Die Umschläge der Kinderbücher 'Emil und die Detektive', 'Pünktchen und Anton' und 'Das doppelte Lottchen' sind längst Ikonen der modernen Buchkunst. Doch das Werk von Walter Trier ist weitaus größer und vielfältiger.Dieser großformatige Bildband soll dazu beitragen, sein umfangreiches Werk jenseits der Kästner-Illustrationen nicht in Vergessenheit geraten zu lassen. Die hier gezeigte Bilderwelt nimmt den Betrachter mit in die erste Hälfte des 20. Jahrhunderts, die politischen und gesellschaftlichen, oft ironischen Kommentare Triers wirken vielfach noch heute aktuell. Sind nicht nur komisch, sondern stimmen immer auch nachdenklich. Versammelt sind die wichtigsten Themen aus Walter Triers utopischem Kosmos: Die oft komische Liebe zwischen Mann und Frau, eine Menge frecher Kinder und ihr fantastisches Spielzeug, viele Stars aus Theater, Film und Sportwelt, Clowns und Zirkusartisten und natürlich seine gezeichneten Parodien auf den Nationalsozialismus, der ihn zur Emigration zwang.Es gibt eine Menge köstlicher Seitenhiebe auf Künstlerkollegen, ganz und gar erstaunliche Umschlaggestaltung für Welt- und Unterhaltungsliteratur sowie für Kinderbuchklassiker, aber auch amüsante oder bissige Kommentare zu anderer Länder Sitten, Karikaturen zu historischen und politischen Umbrüchen und herrlich Plakatives.Eingebettet sind die zahlreichen Bilder in zwei historische Vorworte - von Walter Trier, und seinem Bewunderer Robert Gernhardt - und ergänzt um ein aktuelles Nachwort. So werden die Umstände ihrer Entstehung und historischen Inhalte verständlich.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 26.08.2021Im Exil legte der Feingeist härtere Bandagen an
Doppelte Farbfreude: Ein prachtvoller Bildband und die Neuausgabe seiner Biographie feiern den Illustrator Walter Trier.
Seine kurzlebigen Wohnstätten aus der Berliner Anfangszeit sind übrig geblieben: die in der Gervinus- und der Elsastraße. Dagegen wurden die von ihm jeweils jahrelang bewohnten Häuser in der Denk- und der Herwarthstraße im Krieg zerstört und durch Neubauten ersetzt, und auch am Ort seines letzten Interimsquartiers in der Keithstraße, wo die jüdische Familie Trier auf die Ausreise nach England wartete, steht heute ein modernes Bürohaus. Platz für Gedenktafeln wäre indes an allen fünf Gebäuden, aber es gibt keine einzige, geschweige denn eine Walter-Trier-Straße. Da prägt jemand von Berlin aus über ein Vierteljahrhundert hinweg eine ganze Kunstrichtung, aber es gibt kein öffentliches Erinnern. Nun gut, Trier ist trotzdem noch vor aller Augen: Seine Illustrationen zu Erich Kästners Jugendbüchern, von "Erich und die Detektive" (1929) bis zur "Konferenz der Tiere" (1949), werden unverändert nachgedruckt, und das auf der ganzen Welt.
Aber Walter Trier war viel mehr als Kästners Illustrator. Zunächst einmal als solcher ein Ko-Autor, denn nach dem Riesenerfolg des "Emil" arbeiteten die beiden fortan in enger Kooperation am Erscheinungsbild weiterer Bücher, und da Kästner um die Bedeutung der Trier'schen Ausstattung für die Wahrnehmung seiner Jugendbücher wusste, passte er seine Handlungen immer mehr den Bildern an. Von 1936 an, nach "Emil und die drei Zwillinge", aber hätte das über Grenzen hinweg erfolgen müssen, denn Walter Trier brachte Frau, Tochter und sich selbst in Sicherheit, bevor die Nationalsozialisten die Schlinge ganz zuziehen konnten. Ein faktisches Berufsverbot galt für ihn als Jude da bereits, obwohl er länger als viele Kollegen hatte weiterzeichnen können. Er war einfach zu populär mit seinen Titelbildern für Berliner Zeitschriften wie Die Dame, Uhu oder Lustige Blätter. Doch im Sommer 1935 war Schluss, nachdem er für letzteres Blatt eine Titelzeichnung des deutschen Boxstars Max Schmeling angefertigt hatte.
