Ein ebenso glänzender wie scharfsinniger Beitrag zur jahrtausendealten Debatte über Wesen und Form, Essenz und Oberfläche, Argument und Rhetorik
Warum lieben wir bestimmte Autos - und oft nicht die nützlichsten? Warum berührt uns ein bestimmtes Kunstwerk, während andere uns kalt lassen? In welchen Worten muss ein guter Ratschlag formuliert sein, damit er beim Gegenüber Wirkung zeigt? In seinem neuen Buch untersucht der Philosoph Robert Pfaller Funktion, Bedingung und Wirkungsweise der Form, um ihrem Geheimnis auf die Spur zur kommen - ihrer Macht.
Schon Quintilian wusste: »Ein Redner muss nicht nur mit scharfen Waffen kämpfen, sondern auch mit blitzenden.« Robert Pfaller geht einen Schritt weiter: Er erklärt, warum überhaupt nur blitzende Waffen scharf sein können.
Der Bestseller-Autor von »Erwachsenensprache« und »Wofür es sich zu leben lohnt« räumt auf mit unserer Vorstellung, wir würden uns von Oberflächen nicht täuschen lassen und direkt in die Tiefe der Dinge blicken. Stattdessen postuliert Robert Pfaller ein sehr viel komplexeres Beziehungsgefüge: die Dialektik von Form und Inhalt.
Hinweis: Dieser Artikel kann nur an eine deutsche Lieferadresse ausgeliefert werden.
Warum lieben wir bestimmte Autos - und oft nicht die nützlichsten? Warum berührt uns ein bestimmtes Kunstwerk, während andere uns kalt lassen? In welchen Worten muss ein guter Ratschlag formuliert sein, damit er beim Gegenüber Wirkung zeigt? In seinem neuen Buch untersucht der Philosoph Robert Pfaller Funktion, Bedingung und Wirkungsweise der Form, um ihrem Geheimnis auf die Spur zur kommen - ihrer Macht.
Schon Quintilian wusste: »Ein Redner muss nicht nur mit scharfen Waffen kämpfen, sondern auch mit blitzenden.« Robert Pfaller geht einen Schritt weiter: Er erklärt, warum überhaupt nur blitzende Waffen scharf sein können.
Der Bestseller-Autor von »Erwachsenensprache« und »Wofür es sich zu leben lohnt« räumt auf mit unserer Vorstellung, wir würden uns von Oberflächen nicht täuschen lassen und direkt in die Tiefe der Dinge blicken. Stattdessen postuliert Robert Pfaller ein sehr viel komplexeres Beziehungsgefüge: die Dialektik von Form und Inhalt.
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Robert Pfaller hat ein äußerst unterhaltsames und interessantes Buch über die Macht der Form geschrieben. [...] ein kurzweiliger Spaziergang durch die Ideengeschichte Ulrike Bardt Philosophischer Literaturanzeiger 20201215
Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension
Rezensent Helmut Mauró ist angetan von Robert Pfallers leidenschaftlicher Verteidigung der Form an sich. Diese umfasst bei Mauró nicht nur die künstlerische Form, sondern auch Umgangsformen und sprachliche Eleganz, und alle Versionen sieht der Wiener Professor gegenwärtig vernachlässigt. Was zunächst "reaktionär larmoyant" klinge (so seien Pfallers Postulate von Charme, Höflichkeit und Eleganz außerhalb von Wien doch vermutlich verstaubt), findet der Rezensent dann doch wichtig und interessant. So müsse beispielsweise noch einmal darüber geredet werden, wie das gegenderte Sprechen, das auch Pfaller in Frage stellt, eine ganze Literaturgeschichte als misogyn verurteile. Auch wenn der Autor letztlich nicht so weit gehe, von einem "Menschenrecht auf Eleganz" zu sprechen, so gehe es doch grundsätzlich um eine "grundlegende Ästhetik des Miteinanders, ja der menschlichen Existenz", findet auch der Rezensent. Ein äußerst anregendes, "in alle Richtungen offenes" Buch, schließt er.
