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Ein literarisches und ein optisches Vergnügen, Gedicht und Collage zugleich: Aus Zeitungsausschnitten und Bildern setzt Herta Müller ihre Texte zusammen, so dass jedes einzelne Gedicht zu einer ebenso verspielten wie künstlerisch konsequenten Collage wird. Ein wunderbares, unvergleichliches Buch, das zeigt, zu welchen spielerischen Formen die poetische Phantasie finden kann.

Produktbeschreibung
Ein literarisches und ein optisches Vergnügen, Gedicht und Collage zugleich: Aus Zeitungsausschnitten und Bildern setzt Herta Müller ihre Texte zusammen, so dass jedes einzelne Gedicht zu einer ebenso verspielten wie künstlerisch konsequenten Collage wird. Ein wunderbares, unvergleichliches Buch, das zeigt, zu welchen spielerischen Formen die poetische Phantasie finden kann.
Autorenporträt
Herta Müller wurde 1953 im deutschsprachigen Nitzkydorf im Banat in Rumänien geboren. Sie studierte in Temeswar rumänische und deutsche Literatur. Sie arbeitete nach dem Studium in einer Maschinenbaufabrik als Übersetzerin. Weil sie sich weigerte, ihre Kollegen für den rumänischen Geheimdienst Securitate zu bespitzeln, verlor sie ihre Stelle, fand danach nur noch Aushilfstätigkeiten und geriet selbst ins Visier der Securitate. Es folgten Verhöre und Hausdurchsuchungen und die Verleumdung. 1987 konnte sie nach Berlin ausreisen, wo sie heute noch lebt. Ihre Bücher wurden mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet. Zuletzt wurden ihr der Preis für Verständigung und Toleranz des Jüdischen Museum Berlin sowie der Internationale Brückepreis der Europastadt Görlitz/Zgorzelec verliehen und sie wurde in den Orden Pour le mérite aufgenommen. 2009 erhielt sie den Literaturnobelpreis. Ihr Werk wurde in über 50 Sprachen übersetzt und erscheint auf Deutsch bei Hanser, zuletzt die Collagenbände Im Heimweh ist ein blauer Saal (2019) und Der Beamte sagte (2021) sowie Eine Fliege kommt durch einen halben Wald (2023).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 29.09.2005

Ich bin ein Wort, gebrauche mich!
Schnipsel-Poesie: Herta Müllers Text-Bild-Collagen

"Nehmt eine Zeitung. Nehmt Scheren. Wählt in dieser Zeitung einen Artikel von der Länge aus, die Ihr eurem Gedicht zu geben beabsichtigt. Schneidet den Artikel aus. Schneidet dann sorgfältig jedes Wort dieses Artikels aus und gebt sie in eine Tüte. Schüttelt leicht. Nehmt dann einen Schnipsel nach dem anderen heraus ..." - so entsteht nach Tristan Tzaras Empfehlung ein originelles dadaistisches Gedicht.

Auf den ersten Blick frappiert der Eindruck, Herta Müllers Schnipsel-Poesie könnte nach diesem provozierenden, bürgererschreckenden Rezept aus dem Jahr 1920 angefertigt worden sein. Aber bei näherer Betrachtung stellt sich heraus, daß sie alles andere im Sinn hat als solche Provokationen. Ihre zusammengefügten bunten Wort-Schnitzel ergeben schon rein visuell ein reizvoll-gefälliges Bild, einem Patchwork nicht unähnlich, dessen Farben und Formen man gern anschaut. Daß ihre ersten Collagen dieser Art als Postkartenserie ("Der Wächter nimmt seinen Kamm", 1993) erschienen sind, leuchtet ein; sie eignen sich zur adressierten Mitteilung der Augenlust, des ästhetischen Vergnügens, das sie schon unabhängig von ihrem wörtlichen "Sinn" bereiten.