Wenn heute wieder von ihm selbst und nicht nur seinem Werk die Rede ist, verdankt sich das zu einem Gutteil Antje Maria Warthorst, die sich der Kunst Walter Triers verschrieben hat. 2006 kuratierte sie die erste Retrospektive, 2013 erschien ihre Biographie, und nun hat sie einen Prachtband zusammengestellt: "Die Bilderwelt des Walter Trier". Dessen Publikationsgeschichte allerdings ist seltsam: Der Katalog zur Retrospektive erschien noch beim Atrium Verlag, dem Stammhaus der Kästner/Trier-Bücher, die Biographie bei der renommierten Nicolaischen Verlagsbuchhandlung, der Bildband nun aber bei der weitgehend unbekannten Favoritenpresse. Hält man im deutschen Buchgeschäft doch nicht mehr so viel von Walter Trier?
Nun ist die Favoritenpresse gerade mal ein halbes Jahr alt, und dass sie in ihr Debütprogramm nicht nur die opulente "Bilderwelt" aufgenommen hat, sondern auch die Biographie von 2013 nachdruckt (mit neuer, leider nur schwarz-weißer Bildauswahl, aber wozu hat man denn den Bildband?), zeigt, dass der Anspruch des Verlegers Bodo von Hodenberg, "das gedruckte Buch zu feiern", ernst gemeint ist. Denn das kann er mit den wahlweise hochkomischen oder tief bewegenden Zeichnungen von Walter Trier beweisen, die hier wunderbar reproduziert sind.
Dass es allerdings tatsächlich schwierig gewesen ist, eine verlegerische Heimat für den Bildband zu finden, ist dem Schlusswort von Warthorst zu entnehmen. Die Kunsthistorikerin neigt in ihrem Begeisterungsfuror für Trier dazu, die Umstände der Erforschung und Pflege ihres Gegenstands in höchst subjektiver Weise in die Texte einfließen zu lassen. Ehrenvoll, aber egozentrisch. Und es wirkt im Beharren auf "Genie" und Vergleiche mit Picasso, Hergé oder Grosz beflissener, als es Walter Trier nötig hätte; zudem macht das die Lektüre von Bildband und Biographie leicht anstrengend. Dass sich beide Bücher textlich doppeln, hätte leicht vermieden werden können, aber auch der Plan, die Biographie neu aufzulegen, ist ja ganz jung, und wie gesagt ergänzen sie sich bildlich perfekt. Da ist gegenüber der Erstausgabe noch viel gewonnen.
Und seien wir ehrlich: Was wollen wir denn mehr als diese fantastischen Bilder, die schon vor siebzig Jahren (Trier starb 1951 in Kanada) eine Linie etabliert hatten, deren Erbe heute weltweit bei grafischen Großmeistern wie Rotraut Susanne Berner, Sempé, Dupuy & Berberian, Bernd Pfarr, Floc'h, Baru oder Seth wieder aufzufinden ist? Oder die ihrerseits das Erbe der Münchner und Berliner Satire-Illustratoren des Fin de Siècle antraten, denen der 1890 in Prag geborene Trier in seiner Anfangszeit mit Karikaturen dieser Kollegen mehrfach Reverenz erwies - schade, dass diese Arbeiten aus den Lustigen Blättern und für ein Ballplakat von 1913 in keinem der beiden Bücher abgebildet werden.
Bleibt noch zu sagen, dass Warthorst das Verdienst zukommt, auch dem politischen Zeichner großen Raum zu geben. Denn Trier konnte federleicht sein, bisweilen sogar frivol, aber in seinen englischen Exiljahren kämpfte er mit harten Bandagen publizistisch gegen Hitler. Das ist selbst noch in seinen hinreißenden Titelblättern für die von anderen Exilanten gegründete Zeitschrift Lilliput zu erkennen, die Monat für Monat ein junges Paar und ihren Schnauzer in neuen Konstellationen zeigten - eine Fortsetzungsgeschichte ganz eigener Art und eine Art laufender Kommentar zum Zeitgeschehen, der gerade in den Kriegsjahren zwischen Engagement und Eskapismus oszillierte. Es gäbe so viel zu lernen aus Walter Triers Leben. Höchste Zeit, dass es solche Bücher gibt. Dann braucht's auch weiterhin keine Gedenktafeln oder Straßennamen im geschichtsvergessenen Berlin. ANDREAS PLATTHAUS.