© Perlentaucher Medien GmbH
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Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.07.2020Das wahre Leben spielt an der Oberfläche
Gibt es ein Menschenrecht auf Eleganz? Robert Pfaller untersucht die Bedeutung des Formalen
In einem Radiointerview sprach Robert Pfaller kürzlich über die fatale Formlosigkeit zeitgenössischer Kunst und das Knacklaut-Gender-Sprech im Deutschlandfunk. Beide Themen sind für den Wiener Philosophen aufs Engste mit Höflichkeit und Humanität, streng genommen mit Überlebenstechnik verbunden. Pfaller spricht mit einem ausgreifenden Sprachmelos, den kräftig eingefärbten Vokalen und den besonders stimmhaften lateral alveolaren Approximanten, den elegant dahingleitenden l-Lauten. In fließender Rede waren seine Argumente noch einmal einleuchtender als in seiner schriftlichen Abhandlung „Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form“? Mit dem Phänomen, dass das Gesagte erst dadurch, wie es gesagt wird, seine überzeugende Bedeutung erlangt, beschäftigt sich Pfaller gleich zu Beginn.
Er geht dabei zwar nicht bis ins Phonologische, aber Quintilians „institutio oratoria“, in der dieser fordert, „nec fortibus modo sed etiam fulgentibus armis proeliatur“ – nicht nur mit scharfen, sondern mit blitzenden Waffen ist zu kämpfen – mit diesem Leitsatz führt Pfaller in die umfangreiche Problematik der Bedeutung der Form. Nicht nur der sprachlichen, wie sie Literaten geläufig ist, sondern prinzipiell aller möglichen Formen. Pfaller ist dabei nicht der erste, der auf den unabdingbaren Zusammenhang von Inhalt und Form verweist – inhaltliche Relevanz entsteht erst durch die Form –, aber er verfolgt diesen Topos mit platonischer Leidenschaft.
„Warum berührt uns ein Kunstwerk, während andere Arbeiten uns kalt lassen? Warum verfangen bestimmte Werbeslogans und andere nicht? Warum kann eine bestimmte psychotherapeutische Intervention Effekte hervorrufen, während andere, ähnlich gelagerte, wirkungslos verpuffen?“ Es sind Fragen, denen man sich hie und da schon mal nachgegangen ist, aber vielleicht nicht bis auf einen tragfähigen Grund. Dorthin, wo es blitzt. Die „blitzenden Waffen“ versteht Pfaller im doppelten Sinn, als gleichermaßen glamourös blendende wie blitzartig zuschlagende. Dabei führt er schnurstracks auf einen, neben der Kunstbetrachtung, weiteren Lieblingsspielplatz der Philosophie: der Sprachbeschau, insbesondere der Lüge und dem Witz. Von der griechischen und römischen Antike bis zum vielleicht eigentlichen Begründer der Geschichtswissenschaft Karl Marx bis zu Ludwig Wittgenstein gibt es hinreichend Beispiele. Nicht alle sind so brüllend komisch, wie Pfaller sie anpreist, einige aber schon.
Ganz offensichtlich leidet er an der formalen Beliebigkeit zeitgenössischer Kunst, die für ihn eine Erscheinungsform von Formvergessenheit ist. Wo nichts blitzt, ist nichts. „Die Kunst sehnt sich nun plötzlich eigentümlich nach Wahrheit und vergisst dabei nicht nur, dass ihr ureigenstes Feld doch der Schein ist, sondern, was noch viel schlimmer ist, dass – wie viele Wissenschaftstheoretiker versichern – ohne den Schein gar keine Wahrheit zu haben ist.“ Was zunächst so reaktionär larmoyant klingt, scheint aber durchaus ein historischer Bruch zu sein. Denn der Künstler zweifelt nicht mehr nur an seiner, er glaubt generell nicht mehr an die Wirkmacht von Kunst: „Viele Künstler glauben heute, wissenschaftliche Texte schreiben zu müssen, um künstlerische Doktorate erlangen zu dürfen; und in der Sehnsucht, sich mit Wissen vollzustopfen, um den Wissenschaften möglichst ähnlich zu werden, übersehen die Künste, wie viel Kunst schon in der Wissenschaft selbst steckt und wie ähnlich die Wissenschaften ihrerseits darum bereits den Künsten sind.“ Darauf hat zwar schon Paul Feyerabend verwiesen, aber wirklich ernst genommen haben das wohl nur ein paar eingefleischte Mathematiker.