Nur zögernd trennt man sich daher vom schönen Schein der Gebilde, um ihrem Wortlaut zu folgen; es will nicht zwingend erscheinen, die Texte buchstäblich zu lesen, statt sie nur anzuschauen. Doch die Lektüre fördert Einblicke in die Konstruktion und Eigenart poetischer Texte überhaupt zutage. Denn ob und wie (gegebenenfalls) das Zerschnittene und Zusammenhanglose doch zu einem Zusammenhang geführt wird, das erweist sich als eine generelle Frage an Texte, insbesondere an poetische Texte. Stets muß ja eine Auswahl aus Wörtern, die zur Verfügung stehen, getroffen werden. Jeder Text ist das Ergebnis vielfacher Wahl- und Ausschlußprozesse. Aber wie frei ist die Wahl eigentlich, und woran orientiert sie sich? Sucht Herta Müller genau die Wörter, die sie - zu welchem Zweck auch immer - braucht, oder schlagen die vorgefundenen Wörter ihr vor, zu welchem Zweck sie zu gebrauchen sind? Will sie beispielsweise reimen, oder finden sich die Reime ein, will sie eine zusammenhängende Geschichte schreiben, oder wird ihr der Sinn zudiktiert? Setzt sich das Sinngebungspotential der vorgefundenen Wörter durch, oder ringt die Autorin ihnen ihre vorgängige Intention ab?

Der martialische Akt des Zerschnipselns suggeriert die autonome Verfügungsgewalt der Autorin über ihr Material, bewirkt aber zugleich ihre gänzliche Abhängigkeit von ihm. Diese weitreichende "Lehre" illustrieren Herta Müllers collagierte Texte nachdrücklich und auf vergnügliche Weise. Die Schnittstellen zwischen der ausgeübten Herrschaft über die Wörter und ihrer Herrschaft über die Autorin werden sichtbar und drängen sich vor: Die Grammatik beginnt zu wackeln, die Reime purzeln übereinander, das Reale kippt um ins Surreale und Groteske - ein Vorgang, den die stark stilisierten kleinen Bildcollagen, die den Textgebilden zugeordnet sind, noch einmal steigern; diese Bildchen müßten daher, wollte man aus diesem Buch zitieren, eigentlich mitzitiert werden.

Das Buch kann Sprach- und Literaturwissenschaftlern, besonders den poststrukturalistischen Dekonstruktivisten unter ihnen, zur professionellen Analyse empfohlen werden; es eignet sich aber auch als Anregung für große und kleine Leute, die Freude am spielerischen Umgang mit der Sprache haben oder sie wecken wollen: Schnipseln Sie doch mal!

WULF SEGEBRECHT.

Herta Müller: "Die blassen Herren mit den Mokkatassen". Hanser Verlag, München, Wien 2005. 112 S., geb., 17,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Müllers "mit der Schere zusammengesetzte Gedichte", in denen die Worte gleichsam auf Reisen geschickt werden, besitzen für Rezensentin Andrea Köhler eine "surreale Anmut". Bewundernswert findet sie nicht nur die "klangliche Qualität" der Gedichte, die den Leser zum lauten Skandieren verleitet, und das "ästhetisch Zwingende", das dem "optisch Naheliegenden" den Rang abläuft, sondern auch den Reichtum der Wortschöpfungen, der suggeriert, Müller hege die Hoffnung, der Welt allein durch "neue Komposita" ein anderes Gerüst zu verleihen. Bei Müllers "Blassen Herren mit den Mokkatassen" haben wir es mit einer Rückkehr zu den Anfängen der Wörter und zweifelsohne mit einer "bibliophilen Kostbarkeit" zu tun, so das Fazit dieser Besprechung.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.11.2005