Antje M. Warthorst: "Die Bilderwelt des Walter Trier". Favoritenpresse, Berlin 2021. 224 S., 249 Abb., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Doppelte Farbfreude: Ein prachtvoller Bildband und die Neuausgabe seiner Biographie feiern den Illustrator Walter Trier.
Seine kurzlebigen Wohnstätten aus der Berliner Anfangszeit sind übrig geblieben: die in der Gervinus- und der Elsastraße. Dagegen wurden die von ihm jeweils jahrelang bewohnten Häuser in der Denk- und der Herwarthstraße im Krieg zerstört und durch Neubauten ersetzt, und auch am Ort seines letzten Interimsquartiers in der Keithstraße, wo die jüdische Familie Trier auf die Ausreise nach England wartete, steht heute ein modernes Bürohaus. Platz für Gedenktafeln wäre indes an allen fünf Gebäuden, aber es gibt keine einzige, geschweige denn eine Walter-Trier-Straße. Da prägt jemand von Berlin aus über ein Vierteljahrhundert hinweg eine ganze Kunstrichtung, aber es gibt kein öffentliches Erinnern. Nun gut, Trier ist trotzdem noch vor aller Augen: Seine Illustrationen zu Erich Kästners Jugendbüchern, von "Erich und die Detektive" (1929) bis zur "Konferenz der Tiere" (1949), werden unverändert nachgedruckt, und das auf der ganzen Welt.
Aber Walter Trier war viel mehr als Kästners Illustrator. Zunächst einmal als solcher ein Ko-Autor, denn nach dem Riesenerfolg des "Emil" arbeiteten die beiden fortan in enger Kooperation am Erscheinungsbild weiterer Bücher, und da Kästner um die Bedeutung der Trier'schen Ausstattung für die Wahrnehmung seiner Jugendbücher wusste, passte er seine Handlungen immer mehr den Bildern an. Von 1936 an, nach "Emil und die drei Zwillinge", aber hätte das über Grenzen hinweg erfolgen müssen, denn Walter Trier brachte Frau, Tochter und sich selbst in Sicherheit, bevor die Nationalsozialisten die Schlinge ganz zuziehen konnten. Ein faktisches Berufsverbot galt für ihn als Jude da bereits, obwohl er länger als viele Kollegen hatte weiterzeichnen können. Er war einfach zu populär mit seinen Titelbildern für Berliner Zeitschriften wie Die Dame, Uhu oder Lustige Blätter. Doch im Sommer 1935 war Schluss, nachdem er für letzteres Blatt eine Titelzeichnung des deutschen Boxstars Max Schmeling angefertigt hatte.
Wenn heute wieder von ihm selbst und nicht nur seinem Werk die Rede ist, verdankt sich das zu einem Gutteil Antje Maria Warthorst, die sich der Kunst Walter Triers verschrieben hat. 2006 kuratierte sie die erste Retrospektive, 2013 erschien ihre Biographie, und nun hat sie einen Prachtband zusammengestellt: "Die Bilderwelt des Walter Trier". Dessen Publikationsgeschichte allerdings ist seltsam: Der Katalog zur Retrospektive erschien noch beim Atrium Verlag, dem Stammhaus der Kästner/Trier-Bücher, die Biographie bei der renommierten Nicolaischen Verlagsbuchhandlung, der Bildband nun aber bei der weitgehend unbekannten Favoritenpresse. Hält man im deutschen Buchgeschäft doch nicht mehr so viel von Walter Trier?