Pfaller nimmt diesen Zusammenhang sehr genau. „Kann es sein“, fragt er schon fast rhetorisch, „dass die Waffen der Wissenschaft vielleicht überhaupt nur dann scharf sein können, wenn sie auch blitzen?“ Gibt es Formulierungen, ohne die sich Erkenntnis gar nicht erst einstellt? Dazu bringt er die legendäre Schachparabel des Gründungs-Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure, der von der historisch-substanziellen Betrachtung abstrahiert zugunsten einer situativen unmittelbaren. So wie man eine Stellung des Schachspiels betrachtet und den nächsten Zug überlegt, so kann man auch Sprache struktural als Beziehungen von Zeichen begreifen. Was davor war, woher was kommt, ist dabei unerheblich. Allein durch den gelungenen Vergleich, eine rhetorische Form, gelingt Saussure der Perspektivwechsel.
Gleiches erwartet Pfaller von der Kunst, und er ruft zurecht nach der Psychoanalyse, der man immer vorwarf, „das formale Element zu übersehen und dadurch die ‚Magie‘ der Kunst zu ignorieren“. „Heute, da eher die Kunst sich selbst oft schlecht und ignorant behandelt, wie man es einst der Psychoanalyse vorgeworfen hat, kann Letztere vielleicht eine gewisse Wiedergutmachung zustande bringen.“ Nicht unbedingt dort, wo sie sich unmittelbar einem Kunstwerk widmet – was sie bislang vielleicht zu sehr unter einem pathologischen, weniger dem gebotenen ästhetischen Blickwinkel leistete –, aber überall dort, wo sie „den Witz, die Fehlleistung oder den Traum untersucht“. Hier sei „die Psychoanalyse eine exemplarische Theorie der Form“. Denn ihr ist jedes Detail heilig, und sie kann zeigen, wie und unter welchen sprachformalen Bedingungen etwa ein Witz funktioniert.
Was wir von einem Wiener Professor dennoch erwarten dürfen, ist die Beschäftigung mit Mode und Umgangsformen – im Zeitalter grassierender Berlinisierung derselben ist eine ernste Betrachtung auf diesem Feld nötig, vielleicht schon notwendig. Man darf Pfaller hier aber nicht missverstehen. Er liefert keine Handlungsanleitung und erst recht keinen Schnellkurs in Höflichkeit. Aber er denkt so hartnäckig darüber nach, dass zumindest unterschwellig ein Vorwurf an jene herauszuhören ist, die den Sinn einer Form um ihrer selbst willen nicht verstehen. Den Vorteil für andere und für sich selbst, den Mehrwert an Menschlichkeit, den evolutionären Schub, der darin steckt, Verhaltensweisen einzuüben, die nichts weiter dienen, als eine Form zu erfüllen. Keinerlei Inhalt, Form in Reinkultur. Und dadurch auch unkorrigierbar im Scheitern.
Es gibt keine korrigierende Begründung für eine missglückte Höflichkeit wie dies bei einem falsch vorgebrachten Inhalt möglich ist. Ein schmerzend harter Händedruck ist nicht mit einem „war nicht so gemeint“ aus der Welt zu schaffen. Denn letztlich offenbart so ein Höflichkeitsunfall eine Grundhaltung des Gegenüber, eine Unsensibilität, ein soziales Unvermögen. Das Gegenmittel der Wahl ist womöglich. Charme, Eleganz und anderes, das man außerhalb von Wien als reaktionär, bestenfalls sentimental beurteilt.
