Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.03.2009Menschenhassprosa
Nein, ich kann nicht nüchtern und sachlich über dieses Buch schreiben. Denn es ist kein nüchternes Buch. Es ist ein von sich selbst besoffenes, von seiner eigenen grenzenlosen Misanthropie berauschtes Romanmonstrum. Es ist ein Buch, das mich gequält hat, und nun will ich es zurückquälen. Was natürlich auf siebenundachtzig Zeilen ein Ding der Unmöglichkeit ist: siebenundachtzig Zeilen gegen fünfhundert Seiten. Und so wird Canetti, den selbst die herzensgute Hilde Spiel einmal eine "wirkliche Giftspritze" genannt hat, auch in diesem Zweikampf wieder Sieger bleiben, wie in allen Zweikämpfen seines an Giften und Gegengiften reichen Lebens. Aber ganz unbeleidigt kommt mir der große Beleidiger diesmal dennoch nicht davon.
Die beiden Hauptfiguren der "Blendung" sind ein Sinologe namens Kien und seine Haushälterin Therese. Über die Frau heißt es einmal: "Sie hätte sich in ihre Hauptbestandteile, Rock, Schweiß und Ohren, aufgelöst, wenn der Hass gegen ihn, den er mit der Wollust eines Pedanten steigerte, nicht zu ihrem erhaltenden Zentrum geworden wäre." Der Sinologe seinerseits wird in einer Szene vorgestellt, in der er einen Jungen trifft, der sich für chinesische Bücher interessiert. Kien spricht freundlich mit ihm und verachtet sich anschließend dafür. Aber noch größer als sein Kinder- ist sein Frauenhass. Er hält sie für menschenähnlich aufgemotzte Tiere. Und wie ein Tier, ein Bluthund, kommt Therese über ihn.
Die Geschichte geht so, dass Therese Kien überredet, sie zu heiraten, aber schon in der Hochzeitsnacht werden die beiden zu Todfeinden, und von da an kämpfen sie verbissen um die fünfundzwanzigtausend Bände starke Bibliothek des Sinologen und das Geld, zu dem man sie machen könnte. Kien tut sich mit einem Zwerg und Zuhälter namens Fischerle zusammen, den er in der Bar "Zum idealen Himmel" kennengelernt hat, und Therese findet einen Beschützer in dem Hausmeister und Expolizisten Pfaff, der zuvor seine Frau und seine Tochter ins Grab gebracht hat. Am Ende kriegen alle ihre Strafe: Fischerle wird auf grausame Weise ermordet, Therese und Pfaff werden von Kiens Bruder kaltgestellt, und Kien selbst verbrennt in seiner Bibliothek.
Ich erinnere mich an den eisigen Winter von vierundachtzig, an den Fischgeruch vor dem Fenster, der sich mit dem Namen Fischerle und der fischigen Erscheinung Kiens verband, und an den Abscheu, mit dem ich die "Blendung" nach zwei Tagen verdrossener und vergrippter Lektüre in die Ecke warf. Noch heute weiß ich nicht, was schlimmer ist: die Selbstgefälligkeit, mit der Canetti gegen jede seiner Figuren recht behält, oder die kalte, methodische Arroganz seiner Menschenhassprosa. Es gibt schwache, unbeholfene, missglückte Bücher. "Die Blendung" ist der seltene Fall eines grauenhaft gelungenen Romans.
ANDREAS KILB
Elias Canetti: "Die Blendung". Verlag S. Fischer, 9,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Nein, ich kann nicht nüchtern und sachlich über dieses Buch schreiben. Denn es ist kein nüchternes Buch. Es ist ein von sich selbst besoffenes, von seiner eigenen grenzenlosen Misanthropie berauschtes Romanmonstrum. Es ist ein Buch, das mich gequält hat, und nun will ich es zurückquälen. Was natürlich auf siebenundachtzig Zeilen ein Ding der Unmöglichkeit ist: siebenundachtzig Zeilen gegen fünfhundert Seiten. Und so wird Canetti, den selbst die herzensgute Hilde Spiel einmal eine "wirkliche Giftspritze" genannt hat, auch in diesem Zweikampf wieder Sieger bleiben, wie in allen Zweikämpfen seines an Giften und Gegengiften reichen Lebens. Aber ganz unbeleidigt kommt mir der große Beleidiger diesmal dennoch nicht davon.
Die beiden Hauptfiguren der "Blendung" sind ein Sinologe namens Kien und seine Haushälterin Therese. Über die Frau heißt es einmal: "Sie hätte sich in ihre Hauptbestandteile, Rock, Schweiß und Ohren, aufgelöst, wenn der Hass gegen ihn, den er mit der Wollust eines Pedanten steigerte, nicht zu ihrem erhaltenden Zentrum geworden wäre." Der Sinologe seinerseits wird in einer Szene vorgestellt, in der er einen Jungen trifft, der sich für chinesische Bücher interessiert. Kien spricht freundlich mit ihm und verachtet sich anschließend dafür. Aber noch größer als sein Kinder- ist sein Frauenhass. Er hält sie für menschenähnlich aufgemotzte Tiere. Und wie ein Tier, ein Bluthund, kommt Therese über ihn.
Die Geschichte geht so, dass Therese Kien überredet, sie zu heiraten, aber schon in der Hochzeitsnacht werden die beiden zu Todfeinden, und von da an kämpfen sie verbissen um die fünfundzwanzigtausend Bände starke Bibliothek des Sinologen und das Geld, zu dem man sie machen könnte. Kien tut sich mit einem Zwerg und Zuhälter namens Fischerle zusammen, den er in der Bar "Zum idealen Himmel" kennengelernt hat, und Therese findet einen Beschützer in dem Hausmeister und Expolizisten Pfaff, der zuvor seine Frau und seine Tochter ins Grab gebracht hat. Am Ende kriegen alle ihre Strafe: Fischerle wird auf grausame Weise ermordet, Therese und Pfaff werden von Kiens Bruder kaltgestellt, und Kien selbst verbrennt in seiner Bibliothek.
Ich erinnere mich an den eisigen Winter von vierundachtzig, an den Fischgeruch vor dem Fenster, der sich mit dem Namen Fischerle und der fischigen Erscheinung Kiens verband, und an den Abscheu, mit dem ich die "Blendung" nach zwei Tagen verdrossener und vergrippter Lektüre in die Ecke warf. Noch heute weiß ich nicht, was schlimmer ist: die Selbstgefälligkeit, mit der Canetti gegen jede seiner Figuren recht behält, oder die kalte, methodische Arroganz seiner Menschenhassprosa. Es gibt schwache, unbeholfene, missglückte Bücher. "Die Blendung" ist der seltene Fall eines grauenhaft gelungenen Romans.
ANDREAS KILB
Elias Canetti: "Die Blendung". Verlag S. Fischer, 9,95 Euro
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
»Es gibt keinen anderen Autor, der den Unwillen gegen den Tod mit solcher Hartnäckigkeit zu seinem ausschließlichen Beruf gemacht hat.« DIE ZEIT