Nun ist die Favoritenpresse gerade mal ein halbes Jahr alt, und dass sie in ihr Debütprogramm nicht nur die opulente "Bilderwelt" aufgenommen hat, sondern auch die Biographie von 2013 nachdruckt (mit neuer, leider nur schwarz-weißer Bildauswahl, aber wozu hat man denn den Bildband?), zeigt, dass der Anspruch des Verlegers Bodo von Hodenberg, "das gedruckte Buch zu feiern", ernst gemeint ist. Denn das kann er mit den wahlweise hochkomischen oder tief bewegenden Zeichnungen von Walter Trier beweisen, die hier wunderbar reproduziert sind.
Dass es allerdings tatsächlich schwierig gewesen ist, eine verlegerische Heimat für den Bildband zu finden, ist dem Schlusswort von Warthorst zu entnehmen. Die Kunsthistorikerin neigt in ihrem Begeisterungsfuror für Trier dazu, die Umstände der Erforschung und Pflege ihres Gegenstands in höchst subjektiver Weise in die Texte einfließen zu lassen. Ehrenvoll, aber egozentrisch. Und es wirkt im Beharren auf "Genie" und Vergleiche mit Picasso, Hergé oder Grosz beflissener, als es Walter Trier nötig hätte; zudem macht das die Lektüre von Bildband und Biographie leicht anstrengend. Dass sich beide Bücher textlich doppeln, hätte leicht vermieden werden können, aber auch der Plan, die Biographie neu aufzulegen, ist ja ganz jung, und wie gesagt ergänzen sie sich bildlich perfekt. Da ist gegenüber der Erstausgabe noch viel gewonnen.
Und seien wir ehrlich: Was wollen wir denn mehr als diese fantastischen Bilder, die schon vor siebzig Jahren (Trier starb 1951 in Kanada) eine Linie etabliert hatten, deren Erbe heute weltweit bei grafischen Großmeistern wie Rotraut Susanne Berner, Sempé, Dupuy & Berberian, Bernd Pfarr, Floc'h, Baru oder Seth wieder aufzufinden ist? Oder die ihrerseits das Erbe der Münchner und Berliner Satire-Illustratoren des Fin de Siècle antraten, denen der 1890 in Prag geborene Trier in seiner Anfangszeit mit Karikaturen dieser Kollegen mehrfach Reverenz erwies - schade, dass diese Arbeiten aus den Lustigen Blättern und für ein Ballplakat von 1913 in keinem der beiden Bücher abgebildet werden.
Bleibt noch zu sagen, dass Warthorst das Verdienst zukommt, auch dem politischen Zeichner großen Raum zu geben. Denn Trier konnte federleicht sein, bisweilen sogar frivol, aber in seinen englischen Exiljahren kämpfte er mit harten Bandagen publizistisch gegen Hitler. Das ist selbst noch in seinen hinreißenden Titelblättern für die von anderen Exilanten gegründete Zeitschrift Lilliput zu erkennen, die Monat für Monat ein junges Paar und ihren Schnauzer in neuen Konstellationen zeigten - eine Fortsetzungsgeschichte ganz eigener Art und eine Art laufender Kommentar zum Zeitgeschehen, der gerade in den Kriegsjahren zwischen Engagement und Eskapismus oszillierte. Es gäbe so viel zu lernen aus Walter Triers Leben. Höchste Zeit, dass es solche Bücher gibt. Dann braucht's auch weiterhin keine Gedenktafeln oder Straßennamen im geschichtsvergessenen Berlin. ANDREAS PLATTHAUS.
Antje M. Warthorst: "Die Bilderwelt des Walter Trier". Favoritenpresse, Berlin 2021. 224 S., 249 Abb., geb., 25,- Euro.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension
Andreas Platthaus freut sich einerseits über Antje M. Warthorsts sich in diesem Prachtband artikulierendes Engagement für den Illustrator Walter Trier. Andererseits macht Warthorsts "Begeisterungsfuror" für den Zeichner das Lesen der Texte im Band für Platthaus leicht mühselig. Nötig hat es Trier sowieso nicht, findet der Rezensent. Die Abbildungen von Triers Zeitschriften-Covern aus den Dreißigern, seiner Kästner-Illustrationen sowie den spitzen Zeichnungen aus dem englischen Exil lassen für Platthaus keinen Zweifel an Triers Meisterschaft und Wirkung bis heute.
© Perlentaucher Medien GmbH
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