Pfaller zeigt, dass es aber um viel mehr geht, um eine grundlegende Ästhetik des Miteinanders, ja der ganzen menschlichen Existenz. Man kann tradierte Formen nicht ersatzlos streichen. Eleganz ist kein Luxus, man darf nicht wie etwa beim sprachlichen Gendern, womöglich noch mit Knacklaut, ständig über die eigenen Füße stolpern müssen. Man muss sagen: Eleganz ist ein Menschenrecht. So weit geht Pfaller dann doch nicht, er hält diese Art der Geschlechterangleichung dennoch für missglückt. Das sagt er im Radiointerview, und seine Sprachmelodie nimmt hier noch engere Kurven. Man hört den Schmerz heraus, der tief im Innern entsteht, wenn man zu einer Unhöflichkeit genötigt wird. Denn es ist nicht nur das unelegante Reden, es ist auch das damit einhergehende unaufrichtige Denken, das a posteriori alles nicht gegenderte Reden – also die gesamte Literaturgeschichte – als Ausdruck von Misogynie und Gewalt definiert. Darüber wird man nochmal reden müssen, und es ist allemal sinnvoller, dies im Zusammenhang der vielfältigen Überlegungen zu tun, die hier in geschmeidiger Sprache vorgetragen werden in diesem in alle Richtungen offenen und anregenden Büchlein.
HELMUT MAURÓ
Robert Pfaller: Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2020. 283 Seiten, 22 Euro.
In der formalen Beliebigkeit
zeitgenössischer Kunst
äußert sich Formvergessenheit
Nicht nur mit scharfen, sondern mit blitzenden Klingen ist zu kämpfen: der Wiener Philosoph und Professor Robert Pfaller.
Foto: imago/Rudolf Gigler
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Gibt es ein Menschenrecht auf Eleganz? Robert Pfaller untersucht die Bedeutung des Formalen
In einem Radiointerview sprach Robert Pfaller kürzlich über die fatale Formlosigkeit zeitgenössischer Kunst und das Knacklaut-Gender-Sprech im Deutschlandfunk. Beide Themen sind für den Wiener Philosophen aufs Engste mit Höflichkeit und Humanität, streng genommen mit Überlebenstechnik verbunden. Pfaller spricht mit einem ausgreifenden Sprachmelos, den kräftig eingefärbten Vokalen und den besonders stimmhaften lateral alveolaren Approximanten, den elegant dahingleitenden l-Lauten. In fließender Rede waren seine Argumente noch einmal einleuchtender als in seiner schriftlichen Abhandlung „Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form“? Mit dem Phänomen, dass das Gesagte erst dadurch, wie es gesagt wird, seine überzeugende Bedeutung erlangt, beschäftigt sich Pfaller gleich zu Beginn.
Er geht dabei zwar nicht bis ins Phonologische, aber Quintilians „institutio oratoria“, in der dieser fordert, „nec fortibus modo sed etiam fulgentibus armis proeliatur“ – nicht nur mit scharfen, sondern mit blitzenden Waffen ist zu kämpfen – mit diesem Leitsatz führt Pfaller in die umfangreiche Problematik der Bedeutung der Form. Nicht nur der sprachlichen, wie sie Literaten geläufig ist, sondern prinzipiell aller möglichen Formen. Pfaller ist dabei nicht der erste, der auf den unabdingbaren Zusammenhang von Inhalt und Form verweist – inhaltliche Relevanz entsteht erst durch die Form –, aber er verfolgt diesen Topos mit platonischer Leidenschaft.
„Warum berührt uns ein Kunstwerk, während andere Arbeiten uns kalt lassen? Warum verfangen bestimmte Werbeslogans und andere nicht? Warum kann eine bestimmte psychotherapeutische Intervention Effekte hervorrufen, während andere, ähnlich gelagerte, wirkungslos verpuffen?“ Es sind Fragen, denen man sich hie und da schon mal nachgegangen ist, aber vielleicht nicht bis auf einen tragfähigen Grund. Dorthin, wo es blitzt. Die „blitzenden Waffen“ versteht Pfaller im doppelten Sinn, als gleichermaßen glamourös blendende wie blitzartig zuschlagende. Dabei führt er schnurstracks auf einen, neben der Kunstbetrachtung, weiteren Lieblingsspielplatz der Philosophie: der Sprachbeschau, insbesondere der Lüge und dem Witz. Von der griechischen und römischen Antike bis zum vielleicht eigentlichen Begründer der Geschichtswissenschaft Karl Marx bis zu Ludwig Wittgenstein gibt es hinreichend Beispiele. Nicht alle sind so brüllend komisch, wie Pfaller sie anpreist, einige aber schon.
