Die blaue Blume: Symbol romantischer Poesie, der Sehnsucht nach dem Unendlichen, Chiffre für ein Leben in und aus der Phantasie gegen die alltägliche Wirklichkeit. Penelope Fitzgerald entwirft in »Die Blaue Blume« ein neues Bild der Romantik und des Dichters Novalis. In treffsicheren Skizzen, stimmig und stimmenreich, führt sie das ausgehende 18. Jahrhundert lebendig vor Augen: Fichtes furoremachende Vorlesungen, die Studentenkreise in Jena, Leipzig und Wittenberg, Alltagsleben und Adelsgesellschaft. Penelope Fitzgerald schildert den turbulenten Alltag des jungen Novalis in der kinderreichen, verarmten Adelsfamilie.
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 15.05.1999Eine blaue Blume auf englischem Rasen
Penelope Fitzgerald erfindet das Leben des Novalis · Von Gerhard Schulz
Als versponnen und weltfremd wäre belächelt worden, wer zu prophezeien gewagt hätte, daß eine englische Schriftstellerin von Rang einen Roman ausgerechnet über Leben und Liebe von Novalis, diesem deutschen Erzromantiker und Gärtner der blauen Blume, schreiben werde, von dessen Werk eine angelsächsische Leserschaft so gut wie nichts weiß. Daß dieses Buch in den großen Literaturzeitungen der Briten und Amerikaner enthusiastische Rezensionen findet und auf australische Bestsellerlisten geraten würde, wäre in jenes Reich der Träume verwiesen worden, in dem sich Novalis gut auskannte. Dennoch hat sich soviel Unmögliches mit Penelope Fitzgeralds Roman "Die blaue Blume" ereignet, der 1995 auf englisch erschien und 1998 in den Vereinigten Staaten einen hohen Literaturpreis erhielt. Jetzt hat sich eine deutsche Leserschaft vor ihm zu bewähren.
Meine persönliche Voreingenommenheit ist zuzugeben, denn über lange Zeit habe ich mich mit der Biographie von Novalis, der Friedrich von Hardenberg hieß, und mit der Edition seiner Werke befaßt. Das macht skeptisch gegenüber den Freiheiten, die ein Roman als ein Werk der Einbildungskraft für sich in Anspruch nehmen darf. Novalis' medizinischen Studienfreund Dietmahler zum Beispiel, in dessen Gemeinschaft uns Penelope Fitzgerald gleich zu Anfang den Hardenbergschen Haushalt in Weißenfels kennenlernen läßt, hat es ebensowenig gegeben wie den Porträtmaler Hoffmann aus Köln, dem es nicht gelingt, die frühreife Anmut jener kindlichen Sophie von Kühn einzufangen, mit der sich der junge Dichter verlobte und deren früher Tod ihn tief bewegte. Und muß der Biograph, an die Tatsachen gebunden, nicht entsetzt sein, wenn Novalis aus seinem Roman "Heinrich von Ofterdingen" vorliest, fünf Jahre bevor das Buch entstand?
Aber das Erstaunliche begibt sich hier, daß Skepsis und Einwände schwinden angesichts der Leibhaftigkeit einer kleindeutschen Welt, die zu betreten die englische Autorin einlädt. Penelope Fitzgerald ist eine Erzählerin von magischer Faszinationskraft. Sie hat den Ruf, sich in die Realität ihrer Romanwelten mit derartiger Intensität und Genauigkeit des Details hineinzuversetzen, als hätte sie ihr eigenes Leben darin verbracht. Mit dem Schreiben begann sie erst mit sechzig, vier Jahre später erhielt sie für den Roman "Offshore" den Booker-Preis, und beinahe achtzig war sie, als ihr Novalis-Roman erschien. Das aber ist ein Buch über junge Leute.
Aus dem Blick des Alters auf die Jugend, der Gegenwart auf die Vergangenheit und der Engländerin auf die Deutschen ist ein feines episches Gewebe von außerordentlicher Anziehungskraft entstanden, schwerelos und heiter oft, wo Tiefsinn und Sentimentalität zu erwarten wären. Ein historischer Roman liegt hier vor, dessen Stoff mit Sorgfalt eruiert worden ist, der aber nicht vor Anachronismen zurückscheut und nicht um der Vergangenheit willen erzählt wird. Alter spiegelt sich in der Jugend und Gegenwart im Vergangenen, alles mit leichter Hand zum Lesevergnügen, nicht zum Geschichtsunterricht. In der banalen Alltäglichkeit des späten achtzehnten Jahrhunderts wird der Strom des Liebens, Sorgens, Leidens, Träumens, Glaubens, Denkens und Zweifelns spürbar, der Leben über alle Zeiten hinweg ausmacht.
