Fragile Utopien zwischen Leben und Tod
Astrid Goltz hat sich mit ihrem Roman des Lebens der Marie Luise Vogeler, genannt Mieke, angenommen, aber es ist keine Biografie im Sinne zusammengetragener Tatsachen, sondern ein Roman. Diese künstlerische Freiheit hat Vor- und Nachteile. Die Autorin
verleiht ihrer Hauptperson Mieke ihre Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Träume, Wachträume, all ihre Liebe…mehrFragile Utopien zwischen Leben und Tod
Astrid Goltz hat sich mit ihrem Roman des Lebens der Marie Luise Vogeler, genannt Mieke, angenommen, aber es ist keine Biografie im Sinne zusammengetragener Tatsachen, sondern ein Roman. Diese künstlerische Freiheit hat Vor- und Nachteile. Die Autorin verleiht ihrer Hauptperson Mieke ihre Gedanken, Gefühle, Erinnerungen, Träume, Wachträume, all ihre Liebe und Verzweiflung. In chronologischer Reihenfolge lässt sie uns die letzten zwei Jahre des widersprüchlichen Lebens der Mieke miterleiden. Die starke Mieke ist krank, sehr krank, der Krebs wird sie zerfressen, gegen den Krebs ist sie nicht stark genug.
Ein feiner literarischer Kniff lässt den Leser zuerst ihre Kindheit und Jugend erleben und er wird dann Zeuge der großen Liebe zu Gustav Regler. Mieke berichtet zuerst Gustav, dann erzählt sie von der großen Liebe ihrer treuesten und besten Freundin Alice. So bleibt Mieke immer in der Ich-Form des Erzählens, auch dann, wenn sie ihre leisen Selbstgespräche führt, in romantischen, blumigen Bildern denkt und lebt, mit Katzen spricht oder mit einer Hexe.
Ihr Vater, der Maler Heinrich Vogeler, ist ein herber Gegensatz zu Mieke und ihr doch sehr ähnlich. In Worpswede lebt er zuerst auf dem Barkenhoff mit Frau und drei Töchtern, malt und lebt ein Künstlerleben. Das wird ihm dann manchmal recht sauer, besonders, weil mit im Haus auch Ludwig, der Geliebte seiner Frau Martha, ein merkwürdiges Dasein fristet. Als Vogeler es wagt, sich einer neuen Frau zuzuwenden, bricht die Idylle zusammen, Mieke wendet sich beschämt und „entliebt“ von ihm ab. Erst Jahre später kommen sich beide wieder nahe.
Vogeler zieht in den ersten Weltkrieg, der ein Schlüsselerlebnis für ihn wird, wendet sich den Kommunisten zu und wird schließlich in die Sowjetunion ziehen mit seiner Freundin und seinen Idealen. Vogeler ist verblendet vom Sowjetstaat, noch bevor Mieke stirbt, wird er dort auch zu Grunde gehen.
Der Barkenhoff derweil wird verkauft und Martha schafft eine neue Heimstatt für sich, die Töchter und jede Menge Gäste. Martha ist die Pragmatische in der Familie, anpassungsfähig und überlebensfähig, beinahe führt das in der Nazizeit zu einem endgültigen Bruch mit Tochter Mieke.
Mieke geht einen harten Weg, ihre künstlerische Begabung ist bemerkenswert, sie lernt das Goldschmiedehandwerk, zieht als Gelegenheitsarbeiterin durch die deutschen Lande, arbeitet und wird ausgebeutet in Schwerin, macht sich frei und lernt den romantischen Kommunisten, man könnte ihn auch den kommunistischen Romantiker Gustav Regler kennen. Beide bleiben über viele Jahre ein Paar, überstehen Gefahren und sind am Ende dort, wo das Buch beginnt, in Mexico im Exil.
Dieses Buch liest sich nicht schnell und leichtfüßig, es zieht den Leser in einen Sog von Natur- und Zustandsbeschreibungen, die so blumig und wortreich sind, als wären sie nicht von dieser Welt. Ob diese herbe Mieke, dieses norddeutsche Wesen, so gedacht hat? Mir war das zu viel der schönen Schreiberei, dafür muss man wohl künstlerisch, träumerisch und romantisch veranlagt sein.
Eingestreut in die Kalenderblätter – oder Tagebuchseiten, wie man es nennen will, ist nicht wichtig –, sind Beschreibungen von Vogelers Bildern. Nur das Porträt von Mieke schmückt auch das Cover, die anderen Bilder muss man sich vorstellen. Mir fiel das nicht so leicht, deshalb habe ich gegoogelt und die Bilder auch gefunden. Vor ein paar Jahre sah ich Vogeler-Bilder in der Neuen Nationalgalerie in Berlin, die mich sehr beeindruckt haben, in ihrer Farbigkeit und ihrer Schärfe, wie leuchtende politische Plakate. Es ist schade, dass dem Buch – das ja den Titel Die Bilder meines Vaters trägt – nicht ein paar farbige Kunstdruckseiten mitgegeben wurden, die die beschriebenen Bilder zeigen. Die Fotos, auch Bilder des Vaters sind dabei, am Ende des Buches in Schwarz-Weiß sind sie eine schöne Ergänzung. Dass sich der Buchtitel nicht nur auf die materielle Seite bezieht, wird bei Lesen klar, denn es sind wohl vor allem auch die Bilder im Kopf, die die Autorin hier heraufbeschwört.
„Vor dem Tode solltest Du nicht vergessen, gelebt zu haben.“ Ein Zitat, Gustav zugeschrieben, dass das ganze Buch beschreibt, Mieke hat gelebt, aber ein Traumleben war es nicht. Zugleich ist der Roman eine biografische Ergänzung, wenn man Gustav Regler noch nicht kannte.
Fazit: Ein Künstlerroman über eine Künstlertochter, die ein hartes, aber erfülltes und abenteuerliches Künstlerleben gelebt hat. Auf dem Friedhof in Paris denkt Mieke „Ist man überflüssig, wenn man tot ist?“ – wenn man das Buch gelesen hat, beantwortet sich die Frage von selbst.
Gute drei Sterne.