Ganz offensichtlich leidet er an der formalen Beliebigkeit zeitgenössischer Kunst, die für ihn eine Erscheinungsform von Formvergessenheit ist. Wo nichts blitzt, ist nichts. „Die Kunst sehnt sich nun plötzlich eigentümlich nach Wahrheit und vergisst dabei nicht nur, dass ihr ureigenstes Feld doch der Schein ist, sondern, was noch viel schlimmer ist, dass – wie viele Wissenschaftstheoretiker versichern – ohne den Schein gar keine Wahrheit zu haben ist.“ Was zunächst so reaktionär larmoyant klingt, scheint aber durchaus ein historischer Bruch zu sein. Denn der Künstler zweifelt nicht mehr nur an seiner, er glaubt generell nicht mehr an die Wirkmacht von Kunst: „Viele Künstler glauben heute, wissenschaftliche Texte schreiben zu müssen, um künstlerische Doktorate erlangen zu dürfen; und in der Sehnsucht, sich mit Wissen vollzustopfen, um den Wissenschaften möglichst ähnlich zu werden, übersehen die Künste, wie viel Kunst schon in der Wissenschaft selbst steckt und wie ähnlich die Wissenschaften ihrerseits darum bereits den Künsten sind.“ Darauf hat zwar schon Paul Feyerabend verwiesen, aber wirklich ernst genommen haben das wohl nur ein paar eingefleischte Mathematiker.
Pfaller nimmt diesen Zusammenhang sehr genau. „Kann es sein“, fragt er schon fast rhetorisch, „dass die Waffen der Wissenschaft vielleicht überhaupt nur dann scharf sein können, wenn sie auch blitzen?“ Gibt es Formulierungen, ohne die sich Erkenntnis gar nicht erst einstellt? Dazu bringt er die legendäre Schachparabel des Gründungs-Sprachwissenschaftlers Ferdinand de Saussure, der von der historisch-substanziellen Betrachtung abstrahiert zugunsten einer situativen unmittelbaren. So wie man eine Stellung des Schachspiels betrachtet und den nächsten Zug überlegt, so kann man auch Sprache struktural als Beziehungen von Zeichen begreifen. Was davor war, woher was kommt, ist dabei unerheblich. Allein durch den gelungenen Vergleich, eine rhetorische Form, gelingt Saussure der Perspektivwechsel.
Gleiches erwartet Pfaller von der Kunst, und er ruft zurecht nach der Psychoanalyse, der man immer vorwarf, „das formale Element zu übersehen und dadurch die ‚Magie‘ der Kunst zu ignorieren“. „Heute, da eher die Kunst sich selbst oft schlecht und ignorant behandelt, wie man es einst der Psychoanalyse vorgeworfen hat, kann Letztere vielleicht eine gewisse Wiedergutmachung zustande bringen.“ Nicht unbedingt dort, wo sie sich unmittelbar einem Kunstwerk widmet – was sie bislang vielleicht zu sehr unter einem pathologischen, weniger dem gebotenen ästhetischen Blickwinkel leistete –, aber überall dort, wo sie „den Witz, die Fehlleistung oder den Traum untersucht“. Hier sei „die Psychoanalyse eine exemplarische Theorie der Form“. Denn ihr ist jedes Detail heilig, und sie kann zeigen, wie und unter welchen sprachformalen Bedingungen etwa ein Witz funktioniert.
