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Nach einem schweren Sturz im Garten und langen Wochen im Krankenhaus wird Simone zurück nach Hause gebracht. Aus dem Koma ist sie nicht mehr erwacht, und eigentlich weiß niemand, ob sie noch etwas fühlt, etwas wahrnimmt, ob sie wirklich noch am Leben ist. Obwohl sich die Familie um sie kümmert, hat sie Simone im Grunde aufgegeben. Aber Simone registriert, was mit ihr und was um sie herum geschieht. Sie weiß allerdings nicht, wer sie ist und wer die Leute um sie herum sind; manchmal jedoch tauchen in ihrem Gedächtnis Fetzen aus der Vergangenheit auf: als sie zusammen mit der Familie in Italien…mehr

Produktbeschreibung
Nach einem schweren Sturz im Garten und langen Wochen im Krankenhaus wird Simone zurück nach Hause gebracht. Aus dem Koma ist sie nicht mehr erwacht, und eigentlich weiß niemand, ob sie noch etwas fühlt, etwas wahrnimmt, ob sie wirklich noch am Leben ist. Obwohl sich die Familie um sie kümmert, hat sie Simone im Grunde aufgegeben. Aber Simone registriert, was mit ihr und was um sie herum geschieht. Sie weiß allerdings nicht, wer sie ist und wer die Leute um sie herum sind; manchmal jedoch tauchen in ihrem Gedächtnis Fetzen aus der Vergangenheit auf: als sie zusammen mit der Familie in Italien war, die Erinnerung an den ersten Freund. Nach und nach setzt sie aus diesen Fundstücken zusammen, wer sie gewesen sein konnte. "Und plötzlich erinnert sich die Frau an einen Kampf hinter der grünen Hecke, das war nach einem Grillfest im Garten, die Gäste waren weggegangen, da entfachte sich zwischen Vater und Sohn ein Streit, warum, das weiß sie nicht mehr, sie weiß nur noch, daß der Sohn und der Vater brüllten und aufeinander losprügelten.
Ein Körper blieb unter der Birke liegen."
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 09.10.1999

Stumm bleibt der Körper
Fabienne Pakleppa sucht die Stimme zwischen Birken

Wie sprächen Menschen, die ihre Sprache verloren haben? Was nehmen sie wahr, wie viel wissen sie noch über sich und die Welt, was entgeht ihnen? Und wie ließe sich über sie schreiben? Fabienne Pakleppa hat mit ihrem dritten Roman den mutigen Versuch unternommen, einem Körper im Koma ihre Stimme zu verleihen.

Wie eine schlaffe Puppe liegt Simone in den Kissen und ringt um ihr Bewusstsein. Die Erzählstimme ist konsequent in Simones verworrenem Geist angesiedelt, stößt gegen die Wände ihres müden Leibes und umkreist Vergangenes aus dem Leben einer zerstörten Frau, die in ihrem Körper nicht mehr zu Hause sein kann. Die Zunge schiebt Milchbrei hin und her. Der Finger hebt sich zwei Millimeter in die Höhe. Ein Ächzen klingt aus der Kehle. Die Augen schauen auf die Birke vor dem Fenster und in die Gesichter, die sich über sie beugen: die alte Mutter, die sich mit ihren Klagen und verkappten Vorwürfen als wohlmeinende Unterdrückerin entlarvt; der Ehemann, der es zu Hause nicht mehr aushält und dem wehrlosen Körper eine Affäre mit der Sekretärin einflößt wie bittere Medizin; die Krankenschwestern mit ihren Zuwendungen und kleinen Gemeinheiten und vor allem Simones Sohn Nick und seine zartfingrige Freundin, die als einzige hinter der Fassade des windelgepolsterten Körpers einen fühlenden Menschen vermuten, der immer noch Nicks Mutter ist. Nick liebt sich im Krankenzimmer mit Tatjana, durchschaut die Lügen des Vaters und kämpft mit jugendlichem Eifer um Simones Würde. Ganz allmählich besinnt sich der Körper, beginnt, sich seinen Namen wieder anzueignen und die Menschen um sich herum mit Erinnerungsfetzen zu bekleiden.

Sprachlich könnte man radikaler vorgehen, um diese tastende Wirklichkeitsrekonstruktion zu erfassen. Wo Pakleppa die Länge eines Romans benötigt, erfindet etwa Beckett in seiner Kürzestgeschichte "Ping" ohne Rücksicht auf Kohärenzwünsche die verstümmelte Sprache einer gestörten Wahrnehmung. Pakleppa hat sich dagegen für Lesbarkeit entschieden und lässt einen kaum beschädigten Bewusstseinsstrom fließen. Damit suggeriert sie zwar zu Unrecht intakte Sprachgewalt und Selbstkontrolle, kann aber erzählerisch weiter ausholen.

Behutsam reichert Pakleppa ihre Figur an, gibt ihr Stück für Stück ihre Geschichte zurück, das stumme Kind, den ersten Liebhaber, den Streit in der Familie, ohne kommentierend in den Fluss der verschleierten Gedanken einzugreifen. Über weite Strecken gelingt es ihr so, unsentimental von einem Leiden zu erzählen, das ähnlich wie das Altwerden selten in der Literatur zur Sprache gebracht wird.

Wo allerdings über den Dialog der Familie, der an Simones Ohren vorbeirauscht, Problembewusstsein erzeugt werden soll, wo Erklärungen herhalten müssen und der Charakter eines Gedankenprotokolls verloren geht, verliert der Roman sofort an Dichte. Schade, dass er mit solchen Sätzen aufwartet, die er nicht nötig hätte: "Simone muss die Erinnerungsstücke an die richtige Stelle bringen, um die richtige Frau zusammenzusetzen, nicht irgendwen, der Ich sagt und es nicht ist." Und schade, dass die Birke vor Simones Zimmer gefällt wird, weil mit dem gekappten Lebensbaum ein symbolisch überfrachtetes Ende eingeleitet wird, das der stillen Geschichte schlecht bekommt. Auf den Wink mit dem Zaunpfahl aus Birkenholz ließe sich gut verzichten.

ANETTE PEHNT.

Fabienne Pakleppa: "Die Birke". Roman. Luchterhand Literatur Verlag, München 1999. 208 S., geb., 34,- DM.

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