Überraschenderweise erzählt Fitzgerald nicht von der Klage des Dichters Novalis um den Tod seiner Braut, auch nicht die häufig simplifizierte Geschichte von der Entstehung seines Werkes aus diesem Trauma. Erst recht bleibt seine eigene Krankheit zum Tode - er starb neunundzwanzigjährig im Jahre 1801 - außerhalb des Buches. Der Roman beginnt 1794, als der Student Friedrich von Hardenberg ins elterliche Haus zurückkehrt, und endet, als er die sterbende Sophie von Kühn im März 1797 ein letztes Mal besucht. Intellektuell waren es eine Zeit des Eindringens in die Philosophie des deutschen Idealismus, des Sich-selbst-Findens als Denker und des beginnenden dichterischen Arbeitens, das sich zunächst in poetisch nicht besonders bedeutenden Gesellschaftsgedichten niederschlug. Große Dimensionen und aufregenden Stoff für einen biographischen Roman bietet das wahrhaftig nicht.
Die Liebesgeschichte mit einer Zwölfjährigen - so alt war Sophie, als der elf Jahre ältere Hardenberg sie kennenlernte - böte mit dem Reizthema Kindersexualität gewiß Stoff zu einem Buch über eine Lolita in Thüringen. Aber auch das ist Fitzgeralds Sache nicht. Eine wohlverbundene Kette von fünfundfünfzig Episoden, im Durchschnitt nicht mehr als vier Seiten stark, berichtet vom Weißenfelser Alltag der Familie Hardenberg, vom pietistischen, autoritären Vater und der vom vielen Gebären müde gewordenen Mutter, von den Eskapaden des kleinen Bruders Bernhard und den nicht besonders glänzenden Geldverhältnissen in diesem Haushalt.
Eine Gegenwelt dazu bildet Schloß Grüningen, wo Sophie ohne "religiöse Fragestunden, Gebetssitzungen, Ängste und Katechismen" aufwächst im Kreise eines fröhlichen Landadels. Anziehungskraft und Spannung entstehen in subtilen Meisterstücken verhaltenen Erzählens. Unreif und frühreif zugleich ist dieses Kind, ein wenig gleichgültig, "ein sehr junges dunkelhaariges Mädchen", das am Fenster steht und lässig gegen die Scheiben klopft, als wollte sie die Aufmerksamkeit von jemandem da draußen auf sich ziehen, den nicht beachtend, der das Zimmer betreten hat und auf dessen Leben sie einen tiefen Einfluß nehmen soll - ein sehr durchschnittliches Geschöpf.
Was Besonderes an ihr ist, wird nicht gesagt, aber mit ein paar Gesten sichtbar gemacht. Porträtmaler Hoffmann scheitert an der Aufgabe, sie zu malen. "Ich sehe sofort, was sie ist: ein anständiges, gutherziges sächsisches Mädchen, genährt von Kartoffeln, im Blütenschimmer ihrer dreizehn Sommer und der derberen Glut ihrer dreizehn Winter", sagt der Rheinländer nicht ohne Vorurteil über die im Osten (und die Engländerin über die kartoffelessenden Deutschen). Aber am Ende muß er bekennen: "She is undrawable" - unzeichenbar. Wo sich nichts rational und logisch erklären läßt, hat die eine autonome Wirklichkeit schaffende Poesie ihre besondere Domäne.
Sophie von Kühn starb, wie man annimmt, an einem tuberkulösen Leberabszeß. Ihr kurzes Leben war von Qualen unter den Händen der Ärzte geprägt. Die Beschreibung einer Operation ohne Anästhesie hat Fitzgerald aus der zeitgenössischen Schilderung einer Mastektomie übernommen. Der geschichtliche Hintergrund ist eher unauffällig in diesen Roman eingezeichnet. Auf die Französische Revolution, die Koalitionskriege und den Frieden zu Basel wird angespielt. Karl von Hardenberg sendet Nachricht über seinen Kriegsdienst vor Mainz, und bei der roten Mütze des kleinen Bernhard sind Sympathien mit den Sansculotten nicht zu verkennen. Fahrten in der Postkutsche, Speisen, die Äpfel in der Dachkammer der Hardenbergs, der Gebrauch von Opium und Prostitution sind auf eine Weise in den Text einbezogen, daß ein Zeitbild in vollen Farben entsteht.