Was wir von einem Wiener Professor dennoch erwarten dürfen, ist die Beschäftigung mit Mode und Umgangsformen – im Zeitalter grassierender Berlinisierung derselben ist eine ernste Betrachtung auf diesem Feld nötig, vielleicht schon notwendig. Man darf Pfaller hier aber nicht missverstehen. Er liefert keine Handlungsanleitung und erst recht keinen Schnellkurs in Höflichkeit. Aber er denkt so hartnäckig darüber nach, dass zumindest unterschwellig ein Vorwurf an jene herauszuhören ist, die den Sinn einer Form um ihrer selbst willen nicht verstehen. Den Vorteil für andere und für sich selbst, den Mehrwert an Menschlichkeit, den evolutionären Schub, der darin steckt, Verhaltensweisen einzuüben, die nichts weiter dienen, als eine Form zu erfüllen. Keinerlei Inhalt, Form in Reinkultur. Und dadurch auch unkorrigierbar im Scheitern.
Es gibt keine korrigierende Begründung für eine missglückte Höflichkeit wie dies bei einem falsch vorgebrachten Inhalt möglich ist. Ein schmerzend harter Händedruck ist nicht mit einem „war nicht so gemeint“ aus der Welt zu schaffen. Denn letztlich offenbart so ein Höflichkeitsunfall eine Grundhaltung des Gegenüber, eine Unsensibilität, ein soziales Unvermögen. Das Gegenmittel der Wahl ist womöglich. Charme, Eleganz und anderes, das man außerhalb von Wien als reaktionär, bestenfalls sentimental beurteilt.
Pfaller zeigt, dass es aber um viel mehr geht, um eine grundlegende Ästhetik des Miteinanders, ja der ganzen menschlichen Existenz. Man kann tradierte Formen nicht ersatzlos streichen. Eleganz ist kein Luxus, man darf nicht wie etwa beim sprachlichen Gendern, womöglich noch mit Knacklaut, ständig über die eigenen Füße stolpern müssen. Man muss sagen: Eleganz ist ein Menschenrecht. So weit geht Pfaller dann doch nicht, er hält diese Art der Geschlechterangleichung dennoch für missglückt. Das sagt er im Radiointerview, und seine Sprachmelodie nimmt hier noch engere Kurven. Man hört den Schmerz heraus, der tief im Innern entsteht, wenn man zu einer Unhöflichkeit genötigt wird. Denn es ist nicht nur das unelegante Reden, es ist auch das damit einhergehende unaufrichtige Denken, das a posteriori alles nicht gegenderte Reden – also die gesamte Literaturgeschichte – als Ausdruck von Misogynie und Gewalt definiert. Darüber wird man nochmal reden müssen, und es ist allemal sinnvoller, dies im Zusammenhang der vielfältigen Überlegungen zu tun, die hier in geschmeidiger Sprache vorgetragen werden in diesem in alle Richtungen offenen und anregenden Büchlein.
HELMUT MAURÓ
Robert Pfaller: Die blitzenden Waffen. Über die Macht der Form. S. Fischer Verlag, Frankfurt a. M. 2020. 283 Seiten, 22 Euro.
In der formalen Beliebigkeit
zeitgenössischer Kunst
äußert sich Formvergessenheit
Nicht nur mit scharfen, sondern mit blitzenden Klingen ist zu kämpfen: der Wiener Philosoph und Professor Robert Pfaller.
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Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.07.2020Mattes Maskenlob
Wir leben "in der finsteren Postmoderne", meint Robert Pfaller, Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Denn den "Individuen sind ganz offensichtlich ihr Spiel und ihre Masken abhandengekommen". Im nächsten Satz zitiert er Richard Sennett, und schon ist klar, wie es weitergeht. Die Postmoderne hat das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Ritualen, Masken und anderen Distanzierungstechniken verloren, alles zielt auf eine als unmittelbar verstandene Wahrheit. Und das ist schlecht, weil es die Voraussetzung der Gesellschaftlichkeit unterminiert.
