das an Sport-Großereignisse erinnert".

Diese Feststellung, muss man hinzufügen, gilt für die Rezeption der Gegenwartskunst insgesamt. Auch die Documenta erzielte 2007 mit 750 000 zahlenden Gästen einen Besucherrekord, und Englands Museen zählen seit der Abschaffung der Eintrittspreise mehr Besucher als die Fußballstadien, wobei die Londoner Tate Modern das erfolgreichste Haus ist.

Wer nun aber glaubt, Fleck würde mit diesem Auftakt einen kulturpessimistischenWeg einschlagen, findet sich imdaran anschließenden Kapitel bei der ersten Biennale wieder – und inmitten von Skandalkunst. Stein des Anstoßes war 1895, dem Gründungsjahr, das Gemälde "Il supremo convegno" (zu Deutsch: Die höchste Zusammenkunft) von Giacomo Grosso, einem ehrgeizigen jungen Maler von 35 Jahren, der sechs Jugendliche aus dem Turiner Großbürgertum beim kollektiven Liebesspiel zeigte. Das Gelage aus fünf Frauen und einem Mann goss er über einer Kissenlandschaft aus.

2500 Menschen standen jeden Tag Schlange, um mit eigenen Augen das zu sehen, was der amtierende Papst im Vorfeld als "Angriff auf die Keuschheit" verurteilt hatte, aber doch nicht verhindern konnte. "Das massenhafte Interesse", schreibt Fleck, "war für die Organisatoren der ersten Biennale von Venedig ein unverhoffter Erfolg. Die Grundidee war, Venedig vor dem unaufhaltsamen Abstieg zu bewahren, die Stadt zu einem Ziel für Touristen zu machen und zu diesem Zweck das alte Prestige Venedigs als Kunstmetropole einzusetzen." Das Herz der Gründungsbiennale schlug also für den Rummel, das Großereignis, die Provokation und die Massen.

Der Anspruch, die Ausstellung in den Dienst greifbarer politischer Ideen zu stellen, wurde zuerst in den dreißiger Jahren formuliert: 1934 besuchte Adolf Hitler in dunklem Anzug und Zylinder den deutschen Pavillon in den Giardini, 1938 wurde dem Haus das monumentalistische Antlitz verliehen, an dem sich seither deutsche Künstler abgearbeitet haben.

Es war dieses Erbe, gegen das die Studenten 1968 auf der 34. Biennale Sturm liefen. Um die Proteste zu unterbinden, die bei einem vergleichbaren Großereignis, den Filmfestspielen in Cannes, zum Abbruch geführt hatten, zogen Hundertschaften von Polizisten auf. Künstler verbarrikadierten sich daraufhin in den Nationalpavillons, und eine der Forderungen lautete, die seit 1930 unveränderten, vomMussolini-Faschismus geprägten Statuten der Biennale grundlegend zu ändern. "Die weltweite Aufmerksamkeit, die die Biennale von Venedig alle zwei Jahre erzielt", schreibt Fleck, "galt plötzlich nicht spektakulärer Kunst, sondern dem Protest gegen das künstlerische und gesellschaftliche System in der westlichen Welt."

Wer in Flecks erhellender Studie weiterliest, wird feststellen, dass keine der an die Biennale gestellten Forderungen je fallengelassen wurde. Und heute blicken wir auf diese Ausstellung wie auf einen gigantischen Kentaur: der Körper ein Massenspektakel und darauf ein politischer Kopf, kurzum ein Ungetüm, dem die berufenen Direktoren alle zwei Jahre neu das Kunststück abringen müssen, Volksfest und Reflexion miteinander zu verbinden. Wie das Ungeheuer gezeugt, geboren und großgezogen wurde, lässt sich bei Robert Fleck nachlesen.

JULIA VOSS.

Robert Fleck: "Die Biennale von Venedig". Eine Geschichte des 20. Jahrhunderts. Philo Fine Arts Verlag, Hamburg 2009. 229 S., geb., 14,– €.

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