Wie aber steht es mit dem Bild von Novalis, seiner intellektuellen und künstlerischen Statur, derentwegen man ja heute von ihm weiß? Es ist eine besorgte Frage, hat man sich ihm doch oft mit Vorurteilen oder Gefühlsüberschwang genähert. Hätte Penelope Fitzgerald ihr Buch mit dem Tode Friedrich von Hardenbergs beendet, wären ihr die Anachronismen in seiner Biographie erspart geblieben. Die Entscheidung, die Handlung des Romans im März 1797 zu schließen, hat sie zu Korrekturen der Geschichte genötigt, war doch zu zeigen, daß von einem jungen Dichter die Rede ist. Daraus entsteht ein Vorteil, denn indem man den Dichter Novalis aus seinen Lebenserfahrungen hervorwachsen sieht, gelingt eine Entsentimentalisierung seines Bildes. Das kommt den Bemühungen der Forschung um ein sachlich fundiertes Verständnis seines Werks jenseits des Mythos vom todessüchtigen, sich am Liebesschmerz verzehrenden Träumer entgegen.
Warum wurde dieser Roman geschrieben? Geht es um die Geburt eines Dichters aus der Alltäglichkeit? Wurde Penelope Fitzgerald herausgefordert durch die unbeantwortbar bleibende Frage nach dem Grund der Anziehungskraft zwischen zwei Menschen, durch eine etwas unkonventionell erscheinende Liebesgeschichte? War es die Frage nach der geheimnisvollen Verbindung zwischen Liebe und Tod, die letztlich eine Frage nach Dauer und Wert der Gefühle ist? Überwältigt hat die Autorin jedenfalls der Reiz des Ausflugs der produktiven Phantasie in eine ferne Wirklichkeit, doppelt fern in Zeit und kultureller Tradition. So ist ein sehr englisches Buch entstanden, das den Deutschen nicht nur einen ihrer eigenen Dichter nahebringt, sondern ihnen auch ein Stück von sich selbst zeigt.
Penelope Fitzgerald: "Die blaue Blume". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Krüger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1999. 239 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Penelope Fitzgerald erfindet das Leben des Novalis · Von Gerhard Schulz
Als versponnen und weltfremd wäre belächelt worden, wer zu prophezeien gewagt hätte, daß eine englische Schriftstellerin von Rang einen Roman ausgerechnet über Leben und Liebe von Novalis, diesem deutschen Erzromantiker und Gärtner der blauen Blume, schreiben werde, von dessen Werk eine angelsächsische Leserschaft so gut wie nichts weiß. Daß dieses Buch in den großen Literaturzeitungen der Briten und Amerikaner enthusiastische Rezensionen findet und auf australische Bestsellerlisten geraten würde, wäre in jenes Reich der Träume verwiesen worden, in dem sich Novalis gut auskannte. Dennoch hat sich soviel Unmögliches mit Penelope Fitzgeralds Roman "Die blaue Blume" ereignet, der 1995 auf englisch erschien und 1998 in den Vereinigten Staaten einen hohen Literaturpreis erhielt. Jetzt hat sich eine deutsche Leserschaft vor ihm zu bewähren.
Meine persönliche Voreingenommenheit ist zuzugeben, denn über lange Zeit habe ich mich mit der Biographie von Novalis, der Friedrich von Hardenberg hieß, und mit der Edition seiner Werke befaßt. Das macht skeptisch gegenüber den Freiheiten, die ein Roman als ein Werk der Einbildungskraft für sich in Anspruch nehmen darf. Novalis' medizinischen Studienfreund Dietmahler zum Beispiel, in dessen Gemeinschaft uns Penelope Fitzgerald gleich zu Anfang den Hardenbergschen Haushalt in Weißenfels kennenlernen läßt, hat es ebensowenig gegeben wie den Porträtmaler Hoffmann aus Köln, dem es nicht gelingt, die frühreife Anmut jener kindlichen Sophie von Kühn einzufangen, mit der sich der junge Dichter verlobte und deren früher Tod ihn tief bewegte. Und muß der Biograph, an die Tatsachen gebunden, nicht entsetzt sein, wenn Novalis aus seinem Roman "Heinrich von Ofterdingen" vorliest, fünf Jahre bevor das Buch entstand?