In seinem Buch möchte Pfaller die "Macht der Form" rehabilitieren. Den Titel hat er Quintilians Lehrbuch der Rhetorik entnommen, wonach die Waffen des Redners nicht nur schlagkräftig, sondern blitzend sein sollen. Diese Qualität, Form oder Ästhetik, vermisst Pfaller im Zusammenleben wie in der Kunst der Gegenwart. Die Diagnose ist nicht neu, es käme darauf an, sie auf ergiebige Beispiele anzuwenden. Stattdessen belehrt uns der Autor allen Ernstes etwa darüber, dass es "kein Sehen ohne Standpunkt" gibt. "Jedes Sehen kommt aus einer bestimmten Perspektive. Man kann nicht einfach nur objektiv sein." Nicht weniger biedermännisch: "Auch etwas so Leichtlebiges und Ephemeres wie die Mode bildet eine symbolische Ordnung." Dass fast alles aus dem Zeughaus der Firma Barthes, Lacan, Zizek & Co. bezogen wird, verstärkt den matten, ganz unblitzenden Eindruck. Und auch die wenigen empirischen Momente stammen aus zweiter Hand. Die aktuelle Kunst leidet unter einem platten "Konsensmoralismus" und einem Mangel an dem, was Kunst am Kunstwerk ist? Gut möglich. Aber das sollte der Autor an autoritativen Beispielen auf eigene Rechnung aussprechen. Stattdessen delegiert er das Urteil an verschiedene ungünstige Rezensionen der documenta 14. Doch wozu braucht es Waffen, blitzend oder brüniert, wenn man sich nicht ins Gefecht begeben will?
STEPHAN SPEICHER
Robert Pfaller:
"Die blitzenden Waffen".
Über die Macht der Form.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 288 S., geb., 22,- [Euro].
Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
Wir leben "in der finsteren Postmoderne", meint Robert Pfaller, Professor für Philosophie an der Kunstuniversität Linz. Denn den "Individuen sind ganz offensichtlich ihr Spiel und ihre Masken abhandengekommen". Im nächsten Satz zitiert er Richard Sennett, und schon ist klar, wie es weitergeht. Die Postmoderne hat das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Ritualen, Masken und anderen Distanzierungstechniken verloren, alles zielt auf eine als unmittelbar verstandene Wahrheit. Und das ist schlecht, weil es die Voraussetzung der Gesellschaftlichkeit unterminiert.
In seinem Buch möchte Pfaller die "Macht der Form" rehabilitieren. Den Titel hat er Quintilians Lehrbuch der Rhetorik entnommen, wonach die Waffen des Redners nicht nur schlagkräftig, sondern blitzend sein sollen. Diese Qualität, Form oder Ästhetik, vermisst Pfaller im Zusammenleben wie in der Kunst der Gegenwart. Die Diagnose ist nicht neu, es käme darauf an, sie auf ergiebige Beispiele anzuwenden. Stattdessen belehrt uns der Autor allen Ernstes etwa darüber, dass es "kein Sehen ohne Standpunkt" gibt. "Jedes Sehen kommt aus einer bestimmten Perspektive. Man kann nicht einfach nur objektiv sein." Nicht weniger biedermännisch: "Auch etwas so Leichtlebiges und Ephemeres wie die Mode bildet eine symbolische Ordnung." Dass fast alles aus dem Zeughaus der Firma Barthes, Lacan, Zizek & Co. bezogen wird, verstärkt den matten, ganz unblitzenden Eindruck. Und auch die wenigen empirischen Momente stammen aus zweiter Hand. Die aktuelle Kunst leidet unter einem platten "Konsensmoralismus" und einem Mangel an dem, was Kunst am Kunstwerk ist? Gut möglich. Aber das sollte der Autor an autoritativen Beispielen auf eigene Rechnung aussprechen. Stattdessen delegiert er das Urteil an verschiedene ungünstige Rezensionen der documenta 14. Doch wozu braucht es Waffen, blitzend oder brüniert, wenn man sich nicht ins Gefecht begeben will?
STEPHAN SPEICHER
Robert Pfaller:
"Die blitzenden Waffen".
Über die Macht der Form.
S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2020. 288 S., geb., 22,- [Euro].
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