Mundharmonika aus Wind
Gedichte als Scherenschnitte: Herta Müllers lyrische Collagen
Ein beliebtes Gesellschaftsspiel für Menschen mit Lust auf Sprache geht so: Die versammelte Runde lässt ein Blatt Papier um den Tisch kreisen. Jeder schreibt ein paar Worte und verlängert damit einen Satz, ohne zu wissen, wie der Nächste ihn weiterführt. So entstehen bizarre Geschichten: vergnüglicher Nonsens, Ausdruck kollektiver Erfindungsfreude. Ähnlich verhält es sich mit Herta Müllers collagierten Gedichten, die unter dem Titel „Die blassen Herren mit den Mokkatassen” erschienen sind.
Wort für Wort sind sie aus Zeitungen ausgeschnitten und auf Papier geklebt. Statt mit dem Stift wurden sie also mit der Schere geschrieben und mit Klebstoff zusammengeleimt, bis es sich reimt. Dieses Verfahren hat Müller schon vor fünf Jahren in dem Band „Im Haarknoten wohnt eine Dame” erprobt. Die entstehenden Blätter sehen aus wie Erpresserbriefe. Schön bunt, in verschiedenen Größen und Schrifttypen, purzeln die Worte durcheinander. Überflüssigerweise sind die Gedichte auch noch mit Bildcollagen illustriert, die aus Fotoschnipseln und Scherenschnitten bestehen.
Die als Faksimiles gedruckten Blätter lassen den prosaischen Zusammenhang erkennen, aus dem die einzelnen Worte herausgetrennt wurden, um in neuem Kontext ein poetisches Eigenleben zu entfalten. In dicken Lettern knallt das einer Boulevardzeitung entnommene „Echo” heraus. Ein rotes „AUS” hat vielleicht einmal das Ende der Liebe von Boris und Babs verkündet. Jetzt fügt es sich in die Zeile „ICH frage GIBT ES DA kein anderes Tier als DIESE Mundharmonika AUS Wind”. Schon unter ökologischen Gesichtspunkten ist dieses Verfahren gar nicht genug zu würdigen. In einem großen Recycling-Prozess werden die Worte einer poetischen Wiederverwendung zugeführt und von dort aus erneut in den Sprachkreislauf eingespeist.
Collagieren bedeutet, die Dinge in eine neue Ordnung zu bringen. Herta Müller macht daraus ein lyrisches Prinzip. Ihren Versen ist die allmähliche Verfertigung beim Dichten anzusehen. Inspiration stammt einmal nicht aus dem Irgendwo der Seelentiefe, sondern aus eingesammelten Versatzstücken. Sie schreibt den Worten nichts vor. Die Richtung ihrer Dichtung lässt sie von den einzelnen Fundstücken bestimmen. Anders wären frei schwebende Sätze wie dieser kaum zu erfinden: „wenn feine Leute meine Mutter ins Gesicht fragen wie kann man diese Haartracht aufgetürmt wie eine Nähmaschine tragen muß ich mich schämen aber sie sagt die kämen doch im Grunde schier aus dem Nichts wie Sägemehl und Streunhunde und wir”.
Frosch und Restmüll
Vers- und Strophenfall gibt es in diesen Schrift-Bildern ebenso wenig wie Satzzeichen, die allenfalls als Restmüll und ohne Rücksicht auf die Syntax an einzelnen Partikeln hängen geblieben sind. Manche Buchstaben, aus denen ein neues Wort entsteht, erinnern noch daran, dass sie einmal repräsentativ daherstolzierten - etwa das in Fraktur gedruckte „Fr” aus dem Titelkopf einer überregionalen Tageszeitung, das zum „Frosch” mutierte. Die Körper der einzelnen Worte bleiben also nicht unversehrt in dieser großen Umbau-Arbeit. Nur ganz selten schafft es eine kurze Phrase unbeschädigt ins Gedicht: „aus neutraler Sicht” oder „zum Streicheln schön” sind die längsten Originalstücke aus der Sphäre primärer Sprachvernutzung.
Das Lesen dieser zersplitterten Schrift-Bilder ist mühsam. Man muss sie Wort für Wort buchstabieren, sie sich einzeln laut vorsagen und dabei mit dem Finger die Zeilen entlangfahren wie ein ABC-Schütze. So zwingt Herta Müller dazu, das Lesen neu zu lernen. Ihre bevorzugten Worte sind Pappel, Hose, Wind, Zahn, Hund, Vater, Mütze: einfache Sachen, die das Fundament jeder Schulfibel bilden. Daneben gibt es aber auch eine Gruppe von Begriffen, die in keiner Zeitung zu finden sind. Die Dichterin musste sie deshalb aus Einzelteilen montieren: Sommerrand, Möwenlied, Teighut oder Versöhnungsingenieur. Dann wird aus dem Finden von Material ein Erfinden ungeahnter Möglichkeiten.
Seit sie 1987 aus Rumänien nach Deutschland kam, hat die 1953 im Banat geborene Herta Müller in ihrer Prosa hartnäckig die seelischen Folgen der Diktatur thematisiert - Angst, Demütigung, Unterdrückung und Bedrohung durch die Securitate. In diesen spielerischen, surrealen Gedichten kümmert sie die Vergangenheit nicht. Auch muss sie hier nicht meinungsfest sein. „Wenn einer fragt dann hab‘ ich eine Anschauung dabei und zu Hause nochmal zwei”, reimt sie mit der Schere. Es gibt nichts zu verlieren, aber so viel zu finden: Worte, Poesie. JÖRG MAGENAU
HERTA MÜLLER: Die blassen Herren mit den Mokkatassen. Carl Hanser Verlag, München 2005. 112 S., 17,90 Euro.
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