Aber das Erstaunliche begibt sich hier, daß Skepsis und Einwände schwinden angesichts der Leibhaftigkeit einer kleindeutschen Welt, die zu betreten die englische Autorin einlädt. Penelope Fitzgerald ist eine Erzählerin von magischer Faszinationskraft. Sie hat den Ruf, sich in die Realität ihrer Romanwelten mit derartiger Intensität und Genauigkeit des Details hineinzuversetzen, als hätte sie ihr eigenes Leben darin verbracht. Mit dem Schreiben begann sie erst mit sechzig, vier Jahre später erhielt sie für den Roman "Offshore" den Booker-Preis, und beinahe achtzig war sie, als ihr Novalis-Roman erschien. Das aber ist ein Buch über junge Leute.
Aus dem Blick des Alters auf die Jugend, der Gegenwart auf die Vergangenheit und der Engländerin auf die Deutschen ist ein feines episches Gewebe von außerordentlicher Anziehungskraft entstanden, schwerelos und heiter oft, wo Tiefsinn und Sentimentalität zu erwarten wären. Ein historischer Roman liegt hier vor, dessen Stoff mit Sorgfalt eruiert worden ist, der aber nicht vor Anachronismen zurückscheut und nicht um der Vergangenheit willen erzählt wird. Alter spiegelt sich in der Jugend und Gegenwart im Vergangenen, alles mit leichter Hand zum Lesevergnügen, nicht zum Geschichtsunterricht. In der banalen Alltäglichkeit des späten achtzehnten Jahrhunderts wird der Strom des Liebens, Sorgens, Leidens, Träumens, Glaubens, Denkens und Zweifelns spürbar, der Leben über alle Zeiten hinweg ausmacht.
Überraschenderweise erzählt Fitzgerald nicht von der Klage des Dichters Novalis um den Tod seiner Braut, auch nicht die häufig simplifizierte Geschichte von der Entstehung seines Werkes aus diesem Trauma. Erst recht bleibt seine eigene Krankheit zum Tode - er starb neunundzwanzigjährig im Jahre 1801 - außerhalb des Buches. Der Roman beginnt 1794, als der Student Friedrich von Hardenberg ins elterliche Haus zurückkehrt, und endet, als er die sterbende Sophie von Kühn im März 1797 ein letztes Mal besucht. Intellektuell waren es eine Zeit des Eindringens in die Philosophie des deutschen Idealismus, des Sich-selbst-Findens als Denker und des beginnenden dichterischen Arbeitens, das sich zunächst in poetisch nicht besonders bedeutenden Gesellschaftsgedichten niederschlug. Große Dimensionen und aufregenden Stoff für einen biographischen Roman bietet das wahrhaftig nicht.
Die Liebesgeschichte mit einer Zwölfjährigen - so alt war Sophie, als der elf Jahre ältere Hardenberg sie kennenlernte - böte mit dem Reizthema Kindersexualität gewiß Stoff zu einem Buch über eine Lolita in Thüringen. Aber auch das ist Fitzgeralds Sache nicht. Eine wohlverbundene Kette von fünfundfünfzig Episoden, im Durchschnitt nicht mehr als vier Seiten stark, berichtet vom Weißenfelser Alltag der Familie Hardenberg, vom pietistischen, autoritären Vater und der vom vielen Gebären müde gewordenen Mutter, von den Eskapaden des kleinen Bruders Bernhard und den nicht besonders glänzenden Geldverhältnissen in diesem Haushalt.
Eine Gegenwelt dazu bildet Schloß Grüningen, wo Sophie ohne "religiöse Fragestunden, Gebetssitzungen, Ängste und Katechismen" aufwächst im Kreise eines fröhlichen Landadels. Anziehungskraft und Spannung entstehen in subtilen Meisterstücken verhaltenen Erzählens. Unreif und frühreif zugleich ist dieses Kind, ein wenig gleichgültig, "ein sehr junges dunkelhaariges Mädchen", das am Fenster steht und lässig gegen die Scheiben klopft, als wollte sie die Aufmerksamkeit von jemandem da draußen auf sich ziehen, den nicht beachtend, der das Zimmer betreten hat und auf dessen Leben sie einen tiefen Einfluß nehmen soll - ein sehr durchschnittliches Geschöpf.
Was Besonderes an ihr ist, wird nicht gesagt, aber mit ein paar Gesten sichtbar gemacht. Porträtmaler Hoffmann scheitert an der Aufgabe, sie zu malen. "Ich sehe sofort, was sie ist: ein anständiges, gutherziges sächsisches Mädchen, genährt von Kartoffeln, im Blütenschimmer ihrer dreizehn Sommer und der derberen Glut ihrer dreizehn Winter", sagt der Rheinländer nicht ohne Vorurteil über die im Osten (und die Engländerin über die kartoffelessenden Deutschen). Aber am Ende muß er bekennen: "She is undrawable" - unzeichenbar. Wo sich nichts rational und logisch erklären läßt, hat die eine autonome Wirklichkeit schaffende Poesie ihre besondere Domäne.
Sophie von Kühn starb, wie man annimmt, an einem tuberkulösen Leberabszeß. Ihr kurzes Leben war von Qualen unter den Händen der Ärzte geprägt. Die Beschreibung einer Operation ohne Anästhesie hat Fitzgerald aus der zeitgenössischen Schilderung einer Mastektomie übernommen. Der geschichtliche Hintergrund ist eher unauffällig in diesen Roman eingezeichnet. Auf die Französische Revolution, die Koalitionskriege und den Frieden zu Basel wird angespielt. Karl von Hardenberg sendet Nachricht über seinen Kriegsdienst vor Mainz, und bei der roten Mütze des kleinen Bernhard sind Sympathien mit den Sansculotten nicht zu verkennen. Fahrten in der Postkutsche, Speisen, die Äpfel in der Dachkammer der Hardenbergs, der Gebrauch von Opium und Prostitution sind auf eine Weise in den Text einbezogen, daß ein Zeitbild in vollen Farben entsteht.
Wie aber steht es mit dem Bild von Novalis, seiner intellektuellen und künstlerischen Statur, derentwegen man ja heute von ihm weiß? Es ist eine besorgte Frage, hat man sich ihm doch oft mit Vorurteilen oder Gefühlsüberschwang genähert. Hätte Penelope Fitzgerald ihr Buch mit dem Tode Friedrich von Hardenbergs beendet, wären ihr die Anachronismen in seiner Biographie erspart geblieben. Die Entscheidung, die Handlung des Romans im März 1797 zu schließen, hat sie zu Korrekturen der Geschichte genötigt, war doch zu zeigen, daß von einem jungen Dichter die Rede ist. Daraus entsteht ein Vorteil, denn indem man den Dichter Novalis aus seinen Lebenserfahrungen hervorwachsen sieht, gelingt eine Entsentimentalisierung seines Bildes. Das kommt den Bemühungen der Forschung um ein sachlich fundiertes Verständnis seines Werks jenseits des Mythos vom todessüchtigen, sich am Liebesschmerz verzehrenden Träumer entgegen.
Warum wurde dieser Roman geschrieben? Geht es um die Geburt eines Dichters aus der Alltäglichkeit? Wurde Penelope Fitzgerald herausgefordert durch die unbeantwortbar bleibende Frage nach dem Grund der Anziehungskraft zwischen zwei Menschen, durch eine etwas unkonventionell erscheinende Liebesgeschichte? War es die Frage nach der geheimnisvollen Verbindung zwischen Liebe und Tod, die letztlich eine Frage nach Dauer und Wert der Gefühle ist? Überwältigt hat die Autorin jedenfalls der Reiz des Ausflugs der produktiven Phantasie in eine ferne Wirklichkeit, doppelt fern in Zeit und kultureller Tradition. So ist ein sehr englisches Buch entstanden, das den Deutschen nicht nur einen ihrer eigenen Dichter nahebringt, sondern ihnen auch ein Stück von sich selbst zeigt.
Penelope Fitzgerald: "Die blaue Blume". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Christa Krüger. Insel Verlag, Frankfurt am Main und Leipzig 1999. 239 S., geb., 39,80 DM.
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main